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review corner Film, 1.4k

Integration & Gleichheit

Ein Kleinod gebannt auf Zelluloid ist ohne Zweifel Bruce Pittmans Verfilmung von Kurt Vonneguts Kurzgeschichte „Harrison Bergeron“. Warum Cyberpunk-Filme nicht unbedingt nur etwas für nerds sein müssen und dass es im Internet mehr herunterzuladen gibt als Pornos und Musik, klärt folgende schamlose Hommage.

      „The year was 2081, and everybody was finally equal. They weren`t only equal before God and the law. They were equal every which way. Nobody was any smarter than anybody else. Nobody was better looking than anybody else. Nobody was stronger or quicker than anybody else.“
      („Harrison Bergeron“, Magazine of Fantasy and Science Fiction, October 1961)

      „All man are not created equal. It`s the responsibility of the government to render them so.“
      (First Article of the New American Constitution after the Second American Revolution, „Harrison Bergeron“)
Jeder kennt „Lollipop“ von den Chordettes, einen der dämlichsten Songs, dem je gestattet wurde, ein Studio zu verlassen und auch perfektes Synonym für das, was sowohl in diesem Heft als auch im Feuilleton des öfteren Kulturindustrie genannt wird. Eben jener stimmt auf den Film ein und es hätte kaum eine bessere Wahl geben können. Der eingeblendete Text verrät, dass es sich hier um das Jahr 2053 handelt, doch alles wirkt
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wie ein verkitschter Aufguss der amerikanischen 50er. Eine Lehrerin teilt benotete Arbeiten aus, lobt einen der Schüler für sein C und blickt mit besorgt mütterlicher Miene auf die zentrale Figur des Films herab, Harrison Bergeron, und überreicht ihm sein A+, um zu fragen, wie lange er nun schon hinterher hinke. Harrison wird gespielt von Sean Astin, den einige in den 90ern Aufgewachsene vielleicht noch aus den „Goonies“ kennen. Und dieser Junge spielt großartig. In jedem Moment des Films kauft man ihm die Melange aus nettem Kumpeltyp, vertrottelter Intelligenzbestie und späterem wütenden Rebellen ab. Warum die Filmmaschinerie diesen smarten Jungdarsteller in der Folgezeit nicht aufgesogen hat, es wird ein Rätsel bleiben. Im weiteren Verlauf finden sich Harrison und sein Bruder vor dem Fernseher ein, um der, will man der letzten Shell-Studie Glauben schenken, Lieblingsbeschäftigung durchschnittlicher Teenager zu frönen, dem Fernsehen eben. Sie sehen ein Golfspiel, bei dem ein manipulierter Schläger unkontrolliert hin und her wackelt, eine Late Night Show, in der ein Klempner erzählt, dass er gerufen wurde, um eine Wanne zu reparieren, sich aber in der Hausnummer irrte und nach Klärung des Sachverhalts feststellte, dass in beiden Haushalten, sowohl in jenem, der sein ursprüngliches Ziel war, als auch im fälschlich aufgesuchten, ein Leck vorhanden war. Zum Abschluss folgt eine Exekution. Spätestens ab diesem Punkt herrscht Verwirrung, doch als schließlich eine wildfremde Familie zum Abendessen anrückt, deren Tochter Harrison ehelichen soll, bringt der Film vorsichtig Licht ins grelle Dunkel des 50er Jahre Settings. Bis jetzt war unklar, weshalb alle auftretenden Personen seltsam anmutende metallene Bänder auf dem Kopf tragen, doch beim gemeinsamen Abendessen wird sich darüber ausgetauscht, dass es zwar immer noch Unterschiede zwischen den geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Menschen gäbe, doch die Regierung würde auch diese in wenigen Jahren ausräumen können. Die Bänder dienen also dazu, ihre Träger auf dieselben Fähigkeiten zu beschränken, so dass jeder nur zu durchschnittlichen Leistungen befähigt ist, wir erfahren später mehr. Nun wird erklärt, weshalb ein Computer die beiden potentiellen Ehepartner, Harrison und die geistig zurückgebliebene Tochter der anderen Familie, füreinander bestimmt hat. Aufgrund dieser Ehe sollen die herausragenden geistigen Fähigkeiten des Jungen durch die unterdurchschnittlichen des Mädchens in der nächsten Generation ausgeglichen werden. Nach dem Abendessen sehen die Väter Sport und beschweren sich über das unzureichende Handicap der Athleten. Harrison und die junge Dame knüpfen auf der elterlichen Schaukel im Garten erste zarte Bande, als sie ihm berichtet, sie würde in der Schule aufgrund ihrer Dummheit gehänselt werden. Guterzogener Gentlemen, der er ist, sagt er: „I don`t think you`re all that stupid.“ Woraufhin sie beinahe zärtlich antwortet: „Thanks. I don`t think you're all that smart.„
Wieder in der Schule folgt eine Szene, in der man den Text des Films für sich sprechen lassen muss und in der Hoffnung, dass der geneigte Leser eben dieser Sprache einigermaßen mächtig ist, wird auf eine Übersetzung verzichtet.
