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Wir dokumentieren im Folgenden aus immer noch aktuellem Anlass ein Flublatt der Gruppe Theorie und Praxis (TuP) Leipzig zum Tønsberg-Laden und Antifaschismus.
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Für mehr als nur dagegen!

Tønsberg dicht. – Und dann? Der 9./10.11.1938 mahnt

Die MediaTex GmbH ist ein kleines (ost-)deutsches Unternehmen. Es produziert lizenzgeschützte Markenklamotten und verkauft diese in einem »Streetwear«-Laden in der Leipziger Innenstadt. Klingt alles nach kapitalistischem Alltag, ist es aber nicht nur. Denn „Thor Steinar“ ist bekanntermaßen nicht irgendeine weitere Textilmarke und „Tønsberg“ kein stinknormales Modegeschäft. Hinter diesem Label verbirgt sich vielmehr die menschenverachtende völkische Ideologie des Nationalsozialismus, weswegen es von deren AnhängerInnen gern getragen wird. Wer diese Sachen kauft und trägt, bekennt sich, ob er/sie will oder nicht, zu den barbarischen Konsequenzen dieses „Weltbilds“. Der an Nazisymboliken erinnernde, krude Style-Mix aus nordischen Runen, Germanen- und Heidentum darf deshalb in seiner Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden. Gerade heute, zum Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9./10.11.1938, ist es wichtig Gegeninitiativen zu ergreifen, um dem kollektiven Vergessen, sowie den heutigen Befürwortern dieser antisemitischen Verbrechen etwas entgegenzusetzen. Sobald Textilien verherrlichend NS-Ideologie transportieren – bei potenziellen Opfern Angst und bei Sympathisanten Zustimmung erzeugen – und deren Verkauf rechten Strukturen Bares in die Kasse bringt, ist antifaschistisches Engagement gefragt.

Verteidigung der Demokratie oder Antifaschismus als Aufklärung

In erster Linie sollten Naziaktivitäten durch verschiedene Aktionen bekannt gemacht, gestört oder verhindert werden. Zudem gilt es die ignorante Toleranz gegenüber nazistischen Umtrieben zu skandalisieren bzw. durch Demos und Kundgebungen die mediale Aufmerksamkeit auf die blinden Flecken bürgerlicher Normalität zu lenken. Diese Form der Aufklärung ist wichtig, um ein Klima zu schaffen, in dem Nazis nicht unbehelligt ihre Gesinnung offen zur Schau stellen und für diese Werbung machen können. Diese Zielstellung – das öffentliche Bewusstsein zu sensibilisieren – verfolgen dabei ebenso bürgerliche Parteien wie zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse mit friedlichen Aktionsformen – vom Infostand bis zur Massensitzblockade. Das Eintreten für einen demokratischen Antifaschismus (Stichwort: „Antifa-Sommer 2000“) war, ist und bleibt – gerade in Zeiten, in denen rechtsextremes Gedankenschlecht nicht nur am Rand, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft(1) Anhänger findet – notwendig und richtig. Der spezielle Umgang des postnationalsozialistischen Deutschlands mit seiner Vergangenheit soll an dieser Stelle kurz exemplarisch verdeutlicht werden: in den Debatten über die Entschädigungszahlungen an Überlebende des Holocaust; in den Affären um Hohmann und Möllemann, mit denen sich breite Teile der Deutschen solidarisierten; in den kürzlich geführten Diskussionen um die „No-Go-Areas“ zur WM und die brutalen Übergriffe auf so genannte „Ausländer“; in den vielen Statements deutscher PolitikerInnen, die Israel in antisemitischer Weise stigmatisieren etc., scheint ein Deutschland durch, welches aus Auschwitz in dieser Hinsicht nichts gelernt hat. Es ist daher begrüßenswert, wenn der Staat mit seinen legitimen Mitteln (Verfassungsschutz, Polizei, Justiz etc.) gegen diesen rechten Konsens vorgeht und folglich zweitrangig wer diesen rassistischen oder antisemitischen Tendenzen entgegentritt, da es primär um die Verteidigung bürgerlich-demokratischer Rechte und Grundfreiheiten geht.

