Über den Zusammenhang von Ostidentität und nationalem Sozialismus
Von Mario Möller
Im Osten hat sich im Laufe der Jahre eine flächendeckende in der Sache
nazistische Systemfeindschaft etabliert. Allenthalben wird gefordert, das
nazifaschistische Bündnis von Staat und Bevölkerung, das den
Volksstaat (Enderwitz, 1998) in all seinen Konsequenzen
hervorbrachte, neu zu beleben. Der Volksstaat deutscher Prägung im NS
hatte es geschafft, sowohl die Ungezügeltheit des Bürgertums und der
Marktrepräsentanten zu bändigen, als auch den Verwertungszusammenhang
der bürgerlichen Gesellschaft mit den Interessen der unteren Klassen zu
verbinden. Neben dem Kurzschluss von Staatsmacht und Kapital findet der
Volksstaat in der gleichzeitigen Verbindung der Staatsmacht mit der Arbeit
seine Entsprechung (vgl. ebd., S. 116 f.). Er sorgt für eine
klassenübergreifende Wahrung der Interessen, ohne den
Verwertungsmechanismus zu gefährden. Gesichert wird dieses Arrangement,
indem das Bürgertum die Negativfolie des
Liberalitätsjuden (Enderwitz) sozusagen als Abschreckung vorgehalten
bekommt, sollte es sich aus partikularen Interessen verweigern.
Wird der Staat diesem Anspruch nicht gerecht z.B. in Form eines zu
laschen Umgangs mit Migranten oder des abweichenden Verhaltens
Verdächtiger , dann wird auch einmal selbst Hand angelegt. Das
rassistische und antisemitische Subjekt will vor...(der) kapitalen
Entwertung fliehen, indem es deren Logik radikalisiert und sie im Fortschritt
von der juristischen über die nationalistische zur rassistischen
Vergleichung überbietet. Nation erscheint ihm als das kompromißlose
Anti der Konkurrenz, Rasse als das ultimate Heilmittel seiner
Überflüssigkeit. In seiner doppelten Konstitution als kapitales und
politisches Subjekt versucht es, sich aus der Ausbeutung in die Herrschaft zu
flüchten. Der Souverän soll den Citoyen vor dem Bourgeoise retten. Er
soll die unter dem Titel des Subjekts vollzogene Beschlagnahmung des
Individuums für kapitale Zwecke gefälligst als Pflicht zur
Fürsorge verstehen. Nicht mit der Vergleichung der Individuen zu Subjekten
soll derart gebrochen werden, sondern einzig mit dem Maßstab ihrer
Vergleichung. Das ist der soziale Inhalt der konformistischen Revolte, die sich
in der Mordbrennerei austobt (Bruhn, 1994, S. 154).
Die machen doch hier alles platt
Da die erhofften blühenden Landschaften für die ostdeutschen
Volksgenossen sich nicht bewahrheiten sollten, sondern immer deutlicher wurde,
dass das in die Form des Subjekts gebannte Individuum der kapitalisierten
Gesellschaft (
) ein bloß zeitweilig mit kapitalproduktiven Aufgaben
betrauter Staatsbürger (ebd., S. 151) ist und man sich praktisch
von den Brüdern und Schwestern aus dem Westen betrogen wähnte, zogen
sich die im nationalen Taumel befindlichen Zonis regressiv auf die Gemeinschaft
früherer Tage zurück.
Die DDR-Gesellschaft war in hohem Maße über Arbeit integriert und es
drängt sich bezüglich der Betonung der Kollektive der Vergleich mit
den NS-Betriebsgemeinschaften (vgl. Krell, 1994) faktisch auf. Dem Vorwurf der
Unproduktivität des ostdeutschen Arbeitsmannes wurde daher mit dem Verweis
auf die Tradition der schaffenden Arbeit gekontert. Nicht selten
war der Restrukturierungsprozess der ostdeutschen Ökonomie nach der Wende
mit der Herausbildung von produktiven Leistungsgemeinschaften
(Möller, 2000, S.21) verbunden, in denen die DDR-Betriebskultur bewusst
fortgeführt wurde und sich ein Pakt etablierte, wonach der Erhalt des
Unternehmens auch entgegen individueller Interessen im Vordergrund steht (vgl.
ebd., S. 21 f.).
