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das Erste, 0.9k

Sechs Tage, 40 Jahre
und kein Ende


      „Ich wünschte die Israelis kämen wieder zurück.
      Was waren das für ruhige Zeiten damals.“
Diesen Satz, berichtet Michael Borgstede in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (17.06.07), hört man in Gaza derzeit öfter. In diesem speziellen Fall sagt ihn Machmud E., dessen Sohn, Mitglied der Präsidentengarde von Machmud Abbas, in dem, was in der Presse „Bruderkrieg“ heißt, getötet wurde. Bekanntlich hauen sich im Moment im Gazastreifen die Palästinenser die Köpfe gegenseitig ein: Hamas gegen Fatah; Islamisten also gegen Säkulare; aber auch Clans gegen Clans, Familien gegen Familien. Teilweise gehen die Risse auch durch einzelne Familien: der Vater Anhänger der Fatah, der Sohn Islamist bei der Hamas. Nur die Mutter bewahrt sich ein bisschen Verstand: Sie kann es einfach nicht nachvollziehen.

Möglich wurde diese Auseinandersetzung wohl auch dadurch, dass Israel sich im Jahr 2005 aus dem Gazastreifen einseitig zurückgezogen hat: 8000 Siedlerinnen und Siedler und das gesamte Militär wurden evakuiert; Gaza ist seitdem, wie sich die Hamas wohl nicht scheuen würde zu sagen, „judenrein“. Aber wie und wann hatte die „Besatzung“ des Küstenstreifens und des Westjordanlandes eigentlich begonnen?

Vor ziemlich genau 40 Jahren, im Juni 1967, gab es einen sechstägigen Krieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien. So kurz wie er war – er hat bis heute weitreichende Folgen. Nicht die unwichtigste Folge ist, dass es seitdem Palästinenser und Palästinenserinnen gibt. Vorher Maleranleitung, 15.2k verstanden sich die Menschen, die in Israel, in dem Gebiet, das heute der Gazastreifen ist und in Jordanien westlich des Jordans (heute die Westbank bzw. das Westjordanland) lebten, als Araber, als Teil der arabischen Nation. Sie hatten nicht die Bestrebung, Teile Jordaniens zu ihrem Staatsgebiet zu machen. Bis 1967 war auch nicht die Rede von Ostjerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates. Alles das also, was heute die wichtigsten Fragen des „Nahost-Konflikts“ sind, so gut wie alle schier unlösbaren Streitpunkte, gibt es erst, seit Israel im Sechstagekrieg das Westjordanland erobert hat.

Aber der Reihe nach. Am fünften Juni 1967 greift Israel Ägypten an. Es handelt sich um einen Präventivschlag, jedenfalls aus israelischer Sicht: Ägypten hatte Truppen aufmarschieren lassen und (am 22. Mai) die Straße von Tiran gesperrt, den einzigen Zugang zum Roten Meer, über den ein Großteil des israelischen Erdöl-Imports abgewickelt worden war. Von dieser handfesten militärischen Bedrohung abgesehen, lief die antiisraelische Propaganda in den Nachbarländern auf Hochtouren: „Unsere Streitkräfte sind nun voll bereit (...) dem Akt der Befreiung den Anstoß zu geben und die zionistische Anwesenheit im arabischen Heimatland in die Luft zu jagen. Ich als Militär glaube, dass die Zeit gekommen ist, den Vernichtungskrieg zu führen“, sagte der syrische Verteidigungsminister Hafiz al-Assad zum Beispiel am 20. Mai 1967. Und der ägyptische Staatspräsident Nasser erklärte am 26. Mai 1967: „Unser Ziel ist die Zerstörung Israels. Das arabische Volk ist bereit, zu kämpfen.“

Wie sich dann allerdings herausstellen sollte, war diese Bereitschaft zur Vernichtung Israels doch nicht ganz so groß wie vollmundig behauptet: Israelische Kampfflieger haben innerhalb der ersten 90 Minuten des Krieges die ägyptische Luftwaffe vollständig zerstört. Und auch die Streitkräfte der anderen beiden Kriegsparteien – Jordanien und Syrien – hatten den israelischen Streitkräften in den folgenden fünf Tagen nicht so viel entgegen zu bringen, wie sie im Vorfeld behauptet hatten. Der Krieg war verhältnismäßig kurz und sein Verlauf war ein voller Erfolg für die Israelischen Verteidigungskräfte.