  • Teacher: „What we call the period after the cold war?“
  • Pupil: „The great recession.“
  • Teacher: „And what made this recession differ from all other recessions before?“
  • Pupil: „It never really ended. It just kept going.“
  • Teacher: „Why? (pause) Class? (pause) Anyone? (pause) Harrison?“
  • Harrison: „I don`t know.“
  • Teacher: „It's allright. Go ahead.“
  • Harrison: „Well, in all previous recessions once the economy bought `em down and production increased, unemployment decreased. But in the great recession because of new improved technologys, fewer and fewer workers were required in all sectors. With so many people forced from their jobs, the traditional economic recovery was impossible.“
  • Teacher: „Exactly. By the year 2018 only 15 percent of the population had jobs. America was divided into two camps. A highly skilled and educated prosperous elite and an unemployed destitute majority. What happened next, Garth?“
  • Garth: „The people who didn`t have jobs were very unhappy and they started making trouble, like they bombed buildings and have riots and killed people and stuff.“
  • Teacher: „Right. And that was the beginnig of what we now know as…Class?“
  • Class: „The second american revolution.“
Zu diesem Zeitpunkt kann man schon erahnen, dass hier mehr zu erwarten sein dürfte als in den meisten anderen Machwerken dieses Genres, die sich in unzähligen Verschwörungstheorien ergehen. Es muss also eine Regierung geben, die aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit entschied, alle Bürger künstlich auf das gleiche Leistungsniveau zu beschränken, damit es keinen Fortschritt in der Produktion gäbe, um Krisen und somit blutige Ausschreitungen zu verhindern. Was aber, wenn trotz der Bänder, die genau dafür genutzt werden, der Fall eines Harrison Bergeron eintritt, der trotz der elektronischen Impulse, welche sein Band aussendet, in der Lage ist, komplexe Sachverhalte zu erfassen und diese auch zu behalten? Sein geistiges Niveau soll durch einen chirurgischen Eingriff dem aller anderen angepasst werden. Der behandelnde Arzt schlägt dem Jungen vor, noch ein letztes Mal zu testen, welch geistige Höhenflüge sein Hirn zu vollbringen in der Lage ist und schickt ihn am Vorabend der Operation in ein so genanntes „head house“. Hierbei handelt es sich um ein illegales Bordell, dessen Leiterin den Jungen sogleich nach Eintritt durch ihr französisch anmutendes Etablissement führt. Doch anstatt sexuelle Gefälligkeiten aufzuzählen, zu denen die Frauen gegen Bezahlung bereit sind, nennt sie andere Vorzüge der Damen, welche sich auf Quantentheorie, deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts (Hegel, Schopenhauer, Nietzsche), Kubismus und post-impressionistische Kunst und eben Schach spezialisiert haben. Harrison, der ein großer Schachfan ist, nur leider bis jetzt keinen ebenbürtigen Gegner fand, entscheidet sich also für letzteres und somit für Philippa (Miranda de Pencier). Bei ihr stößt Harrison erstmals auf so etwas wie frivole Subtilität in der Sprache, als sie ihn nach dem Aufbau der Figuren mit verschwörerischem Lächeln fragt: „Are there any particular openings you would like to explore?“ und der Junge nur nervös darauf hinweisen kann, doch endlich mit dem Spiel zu beginnen, welches er prompt verliert. Von dieser Niederlage und den Schachkünsten seiner Gegenspielerin mehr als angetan, wird ihm zum erstenmal die Schönheit des Spiels bewusst, das geistige Versinken in den Gegenstand, das taktische Planen und die Gier des Dazulernens, nach Wissen. Als sie ihn schließlich bittet, er möge doch sein Band abnehmen, um sein volles Potential ausschöpfen zu können, verneint dies der pflichtbewusste und freundliche Harrison höflich, aber mit dem Nachdruck des vorauseilenden Gehorsams. Das geistige Refugium, in welches er nun versunken ist, wird jäh zerschmettert, als eine Gruppe Sicherheitskräfte eine Razzia im illegalen „head house“ durchführt und er Philippa sein Band aufsetzt, da sie ihres vorher abnahm, um ihm zu zeigen, dass daran nichts verwerfliches sei. Doch wird dieses Vergehen schwer geahndet und so erblicken wir zum erstenmal den Helden Harrison, der seinen Gehorsam zur Seite schiebt, um einer anderen Person beizustehen und dabei die Konsequenzen für sich selbst außer Acht lässt. So wird er also betäubt und abgeführt, unter den Protestschreien Philippas, die sich einer im Raum installierten Kamera zuwendet: „Not him! I like him!“
