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Zwischen Zivilgesellschaft und Autonomie

Beitrag zur Antifa-Debatte und Entgegnung auf Mario Möller. Von Roman

Einstige Gewissheiten scheinen zu schwanken. Wie sonst erklärt man einen Diskussionsbeitrag, der außer eben diesen Gewissheiten, die in der antideutschen Linken seit Jahren schon als gängige Erklärungsmuster kursieren, nichts neues zu bieten hat? Die Rede ist von Mario Möllers Parteinahme für Andreas Reschke, dessen Position ich vor einiger Zeit in diesem Heft kritisiert habe. Damals kam ich unter anderem auf das Selbstverständnis der Antifa zu sprechen, das als autonomes sein eigenes Dasein verklärt. Ich stellte diesbezüglich die Frage, ob nicht die Antifa selber punktuell zur Speerspitze der Zivilgesellschaft werden könne und diese Erkenntnis – sofern sie in den nach wie vor sprachlosen Kern der Bewegung vordringt – eine Verschiebung politischer Konzepte nach sich ziehen müsse. Im Grunde strebte ich an, zwei Positionen (Andreas Reschke und neue Antifa-Generation) zu kritisieren. Nach meiner Replik auf Reschke und Möllers Antwort darauf mag es nun so aussehen, als seien die einzelnen Standpunkte nur noch schwer auseinander zu halten. Ich möchte daher versuchen, die verschiedenen Positionen deutlicher gegeneinander abzugrenzen und meine eigene dabei nochmals verständlich machen.

Auch Mario Möller hat in seiner emphatischen Verteidigung von Andreas Reschke mit der Übersichtlichkeit der Debatte seine liebe Not. So kommt er merkwürdiger Weise mit der von mir gestellten Diagnose an einigen Punkten überein, wo man es – bei der ansonsten deutlichen Abgrenzung – gar nicht vermutet hätte. Beinahe selbstverständlich und quasi im Vorübergehen wiederholt er eine Essenz meines Debattenbeitrages, ohne mögliche Gemeinsamkeiten argumentativ aufzunehmen. Die Rolle des Staates, heißt es da, wandle sich „vom kollektiven Wohlfahrtsausschuss zum schlanken Staat, der scheinbar staatsferne zivilgesellschaftliche Instanzen, wie eben auch die Antifa, als Vorfeldorganisation zu rekrutieren bestrebt ist“(1) (Hervorhebung von mir). Unabhängig davon, inwieweit Möllers auf dem Postfaschismus-Theorem beruhende Einschätzung über den Wandel von Staatlichkeit plausibel ist, läge in dieser Übereinstimmung ein Bagger, 22.9k Anschlusspunkt, den er für die Auseinandersetzung hätte aufnehmen können. Die Unterdrückung dieser Gemeinsamkeit scheint jedoch nicht nur zugunsten eines Distinktionsgewinns praktikabel, sondern deutet meines Erachtens auch auf Ungereimtheiten in seiner eigenen Argumentation hin. Zutage treten diese, wenn man Möllers Verteidigung in Hinblick auf die ursprünglich von Andreas Reschke eingebrachte Kritik an der neuen Antifa-Generation liest.

In Möllers Beitrag heißt es: „Der Antifa selbst gehört solange auf den Nerven herumgetrampelt, bis diese endgültig (...) von der Bildfläche verschwindet!“ Im Bunde mit Reschke möchte Möller der „Bewegungsantifa“, die er als eine „Vorfeldorganisation für das bessere Deutschland“ charakterisiert, in Grund und Boden stampfen. Möllers Aussage scheint klar: Die Antifa soll aufhören. Aber muss man seine Aussage eventuell wortgenau interpretieren? Muss man das Präfix „Bewegung“ als Unsicherheit deuten, die offen lässt, ob Antifa auch jenseits jugendlicher Rebellion möglich ist?