Nach heutiger Einschätzung war Israel wohl in dieser Zeit – jedenfalls militärisch von den Ländern in seiner Nachbarschaft – nicht existenziell bedroht. In Israel selbst gibt es derzeit eine lebhafte Debatte, ob man das damals auch hätte wissen können (wie einzelne ehemalige Militärs heute sagen) oder ob die Befürchtungen, die im Juni 1967 die israelische Bevölkerung hatte, auch die der Entscheidungsträger auf israelischer Seite gewesen sind. Im Nachhinein lässt sich ganz gut rekonstruieren, wie die Schreckstarre in Israel am Anfang des Krieges zustande gekommen ist: Die Israelis konnten ihre Informationen nur aus arabischen Quellen beziehen; in den ersten Stunden des Krieges gab es eine israelische Nachrichtensperre. Und die ägyptischen Fernseh- und Rundfunkstationen brachten nichts als Siegesmeldungen – die sich wenig später als Propaganda-Fantasien herausstellen sollten, damals allerdings von allen (auch von der „Weltöffentlichkeit“) für bare Münze genommen worden waren.

Israel war in dieser Zeit vorwiegend von Überlebenden des Holocaust bewohnt, deren Befürchtung es war, wieder schutzlos denen ausgeliefert zu sein, die sie erklärtermaßen vernichten wollen. Die Detailfrage, ob es hilfreich war, die Bevölkerung derart über den wirklichen Stand der Kämpfe im Unklaren zu lassen, ist genau das: eine sicherlich interessante historische Detailfrage. Von größerer Bedeutung ist, ob dieser Krieg Vorteile für Israel gebracht hat.

Wie immer ist es ein wenig müßig zu fragen, „Was wäre, wenn?“ Aber die Tatsache, dass die Palästinenser und Palästinenserinnen erst seit 1967 so heißen und erst seit damals Anspruch auf das Westjordanland erheben, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Araber der Region bereits vorher eine Souveränität gefordert und für sie gekämpft hatten: auf dem Gebiet Israels! Insofern kann man schon von einem Vorteil sprechen. Heute werden die Palästinenser höchstens einen Staat außerhalb Israels bekommen.

Israel hat in diesem Krieg erobert: erstens die gesamte Sinai-Halbinsel (die es 1973 an Ägypten zurückgegeben hat; im Übrigen mussten auch damals bereits Tausende jüdische Israelis von dort wegziehen, wie vor zwei Jahren aus dem Gazastreifen), zweitens von Jordanien die Gebiete westlich des Jordan (Westbank, Westjordanland, biblisch: Judäa und Samaria) und drittens die Golanhöhen (von Syrien). Letztere waren in der damaligen Zeit militär-strategisch wichtig, weil von dieser Anhöhe die Umgebung gut zu überwachen war, inklusive des einzigen Sees zur Wasserversorgung Israels, des Kineret (biblisch: See Genezareth).

Ohne diese Eroberungen, soviel lässt sich sagen, stünde Israel heute in Verhandlungen mit den Nachbarn schlechter da: Inzwischen ist die strategische Bedeutung der Golanhöhen nicht mehr so groß, weil es völlig andere Militärtechnologien als damals gibt. Daher kann ernsthaft erwogen werden, die Golanhöhen an Syrien zurückzugeben im Austausch für gute nachbarschaftliche Beziehungen (selbstverständlich auch hier unter der Bedingung, dass sämtliche Jüdinnen und Juden von dort verschwinden müssen). Dieses Konzept hatte ja auch bereits beim Sinai funktioniert.

