Hey, ich will, dass unser Publikum tanzt.
Auszug aus einem Interview mit
(komplettes Interview unter www.revolver-club.de)
Revolver Club: Auch wenn ihr mit moderneren Sounds mischt, Haupteinfluss
für die Pipettes sind 60ies-Girlpopbands wie die Ronettes oder die
Shangri-Las. Diese Bands waren damals Marionetten von Produzenten und
legendären Plattenfirmen. Die haben den Sängerinnen gesagt, was sie
singen, wie sie sich bewegen und was sie anziehen sollen. Da hat dann aber
schon ein Wandel stattgefunden und es gibt einen Unterschied zwischen denen und
euch, oder?
Gwenno: Klar, unbedingt. Unsere Auftritte sind zwar auch ganz genau
strukturiert, aber trotzdem gibt es definitiv niemanden, der uns sagt, was wir
zu tun haben. Wir haben die komplette kreative Kontrolle über das, was wir
ausdrücken wollen. Bei uns ist es nicht so, dass wir die Visitenkarte
eines Produzenten sind. Bei den Pipettes handelt es sich um Bandmitglieder, die
zusammenarbeiten. Neben der Band gibt es niemanden, der kreativen Einfluss auf
uns hat. Da funktionieren wir wie andere Bands auch, selbst wenn wir
natürlich ein viel strukturierteres Output haben.
Revolver Club: Trotzdem wird es bestimmt Leute geben, die euch zugestehen,
dass ihr toll ausseht, Klasse tanzt und singt. Die Zuständigkeit für
das Songwriting werden diese Leute aber eher bei den Jungs vermuten
Rose: Mit genau diesen Vorurteilen wollen wir uns auseinandersetzen und das
Publikum konfrontieren. Häufig gibt es auch miese Kritiken, in denen der
Rezensent genau das schreibt: die Mädels tanzen ganz schön, richtig
gut singen können sie nicht, und die Instrumente werden von den Jungs
gespielt. Das zeigt die Hierarchie, die bei Bands immer zugrunde gelegt wird.
Wie wir uns auf der Bühne präsentieren, unterscheidet sich aber total
von der Art und Weise, wie wir ansonsten mit der Band arbeiten. Wir wissen,
dass wir für die Jungs gleichwertige Bandmitglieder sind, die in die
kreativen Prozesse eingebunden sind. Warum sollen wir das der Welt aber
ständig beweisen?
Wenn wir auf der Bühne stehen, haben wir viel mehr Lust, mit dem Publikum
Spaß zu haben und zu tanzen, statt uns angestrengt zu beweisen. Wenn du
hinter einem Instrument stehst, ist das sehr einschränkend. Klar, es ist
schon so, dass die Musikszene von Männern dominiert wird. Momentan ist es
einfach so, dass du als Frau niemals den gleichen Respekt bekommen wirst, der
einem Typen entgegengebracht wird. Aber warum sollen wir uns von dieser
Tatsache einschränken lassen und fremdbestimmt gegen etwas anarbeiten?
Wir könnten natürlich ganz angestrengt beweisen, dass wir an den
Instrumenten genausoviel können wie irgendwelche Kerle. Scheiß
drauf! Die Leute beurteilen dich eh, wie es ihnen gerade passt. Warum sollen
wir also nicht einfach das machen, woran wir Spaß haben? Ich will ja
nicht das machen, von dem ich denke, dass ich es im Sinne des Kampfes für
Gleichberechtigung tun sollte. Schließlich wollen wir ja auch gar nicht
langweilige Muckerinnen repräsentieren. Ich habe einfach keine Lust,
irgendjemanden irgendwas zu beweisen. Wir sind voll damit zufrieden, dass wir
in einer Band sind, bei der wir ins Songwriting eingebunden sind. Hey, ich
will, dass unser Publikum tanzt. Wenn wir nicht tanzen, wie kannst du dann von
irgendjemand anderen erwarten, dass er tanzt?
Revolver Club: In letzter Konsequenz unterscheidet ihr euch gar nicht so
sehr von Riot-Grrl-Bands wie Le Tigre, oder? Le Tigre schreiben Songs, in denen
sie den Kampf um Gleichberechtigung thematisieren, und mit ihren Auftritten
versuchen sie, ein Exempel zu statuieren. Ihr aber macht einfach, worauf ihr
Bock habt. Das Ziel ist gleich, nur die Methoden sind komplett anders
Gwenno: Ja, es ist die gleiche Programmatik. Klar, wir arbeiten nicht mit der
Aggressivität, mit der Le Tigre vorgehen, aber wir teilen mit ihnen ganz
sicher viele Gefühlslagen.
Wir bringen diese Punkte eben freundlicher rüber. Trotzdem schockiert die
Leute, was wir machen, da es extrem aus dem Rahmen des Üblichen
fällt. Auf den Gesichtern im Publikum kann ich sehr oft die Frage lesen,
wie zur Hölle wir das nur tun können.
Die Pipettes verfolgen ganz sicher keine politische Agenda, aber mit dem, was
wir machen, berühren wir natürlich politische Fragen. Das passiert
schon allein, weil die Musikwelt von Typen gemacht ist.
Es ist gerade eine interessante Zeit. Jetzt passiert etwas, das auf die
Riot-Grrl-Bewegung folgt. Bei der Riot-Grrl-Bewegung ging es darum, zu
demonstrieren, dass man auch als Frau in einer Band bestehen und all die Dinge
tun kann, die Typen können. Und zwar genauso gut. Jetzt haben wir aber
eine neue Ära, was nicht zuletzt natürlich auch ein Verdienst der
Riot-Grrl-Bands ist.
Wir haben heute ganz viele Frauen in ganz unterschiedlichen Bands, und diese
Frauen können es auch wieder wagen, feminin zu sein.
Wir wollen auf der Bühne einfach das machen, was wir tun würden, wenn
wir sowieso in dem Club wären. Ein Pipettes-Auftritt soll sich
anfühlen, als ob wir in die Disco gehen würden.
Revolver Club: Glaubt ihr, dass ihr es bald aufs NME-Cover geschafft
habt?
Gwenno: Nein, wir werden niemals auf dem NME-Cover sein. Die Pipettes sind
nicht die coolste Band auf diesem Planeten. Und wir sind Mädchen.
Mädchen schaffen es nie auf den Titel, es sei denn, man macht auf Debbie
Harry. Wir sind nicht hart genug, wir sind nicht cool genug, und
schließlich haben wir die Pipettes ja unter anderem auch als eine
Gegenbewegung zum NME gegründet. Gegen die Gesetze, die der NME aufstellt,
gegen ihre fade Vorstellung von Rock'n'Roll.
Der NME bedient eine Tradition, die auf die Beatles zurückgeht. Das ist
nicht die Schuld der Beatles, sondern die Art und Weise, wie sie vermarktet
wurden. Titelbildchancen haben seitdem eigentlich nur vier beste Freunde, die
zusammen Musik machen. Sie müssen cool sein. Und dünn.
|