home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[156][<<][>>]

LeserInnen-Brief, 3.9k

  Über alte und neue Unklarheiten

Anmerkungen zu Lilians Leserbrief „Mittelständische Langeweile – Zur Israelsolidarität in Aufklebern. Gegen Essentials.“ aus dem CEE IEH #155

Lilian, die Autorin des Leserbriefes hat in vielen Punkten scheinbar keine Ahnung davon, worüber sie schreibt. Sie setzt sich ganz offensichtlich für eine „Bewegung“ ein, „die Antisemitismus weg haben will und nicht nur zurückzudrängen versucht“ (alle als Zitate gekennzeichneten Stellen sind ihrem Text entnommen). So schreibt sie dies zumindest und lässt die Leserschaft darüber im Unklaren, wer oder was mit dieser Bewegung gemeint sein soll. Möchte man ihr in guter Absicht unterstellen, dass sie eine Abschaffung des Antisemitismus durch eine Überwindung der „armseelige(n) (sic!) Verfasstheit dieser Welt“ herbeisehnt, so bleibt die Frage offen, wie sie das denn auf absehbare Zeit zu erreichen gedenkt? Und was viel wichtiger ist: Wie man bis dahin Antisemitismus und den von ihr mit keiner Silbe erwähnten Antizionismus, die als zwei zu differenzierende ideologische Ressentiments nicht in eins fallen, in der Welt bekämpfen kann? Für sie jedenfalls sei „klar und einleuchtend“, dass Politik, so weit man diese überhaupt betreiben will (sie schreibt, dass man sich auf die „traurigen Umstände“ in Israel/der Welt nur „negativ positiv beziehen“ kann, was auch immer das heißen mag), sich zwangsläufig durch Symbole abgrenzen muss. Wie anders sollte israelsolidarische Politik durch Symboliken als durch das Tragen der israelischen Nationalflagge auf Demonstrationen/Kundgebungen, das Kleben von (Nationalfahnen)Aufklebern oder darauf abgebildeten sich zu Israel bekennenden Sprüchen etc. aussehen? Und was können diese sichtbaren Ausdrucksformen anderes bekunden als Solidarität mit dem Staate Israel und seiner Bevölkerung(1)? Selbstverständlich ist es ein Dilemma, dass diesen Ausdrucksformen keine tiefgründigen Erklärungen beigelegt werden können. Klar ist: Ein Antizionist, der Israel weghaben will, sieht sich sofort genötigt den Aufkleber zu entfernen oder zu überkleben, die Fahnenträger einer pro-israelischen Demonstration verbal zu diffamieren oder sie schlimmstenfalls anzugreifen, ist doch sein reaktionäres Gemütsgleichgewicht ins Schwanken geraten, er ist voller Zorn. Ferner – und hier wird schon klar, dass realiter in keiner Weise Form und Inhalt zu trennen sind – könnte er sich genötigt sehen, eine inhaltliche Veranstaltung, die Israelsolidarität zum Thema hat, mit allen Mitteln anzugreifen(2). Andere Gründe dafür gibt es kaum. Die von der Autorin angeführten Einzelbeispiele, warum Menschen die Aufkleber noch abmachen könnten, sind meines Erachtens als eine Forderung zu verstehen, sich umso mehr für eine Solidarität mit Israel einzusetzen(3). Müssten die israelischen Soldaten nicht gegen vernichtungswütige Feinde kämpfen, müsste die Bevölkerung Israels nicht Tag für Tag damit rechnen, dass wieder Angriffe stattfinden, würden solcherlei traurigen Erfahrungen unter Umständen ausbleiben, die ohne Zweifel bei den Betroffenen zu körperlichen und seelischen Schäden führen. Sicherlich lassen sich nicht Einzelbeispiele gegen Einzelbeispiele aufwiegen, dennoch haben die Geburtstagsfeierlichkeiten in Israel zum 60. Gründungsjahr, die landesweit mit Festen, Militärparaden, Fernsehansprachen etc. begangen wurden, selbst gezeigt, dass es einen starken Überlebenswillen der Bevölkerung gibt. So ist es nicht zuletzt konsequent, dass in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, an diesem Tag der Opfer des NS gedacht wurde, und zugleich der jüdischen Widerständler, an deren Tradition die israelische Armee anknüpft.
Die Autorin treibt die Sorge um, es liege ein Mangel für das „Wohl von Juden auf dieser Welt“ bei denen vor, die Israelsoli-Aufkleber kleben, und nimmt sie als Beispiel, um zu zeigen, dass damit die falsche Form, die auch dem „Grundbedürfnis“ des störrischen Fähnchenschwenkers entspreche, gewählt werde. Politik kann meines Erachtens an einem identitären Moment haften, das so auf einige zutreffen mag (Stichwort: Pop-Israel-Solidarität), muss es aber nicht zwangsläufig. Schließlich ist durch die Reflexion des Klebenden auf Politik und Kritik eine Distanz zum Gegenstand gesetzt, die dadurch nicht mit der Person, die sie betreibt, in eins fällt. Man könnte es kritisches Verhalten nennen. Kritisches Verhalten auch deswegen, weil die Solidarität mit Israel als eine politische Notwendigkeit erkannt wurde, die es nach Außen zu tragen gilt(4). Dass es auch andere Formen als das banale Aufkleber kleben gibt, wird von der Autorin fast gänzlich übersehen. Lilian scheint sich zudem über ihr eigenes Bedürfnis nicht im Klaren zu sein, was an der von ihr betriebenen unverhohlenen Gleichsetzung von Juden und Israelis deutlich wird, die sich aus dem Kontext des Textes entnehmen lässt und der von ihr unverstandenen Staatlichkeit Israels entspringt. Israel gibt den Juden in der Diaspora zwar die Möglichkeit in das Land einzuwandern, jedoch sind nicht alle Juden für Israel. Das Wohl der Juden weltweit ist somit nicht an das Wohl Israels gekoppelt(5). Weiterhin muss man ihr vorwerfen, dass sie vom Antizionismus nicht viel verstanden hat: Ihre These, dass wenn „Israel keine Demokratie, sondern eine theokratische Diktatur“ wäre, es nicht angegriffen werden würde, entbehrt jeder Grundlage, ist es den Antizionisten (nehmen wir als Beispiel den amtierenden iranischen Präsidenten) doch nicht um das wie Israel, sondern um das Israel überhaupt zu tun. Die Vernichtungsdrohung und der Wille zur Vernichtung bleibt – so oder so. Außerdem sind solcherlei Spekulationen nicht sinnvoll, weil es sich in der Gegenwart anders darstellt.
