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Jules Vallès

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Endlich ein Gedenken


Das Plakat war schwarz, die Schrift war weiß, und die Seite war breit: Hommage an Jules Valles. Thomas Ebermann, Schorsch Kamerun, Rocko Schamoni und Frank Spilker lesen und besingen den Revolutionär und Aktivisten der Pariser Commune, am Samstag, 26. August 2006, im Conne Island. Die ungewöhnliche Veranstaltung war Teil des Geburtstagsprogramms im August. Sie hat etwas davon verwirklicht, wovon bei dem vorangegangenen Referat am Freitag theoretisch die Rede war: vom emanzipatorischen Potential innerhalb einer strukturell aufklärungshemmenden Formation bürgerlicher Gesellschaft, mit dem geläufigen Namen Kulturindustrie.
Wo man sich am Freitag bei der Diskussion am Ende nur definitiv einig werden konnte, dass es hier allein schon mit den begrifflichen Grenzbestimmungen nicht so einfach wäre, brachte unerwarteter Weise schon das Programm am Samstagabend ein strahlend praktisches Beispiel für ausdrücklich innerkulturindustrielle Möglichkeiten menschlicher Freilassung, oder was immer man als Emanzipation verstehen mag. Wo es am Freitag den Versuch gegeben hatte, positive Facetten von Massenkultur an Hand einer Gegenüberstellung von Elvis und Deutschland, bzw. liberaler und nationalsozialistischer Unterschiede in Sachen Kulturindustrie zumindest ein Stück weit konkret werden zu lassen, kreiste die prominent besetzte Veranstaltung am Samstag um einen im Allgemeinen völlig unbekannten, aber doch durch und durch konkreten Linksradikalen. Wo der Freitagabend gezeigt hatte, und sei es nur durch die Unmöglichkeit zum guten Schluss, dass die Durchbrechung kulturindustrieller Totalität auf einer rein theoretischen Ebene nur schwer vorstellbar ist und dass eine Lösung nur eine Frage der Praxis im Einzelnen sein kann, sprach die Veranstaltung am Samstag dahingehend gewissermaßen Bände.
Frank Spilker von den Sternen, Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen, Rocko Schamoni von Studio Braun und Thomas Ebermann sorgten dafür, dass es im Conne Island seit langer Zeit eine Besucherschlange von der Kasse bis an die Ecke des Cafès geschafft hatte. Entsprechend voll war es in der bestuhlten Halle, und viele der Besucher fanden es dann später überaus bedauerlich, dass eigentlich niemand der Vortragenden wirklich hätte vorlesen können. Jene saßen den Großteil der Zeit nebeneinander auf der Bühne, jeweils hinter einem kleinen Tisch, mit jeweils einer Schreibtischlampe drauf und Bier. Schade, dass es von vorne bis hinten unprofessionell gewesen sei, falsch gesungen und verlesen, zu viele minder witzige Scherze gerissen worden seien, und, kaum der Rede wert, es die auf weiten Strecken lieb- und lustlos dargebotene Musik auch nicht unbedingt gerissen hätte. Es sei schon ganz OK gewesen, aber eben nicht gerade hinreißend. Soweit der Bewertungstenor zur Veranstaltung. Das Versprechen ist aber eben ausdrücklich uneingelöst geblieben.
Dass der offenbare Dilettantismus der Performance ein zentrales Element der Inszenierung war, ist weniger eine Frage als die, inwieweit der auf der Bühne an den Tag gelegte Dilettantismus mehr als nur der mangelhaften Vorbereitung oder der Inkompetenz der Akteure zuzurechnen ist. Worum es jedoch hier ging, war die Show. Diese bewirkte, dass so richtig zufrieden am Ende wohl niemand hat sein können, nicht mit der Welt und nicht mit dem weitgehend unspektakulären Entertainment. Vielleicht liegt genau hier der irgendwie subversive Knackpunkt der Veranstaltung. Wo die Interessen am Pop solche der Informiertheit sind und sich der Diskurs über die Teilnahme am Spektakel oder Gegenspektakel legitimiert, war die Veranstaltung sicher mehr als nur ein Fest der versammelten Poplinken. Der Abend des unbekannten Revolutionärs funktionierte nicht als revolutionäre Ansteck-Gebärde. Eher war er das Gegenteil, indem er an der Selbstgenügsamkeit eines modischen Status Quo nagte. Vallès` Werk, so vorgetragen, ist alles andere als die unmittelbare Sinnlieferung einer individualistisch-anarchistischen Akte. Und auch mehr als gute Unterhaltung.