Im Osten hat sich unter Rückgriff auf DDR-Traditionen ein
gesellschaftliches Klima etabliert, was sich anschickt, direkt an das
anzuknüpfen, was u.a. konstituierend für den Nationalsozialismus war
und immer noch ist. Der offensive Bezug auf die Scholle, Tradition,
Gemeinschaft und Arbeitsethos, gepaart mit einem Krisenbewusstsein, das in der
DDR konserviert wurde und welches sich seit der Wende Bahn bricht: Demnach ist
der Staat nicht nur Garant der Ordnung, sondern die Anklageinstanz für
eine krisenfreie Akkumulation. Der Osten entwickelte sich im Zuge dieser
wahnhaften Vorstellung zu einer Art Trutzburg, wo kollektiv die eigene
Opferrolle beschworen und reproduziert wird; wo man sich beständig
verfolgt oder wahlweise betrogen wähnt; wo jedes individuelle Unglück
als Angriff einer äußeren Macht auf das eigene Kollektiv
halluziniert wird. Bei den Verfechtern dieses paranoiden Lokalpatriotismus
handelt es sich keinesfalls nur um solche Fälle, die man als gestrandete
Wendeverlierer bezeichnen könnte. Es geht um ein allgemeines ostdeutsches
Phänomen. Die Paradoxie im Osten besteht dann lediglich darin, dass man
sozusagen zugleich der Nazi sein kann, den man im jugendlichen und als
rechtsextremistisch diffamierten Kameradschaftsdeppen bekämpft und dem man
mittels Lichterketten bedeutet, dass er dem (Standort-)Kollektiv schadet.
Da die Betriebe in der DDR faktisch als Lebensraum galten, quasi
Lebensmittelpunkt und in gewisser Weise auch Sozialisationsinstanz waren, werde
ich mich auf die Arbeits- und Sozialbeziehungen der DDR konzentrieren, wo
traditionell deutsche Werte konserviert wurden und deren Fortleben unter den
Bedingungen des Kapitalismus skizzieren. Die daran anschließend
beispielhaft ausgewählten Statements sind als ein Gradmesser für ein
gesamtes gesellschaftliches Klima im Osten zu betrachten; für einen
ostdeutschen Anti-Kapitalismus, der als flächendeckender
Konsens gilt und den man ohne Wenn und Aber als konformistische
Revolte (Bruhn) kennzeichnen muss: Kapital ohne Markt, staatliches
Gewaltmonopol ohne parlamentarische Schwatzbude, Ausbeutung ohne
Tarifverhandlungen, Herrschaft ohne Wahlen (vgl. Bruhn, 1994, S. 155).
Ostdeutsche kultivieren die berechenbare Gemeinschaft früherer Tage,
lehnen den Westen als Wertekonzept ab, weisen einen starken Bezug
zur schaffenden Arbeit auf und nicht zuletzt gilt der Staat als
letzte Sicherungsinstanz und Adressat des gesunden Volkswillens.
Die Arbeits- und Sozialbeziehungen in der DDR und deren Fortführung
nach der Wende
Die DDR war in einem hohen Maße über Arbeit bzw. die betriebliche
Sphäre integriert. Die Betriebe waren Lebensmittelpunkt, da die
DDR-Ökonomie von einer hohen Erwerbsquote in Verbindung mit einer
über die Betriebe strukturierten Sozialpolitik(1) gekennzeichnet
war (vgl. Kohli, 1994, S. 38 f.).
Während die (kapitalistisch) übliche Entwicklung eine Auslagerung der
Elemente bedeutete, die nicht unmittelbar dem Produktionszweck dienten und
damit als Nebeneffekt eine von Betrieb und Arbeitswelt abgetrennte
Lebensführung ermöglichte und dafür als funktionelles
Äquivalent den Sozialstaat verlangte, wurde diese Entwicklung in der DDR
nicht nur vernachlässigt, sondern traditionelle Verhältnisse wurden
letztendlich stabilisiert (vgl. Lutz, 1995, S. 140 ff.).