Andreas Reschke schien ein Abdriften der neuen Antifa-Generation in ruhigere Gewässer verhindern zu wollen, indem er dieser in denunziatorischer Absicht ein Anschlussbedürfnis an die „Gemeinschaft der guten Deutschen“ attestierte, das er Demonstrationsparolen („Schämt euch!“) entnahm. Ganz im Gegensatz zu Möller, der einfach nur fordert, dass die Antifa aufhören solle, bezog Reschke sich positiv auf „frühere sächsische Antifagruppen“, die den „ostzonalen Dorfgemeinschaften“ noch ihre Widerwärtigkeit vorhielten. Das Prinzip „Strafexpedition“ gegen „ostdeutsche Dorfrackets“ sollte in diesem Sinne „Bekehrungsphantasien“ von vornherein ausschließen. Das war der Kern von Reschkes Intervention und Beginn der Debatte um das Selbstverständnis der Antifa.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um seine Position mit einer praktischen Frage zu konfrontieren, die wie folgt lautet: Hätten sich nun wider Erwarten einzelne Bürger der inkriminierten Kleinstadt Mügeln der Antifa-Demonstration anschließen wollen, um ihre Solidarität mit den verfolgten Indern zu zeigen oder um kund zu tun, dass sie die Gewaltexzesse ihrer deutschen Mitbürger keineswegs dulden wollen – was wäre passiert? Hätte Andreas Reschke nicht folgerichtig die angereisten Antifas davon überzeugen müssen, die Reihen gegen das Dorf-Racket fest geschlossen zu halten? Überzeugungskraft dieser Art war auf der Mügelner Antifa-Demonstration jedoch nicht nötig. Wirklich reden wollte mit den Mügelnern, die sich ja unterschiedslos schämen sollten, beinahe niemand. Die Frage „Wo wart ihr am Samstag?“ (dem Tag des Übergriffs), mit der die Antifa den Mügelnern begegnete, war lediglich als Bekenntniseinforderung gemeint. Farbe bekennen – das sollten die Bürger in den Augen der angereisten Antifas, die sicherlich mehr Strafbedürfnis mitgebracht hatten als Andreas Reschkes Beitrag vermuten lässt. Den altbekannten Gestus revolutionärer Aufgeregtheit hatte die Antifa wie immer auch an diesem Tag dabei. Nur für Andreas Reschke war das zu wenig: zu wenig Abgrenzung, zu wenig Bürgerschelte und zu wenig Strafe. Was er der neuen Antifa-Generation daher empfiehlt, sind die alten Tugenden der Antifa. Er kritisiert die Antifa, nicht als Bewegung der es zu sehr um sich selbst geht, sondern als Bewegung der es zu wenig um sich selbst geht und zu viel um andere – um die „guten Mügelner“, wie er schreibt. Es geht Reschke gerade nicht darum, „einen Bewegungsmumpitz kritisch auf den Punkt zu bringen“ (Möller), sondern auf die „besseren Zeiten“ der Bewegung zu verweisen. Die Forderung nach einer Re-Autonomisierung der Antifa ist darin so eindeutig, dass an ihr überhaupt nichts falsch zu verstehen ist. Mario Möllers emphatischer Parteinahme für Andreas Reschke scheint dies aber völlig zu entgehen. Reschke sprach sich für das Konzept von „Strafexpedition“ aus – und das im Rahmen der Antifa, aber eben gegen die neuen „Anschlussbedürfnisse“. Von einer „schonungslosen Kritik dessen, was Antifa-Praxis ist“ (Möller), kann in Reschkes Beitrag also keineswegs die Rede sein. Reschke will eine bessere Antifa, Möller gar keine. Um aber noch von einer „Parteinahme“ für Andreas Reschke sprechen zu können, verdeckt Möller all das an Reschkes Argumentation, was seiner im Sommer 2000 gelernten Kritik der Antifa widerspricht. Seine „Parteinahme“ stellt nicht einmal fest, dass sich auch an Reschkes Position aus Sicht eines antideutschen Rigorismus noch einiges begradigen ließe. Aber worauf lässt das schließen? Birgt der neuerliche Streit um das Selbstverständnis der Antifa etwa mehr als auf den ersten Blick erkennbar? Ist mit der Frage, ob die Antifa punktuell zur Speerspitze der Zivilgesellschaft werden kann, nicht zugleich auch die antideutsche Linke gemeint?

