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TEENAGE ANGST REVISITED

Das Ende der (vermeintlich) guten alten Zeiten

Es war einmal eine Zeit, als noch Hoffnungen in DIE JUGEND gesetzt wurden. DIE JUGEND galt als progressiv, als Trägerin des Potentials, die bequeme Selbstgewissheit der Gesellschaft herauszufordern. Nun haben es Hoffnungen so an sich, dass sie auch enttäuscht werden können. So erging es dem Journalisten Diedrich Diederichsen im Jahre 1992. Schockiert vom Anblick cool-subkulturell ausstaffierter jugendlicher Angreifer beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und von „Energie, Power, Bürgerschreck – kurz: Jugendkultur at its best!“ bei Konzerten von Störkraft, gab er seinem Text in der damaligen November-Ausgabe der Zeitschrift SPEX den Titel „THE KIDS ARE NOT ALRIGHT“ (28). Damit korrigierte er seine Annahme, DIE
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JUGEND sei per se in Ordnung. Nun war diese Annahme nicht gänzlich unbegründet, allerdings erwuchs sie aus der spezifischen historischen Situation der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland. In der Tat stand DIE JUGEND spätestens seit den 1960er Jahren im Unterschied zu den allermeisten Angehörigen der vorangegangenen Generationen zumindest nicht mehr unmittelbar in der personellen und ideologischen Kontinuität des Nationalsozialismus. Vielmehr wuchs sie in relativem Wohlstand vorwiegend mit angloamerikanischer Populärkultur auf und forderte in Teilen öffentlich vernehmbar und durchaus erfolgreich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein.

Jugend und Veränderung

Ein Blick auf die Situation zu Beginn der 1930er Jahre verdeutlicht hingegen, dass die Forderung nach gesellschaftlicher Veränderung zwar durchaus an eine positive Bezugnahme auf Jugend gekoppelt war, damit jedoch noch nichts über den Inhalt des jugendlichen Veränderungswillens gesagt ist. Nicht zufällig stimmen zum Ende des Films „Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt?“ (1932), unter Mitwirkung Bertolt Brechts produziert für die KPD-nahe Prometheus Film GmbH, die jugendlichen Protagonisten Annie und Fritz sowie andere junge Arbeiterinnen und Arbeiter, körperlich ertüchtigt im sportlichen Wettkampf, voller Geschichtsoptimismus das „Solidaritätslied“ (Musik: Hanns Eisler, Text: Bertolt Brecht) an, während sich Annies Eltern hilflos ihrem Abstieg fügen. Die angegebene Richtung der Reise – VORWÄRTS! – vermag allein jedoch keine Eindeutigkeit herzustellen, ebenso wenig Annies Antwort auf die Frage eines offenbar wohlhabenden Mannes mittleren Alters, wer denn die Welt verändern könne: „Die, denen sie nicht gefällt.“
Nun fanden allerdings auch die Nationalsozialisten wenig Gefallen an der Welt zu Zeiten der Weimarer Republik, auch sie schritten mit jugendlichem Optimismus zur Tat – wobei sie die „Völker dieser Erde“ im Sinne der „jungen Völker“ (Moeller van den Bruck) „selber reden“ ließen. Schließlich nahm DIE JUGEND auch in der faschistischen wie nationalsozialistischen Ideologie eine zentrale Stellung ein. In der Vorstellung seiner Führer war der Faschismus, so Zeev Sternhell in seinem Essay Faschistische Ideologie (1976, in deutscher Sprache: Berlin 2002), „vor allem eine Revolte der jüngeren Generation.“ (62) So zitiert er unter anderem den führenden britischen Faschisten Oswald Mosley, der im Jahre 1932 feststellte, dass das vorangegangene Jahrzehnt weniger durch Unterschiede zwischen politischen Parteien als durch die Trennung der Generationen gekennzeichnet gewesen sei. Auch die nationalsozialistische Barbarei war nicht dem hohen Lebensalter ihrer führenden Protagonisten zuzuschreiben. Adolf Hitler war im Januar 1933 mit 43 Jahren jünger als alle Reichskanzler seit 1922, jünger auch als alle Bundeskanzler sowie Ministerpräsidenten und Staatsratsvorsitzenden der DDR bei deren Amtsübernahme. Kaum ein führender Nationalsozialist hatte zu jener Zeit bereits die 40 Jahre überschritten. Zudem wurde die Hitler-Jugend genannte NSDAP-Organisation für 10-18-Jährige mit dem Gesetz über die Hitlerjugend (1936) sowie der Einführung der Jugenddienstpflicht (1939) zur obligatorischen Erziehungsinstanz neben Familie und Schule gemacht. Indem er nun die Nationale Revolution gegen das politische Establishment der Bundesrepublik in Stellung bringt und dabei auf den Anschluss an Jugendkulturen setzt, steht der außer- wie innerparlamentarische Nazismus der vergangenen Jahre der originären nationalsozialsozialistischen Bewegung näher als der defensiven Nostalgie der buchstäblichen Gründungsväter der NPD in den 1960er Jahren.

