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Wieder im Angebot: Politik-Machen

Einige Präzisierungen, Replik auf Roman und schon wieder nichts Neues. Von Mario Möller(1)

In meinem ersten Beitrag zur dringend gebotenen Kritik des „Konzeptes Antifa“ (AAB) stellte ich die Forderung auf, der Antifa gehöre solange auf den Nerven herumgetrampelt, bis diese als „politisches Konzept“ (!) von der Bildfläche verschwindet. Die Betonung lag nicht von ungefähr auf der Wendung des politischen Konzeptes, was Roman in seiner Entgegnung sozusagen im Vorübergehen weglässt und als Marginalie angesehen hat. Meine Forderung untermauerte ich mit der Rolle der Antifa, die seit dem Aufstand der Anständigen als Avantgarde eines Volkssturmes auf der Höhe der Zeit fungiert, der sich jetzt an den zum Anachronismus gewordenen Nazis abarbeitet. In diesem Zusammenhang hat die Linke wieder einmal die Funktion des Modernisierungsfaktors für den Staat eingenommen. Ich wies darauf hin, dass die Kampagnen gegen Rechts auf einem bereits den NS konstituierenden Straf- und Verfolgungsbedürfnis basieren, das im post-nazistischen Arrangement konserviert wurde und je nach Bedarf aus dem Stadium der Latenz heraustreten kann. Mit anderen Worten: apathisches Herumlavieren über Dies und Das steht jederzeit vor dem Umschlag in Raserei. Paradoxer Weise wird beim allgemeinen Aufbruch gegen Rechts jene Gruppe zum Staats-, Standort- und Volksfeind, die Urheber jenes Mechanismus ist, mit dem man ihr als unzeitgemäßer Ballast an den Kragen will: im „protestierende(n) Volksbrauch“ rotten sich Massen zusammen, „um sich zu entrüsten über irgend etwas, was mit dem Sinn der Gemeinschaft nicht zu vereinbaren sei“ (Adorno, Einleitung in die Soziologie).

Auch um hier nochmals für Klarheit zu sorgen: Die Nazis, die im Osten dem Typus des Rebellen und Psychopathen(2) aus Adornos Studien zum autoritären Charakter gleichen und zumeist keinen Organisationshintergrund haben, sind vielfach eine individuelle Bedrohung. Darüber besteht kein Zweifel. Es handelt sich dagegen um eine Lüge sondergleichen, wenn behauptet wird, die individuelle Bedrohung der (potentiellen) Opfer stehe in einem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Relevanz organisierter Nazis.

Es kann wohl kaum geleugnet werden, dass sich der Umgang der Gesellschaft mit den Nazis geändert hat. War es Anfang der 1990er Jahre so, dass Nazis die Avantgarde des Volkswillens waren und als Stichwortgeber für politische Entscheidungen fungierten (etwa die Asylgesetzgebung), so hat sich spätestens seit Rot-Grün eine Veränderung dergestalt manifestiert, wonach es zum guten Ton gehört, „Rechtsextremisten“ als Gefahr darzustellen. Die atemberaubenden Bündnisse, die sich bei jedem noch so lächerlichen Nazi-Aufmarsch zusammenfinden, um Kiez, Standort und was weiß ich vor der Bedrohung der Nazis zu schützen, sind das augenscheinlichste Phänomen.

Ich möchte an einem Beispiel illustrieren, wie der Wandel hin zur Staatsantifa seit dem Sommer 2000 vollzogen wurde: 1997 gab es in Saalfeld eine von einem breiten Bündnis getragene Antifademo, die von Stadtoberen und der Lokalzeitung mit den damals gängigen Slogans (schadet dem Ansehen der Stadt etc) auf das Übelste denunziert wurde. Einen Antifa-Sommer später sind es haargenau die gleichen Leute, welche vorher vor dem Schwarzen Block warnten, die plötzlich tönten, man müsse den Anfängen wehren, um – na, wer errät es? – das Ansehen der Stadt wegen eines lächerlichen Nazitreffens nicht zu gefährden. Soweit so schlecht. Nur jene Antifaszene in Saalfeld, die vorher als Verkörperung des Schmuddelkindes galt, war plötzlich ein sich auf die Schulter klopfender Teil eines bunten Festes gegen Rechts, das einem Jahrmarkt aller erdenklichen Scheußlichkeiten glich. Man war da angekommen, wo man als Politik treibender Antifa notwendig landet: in Deutschland. Und das war keineswegs ein Ausrutscher, sondern ist Konsequenz des „Konzeptes Antifa“, dem es immer schon um die Masse ging.