Diese Fragen nötigen mich zu einer kleinen Korrektur meines ersten Debattenbeitrages. Es mag zunächst einmal dahingestellt sein, ob Andreas Reschke mit seiner Forderung, die Antifa solle sich strikter von der Zivilgesellschaft distanzieren, überhaupt einen strittigen Punkt innerhalb der nach wie vor jugendlich dominierten Bewegung aufgedeckt hat. Denn meines Erachtens ist die Antifa himmelweit von einer solchen „Kollaboration“ entfernt. Zu stark ist deren Abgrenzungsgebaren und zu grotesk wirken all die selbstinszenierenden Scharmützel auf vermeintliche Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft. Die von Reschke angestoßene Diskussion ist natürlich vordergründig eine innerlinke Auseinandersetzung, die diesen Horizont auch bisher nicht überstiegen hat. Die Antifa, die partiell auch antideutsche Essentials vertritt, ist dabei Streitobjekt der antideutschen Linken, für die sich Andreas Reschke und Mario Möller ganz offenkundig in die Bresche werfen. Wie zu sehen war, unterscheidet sich Andreas Reschke von Möllers Position aber insoweit, als er immer noch aus der Binnenperspektive der Antifa oder zumindest stärker aus der Sicht „früherer sächsischer Antifagruppen“ argumentiert. Wie ist das zu verstehen?