Trotz zum Teil schlechter Arbeitsbedingungen blieb der Betrieb die
zentrale Organisationseinheit der Lebensführung, da er sogleich Ort
sozialpolitischer Versorgung war (Lepsius, 1994, S. 24). Der Arbeiter
galt in der DDR, wie auch im NS, als Bezugspunkt jeglicher Argumentation, was
letztlich in der Affirmation der schaffenden, produktiven
Tätigkeit zum Ausdruck kam. Es wurde eine Rückbesinnung zu
traditionell deutschen Werten erreicht, indem Produzentenethos und Berufsehre
betont wurden (vgl. Lüdke, 1994, S. 188, 200 ff.). Einen zentralen
Stellenwert in dieser Konstellation hatten die Brigaden, die über die
betriebliche Sphäre hinaus wirkten und nicht selten bei organisierten
Freizeitaktivitäten endeten, worüber ein intensiver lebensweltlicher
Bezug hergestellt wurde (vgl. Roeseler, 1994). Der Betrieb galt in den Augen
der Beschäftigten als Lebensraum (Lutz, 1995), dessen
vermeintliche menschliche Wärme von vielen Ostdeutschen heute immer noch
betont wird.
Die betrieblichen Sozialbeziehungen waren darüber hinaus durch eine
passive Stärke der Beschäftigten und den
Planerfüllungspakt (Vosskamp/ Wittke, 1991, S. 30 und 31)
gekennzeichnet informelle Arrangements prägten im Allgemeinen die
Beziehungen der Akteure. Funktionsmängel der Planwirtschaft stärkten
die Position der Beschäftigten: Sie konnten die Auswirkungen der
typischerweise auftretenden Funktionsmängel ein Stück weit
kompensieren, indem sie die engen Aufgabenzuschnitte und rigiden
Kompetenzabgrenzungen aufweichten und in langjähriger
Betriebszugehörigkeit aufgebaute informelle Kontakte nutzten, und so die
ärgsten Ablaufprobleme abmilderten sie konnten es aber auch lassen!
(vgl. ebd., S. 31).
Nach der Wende stellte sich für das Management der zum Teil als
Ausgründung entstehenden Unternehmen die Alternative, diese gewachsenen
Gemeinschaften entweder zur Bedeutungslosigkeit zu degradieren oder aber zu
nutzen. Die Belegschaften vieler dieser kleinen Unternehmen bestanden zu einem
Großteil aus dem ehemaligen Kollegenkreis der Kollektive. Daher waren
jene Strategien recht erfolgreich, die auf eine Wertschätzung der
Traditionsbestände, wie etwa der Kollegialität, setzten. Der
Unternehmensführung, die oft aus ehemaligen Kollegen bestand, welche die
finanziellen Mittel zur Unternehmensgründung aufbringen konnten, gelang es
in solchen Fällen mit einem integrationsorientierten
Belegschaftsbezug positiv an die überkommene soziale Kohäsion
anzuknüpfen und die Belegschaften für ein z.T. sehr weit gehendes
betriebliches Rationalisierungskonzept zu gewinnen. (Schmidt, R., 1995,
S. 455). Gegen Kollegialität ist an sich ja nichts einzuwenden. Allerdings
erfolgte eine Wandlung: es ging nicht mehr nur darum, sich den Arbeitsalltag
angenehmer zu gestalten, sondern man verstand sich als Überlebens- und
Wehrgemeinschaft. Diese Vorstellung umfasste reflexartig alle Lebensbereiche
über den betrieblichen Rahmen hinaus.
Empirische Befunde Solidarischer Kapitalismus in
Ostdeutschland
Einige eher zufällig zustande gekommenen empirische Befunde aus
Betriebsfallstudien vor allem in meiner Fallstudie eines ostdeutschen
Werkzeugbauunternehmens, das im wahrsten Sinne des Wortes in ostdeutscher Hand
ist, lassen zumindest eine Tendenz erkennen, wie Gesellschaft im Osten gedeutet
wird(2).
Wir wehren uns dagegen, den Menschen als Ware zu betrachten
(Geschäftsführer während eines Vortrages).