Als Harrison erwacht, befindet er sich im „National Administration Center“ und der Vorhang um die ominösen Hintermänner der Regierung wird gelüftet. Vorsitzender John Claxton (Christopher Plummer) umreißt grob die Situation der Gesellschaft und somit auch Harrisons. Nach der zweiten amerikanischen Revolution wurde angestrebt, eine Gesellschaft auszubilden, in der wahrhaftig alle gleichgestellt sind, nicht nur auf dem Papier welches die Verfassung trägt, sondern in allen Belangen menschlichen Lebens. Das Problem mit solch einer Gesellschaft sei jedoch, dass es, um sie zu leiten, Funktionen geben muss, die eben nicht von durchschnittlichen Menschen ausgefüllt werden können, da diese einfach nicht in der Lage sind, jene adäquat zu besetzen, da ihnen die geistigen Vorrausetzungen fehlen, um komplexe abstrakte Zusammenhänge erfassen zu können. Also gibt es eine Elite, die im Verborgenen arbeitet und sich aus circa 3000 Menschen zusammensetzt. Harrison wurde seit drei Jahren beobachtet, um ihn nach erfolgreichem Test, das „head house“, für diesen Verein zu rekrutieren. Er wird vor eine schwere Wahl gestellt. Tritt er bei, erhält er die Möglichkeit, seine geistigen Fähigkeiten in vollem Umfang zu nutzen, allerdings muss er den Kontakt zu seiner Familie abbrechen, den Rest seines Lebens in der abgeschiedenen Enklave des „National Administration Centers“ verbringen, und es ist ihm untersagt, Kinder zu bekommen. Die andere Möglichkeit wäre die Gehirn OP, nach der Harisson in sein altes Leben zurückkehren könne. Hier tritt Claxton in seinen Erläuterungen nicht als der zynische Patriarch einer Elite auf, denn er weiß um den Widerspruch der Gleichheit aller bei gleichzeitiger Ungleichheit weniger, dem eben durch die Rekrutierung und das Verbot der Geburt innerhalb der Enklave ein wenig an Schwere genommen werden soll. Harrison entscheidet gegen die Blutsbande und für den Geist, bekommt ein eigenes Zimmer und von Philippa einige Laserdiscs(1) und Bücher, um sich weiterzubilden. In den folgenden Tagen wird er in die Arbeit seines neuen Zuhauses eingeführt und darf schon zu Beginn eine wichtige politische Entscheidung treffen. Der Leiter des Ressorts für Politik erklärt ihm, dass Wahlen schon lange abgeschafft wären und eh nur dazu dienten, verhindern zu können, dass eine einzelne Person zu viel Macht an sich reißen könne, um ein Tyrann oder ähnliches zu werden. Heute aber wüsste man, dass es ganz egal wäre, wer den Job des Präsidenten oder eines Senatoren belege, da eh alle dieselben Vorraussetzungen mitbringen würden. So darf Harrison eine beliebige sechsstellige Zahl in den Computer tippen und schon wurde per Zufallsprinzip die neue Senatorin Connecticuts gewählt. Schneller, günstiger und sicherer als in den alten Tagen. Danach lernt er das Handicapstudio kennen, in dem für die Athleten, welche trotz aller Regulierung durch die Bänder noch herausstechen, entsprechende Stolperdrähte entwickelt werden, wie eben unkontrolliert herumschwingende Golfschläger oder Gewichte für die Beine.
Harrison erfährt, dass es im neuen Amerika nur noch drei Prozent der Sicherheitskräfte gäbe, welche noch vor der Revolution benötigt wurden, und dass das Center sich nicht in rechtliche Belange einmischt. Es gibt Exekutionen aufgrund von Verkehrsvergehen wie dem falsch Abbiegen, und Demonstranten fordern vor dem Gefängnis, in dem jene abgehalten wird, auch „non-moving offences“ mit der Todesstrafe zu belegen. Harrison wird erklärt, dass es früher endlose Debatten darum gab, wie man auf angemessene Weise gegen Verbrechen vorgehen könne, unzählige Programme zur Verbrechensbekämpfung wurden gestartet. Nachdem jedoch die Durchschnittlichen das Regieren übernahmen, merkten sie schnell, dass sie einfach nicht schlau genug sind, die Verbrechensrate zu reduzieren, also entschieden sie sich dafür, dies einfach mit der Anzahl der Verbrecher zu tun. Über die Jahre hinweg kam es immer weniger zu ernstzunehmenden Straftaten, was in der Belegung simpler mit härteren Repressionen resultierte. Heute gäbe es jedoch kaum noch Exekutionen, da alle sich weitestgehend an die Vorschriften hielten, und was man täglich im Fernsehen zu sehen bekäme, seien meist nur Wiederholungen. Hier treten erste ethische Konflikte innerhalb des Centers auf, da viele nicht mit solch grausamen Maßnahmen einverstanden sind, man sich jedoch nicht in die Entscheidungen der Regierenden, die hier ja tatsächlich aus dem einfachen Volk gestellt werden, einmischen dürfe: „The people make the law, not we.“
Anschließend kommt es zur ersten Diskussion zwischen Philippa und Harisson, bei der sie den Standpunkt vertritt, dass es besser wäre, hundert Schuldige frei herum laufen zu lassen, als dass ein Unschuldiger getötet würde. Harrison gibt zu bedenken, dass ihre Rechnung rein logisch betrachtet einen Fehler aufweist, da zwei dieser Schuldigen wiederum zwei Unschuldige töten könnten.