Die Jugend von heute und die Angst des Herrn Professor Hurrelmann

Insofern ist es zunächst einmal mit nur einem weinenden Auge zu betrachten, wenn nun allenthalben vom Pragmatismus der heutigen Jugend die Rede ist – so auch in der aktuellen Studie der Shell Deutschland Holding (Hg.): Jugend 2006 (Frankfurt a.M. 2006). Deren Untertitel lautet: Eine pragmatische Generation unter Druck. Für die Studie, zum 15. Mal seit 1953 erstellt, wurden 2500 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 zu ihrer Lebenssituation, ihren Wertvorstellungen und ihrer Einstellung zur Politik befragt. Aus Anlass ihrer Veröffentlichung am 21.09. widmete das Zweite Deutsche Fernsehen der Jugend von heute eine dreistündige Themennacht, in der auch Klaus Hurrelmann, Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld und Leiter der Studie, ausführlich zu Wort kam. Dazu aufgefordert, die Ergebnisse der Studie zusammenzufassen, konstatierte er, dass die letzte Studie aus dem Jahre 2002 eine Trendwende markiert habe, die sich in der neuen Studie bestätige. Demnach sei der Trend der vorangegangenen Jahre in Richtung Lebensgenuss und Selbstentfaltung abgelöst worden von einer stärkeren Orientierung auf Fleiß, Ehrgeiz, Ordnung und Sicherheit. Schließlich ließ sich der Wissenschaftler gar zu folgender Aussage – man kann angesichts seiner eigenen Verlegenheit sagen: hinreißen: „Man kann schon langsam, wenn man das mal pädagogisch bewertet, ein bisschen Angst bekommen: so viel Leistungsorientierung, so viel Ehrgeiz, so viel Sicherheitsstreben ... mmmh ... das passt zu einer jungen Generation ... auch nur begrenzt. Ich glaube, das reicht jetzt, ne. Also, das ist ne Bewertung, so.“ Und diese ist wahrlich unzeitgemäß. Denn obwohl und weil die Sorgen um den derzeitigen oder zukünftigen Arbeitsplatz (Anstieg von 55% auf 69%) sowie die Angst vor Armut (Anstieg von 62% auf 66%) zunehmen, die Zahl der zuversichtlichen Jugendlichen sich (von 56% auf 50%) verringert (15), steht fest: Für gepflegtes Selbstmitleid bleiben weder Zeit noch Geld. Gegen Sicherheit (5,5), Fleiß und Ehrgeiz (5,6) sowie Gesetz und Ordnung (5,6) sieht der Lebensgenuss (5,3 auf einer Skala von 1 bis 7) kaum noch einen Stich (177). Damit sich die Entbehrungen zumindest auszahlen, sollte, so die Argumentation der Autoren, zumindest keine zusätzliche Konkurrenz durch Migranten entstehen (199). So sprechen sich 58% der Jugendlichen – im Vergleich zu 46% im Jahre 2002 – dafür aus, „in Zukunft möglichst weniger Zuwanderer als bisher in Deutschland aufzunehmen.“ (21) Da nun draußen all die Widrigkeiten warten, ist es gut zu wissen, dass wenigstens daheim die Welt weitestgehend in Ordnung ist: 71% würden ihre Kinder in etwa so erziehen, wie sie selbst erzogen wurden (58).

Fazit

Weder die kauflustigen Familienmenschen noch die Technikfreaks treffen sich im Jugendzentrum (79).

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last modified: 28.3.2007