Ich muß sagen, es ist eine starke Gemeinschaft. Und ich halte
das also auch von meiner Seite aus so, daß ich diese Gemeinschaft auch
pflege und hege, denn jeden den ich einstelle, sage ich klipp und klar, nicht
aus dieser Gesellschaft auszubrechen, sich nicht als Eigenbrödler zu
machen, sondern in dieser Gemeinschaft mitzuarbeiten.
(Der Wessi) muß in das zusammengefügte Kollektiv (passen,
M.M.), ich bin zwar nicht so der Typ, aber da alles Ossis sind... Wissen Sie
ich kenne das von meiner Frau, meine Frau ist auf dem Gymnasium Lehrer, alles
Ossis, da kam plötzlich ein Wessi-Lehrer - katastrophal. Der hat ein
Kollektiv, was zusammengewachsen war ... hat der gesprengt. Der bringt das
fertig. [sic!] Und das möchte ich hier nicht haben. ... Wir sind auch
nicht, ... die Leute sind auch nicht in der Gewerkschaft
(interviewter Geschäftsführer meiner Fallstudie).
Der strikten Weigerung auch nur zu realisieren, dass der Mensch im Kapitalismus
nichts weiter ist, als potentieller Verkäufer seiner Arbeitskraft, folgt
die fast schon paternalistisch-paranoide Ablehnung individueller Abweichung.
Dem Unbelehrbaren in Form des Wessi-Lehrers wird die besondere
Fähigkeit und Übermacht angedichtet, den ostdeutschen Laden zu
sprengen. Alles, was man der individuellen Abweichung verdächtigt und was,
wie fälschlicherweise angenommen in Form von Gewerkschaften, nach zu viel
Eigeninteresse anmutet, gilt als Gefahr.
Gemeinschaft, Ostbezug und Anti-Kapitalismus
Westdeutschland gilt als Verkörperung eines auf Formalismus,
Individualismus und Egoismus basierenden zügellosen Kapitalismus, dem die
Ostdeutschen ein Konzept entgegenstellen, welches die konkret-produktiv
erscheinende Form des Kapitalismus affirmiert und in dieser traditionelle
DDR-Tugenden und Umgangsformen (Betriebskulturen) beibehalten und sogar
offensiv propagiert werden. Nicht selten basiert diese betriebskulturelle
Hegemonie auf einem expliziten Paternalismus der Geschäftsführer und
auf einem Gründungsmythos der entsprechenden Firmen
Die eher regressiven Betriebsgemeinschaften der DDR, wo der deutsche
Arbeitsethos aus alten Tagen bestens gepflegt wurde und man, aus welchen
Gründen auch immer, zusammenhielt u.a. gegen die ungeliebte
Obrigkeit existieren fort. In Ostdeutschland existiert ein
unhinterfragter, fast schon militanter Gemeinschaftsbezug der Akteure und man
begreift die betriebskulturellen Biotope praktisch als Rückzugsgebiet vor
dem Kapitalismus der ungeliebten, westlich-dekadenten und unpersönlichen
Art.
Neben dem Verharren auf gemeinschaftsorientierte Betriebs- als auch
Alltagskulturen, die auf Gleichmacherei basieren, ist für die Ostdeutschen
charakteristisch, dass sie originär westliche Werte wie Individualismus
und im weitesten Sinne Bürgerlichkeit ablehnen. Der historische
Gebrauchswert des Kapitalismus, die Menschen aus ihren kleinen, halb
barbarischen, halb zivilisierten Gemeinwesen (Marx, 1972, S. 441) zu
befreien: aus Gemeinwesen, die die Menschen in Unmündigkeit, Aberglaube
und despotischer und persönlicher Abhängigkeit verkümmern
ließen; aus Zuständen, die den Menschen unter das Joch
äußerer Umstände zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher
der Umstände zu erheben (ebd., S. 442): kurz: die radikale
Revolutionierung der sozialen Verhältnisse (ebd., S. 442) gilt dem
Ossi als einzige Zumutung. Dieser Bedrohung wird im Osten ein
Gemisch aus regressiver Gemeinschaft mit wahnhafter Verteidigung der Scholle,
Sicherheitsstreben, deutschem Arbeitsethos mit einem Hang zum
Arbeitsspartanertum entgegengesetzt, und als wäre dies nicht schon genug,
wird keine Gelegenheit ausgelassen, sich als das dauernde Opfer zu
präsentieren die Selbstethnisierung zur ostdeutschen
Schicksalsgemeinschaft.