Lediglich in einigen ostdeutschen Käffern, wie eben Mügeln, Sebnitz und Co., verfängt dieses Schauspiel noch nicht, da hier der Heimatschutz die Reihen fester geschlossen hält, als in „verwestlichten“ Metropolen wie etwa Leipzig. Nur: Diese Schutzhaltung gegenüber den eigenen Dorfnazis wird mittlerweile nicht nur medial skandalisiert. Der berühmte Haken an der Sache jedoch ist der, dass man bspw. die Mügelner dafür kritisiert, dass sie noch nicht im aktuellen Deutschland angekommen sind. In Analogie zum Umgang mit den Nazis geht es der Skandalisierung durch Medien oder Bundespolitiker darum, die Geschäftsbedingungen der Zugehörigkeit zum zeitgemäßen deutschen Kollektiv zu verdeutlichen und diese mittels öffentlicher Ächtung der Unzeitgemäßen einzufordern.

Roman ist in seiner Entgegnung der festen Überzeugung, eine Gemeinsamkeit mit der Essenz seines Debattenbeitrages in meiner Argumentation aufzeigen zu können, wenn er meint, ich würde wie er auf den Charakter der Antifa als Teil der Zivilgesellschaft verweisen – und ich versäume wohl, dies als nützlichen Nebeneffekt zu würdigen. Tatsächlich kommt bei mir das Wort Zivilgesellschaft in Abwandlung zweimal vor. Nämlich in der Form, wonach der Staat in seiner Verschlankung dazu übergeht, „scheinbar (!) staatsferne zivilgesellschaftliche Instanzen, wie eben auch die Antifa, … zu rekrutieren“ und das damit bestimmte Problemlagen „in die Eigenverantwortung der so genannten (!) Zivilgesellschaft“ übergehen. Was Roman als Übereinstimmung deutet, möchte ich nochmals deutlich als die grundlegende Differenz verstanden wissen. Ich rede nämlich nicht zum Spaß von scheinbar und so genannt. Von Zivilgesellschaft kann man nämlich nur dann reden, wenn man unterstellt, dass 1945 in Deutschland eine Stunde Null geschlagen hätte und man damit weiterhin negiert, dass „die nationalsozialistische Präformierung der Massen sich wie im Falle Deutschlands keineswegs grundlegend verändert hat, sondern lediglich in einen Zustand nach Auschwitz übergegangen ist“ (Sören Pünjer, Die Antifa-Falle. in: Reader zur Antifa-Debatte. www.nadir.org/nadir/initiativ/gi/reader3.pdf).

Romans Zivilgesellschaft, die das linke Antifamonopol gebrochen hat, die die Linken geschluckt hat und von der die Antifa immer noch annimmt, sie sei innerhalb des Ganzen der eigentliche Experte, ist der Volkssturm auf der Höhe der Zeit! Es ist doch überdeutlich, dass die Antifa mit allem Möglichen befasst ist, nur nicht mit der Bekämpfung deutschen Ungeistes, der den notorischen Hang zur Kollektivierung beinhaltet; Kitt des Kollektives sind jetzt die „Rechtsextremen“. In der Tat hat sich die Antifa zur „Speerspitze“ des Standortschutzvereins, den Roman als Zivilgesellschaft verharmlost, gemausert. Für Roman ist das offenbar noch nicht genug. Denn er empfiehlt allen Ernstes, dass politische Konzepte dieser Fronstellung angepasst werden sollten. Kurz zum Innehalten: Nicht reflexives Gewahrwerden darüber, wo man sich hinmanövriert hat soll auf der Tagesordnung stehen und warum das mit einer im eigenen Konzept angelegten Notwendigkeit passierte. Aus der theoretischen Not wird einfach eine Tugend des politisch Machbaren, nämlich des Mitmachens. Die Kampagne „Du bist Deutschland“ enthielt unter diesen Vorzeichen mehr Wahrheit, als manch sich angepisst Fühlender wohl dachte.