Und die Palästinenser? Die Palästinenser, das hat schon Abba Eban, der 1967 israelischer Außenminister war, gesagt, „sie verpassen keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen.“ Es ist – auch an dieser Stelle – schon mehrfach auf die Idiotie hingewiesen worden: Israel zieht sich im Jahr 2005 einseitig aus dem Gazastreifen zurück. Zwei Jahre später versinkt diese Gegend in innerpalästinensischer Gewalt. Die Hamas wirft einen Fatah-Anhänger aus dem neunten Stockwerk eines Hauses. Daraufhin wirft die Fatah einen Hamas-Mann aus dem 14. Stock. Und wer ist schuld? Genau – die Israelis: „Wenn Sie zwei Brüder in einen Käfig sperren und ihnen alles nehmen, was sie zum Leben brauchen – dann werden sie kämpfen“, sagte ein Hamas-Regierungssprecher auf einer Pressekonferenz, als Hamas noch der Regierung angehörte. Er vergaß zu erwähnen, dass die „Brüder“ in diesem Fall gegeneinander kämpfen, was keinesfalls logisch aus dem Fehlen der Lebensmittel folgen würde. Wenn doch aber wenigstens das Wegnehmen der Lebensmittel in dem schiefen Bild stimmen würde – Tut es nämlich nicht: Der Gaza-Streifen wird zu 80 Prozent von Israel (und internationalen Hilfsgeldern) versorgt. In den letzten Wochen waren Bilder im Fernsehen zu sehen, auf denen Palästinenserinnen und Palästinenser vor der auf sie schießenden Hamas nach Israel zu fliehen versuchen; nur raus aus dem, was im Moment „Hamastan“ zu werden droht: eine Elendsverwaltung mit islamischem Tugendterror und ohne Aussicht auf Besserung. Ungefähr hundert Leute wurden, obwohl 20 von ihnen in der Vergangenheit nachgewiesener Maßen an Aktionen gegen Israel beteiligt gewesen waren, mit israelischen Bussen über Israel an die ägyptische Grenze gebracht – aus humanitären Gründen. Ebenso wurden – mit Krankenwagen unter dem Schutz israelischer Panzer – ungefähr 50 Verletzte in israelische Krankenhäuser gebracht.

Scherzbolde sagen: Die internationale Gemeinschaft wollte eine Zwei-Staaten-Lösung. Und die Palästinenser fangen schon mal damit an: allerdings mit zwei palästinensischen Staaten: Gaza und Westjordanland. Aber die Geschichte ist eher traurig. Zu hoffen bleibt, dass sich die Bevölkerung des Gazastreifens endlich komplett von der Hamas – und damit vom Islamismus – abwendet. Anzeichen dafür gibt es schon eine Weile, aber derzeit ist ein Riesen-Rückschlag zu beobachten. Sicher wird es auch ohne die Hamas nicht einfach sein, eine funktionierende Gesellschaft in den palästinensischen Gebieten aufzubauen: So viel Krisentheorie ist erlaubt, festzustellen, dass die Wirtschaft dort kaum je wird auf eigenen Beinen stehen können. Die Abhängigkeit von Israel und von Europa und den USA wird ihnen erhalten bleiben. Aber Einiges wäre gewonnen, wenn die Hilfsgelder erstens wieder gezahlt werden könnten und dann zweitens auch der Bevölkerung zugute kämen und nicht für Terror gegen Israel und für Morde an anderen Palästinenserinnen und Palästinensern ausgegeben würden. Während in den letzten Monaten im Gazastreifen Waren des täglichen Bedarfs, soweit überhaupt vorhanden, unerschwinglich geworden sind, sind die Kosten für eine Maschinenpistolen-Patrone von $ 3,50 auf $ 0,35 gesunken. Es ist Zeit für eine andere Subventionspolitik.

Sven



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last modified: 10.7.2007