Worin unterscheiden sich nun aber „autonomer“ und bürgerlicher Antifaschismus?

Zunächst sollte der Begriff der „Autonomie“ in einer Gesellschaft, die mit ihren staatlich-marktwirtschaftlichen Gesetzen, Regeln, Pflichten, Zwängen und Strafen jedes Individuum erfasst, hinterfragt werden. Die Kritik an den Verhältnissen führt eher zur ernüchternden Erkenntnis, als EinzelneR einer „heteronomen“ Gesellschaft, die kaum noch Freiräume für „Selbstbestimmung“ lässt, fast ohnmächtig gegenüberzustehen. Auch die vermummte Steinewerferin ist ein bürgerliches Rechtssubjekt mit deutschem Personalausweis und deshalb genauso den herrschenden Staat- und Marktgesetzen unterworfen wie der DGB-Funktionär in der Sitzblockade. Die propagierte „Unabhängigkeit“ muss folglich als Verkennung der gesellschaftlichen Zwangsstrukturen begriffen werden. Am Begriff der „Autonomie“ ist daher leider nur das Moment der Selbstorganisation fern von Parteien und Vereinen zu retten.
Dem revolutionären Anspruch der „militanten Linken“ oder der „autonomen Antifa“ muss entgegnet werden, dass die Zeit für die „praktische Revolution“ aus verschiedensten Gründen noch nicht reif ist. Am Ziel, eine menschenwürdige Gesellschaft fern von Herrschaft und Ausbeutung einzurichten, gilt es dennoch im Denken festzuhalten. Um also nicht vor der bestehenden gesellschaftlichen Übermacht zu kapitulieren, muss individuelle kritische Reflexion als gedanklicher Widerstand gegen das bestehende Elend begriffen werden. Durch gesetzlich garantierte Privat-, Grund- und Freiheitsrechte ist es in westlich-demokratischen Industriegesellschaften möglich ohne ständige Angst zu leben und sich fundierter Kritik widmen zu können. Diesen Minimalgrad an „Freiheit“, der heutzutage in vielen Teilen der Welt leider nicht annähernd erfüllt ist, gilt es daher umso entschiedener zu verteidigen. Um also weder in blinden Aktionismus, (Klassenkampf-) Revolutionsromantik oder Resignation zu verfallen, muss die Kritik an den kapitalistischen Vergesellschaftungsformen geschärft sowie die politischen Zustände und Tendenzen kritisiert werden, die sich gegen demokratische Freiheiten richten.

Antikapitalismus von „rechts“ und „links“…

Wenn man das antikapitalistische Selbstverständnis der Nazis(2) ernst nimmt – auf Demonstrationen werden Parolen gerufen wie: „Smash Capitalism!“, „Arbeit statt Profite!“, „Gegen das internationale Finanzkapital!“ – dann sollten die eigenen antikapitalistischen Positionen kritisch hinterfragt werden, um klar Stellung zu beziehen. Dass sich Nazis als Kriegsgegner („Deutschland raus aus Afghanistan!“), als Globalisierungsgegner („G8 versenken!“) und Israelfeinde („Israel muss weg!“) an linken Demonstrationen beteiligen können, also nicht nur durch das Tragen von Symboliken (Palituch, schwarzes Outfit, rote Fahnen etc.) gleiche ideologische Schnittmengen offenbaren, sollte zum Nachdenken anregen, will man nicht einem vollständigen Reflexionsausfall erliegen. Das gesellschaftliche Verhältnis des Kapitalismus muss folglich von Grund auf kritisiert werden, um sich nicht mit jenen gleich zu machen, die historisch die „Endlösung der Judenfrage“ – als „Brechung der Zinsknechtschaft“ und die „Befreiung der Völker von der Herrschaft des internationalen Finanzjudentums“ – in die Tat umsetzten. Bezeichnenderweise finden sich in „linken“ und „rechten“ Ideologien vermehrt Überschneidungspunkte, die stark an die „Querfrontbildung“ vergangener Zeiten erinnern. Ohne kritische Bestimmung der eigenen Position kann es leider leicht passieren, dass man in den ideologischen Sumpf abrutscht. Ein falsches „Kapitalismusverständnis“ begünstigt heutzutage unheimliche Allianzen zwischen vermeintlichen Feinden. So bezieht man sich beiderseits positiv auf Zwangskollektive wie „Kulturen“, „Völker“ und „Nationen“ oder unterwirft sich bereitwillig dem Arbeitsgötzen. Arbeitsfetischismus und oberflächliche Globalisierungskritik finden sich deshalb in beiden Lagern. Die Grenze zwischen „links“ und „rechts“ und damit der Begriff des Antifaschismus verwischt insbesondere im gemeinsamen antiimperialistischen Hass auf die so genannten „Terrorstaaten“ USA und Israel. Das zeigen bspw. militante Angriffe von „Antifas“ auf israelsolidarische Diskussionsveranstaltungen (Berlin, Magdeburg(3)) und Demonstrationen, die Verletzte zur Folge hatten.