Im Folgenden entwickelt sich zwischen beiden eine total süße Liebesbeziehung, die auch um verkitschte Jazzromantik nicht herumkommt und das Kernstück Harrisons späterer Rebellion bilden soll, zum Dahinschmelzen. Als nächstes wird er mit dem wichtigsten Herrschaftsinstrument des Centers vertraut gemacht, dem Fernsehen. Dies wird genutzt, um die Ideologie der Gleichheit aller in die Bevölkerung zu tragen und jegliches Gesehenes darauf zu reduzieren. So wird etwa darauf geachtet, dass im Falle des Auftritts einer Katze auch ein Hund zu sehen ist, um keinem Tier den Vorzug zu geben. Harrison, der mittlerweile einige der Klassiker gelesen, gehört und gesehen hat, ist entsetzt über das Niveau, welches man der Bevölkerung zumutet. Es wird ihm erklärt, dass selbst vor der Revolution Fernsehen keine besonders anspruchsvolle Angelegenheit war, jedoch hin und wieder Qualität sich einschlich. Heute ginge es darum, nichts auszustrahlen, dass nicht unmittelbar von jedem verstanden werden kann, der es sieht.
Der Junge ist nun vertraut mit der Arbeit des Centers und wird von Claxton, dem Leiter, zu einem Gespräch unter vier Augen gerufen. Harrison sieht den Idealismus dieses Gesellschaftsentwurfs, doch ihn martern die eigenen Vergünstigungen, der Zugang zu den kulturellen Gütern, welcher Menschen außerhalb der Enklave verwehrt bleibt. Ihn betrübt der Umstand, dass nie wieder großartige Musik oder ein guter Film geschaffen wird. Claxton, der im Hintergrund Beethoven laufen lässt, stimmt ihm zu und bejaht, dass er nach einer Welt strebt, die nie wieder einen Künstler wie diesen hervorbringen wird. Doch ginge es nicht darum, dieses aufgrund irgendeines Artikels in irgendeiner Verfassung zu tun, der Antrieb sei kein institutioneller, sondern vielmehr ein humanistischer. Und während das Orchester vor sich hin dudelt, zeigt er Harrison einen Film, der menschliche Gräueltaten aneinander reiht, um schlussendlich in dem ultimativen Zivilisationsbruch zu münden: Auschwitz.
Anschließend bekräftigt er seine Position, und voller Leidenschaft betont er, um ähnliches zu verhindern, würde er selbst die Waffe an Beethovens Stirn führen.
Philippa wird schließlich schwanger, flieht, wird gefasst und gemäß den Regeln der Enklave einem chirurgischen Eingriff unterzogen, der sie alles vergessen lässt und zu einem durchschnittlichen Menschen degradiert. Die Frau, welche Harrison liebte, starb während der OP, und alles was er vorfindet, ist eine geistlose Hülle, ein gewöhnlicher durchschnittlicher Mensch. Wütend konfrontiert er Claxton, welcher ihm offenbart, dass Philippa seine Tochter ist und er in der Vergangenheit einige Beziehungen spielen ließ, um dies zu verheimlichen und sie zu rekrutieren. Harrison, der Claxtons Idealismus nun ernsthaft in Frage stellt, da er doch seine Position ausnutzte, um sich Vorteile zu erschleichen, stapft wütend von dannen, begleitet von Claxtons Worten: „The system is perfect, Harrison. But sometimes the people who run it aren`t.„
Der Junge bemächtigt sich der Sendestation des Fernsehens, in welcher er sich mit Filmen und Musik verbarrikadiert, um auf Sendung zu gehen. Er schaltet sich auf jedes Programm, berichtet den Leuten von der Situation, in welcher die Gesellschaft sich befindet, von dem „National Administration Center“, von den guten Intentionen, die hinter der Idee der Gleichheit steckten, und der falschen Wahl der Mittel. Er fordert dazu auf, die Bänder abzunehmen, und beginnt Filme von Buster Keaton oder „Casablanca“ auszustrahlen und spielt Klassik und Jazz, in der Hoffnung, die Leute würden erwachen und eine neue Revolution starten. Er erzählt von den Unterschieden und Eigenarten, welche das Individuum ausmachen und die uns dazu befähigen zu lieben. Und was ist Harrison anderes als der rasende Liebende, der wütend das, was er verlor, mit allen anderen teilen will, und der dafür bereit ist, auch vermeintlich niedere menschliche Regungen zu akzeptieren: „When they took away envy, they took away love, too.“
Schließlich dringen Sicherheitskräfte in die Station ein und nehmen Harrison in Gewahrsam. Als er Claxton vorgeführt wird, ist er sichtlich überrascht, dass dieser mit dem jungen Rebellen sympathisiert und ihn gar eines Tages zu seinem Nachfolger ernennen will. Er berichtet von den geringen Auswirkungen Harrisons Unterfangen, nur 1,3 Prozent der Bürger fühlten sich durch seine Sendung berührt, für die meisten war es einfach nur Fernsehen, der Unterschied überhaupt nicht bewusst. Dennoch will Claxton, dass Harrison in einer Fernsehshow auftritt und mitteilt, alles wäre nur ein Witz gewesen, denn 1,3 Prozent seien eine nicht zu unterschätzende Anzahl Menschen. Also tritt Harrison in einer Talkshow auf und es kommt für alle zu einem überraschenden Finale, nach dessen Ausklang bei aller Verzweiflung der unerbittliche Glaube an das Individuum stehen bleibt.