Die Unsicherheit hinsichtlich einer Anbindung an zivilgesellschaftliche Initiativen, die ich in der neuen Antifa-Generation konstatiert habe, scheint Grund für eine ganz andere Unsicherheit zu sein, die – wenn ich recht sehe – Andreas Reschke umtreibt. Bei Möllers Position (die Antifa soll aufhören) scheint er noch nicht gänzlich angelangt. Sein Engagement innerhalb der Antifa macht er davon abhängig, in welche Richtung diese tendiert – entweder in Richtung zivilgesellschaftlichen Engagements oder in die antideutsche Autonomie, die ihm offensichtlich viel näher steht. Deshalb fordert er eine Re-Autonomisierung der Antifa, aber unter anderen Vorzeichen als man das bei einer autonomen Position vermuten würde.(2) Anders insofern, als die angestrebte Autonomie in Wirklichkeit zugleich die eines antideutschen Isolationismus ist. So weit hatte ich das in meinem ersten Diskussionsbeitrag noch nicht verfolgt. Das Selbstmissverständnis der Antifa über ihr zivilgesellschaftliches Potential trifft demnach ebenso eine antideutsche Positionierung, insofern sie ihre Feindbestimmung unterschiedslos auf die Zivilgesellschaft ausdehnt. Denn unter der Voraussetzung, dass man den Begriff der Zivilgesellschaft nicht nur als personales Gebilde und verlängerten Arm der einstigen Berliner Republik und ihrer schwarz-roten Nachfolge versteht, sondern als analytische Kategorie, zeichnet sich das Engagement der antideutschen Linken – ganz besonders seit sie sich der Kritik des Islam widmet – als zivilgesellschaftliche Intervention aus. Kenntlich wird das z.B. in Bündnissen gegen die iranische Atombedrohung, wo man sich zusammen mit Personen der politischen Öffentlichkeit auf gemeinsame Ziele einigt und versucht, die bürgerlich-westlichen Werte zu verteidigen. Für Mario Möller hingegen, der zwar der Antifa – wie oben zitiert – ihren zivilgesellschaftlichen Status zuerkennt, die antideutsche Linke jedoch davon ausnimmt, scheinen derartige Bündnisse keine Rolle zu spielen. Möllers antideutscher Rigorismus verurteilt Volksgemeinschaft und Zivilgesellschaft gleichermaßen. Daher ist es für ihn auch so einfach, die Antifa als „zivilgesellschaftliche Instanz“ abzukanzeln. Auch wenn man Möllers – gelinde gesagt – skeptische Einschätzung des Ostens teilt, ist es einfach nur realitätsfern, die gesamtgesellschaftliche Diskussion um die dortige Nazi-Hegemonie als eine „innerfaschistische Konkurrenz, wer das tauglichere deutsche Kollektivmodell vertritt“ (Möller), zu interpretieren. Plastisch wird solcher Unsinn in folgendem Zitat von Möller, das in seinem „Wunsch nach Eindeutigkeit“ keine Differenzen mehr übrig lässt: „Was von der linken Antifa durchweg als Chance zum Mitmachen, als Möglichkeit, Stimmungen zu radikalisieren und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen, angesehen wurde, hat damit aber rein gar nichts mit Antifaschismus zu tun, sondern ist eine faschistische Mobilmachung auf der Höhe der Zeit. Wie das Original bedient sie sich einer personifizierten Feinderklärung, macht Volksfeinde aus, die der Gemeinschaft schaden. Objektiv kommt der Linken nicht nur die Rolle eines Modernisierungsfaktors zu, was schon schlimm genug wäre. Sie ist längst die Avantgarde dieser unsäglichen Volksfront.“ In einer solchen Charakterisierung bleibt nichts mehr übrig: alle sind faschistisch – die einen sind es, weil sie den Traum von der Volksgemeinschaft nie aufgegeben haben, die anderen, weil sie die Zivilisierung der Gesellschaft immer nur als Wiederaufrichtung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft betreiben. Autonomer kann man sich gar nicht gebärden. Und wenn man sich anschaut, mit welcher Berechtigung und Mühe solche Initiativen wie z.B. die Aktion Noteingang in Mittweida gegen die Verstocktheit provinzieller Stadtparlamentarier zu kämpfen haben, um der Nazi-Hegemonie wenigstens etwas entgegenzusetzen, dann sind die Einlassungen Möllers, der ein Ende der Antifa wünscht, schlichtweg ignorant. So weit musste die Kritik der Antifa bei Mario Möller also herabsinken. Was im „Antifa-Sommer“ des Jahres 2000 zu recht als die Kritik der unreflektierten Eigeninteressen und Theorielosigkeit einer Bewegung in Gang gebracht wurde und nach wie vor seine Berechtigung hat, wurde Möller zum sinnleeren Mantra. Nicht ein Wort verliert Möller darüber, wie man dem Nazi-Problem heute begegnen sollte. Nicht ein Wort, wie Anti-Nazi-Arbeit aus antideutscher Perspektive funktionieren könnte. Vermutlich würde er konstruktiven Intentionen in dieser Richtung sowieso eine Absage erteilen. Ich möchte es wiederholen: Autonomer kann man nicht Position beziehen! Andreas Reschke hatte zumindest noch den Anspruch, in die neue Antifa-Generation hineinzuwirken.

Anmerkungen

(1) Eine ähnliche Formulierung Möllers lautet wie folgt: „Dass es der Antifa nicht auffällt, wie sehr sie Teil eines Verschlankungsprozesses des Staates ist, bei dem bestimmte Problemlagen einfach ausgelagert und in die Eigenverantwortung der so genannten Zivilgesellschaft gegeben werden, ist Teil des Selbstmissverständnisses der Antifa.“

(2) Gemeint ist nicht die konkrete Bewegung der Autonomen, die als ein Kind der westdeutschen Linken ihren Zenit längst überschritten hatte, als sie Anfang der 90er Jahre auch im großstädtischen Osten noch den Traum vom selbstbestimmten Leben in Hauskommune oder Wagenburg inspirieren konnte. Mit „autonom“ meine ich hier vielmehr die abstrakte Haltung, die in der Linken überall dort anzutreffen ist, wo gesellschaftliche Eingebundenheit durch konsequentes „Dagegen-Sein“ vertuscht wird.


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last modified: 26.3.2008