Der von ihr getätigte Vorwurf – und an dieser Stelle sind ihre Anmerkungen in gewisser Hinsicht berechtigt – es hätte etwas mit Selbstbeweihräucherung zu tun, wenn man Israelaufkleber anbringt, hat einen wahren Gehalt. Gerade hinsichtlich derjenigen, die ein unreflektiertes Verhältnis zu Symboliken, politischen Aktionsformen etc. haben. Dass es nicht darum gehen kann, sich willkürlich irgendetwas Politisches zu suchen, um sich damit zu identifizieren und das Leben mit Inhalt füllen zu können, ist ein wichtiger Kritikpunkt, der den Pop-Antifa-Israel-Solis vorgehalten werden sollte. Selbstverständlich ist eine Reflexion über das Verhältnis von Politik und Kritik unabdingbar, das sich auch hinsichtlich einiger Aufklebersprüche einfordern lässt. Die von ihr angeführten Beispiele und die daran formulierten Bedenken allerdings, erscheinen mir nicht plausibel. Aber der Reihe nach:
„Seit 14.5.1948 erfolgreich gegen Antisemitismus“. Eine Aussage, die man diesem Spruch entnehmen kann, ist, dass es für Antisemiten schwieriger geworden ist, Juden und Jüdinnen umzubringen, wenn sie sich auf israelischem Staatsterritorium befinden. Gegen Antisemitismus an sich erfolgreich zu sein, bedeutet das falsche Ganze in einen für alle Menschen geschaffenen Zustand vollständig aufzuheben. Die historische Gründung des Staates Israel, die staatliche Emanzipation der Juden und Jüdinnen von Gewaltverhältnissen, die sich in Wort und Tat gegen sie auswirkten, ging mit einer bewussten und notwendigen Entscheidung einher, die erfolgreich getroffen und realisiert wurde. Was daran eine „offenkundige Lüge“ sein soll, wie Lilian schreibt, erhellt sich mir nicht.
„I love Herzl“. Es sollte meines Erachtens dadurch der religiöse Bezug auf Israel in den Hintergrund gerückt werden, denn Theodor Herzls Zionismus entsprang keinem religiösen Fanatismus. Die Staatsgründung Israels verlief nach demokratischen Grundsätzen, die von der Mehrheit der eingewanderten Juden akzeptiert wurde. So war es aufgrund von Zionismen möglich, ähnlich wie sich im Verlaufe der Geschichte der USA zeigte, Religionsfreiheit walten zu lassen, ob sie nun von orthodoxen Juden akzeptiert wird oder nicht.
60 Jahre Demokratie im Nahen Osten“. Unverständnis muss aufkommen, wenn die Autorin vorgibt, nicht zu wissen, warum Demokratien besser sind als andere politische Herrschaftssysteme. Sie selbst scheint ja die Initiatorin einer Aufklärungsveranstaltung zur patriarchalen und homophoben Vergemeinschaftung im Iran zu sein. In diesem Sinne soll durch politische Symboliken zum Nachdenken angeregt und nicht „denkfeindliche Israelmode“ betrieben werden, wie sie sinnloser Weise suggeriert. Man sollte sich eher fragen, wessen Geistes Kind der Referent eigentlich ist. Allen inhaltsleere Politik vorzuwerfen, die diese Aufkleber streuen, ist ein Hohn auf das Engagement von Initiativen, Bündnissen und Privatpersonen, die zuvorderst inhaltliche Aufklärung betreiben, um Diskussionen anzuregen und um das Bewusstsein hinsichtlich der demokratischen Defizite in islamischen/islamistischen Staaten, der Vernichtungsdrohung gegenüber Israel etc. zu schärfen. Durch die Unterschlagung der Inhalte, wähnt sich Lilian auf einer Seite, die gänzlich abgehoben ist. Was Israelsolidarität objektiv auszeichnet und wie diese in Leipzig praktiziert wurde und wird möchte man sie – nach diesem herumpolternden und faktisch nicht unterlegten Gequassel – selbst fragen. Sie selbst spricht sich ernsthaft „gegen Essentials“ aus, die in der Roadmap(6) zugrunde gelegt wurden. Eine Kritik an diesem Positionspapier bleibt berechtigt, aber die Motivation einer Diskussion darüber ist entscheidend. In einer meinungspluralistischen Auseinandersetzung mit Antizionisten bspw. bricht man der Politik die Spitze ab, was zu einer Regression hinter Standards führen kann, die nicht aufgegeben werden sollten. Das Lamentieren der Autorin über die Israelsolidarität, die sie auf ihre Art und Weise in persönlichen Gesprächen zum Ausdruck bringt, ist offensichtlich ein Ausdruck ihres eigenen Unvermögens den durch sie gekennzeichneten Inhalt von Israelsolidarität in andere richtige Formen – als die des Gesprächs – zu bringen. Möchte man über die Inhalte von Israelsolidarität reden, dann sollten die in ihrem Statement getätigten unklaren Aussagen durchdacht werden, die die unvermittelten und falschen Vorstellungen von Israel als „Außenseiter in der Geschichte der Nationalstaaten“ reproduzieren, wie sie oben schon angerissen wurden(7). Dass Gesellschaftskritik im Verhältnis zur Politik einen schwierigen Spagat vollzieht ist zugestandenermaßen eine Diskussion, die weiterhin geführt werden muss, an dieser Stelle aber leider nur angerissen werden konnte. Solidarische Politik mit Israel, die wirksam sein will, wenn sie es denn will, muss (möglicherweise) Bündnisse eingehen, in denen sich auch diejenigen befinden, mit denen Kritik nicht zu haben ist. Hauptsache ist, dass die Vernichtung Israels mit allen Mitteln verhindert wird – auch wenn die Möglichkeiten hierzulande leider sehr beschränkt sind.