Dieser Film ist definitiv low budget, man merkt dem Regisseur die grobe Hand des Schreiners an, der noch nicht gelernt hat, die Kanten abzuschleifen, zudem handelt es sich um eine Fernsehproduktion. Doch die Schauspieler und das Konzept tragen den Film weiter, auch wenn er sich teilweise ein wenig verliert, Sachverhalte präsentiert, ohne Erklärungen zu geben, und manchmal unangenehm kitschig ist. All dies verzeiht man gern, wenn danach in geselliger Runde mehr folgen kann als der übliche geschmacksorientierte small talk über das Gesehene.
Was bei vorangegangener Beschreibung ein wenig heruntergefallen sein mag, sind die humoristischen Momente des Films, von denen es eine Menge gibt. Ständig befällt die Mundwinkel mindestens ein Schmunzeln und man merkt den Darstellern die Freude ob ihrer teilweise bitterbösen Witzeleien in jedem Moment an. Allein der Macauly Culkin Witz – man muss ihn gesehen haben.
Es ist eine Geschichte darüber, was geschehen kann, wenn political correctness zügellos wütet, wenn der Einzelne hinter dem Ideal verschwindet, wohin es führen kann, abstraktes Recht walten zu lassen im vermeintlichen Dienste der Menschheit. Und doch ist es keine Anklage gegen Leute wie Claxton, seine Ideale stehen außer Frage, keiner der ihm nicht ein wenig beipflichten würde unter dem Eindruck der Bilder aus den Konzentrationslagern, das alles, wirklich alles getan werden muss, ähnliches zu verhindern, und sei es, auf wunderbare kulturelle Errungenschaften zu verzichten. Doch eben diese begründete Obsession, die aus Vernunft erwächst, gepaart mit dem rücksichtslosen Streben nach der abstrakten und konkreten Gleichheit aller, verstanden als totale Einebnung der individuellen Unterschiede, wie sie selbst die Kulturindustrie nicht vermag und an der die Sowjetunion folgerichtig scheitern musste, ist Gegenstand der Anklage. Es gibt einen Moment, in dem Harrison dieser gewahr wird, er die Spannung kurz aushält zwischen dem, was notwendig ist, und der die Individualität auslöschenden totalen Vernunft, die nichts kennen will als den logischen Fortgang der Geschichte. Doch in der Raserei des Liebenden verfällt er dem Unmittelbaren, dem Akt der trotzigen Rebellion, die wiederum nichts kennt als seine verletzten Gefühle, seine eruptiven unkontrollierten Regungen. Und das Ausstrahlen seines Programms, wäre es erfolgreich, hätte nichts anderes zur Folge als den entfesselten Neid der Mittelmäßigen auf die Privilegierten, der in Hass und Bluttat umschlägt. Auch wenn man es so sehen mag: Harrison ist letzten Endes nicht Erlöser, sondern Verkünder eines blutigen Aufstandes, der nicht stattfindet, da er von der Form des Mediums verschluckt wird, welches er für seine Ziele nutzbar machen will. Auch sein letzter Hilfeschrei, die Verzweiflungstat eines jungen Mannes, dessen erste große Liebe nicht etwa „nur“ getötet wurde, sondern als geistlose Hülle dahinvegetiert, im Namen eines Ideals, dem er folgen, viel schlimmer noch, dessen gleisnerische Fackel er forttragen soll, verhallt ungehört unter den Gleichen.
Und doch, leise und behutsam, mit zittriger Stimme klingt der Film aus, verkündet die leisen Töne der Hoffnung und kritzelt sanft ein Lob auf die Individualität unter die Formeln an der Tafel. Ein Ausklang, der den Glauben bestärkt, dass, wenn auch mit vorsichtigen Schritten, eine Veränderung im Sinne einer freieren Menschheit vonstatten geht. Doch dem erleichterten Zurücklehnen folgt unweigerlich das unbedingte Vertrauen in die Fertigstellung der Atombombe durch den Iran und man hofft, dass sie irgendwo da draußen sein mögen, die John Claxtons dieser Welt, und dass sie bereit sind Entscheidungen zu treffen, die Leben kosten, um Leben zu retten. Eine widersprüchliche Hoffnung, die der Realität nicht abgetrotzt, sondern ihr geschuldet ist.