…und der Zusammenhang zum (strukturellen) Antisemitismus und vernichtungswütigen Antizionismus

Gerade der eliminatorische Antisemitismus(4), der in der Ideologie der Nazis eine zentrale Rolle spielte und heute in abgewandelter Form immer noch spielt, muss radikaler Kritik unterzogen werden. Die spezielle Rolle der jüdischen Opfer in der Shoa darf nicht aus dem Blick geraten. Die systematische Massenvernichtung, die in Auschwitz ihren grausamen Gipfel erreichte, darf unter keinen Umständen vergessen, relativiert oder von gesellschaftskritischen Reflexionen ignoriert werden. Wir wollen dabei den Begriff von „Auschwitz“ nicht als „anti-deutsches“ Schlagwort verstanden wissen, das in gebetsmühlenartiger Wiederholung zur leeren Phrase verkommt. Auschwitz ist vielmehr Symbol für unsagbare Schmerzen und Leiden von unschuldigen Menschen, die Opfer der unmenschlichsten Barbarei deutscher TäterInnen wurden. Die von der deutschen „Volksgemeinschaft“ an Millionen Menschen verübten Grausamkeiten resultierten aus einer fatalen antisemitischen „Weltanschauung“, die das „zersetzende jüdische Prinzip“ im Inneren des rassistischen „Volkskörpers“ und die „raffende jüdische Weltverschwörung“, als Gefahr von Außen halluzinierte. Die verselbstständigten apersonalen Strukturen des Kapitalismus wurden personifiziert und die Juden für alle negativen Auswirkungen der modernen Vergesellschaftung verantwortlich gemacht. Die Massenvernichtung war „logische“ Konsequenz des nationalsozialistischen Wahns(5). Gerade die historische Notwendigkeit des jüdischen Schutzstaates Israel nach den Erfahrungen der Diaspora und dem Horror des europäischen Holocausts, als einem bis dato einzigartigen Zivilisationsbruch, wird durch jene angezweifelt und angegriffen, die ihre antisemitischen Ressentiments unter dem Deckmantel des Antizionismus verbreiten. Israel und die Vereinigten Staaten gelten heutzutage vielen absurderweiser als die neuen „Nazis“ und „Faschisten“ (siehe Sharon/Bush-Hitler-Vergleiche), die es im „antiimperialistischen“ Kampf zu vernichten gälte. Und so wird Solidarität mit islamistischen Terrorbanden (à la Hisbollah und Hamas) oder reaktionären Regimes wie dem Iran geübt, der die Shoa vor der Weltöffentlichkeit leugnet und die Vernichtung Israels herbeisehnt. Antiamerikanismus und (strukturell) antisemitische Welterklärungsmodelle („Die Heuschrecken sind Schuld!“) sind in „linken“ und „rechten“ Strömungen weit verbreitet und bergen ein gefährliches Potential. Verkürzend einfache – und deshalb falsche – Erklärungen der gesellschaftlichen Komplexität durch Schuldzuschreibungen an einzelne Menschen und Staaten entspringen diesem eingangs beschriebenen oberflächlichen „Anti-Kapitalismus“, der auf der Erscheinungsebene verbleibt und nicht der wesentlichen Struktur unserer Vergesellschaftungsform auf die Schliche kommt. „Anti-Kapitalismus“ – als bloßes Dagegen-Sein – und „Antifaschismus“ sind folglich nicht automatisch emanzipatorisch. Radikal-emanzipatorische Kritik hingegen muss die verselbstständigten Verhältnisse der globalen Warenproduktion in den Brennpunkt rücken und sich dadurch zwangsläufig in gedanklichen Widerspruch zur herrschenden Realität begeben. Die Verteidigung bürgerlich-demokratischer Grundfreiheiten, verstanden als Widerstand gegen reaktionär-barbarische Ideologien, muss als Grundlage für emanzipatorisches Denken gelten. Emanzipation – als Befreiung des einzelnen Individuums von gesellschaftlichen Zwängen – muss vor der praktischen Umsetzung gedanklich vollzogen werden, um nicht die alte ideologische Scheiße neu zu reproduzieren. Die Ideologie des Nationalsozialismus, als grausamste Verkörperung des gesellschaftlichen Unwesens, ist daher in ihren neuen Formen anzugreifen und die Verhältnisse, die das Potential zur atomaren Vernichtung Israels in sich tragen, sind aufs Schärfste zu verurteilen. Dass es bei der willentlich angestrebten Vernichtung Israels nicht stehen bleiben soll, zeigen die verheerenden Terroranschläge auf die USA, Spanien, England etc. und die vereitelten in Deutschland.

