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Tschlaaand! Tschlaaand! | |
In unregelmäßigen Abständen bellen aus den geöffneten Fenster der umliegenden Häuser Schreie des Jubels oder der Empörung durch leergefegte Straßen. Das heißt, dass die Fußballweltmeisterschaft man braucht es eigentlich nicht zu erwähnen: der Herren immer noch andauert. Schreie sind nicht das einzig Auffällige in diesen Tagen. Hässliche Autos regieren die Straßen. Mit einer, zwei, in manchen Fällen sogar vier schwarz-rot-goldenen Fahnen verziert sehen sie aus, als habe man es mit dem Staatsbesuch eines ziemlich peripheren Landes zu tun: hier fährt der Präsident noch selbst, begnügt sich mit einem Kleinwagen, verzichtet auf eine Eskorte und das ganze Brimborium. Eine neue Kultur der Genügsamkeit? Vielleicht. Hoffentlich nimmt sich mancher hier zu Lande daran mal ein Beispiel, Stichwort: Abzocker-Mentalität. Wie auch immer, natürlich handelt es sich nicht wirklich um die Präsidenten irgendwelcher Ministaaten und auch bei den hunderttausenden von Familienvätern mit ihren Kindern (M. Matussek), die mit Fähnchen, Trikots, Make-up und überdimensionierten Zylinderhüten die Fußgängerzone bevölkern hat man es nicht mit Exilanten oder Angehörigen des Begrüßungskomittees zu tun. Die einheimische Bevölkerung hat sich in die Farben ihres Landes gekleidet und möchte ihre Unterstützung für die so genannte DFB-Elf zum Ausdruck bringen.
Das bringt uns zurück zu unseren Fußballfans. Wie schlimm sind sie wirklich? Die größte gegenwärtige Gefahr des WM-Patriotismus besteht darin, dass das bereits erwähnte Gemeinschaftsgefühl bisweilen für diejenigen, die als dieser Gemeinschaft äußerlich betrachtet werden, zur konkreten physischen Bedrohung werden kann und höchstwahrscheinlich geworden ist, auch wenn mir nicht bekannt ist in welchem Ausmaß. Eine zentrale Rolle dürften dabei nach wie vor Rassismus und gewisse pathologische Konzeptionen von Männlichkeit spielen die in der so genannten Welt des runden Leders nicht selten anzutreffen sein soll. Kennzeichen des gegenwärtigen Patriotismus sind aber nicht vorrangig Rassismus und Straßengewalt. Im Gegenteil, diese dienen hegemonial sogar als Negativschablone. Repräsentativ verwendet die Werbung Afrodeutsche, die mit Deutschland-Fahne und Chips auf der Couch jubeln, erinnert sei auch noch einmal an Gerald Asamoahs Auftreten im Rahmen der Du bist Deutschland-Kampagne. Der gegenwärtige Patriotismus ist kein Nationalismus. Patriot, so eine gängige Behauptung, sei jemand der sein Land liebe, Nationalist dagegen jemand, der andere Länder herabwürdige. Nun wird einem jeder, der sich selbst Nationalist nennt gerne bestätigen, dass dies mitnichten der Fall sei und, froh dass er auch mal was gefragt wird, seine ethnopluralistische Leier herunterspulen (worauf wir gerne verzichten können). Macht man den Unterschied daran fest, dass Patriotismus ein Gefühl der Verbundenheit zum eigenen Land bezeichnet, Nationalismus hingegen eine politische Ideologie, bei der das Volk oder die Nation als Zweck allen Handelns betrachtet wird, so schließt das eine das andere nicht aus und es wird klar, womit man es bei den schwarz-rot-goldenen Scharen zu tun hat. Infantile Pop-Patriot/innen, die auf der Jagd nach wohligen Gemeinschaftserlebnissen die hedonistische Seite der Staatsbürgerschaft entdecken, mit Politik in ihrer Eigenschaft als Fans aber bitte nichts zu tun haben wollen. Es ist nichts Böses dabei, wovor jemand in der Welt Angst haben müsse, wie Franz Beckenbauer in einem Bild-Interview vom 30.06.2006 feststellt. Und an anderer Stelle: Stolz ist man, wenn man etwas geleistet hat. Oder etwas erreicht hat, was man sich vorgenommen hat. Aber dass meine Mutter mich in Deutschland zur Welt gebracht hat, ist nicht mein Verdienst, sondern Zufall. [...] Nein, ich bin nicht stolz. Aber ich bin glücklich, ein Deutscher zu sein. Lesenswert ist das Interview eigentlich deshalb: BILD: Als Sie 1974 als Spieler Weltmeister wurden, war die WM auch in Deutschland. Damals gab es noch keine schwarz-rot-goldenen Fahnen an den Autos. BECKENBAUER: Damals waren wir noch nicht so weit. Auch ich bin kurz nach dem Krieg mit Schuldgefühlen aufgewachsen. Wir wurden erzogen, unsere nationalen Gefühle zu verbergen. Die anderen dagegen haben schon damals viel unverkrampfter ihren Nationalstolz gezeigt. Jetzt endlich sind auch wir dabei, Patriotismus als etwas positives zu begreifen. Wie auch immer sich diese semantische Nähe zu den verzweifelten Leserbriefen masturbierender Jungen an das Bravo-Dr. Sommer-Team erklärt, es gelingt dadurch, etwas von der gegenwärtigen Stimmung einzufangen. Was bleibt? Wie sich an der bereits in Zeiten des Wunders von Bern erkennbaren Gewohnheit der Deutschen zeigt, jeden ihrer fühligen Ausbrüche mit der Behauptung zu mythisieren, es handele sich dabei um einen besonderen, da nach langer Zeit der Scham oder Entsagung erstmalig unverkrampften Akt der Vaterlandsliebe ist der neue Patriotismus gar nicht so richtig neu. Auch unmittelbar gefährlich im Sinne einer drohenden nationalistischen Bewegung ist er nicht. Die Tatsache, dass er nicht eben gedankenschwer daherkommt bedeutet aber nicht, dass er deshalb auf die leichte Schulter zu nehmen wäre. Als einem pietätlosen Akt der Verdummung kann und soll man ihm gerne nach Möglichkeit in die Suppe spucken ich sehe allerdings keinen Grund, sich dabei zu überanstrengen. Warum soll ich mich angesichts von ein paar Millionen Deutschland-Fahnen aufregen? als hätten die Leute die restlichen 330 Tage im Jahr irgendetwas Besseres im Kopf. Ron de Vou * Vgl. hierzu Hannes' Ausführungen in der Rubrik Das Erste in CEE IEH #133. So richtig es ist, die Borniertheit als gemeinsamen Nenner der Identifikation mit der eigenen Stadt, dem eigenen Land, dem lokalen Fußballverein oder einer Automarke aufzuzeigen, so borniert ist es auch, nicht die unterschiedlichen Dimensionen zu erwähnen, die zwischen Automarke, Fussballclub und Staat nicht im Bewusstsein der sich Identifizierenden, sondern in der Wirklichkeit liegen, in ihrem Potential, Leben zu ruinieren. |