Nicht wenige ostdeutsche, auf dem Gerüst des Arbeitsethos, der
Gemeinschaft und des Führungspaternalismus aufgebaute Unternehmen pflegen
darüber hinaus sowohl von Beschäftiger- und Beschäftigtenseite
ein ausgesprochen distanziertes Verhältnis zu Gewerkschaften, die als vom
Westen infiltriert gelten und betrieblicher Mitbestimmung überhaupt. Mit
anderen Worten: die in Deutschland ohnehin gering ausgeprägte
Konfliktbereitschaft der abhängig Beschäftigten erfährt unter
diesen Gesichtspunkten ein nochmaliges Unterschreiten eines auf dem Widerspruch
Kapital-Arbeit basierenden Standards der Interessenwahrnehmung der
hauseigene Kapitalist wird hier keinesfalls als Vertreter
divergierender Interessen begriffen, sondern mindestens als Retter vor der sich
im Zuge der Deindustrialisierung der DDR-Ökonomie immer mehr
abzeichnenden und damit ins Bewusstsein tretenden Überflüssigkeit
gefeiert. Wo einem außer der geliebten Arbeit nichts mehr geblieben ist
außer der permanenten Unsicherheit, da findet selbst im Extremfall keine
Konfliktaustragung statt.
Die Interpretation der kapitalistischen Wertvergesellschaftung im Osten
hat in ihrer Struktur bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Modus, den
Moishe Postone in seinem Aufsatz Nationalsozialismus und
Antisemitismus beschreibt: die Personalisierung und damit Identifizierung
bestimmter Personengruppen mit dem Kapitalismus in seiner Erscheinung.
Meiner Deutung nach wurden die Juden... nicht nur mit dem Geld, das
heißt der Zirkulationssphäre, sondern mit dem Kapitalismus
überhaupt gleichgesetzt. Diese fetischisierende Anschauung schloß in
ihrem Verständnis des Kapitalismus alle konkreten Aspekte wie Industrie
und Technologie aus. Der Kapitalismus erschien nur noch als das Abstrakte, das
wiederum für die ganze Reihe konkreter gesellschaftlicher und kultureller
Veränderungen, die mit der schnellen Industrialisierung verbunden sind,
verantwortlich gemacht wurde (Postone, 2000, S. 5).
Was dem Volksgenossen im Dritten Reich der Jude war, nämlich
Repräsentant des Kapitals und darüber hinaus die Personifikation von
dessen zerstörerischer, mächtiger und demnach unbegreiflicher Macht
(vgl. ebd., S. 3), das sind einer antisemitischen Denkstruktur folgend dem
Ostdeutschen die Okkupanten aus dem Westen und darüber hinaus
alle Fremden.
Exkurs: Generationenkonflikt im (ost-)deutschen Lager
Auf betrieblicher Ebene könnte, wie Vergleiche der Gruppen unter
bestimmten industriesoziologischen Fragestellungen betreffs Zufriedenheit und
Interpretation der sozialen Beziehungen nahe legen, künftig in etwas
anderer Form der Konflikt zwischen Tradition im Sinne von tatsächlich
nationalsozialistischen Vorstellungen und einem an Deregulierung gewöhnten
Sozialcharakter zum Ausdruck kommen, was letztlich auch zu unterschiedlichen
Präferenzen und Wahrnehmungen der von allen favorisierten Gemeinschaften
in den unterschiedlichen Generationen führt. Ein Grund zur Hoffnung
bestünde eventuell, sollten sich tatsächlich in den jungen
Generationen gemeinschaftsskeptischere Sozialcharaktere herausbilden. Vieles
scheint jedoch dafür zu sprechen, dass der Konflikt lediglich ein
Verteilungskampf um die letzten Reste der auf den Resultaten des NS basierenden
Nachkriegsordnung ist. Gegen die eigene Brut und ihre
nationalrevolutionären Zumutungen verteidigen die Noch-Nutznießer
der letzten nationalen Revolution zäh deren Errungenschaften: Pension,
Rente und kündigungsgeschützten Arbeitsplatz. Sie werden verteidigt
gegen die, die ebenfalls in den Genuß dieser Errungenschaften kommen
wollen und mit ihrem Haß gegen das Undeutsche
überdeutlich enthüllen, worauf sich der Anspruch der Alten allein
gründet: Aufs Deutschsein. ... Die Jungen reklamieren für sich das
nationalsozialistische Ticket, das die Alten ihnen verweigern, weil es nur noch
von ihnen selbst eingelöst werden kann Gnade der frühen
Geburt (Krug, 2000, S.23). In einem bleiben aber Junge wie Alte konform:
Die Ablehnung des nunmehr geforderten Lebensmodells des nicht mehr unmittelbar
volksstaatlich verankerten autarken Selbstversorgers (Krug), der
lediglich in privater Absicht am Bruttosozialprodukt werkelt und Distanz zum
Staat hält.