Das letzte Wort soll dem Autor der Kurzgeschichte, welche diesem Film zugrunde liegt, oder vielmehr einem Mann, welchen der Autor auf die Frage nach der Möglichkeit einer anderen besseren Gesellschaft am Wheaton College zitierte, überlassen werden:
„From each according to his abilities. To each according to his needs.“

Schlaubi

P.S.: Leute, die sich gern ihre Home Entertainment Anlage aufstocken, kaufen sich einen NTSC fähigen Videorecorder und ordern den Film (gibt es im Original nur auf VHS) aus den Staaten, das erhöht den nerd-Faktor und man kann sich von Freunden für bekloppt erklären lassen. Sparsame Menschen können ihn auch über einschlägige Kanäle aus dem Internet herunterladen. Im Deutschen trägt er übrigens den unglaublichen Titel „IQ Runners – Aufstand der Untermenschen“. Da schreib ich jetzt mal nix zu.

Anmerkung

(1) Jüngeren Semestern dürften diese nicht mehr ganz geläufig sein. Laserdiscs waren der Vorläufer von CDs, nur größer und mit weniger Speicherplatz versehen. Dies Format ging als ein weiteres gescheitertes Marktexperiment Sonys in die Analen der digitalen Entwicklung ein, ebenso wie Minidisc und bald auch BluRay.

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last modified: 28.3.2007