Es bedarf keiner großen gedanklichen Anstrengung, um festzustellen, dass Roman und wohl auch der Rest jener auf Differenzierung pochenden Ex-Antideutschen – von Jan Gerber im letzten Heft punktgenau charakterisiert – die Denunziation der ostdeutschen Dorfrackets, die Andreas Reschke als Minimalprogramm einer Intervention in den ostdeutschen Käffern mittels Kritik und Polemik einforderte, nur als Aufforderung zum Rückzug in die antideutsche Isolation deuten können. Roman unternimmt jetzt den akademischen Drahtseilakt zu versuchen, den Text von Andreas Reschke, auf den ich außerordentlich positiv Bezug nahm, gegen meinen auszuspielen. Dem sei nochmals ausdrücklich hinzugefügt, dass sowohl Reschke als auch ich eine Perspektive einnehmen, in der nicht eine „Re-Autonomisierung“ der Antifa gefordert wird oder, wie Roman Reschke gar unterstellt, die bessere Antifa von früher wieder belebt werden soll. Es ging und geht beiden Autoren nicht um eine innerlinke Perspektive! Es geht um eine Kritik dessen, was Antifa als Bewegungskonzept bedeutet. Mitnichten ist also hier eine Strategiedebatte eröffnet, sondern die Sichtbarmachung des affirmativen Charakters der Antifabewegung als Motor der Modernisierung deutscher Ideologie.

Um nochmals den Unterschied klar werden zu lassen, warum eine Art Strafexpedition vielleicht noch so etwas wie das rettende Ufer der Bewegungslinken sein könnte, aber von vornherein ja ausgeschlossen werden soll: Es ist durchaus ein Unterschied, ob ich die Reihen fest geschlossen mit der neudeutschen Antifa-Volksgemeinschaft das Brandenburger Tor vor der NPD schütze bzw. wie im Falle Jenas („Fest der Völker“) behaupte, eine lächerliche Musikveranstaltung von Nazibands zuzüglich langweiliger Reden würde eine Bedrohung der Stadt, ja sogar der ganzen Gesellschaft bedeuten und sich daraufhin ungeahnte Bündnisse von Menschenmassen versammeln, als würde eine neue Seltsamkeit ins Haus stehen. Oder ob ich eben mit ein paar unverbesserlichen Kritikern dem deutschen Mob, der tatsächlich eine individuelle Bedrohung für die am Tag zuvor durchs Dorf gejagten Inder war, gewaltig die Ruhe verderbe und ihnen unmissverständlich mitteile, dass sie Nazis sind, egal ob sie sich nun dafür halten oder nicht. Aber das ist natürlich mit der Antifa auf der Suche nach Anknüpfungspunkten nicht zu machen. Sebnitz und Dolgenbrodt bleiben die augenscheinlichsten Beispiele dafür, dass man es sich im Zweifelsfall mit dem Dorfpack nicht verderben will.

Anstatt also die Konsequenz einzukalkulieren, dass Kritik, die diesen Namen verdient, mitunter die Einsamkeit des Kritikers bedeutet und sich niemals daran zu messen hat, ob sie die breite Masse vergrault oder gar einen positiven Ausweg aufzuzeigen vermag, wird allen Ernstes dem klassischen Politikmachen das Wort geredet. Einer Praxis, der es darauf ankommt, die Leute da abzuholen wo sie stehen. Die immer vorhandene Möglichkeit der Veränderbarkeit von Bewusstsein ist jedoch nicht mittels Politik möglich, sondern nur durch Kritik, die die bewusste Negation des Politikmachens ist. Grundbedingung einer Kritik, die nicht konstruktiv sein kann und will, da sie dann keine mehr wäre, ist die schonungslose Konfrontation der zu Kritisierenden mit ihrem Denken und Handeln.