Fazit
Im Osten hat sich über die Jahre und mit der Verschärfung der
ökonomischen Rahmenbedingungen und der Wahrnehmung der Krise ein
lokalpatriotisches Bewusstsein verfestigt, das klipp und klar als
nationalsozialistisch zu kennzeichnen ist. Gemeinschaft, antiwestliche bzw.
antibürgerliche Ressentiments, Arbeitsethos und eine autoritäre
Grundstimmung des Alltages (Abweichung als Bedrohung) eignen sich bestens, um
den Anspruch, wirklich deutsch zu sein nämlich zu Arbeit und
Tod geeignet und gewillt (Bruhn, 1994, S.107) zu
erheben und dieses Lebensgefühl auch aktiv auszuleben.
Die ostdeutsche Gemeinschaft der ewigen Opfer zeichnet sich durch eine hohe
Binnensolidarität aus und dies beinhaltet spiegelbildlich auch
den konsequenten Ausschluss derer, die laut Definition nicht dazugehören:
Fremde, Unnütze, verdächtige Störer des Betriebsfriedens. Es
entsteht darüber hinaus eine Systemfeindschaft gegen das angeblich
westlich dominierte und damit irgendwie unlautere politische System. Trotz der
vermeintlichen generationsbedingten Unterschiede bleiben zumindest zwei
wesentliche Gemeinsamkeiten: Die Selbstethnisierung zur ostdeutschen
Opfergemeinschaft und der Anspruch, das richtige und wahre deutsche
Volk zu verkörpern.
Dieses Bewusstsein spiegelt sich in Wahlergebnissen für die NPD wider, wie
die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt haben. Dabei ist aber die
NPD keinesfalls das eigentliche Problem, genauso wie die groß angelegten
Anti-Rechts-Kampagnen seit dem Jahre 2000 nicht die Lösung darstellen. Die
NPD ist für jüngere, wie die Wahlstatistiken gezeigt haben,
Träger und Ausdruck einer Welterklärung, die die Alten
noch bei der Linkspartei finden. Ein Bewusstsein, in dem asoziale Zustände
mit einem urdeutschen Krisenbewusstsein sich verschmelzen und das sich
keinesfalls auf so genannte organisierte Rechtsradikale beschränkt,
sondern das flächendeckend im Osten anzutreffen ist. Der Aufstand der
Anständigen mit der bewegungslinken Antifa als Avantgarde widmet sich in
Reaktion auf die Verrohung des Ostens in völliger Betriebsblindheit jedoch
irgendwelchen faschistischen Strukturen, die aufgedeckt und bekämpft
werden sollen. Dieser als Lösung angepriesenen Volksfront ist allerdings
gründlich zu misstrauen. Denn diese selbst bedient das Prinzip
faschistischer Mobilmachung(3): als protestierender
Volksbrauch rotten sich Menschen zusammen, um sich zu
entrüsten über irgend etwas, was mit dem Sinn der Gemeinschaft nicht
zu vereinbaren sei (Adorno, 1993, S. 65).
Alles in allem reden jene sich wähnende Antifaschisten von vornherein am
Problem vorbei, die beständig die Nazis in Form von organisierten und
mittels Kleiderordnung sichtbaren Kameradschaftsmitgliedern verorten.
Unmissverständlich wäre zu diagnostizieren: Nazi ist, aus wem der
nationalsozialistische Jargon nur so heraussprudelt: zuvörderst der
Zonen-Patriot.