In der herrschenden Geschichtsschreibung kommen die Verlierer, wenn überhaupt, nur als Randnotiz vor. Die Erinnerung des Fehlschlags und seiner Bedingungen aber (z.B. der Pariser Commune, dem großen Symbol eines revolutionären Anlaufs), ist zumindest die Erinnerung an die potentielle Geschichtsmächtigkeit historischer Gesellschaftsindividuen. Die Entkleidung der Geschichte von ihrer ideologischen Legitimationsfunktion steht gegen eine Kulturindustrie, die die Produkte gesellschaftlicher Prozesse innerhalb ihres beschränkten Angebotsspektrums als natürliche und hinzunehmende Tatsachen ausweist. Die Wurzel, die die Radikalität in den Blick nimmt, kann für den Menschen nur der konkrete Mensch sein; hier vermittelt über Jules Vallès. Angetrieben durch die Vergegenwärtigung einer kulturindustriell zum Vergessen verurteilten, nach wie vor unabgegoltenen revolutionären Möglichkeit, wird so zum Einen an einen nach wie vor kritischen Zustand der Gesellschaft erinnert, an dessen Maß die Theorie wiederum kritisch zu werden hat, und zum Anderen an die Sehnsucht nach einem Besseren. Verlierergeschichte lesen und positiv wenden, eine Hommage an den konkreten Akteur einer aufgeblitzten Alternative, eben an einen Vorschein menschlicher Gesellschaft, an einen sich kaum zum Helden eignenden radikaldissidenten Revolutionär, eine Ehrerbietung an die Kämpfenden und an alle im Überlebenskampf der kommunistischen Baustelle Gestorbenen, das war, so gesehen, die Hommage an Jules Vallès.
Vorgelesen wurden Fragmente aus verschiedenen von Vallès verfassten Texten. Dort war von ihm selbst und von Anderen, von verschiedenen Zeiten und Orten, von kleineren Ereignissen in Vallès` Leben, von der Pariser Commune, von Paris und Frankreich die Rede. Der von der kritischen Theorie geforderten Aufhebung des konkreten Einzelnen hat nicht nur der vorgetragene Text entsprochen, als Fragment eines mehr oder weniger weit gehenden Großen und Ganzen, sondern auch die an die Wand geworfenen Fotos, von Vallès zum einen, von Szenen der Pariser Commune zum andern. Die Bilder rückten meistens dann in Spannung zu den Textfragmenten, wenn von den Vortragenden zwischendurch unmittelbar über Bilddetails wie beispielsweise die trinkende und möglicherweise betrunkene Frau hinter einer Barrikade gesprochen wurde – genau dann, wenn das Bild als Bild besprochen wurde. Trotzdem ist hinter dem historischen Augenblick im Bild die ganze Geschichte quasi materialistisch repräsentiert.
Die ganze Konstellation des Samstagabends gelang auch deshalb so gut, da die auf der Bühne versammelten, zerschlagen-souveränen Profidilletanten, ob sie das im Sinn hatten oder nicht, in einer unendlich gelassenen Bühnenroutine auch dem Publikum den kritischen Spiegel vorgehalten haben: bitte Putzlicht, das werdet ihr doch wohl hinkriegen, immer zum Refrain. Das war nicht nur alberne Unterhaltung, sondern hat, wenn man so will, auf den (!) Verblendungszusammenhang reflektiert. Das Publikum erkennt sich selbst als Konsument, die Verhältnisse werden ausgeleuchtet.
Durch die teils beabsichtigten, teils unbeabsichtigten Brüche im Verlauf des Vortrags, durch mehr oder weniger gewollte, bzw. mehr oder weniger elegante Unterbrechungen des Vortrags, konnte eine zentrale Forderung kritischer Theorie, mehr oder weniger intendiert und explizit, eingelöst werden: den Schein transparent zu machen, die Produktion durch- und einsichtig zu gestalten. Das Versprechen ist ausdrücklich uneingelöst geblieben. Damit besteht dann, wie`s die Theorie sagt, fürs Subjekt tatsächlich die Möglichkeit, selbst tätig zu werden in Sachen Entdinglichung.
Eben weil der Abend in der Verhandlung von Geschichte auf „Nichtgeschichte“ verwiesen hat, war die ganze Veranstaltung mehr als der Betrug, den man selbst schon durchschaut – und daher eben mehr als kulturindustrieller Affirmationsmüll. Das Fickt das System (Sterne-Hit) hat an diesem Abend seine schon radiotaugliche Selbstverständlichkeit verloren. Mit minimalistischer Gitarrenbegleitung und jeweils einer Hand von Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun auf jeweils einer Schulter Frank Spilkers war das sehr rührend. Und wenn es auch nur pragmatisch dem Rahmen der Show entwachsen war, bekam die Warenlogik des Pophits hier doch einen Schlag, indem die Produktionsbedingungen hinterm Song ansatzweise freigelegen haben.
Wenig Begeisterungssturm und verhaltenes Zugabengejubel am Ende lassen ahnen, dass sich so ein Abend so bald jedenfalls nicht wieder so gut verkaufen lässt.

vadim

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last modified: 28.3.2007