Chris

Anmerkungen

(1) Hätte sie am 60.Jahrestag der Gründung Israels ihre Solidarität durch Fahnen bekunden wollen, hätte sie ihren Ausführungen gemäß schwarze Fahnen tragen müssen. Dass sie das aber nicht wollen kann, lässt sich beispielhaft am Gazastreifen zeigen: Hier ließ die Hamas ihre Anhängerschaft mit Trauermärschen durch die Straßen ziehen, die ihren Tag der so genannten „Nakba“ vom 14.05.1948 gedachten.

(2) Hier sei der Hinweis eingeschoben, dass die Verhältnisse in Leipzig in dieser Hinsicht nicht mit denen in bspw. Magdeburg zu vergleichen sind, wo im vergangenen Jahr ein Überfall stattfand, bei denen Personen verletzt wurden, die eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Israelsolidarität besuchten. Diese Erfahrung scheint gar nicht in das Bewusstsein von Lilian eingegangen zu sein.

(3) Es werden von ihr die psychisch erkrankten und anderweitig leidenden Israelis angeführt, die sich durch das Symbol erzürnt sehen würden, da es Ausdruck ihrer allgegenwärtigen kriegsbedingten Lebensumstände ist.

(4) Der Einfachheit halber soll hier Lilian kurz erläutert werden, warum diese Aufkleber geklebt werden: Damit soll Israel in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden, um zu zeigen, dass es Menschen gibt, die dieses Land unterstützen und um zu zeigen, dass jene, die ihre Solidarität nicht so ohne weiteres bekunden können, weil sie um ihre persönliche Unversehrtheit fürchten müssen, nicht alleine sind.

(5) Dass es den Vorwurf der Antisemiten und Antizionisten gibt, der Israel als eine Zentrale des Weltjudentums brandmarkt und damit die Vernichtung der Juden und Jüdinnen weltweit impliziert, sollte der Autorin bekannt sein. All jenen – und das ist ein unterschwelliger Duktus ihres Textes – die sich für Israel einsetzen, Philosemitismus zu unterstellen, ist nicht haltbar.

(6) www.conne-island.de/nf/136/28.html

(7) Dass Israel nicht die Wiederkehr des „Dritten Reiches“ ist – nebenbei bemerkt ein nationalsozialistischer Ausdruck – hat niemand behauptet und sollte denjenigen, die es behaupten, um die Ohren gehauen werden.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[156][<<][>>][top]

last modified: 8.7.2008