Literatur:
Adorno, Theodor W. (1993): Einleitung in die Soziologie, Vorlesung 1968,
Frankfurt am Main.
Bruhn, Joachim (1994): Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der
Nation, Freiburg.
Dahlmann, Manfred (2000): Ideologie und NS-Staat, in: Bahamas Nr. 32, S.
52-57.
Enderwitz, Ulrich (1998): Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie
kapitalistischer Krisenbewältigung, Freiburg.
Hockerts, Hans Günter (1994): Grundlinien und soziale Folgen der
Sozialpolitik, in: Kaelble, Hartmut (Hrsg.): Sozialgeschichte der DDR,
Stuttgart, S. 519-546.
Kohli, Martin (1994): Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit,
Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Kaelble, Hartmut (Hrsg.):
Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart, S. 31-61.
Krell, Gertraude (1994): Vergemeinschaftende Personalpolitik: normative
Personallehren, Werksgemeinschaft, NS-Betriebsgemeinschaft, Betriebliche
Partnerschaft, Japan, Unternehmenskultur, München.
Krug, Uli (2000): Krieg der Generationen: Deregulation vs. Nationaler
Sozialismus, in: Bahamas Nr. 33, S. 21-24.
Lepsius, Rainer (1994): Die Institutionenordnung als
Rahmenbedingung der Sozial-Geschichte der DDR, in: Kaelble, Hartmut (a.a.O.),
S. 17-30.
Lüdke, Alf (1994): Helden der Arbeit - Mühen beim
Arbeiten. Zur mißmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der
DDR, in: Kaelble, Hartmut (a.a.O.), S. 188-216.
Lutz, Burkart (1995): Betriebe im realen Sozialismus als Lebensraum und
Basis-Institution, in: Schmidt, Rudi; Lutz, Burkart (Hrsg.): Chancen und
Risiken der Industriellen Restrukturierung in Ostdeutschland, Berlin, S.
135-158.
Marx, Karl (1972): Die britische Herrschaft in Indien, in: Marx/ Engels,
Ausgewählte Werke, Dietz Verlag Berlin
Möller, Mario (2000): Die Tradition der Sozialbeziehungen in der
Arbeitswelt Ostdeutschlands: Altlasten oder Zukunftspotentiale?,
Magisterarbeit, Jena.
Postone, Moishe (2000): Nationalsozialismus und Antisemitismus, in:
Kooperative Haina (Hrsg.): Reader zum 10. Antifa-Ratschlag in Jena.
Roeseler, Jörg (1994): Die Produktionsbrigaden in der Industrie der
DDR, in: Kaelble, Hartmut (a.a.O.), S. 144-170.
Schmidt, Rudi (1995): Die Bedeutung der sozialen Beziehungen für
die ostdeutsche Produktionsmodernisierung, in: Berliner Journal für
Soziologie, Heft 4, S. 455-462.
Vosskamp, Ulrich; Wittke, Volker (1991): Aus Modernisierungsblockaden
werden Abwärtsspiralen - zur Reorganisation von Betrieben und Kombinaten
der ehemaligen DDR, in: Berliner Journal für Soziologie, Heft 1, S. 17-40.
Anmerkungen
(1) Dazu zählen das betriebliche Gesundheitswesen,
Ferienobjekte, Geschäfte etc. (vgl. Hockerts, 1994).
(2)
Dem möglichen Einwand, es handele sich um individuelle Ansichten, die
nicht generalisierbar seien, muss entgegengehalten werden, dass diese angeblich
rein individuellen Meinungen bereits gesellschaftlich vermittelt sind. Die
scheinbare Besonderheit erfährt somit eine weitaus größere
allgemeine Bedeutung, als man gemeinhin annehmen möchte. In diesem Sinne
sind diese einzelnen qualitativen Aussagen tatsächlich Ausgangspunkt einer
Quantifizierung des Ganzen, oder einfacher: wie der Osten tickt (vgl. Adorno,
1993, S. 129). Ganz einfach wäre dies an den Leserbriefseiten jeder
x-beliebigen ostdeutschen Zeitung ablesbar.
(3)
Das wäre an anderer Stelle ausführlicher zu behandeln.
|