Warum genau dies nicht passiert, ist bereits im als revolutionär angepriesenen „Konzept Antifa“ inhärent. In diesem wird der Zwangscharakter der Antifa als Sammlungsbewegung auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners deutlich. Zieht man die ganze revolutionäre Überhöhung von Antifaschismus ab, so sind die Grundlage des späteren Aufgehens in der Berliner Republik und die Möglichkeit des Paktierens mit der demokratisch transformierten deutschen Volksgemeinschaft dort bereits angelegt. Das eigene Handeln dient als Schablone zur Schaffung einer Bewegung, innerhalb derer man sich als Vorhut begreift und die man radikalisieren will. Insofern verwundert es auch nicht, dass die Antiglobalisierungsbewegung eine im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnige Anziehungskraft auf die Antifa ausübt. Da nützt es auch wenig, wenn sich wie in Rostock ein kritischer Block findet, der sich nicht entblödet, mit der Israelfahne bewaffnet mit den entsetzlichsten Vertretern deutscher Ideologie, die nebenbei bemerkt über wesentlich mehr Mobilisierungspotential als die NPD verfügen, zu marschieren.

Gerade der immer wieder bemühte Massenansatz verdeutlicht, wie wenig man den NS tatsächlich kritisch durchdrungen hat. Stellt man in Rechnung, dass der NS auf einer Massenmobilisierung beruhte; gesteht man sich zu, dass diese Sammlungsbewegung im Nachkriegsdeutschland keinesfalls still gestellt, sondern in andere Formen übersetzt wurde oder wahlweise im Wartestand verharrte, so kann man nicht ernsthaft als politisches Konzept gegen Nationalsozialisten die Form der Massenmobilisierung anstreben. (Anzusprechender) Hauptakteur dieser Einheitsfront soll dann ausgerechnet die Folgegeneration jenes nachbürgerlichen Subjekts in Deutschland sein, das im NS seine Hinwendung zum Kollektiv zur Vollendung trieb und das Gemeinnutz schon immer vor Eigennutz und Privatheit stellte. Unter diesem Gesichtspunkt modernisiert die Antifa den deutschen Gemeinschaftsgedanken und befeuert genau das, was eigentlich Gegenstand ihrer Kritik sein müsste: die Einheit von Bewegung, Staat und Volk.

Antifaschismus ist dennoch ein Gebot der Stunde, nur eben nicht mit der Antifabewegung zu haben. Er hätte sich gegen jede Ausformung deutscher Ideologie zu richten, die nachgerade nicht auf das geografische Gebiet Deutschlands beschränkt ist, sondern die längst den globalen Pfad beschreitet. Antifaschismus hat nichts mit Großdemonstrationen zu tun, denen es von vornherein darum geht, die Kritik zu opfern, um möglichst viele Massen zu erreichen. Skepsis ist auf jeden Fall angebracht, wenn sich in Deutschland Mehrheiten finden!

Anmerkungen

(1) Teile des Textes entstanden in Kooperation mit Andreas Reschke.

(2) „Von allen Versuchspersonen sind diese die ‚infantilsten’; ihre Entwicklung ist total gescheitert, die Zivilisation hat sie nicht im geringsten zu formen vermocht. Sie sind asozial. Unverhüllt, unrationalisiert kommen destruktive Triebe zum Durchbruch. Körperliche Kraft und Robustheit – auch die Fähigkeit, ‚etwas einzustecken’ – geben den Ausschlag. (…) Ihre Lust zu quälen richtet sich roh und sadistisch gegen jedes hilflose Opfer… (…) Hier treffen wir die Strolche und Raufbolde, die Straßenlümmel und die Folterknechte und alle jene, welche die ‚schmutzige Arbeit’ einer faschistischen Bewegung tun“. Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main, 1995, S. 329



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last modified: 20.5.2008