Resümee

Selbstverständlich kann der Flyer, den Du in der Hand hältst, nicht alles erfassen und ansprechen, was bei der Auseinandersetzung um Antifaschismus und Kapitalismuskritik gesagt werden muss. Jedoch kann festgehalten werden, dass offensichtlich rechtsextreme und antisemitische Symboliken von Thor Steinar bis Palituch nicht ignoriert und toleriert werden dürfen. Des Weiteren ist ein Umdenken in vielen Teilen der Linken, die sich zu wenig um demokratische Prinzipien im Allgemeinen und in Bezug auf Israel scheren und stattdessen auf eine Massenbewegung setzen, bei der auch menschenverachtende Positionen vertreten werden können, dringend notwendig. Reflektiertes Denken, welchem die Verbrechen des Holocausts und ihre Folgen historisch bewusst sind, muss sich von diesem Massenphänomen kritisch distanzieren. Emanzipatorische Aufklärungsinitiativen müssen deshalb, wie die Verteidigung alternativer Jugendzentren gegen Nazis, als wichtige Form der Praxis im Rahmen der Möglichkeiten begriffen werden. Dem antisemitischen Massenwahn völkischer, islamistischer, aber auch bürgerlicher Färbung, gilt es deshalb auf allen Ebenen entschlossen entgegenzuwirken. Der schlussendlich praktischen Überwindung des gesellschaftlichen Ganzen, das unnötig Gewalt, Hunger und Leiden produziert, muss die kritische Auseinandersetzung vorausgehen.

Gruppe Theorie und Praxis (TuP) Leipzig, den 9.11.2007

Anmerkungen

(1) Studie von Oliver Decker und Elmar Brähler: „Vom Rand zur Mitte – Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland“ (http://library.fes.de/pdf-files/do/04088a.pdf)

(2) Vgl. unscheinbare Nazi-Seite http://www.antikap.de/ mit Inhalten krassester Sorte à la „Kapitalismus – Feind der Völker“

(3) Im Vorfeld eines Vortrags attackierten vermummte Schläger aus der links-antiimperialistischen Szene mit Pfefferspray und Steinen den Veranstaltungsort und schlugen auf die wartenden Teilnehmer ein. Dieser Zustand in der „Linken“ ist nicht hinnehmbar!

(4) Goldhagen „Hitler willige Vollstrecker – Ganz normale Deutsche und der Holocaust“

(5) Siehe Moishe Postone, der im Essay „Nationalsozialismus und Antisemitismus“ die Ideologie der Nazis mithilfe Marxscher Wertform- und Fetischkritik analysiert (www.krisis.org/m-postone_nationalsozialismus-und-antisemitismus.html)

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last modified: 23.11.2007