home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[132][<<][>>]

das Erste, 0.9k

Das Zweite(1)

Ein Fortsetzungsroman neudeutscher Prägung, handelnd von einem x-beliebigen Arbeitskraftbehälter.

      „Get in your car go to your job like a train that‘s being robbed.“
      (Blood Brothers)
Es scheint eine goldene Regel im Filmgeschäft zu geben, welche seinen Machern mit unsichtbarer Hand zu befehlen scheint, auf einen schlechten Film eine noch üblere Fortsetzung folgen zu lassen. Eine ähnliche Regel dürfte es sein, dem einfachen Arbeitslosen stets undurchsichtig und mysteriös vorkommend, die auch jene Damen und Herren der Agentur für Arbeit Leipzig in ihrem unerbittlichen Bann hält, welche unseren Herrn X, ein guter Freund des Autors, ein weiteres Mal, im Glauben an die Reaktivierung seiner Arbeitskraft, in eine dieser modernen und innovativen Ein-Euro-Maßnahmen steckten.
Unter dem Einfluss bösartigster Häme dürften sich nun einige die Hände reiben, ob des auf den notorischen Faulenzer X zurollenden Schicksals, auf dass die faule Sau endlich mal ihren Arsch hochbekomme und fleißig, so wie alle anderen prekären Szene-Existenzen ja auch („Noch ein Bier, bitte“; „Der Riegel auf die Bühne“; „Hallo, was darf ich für sie tun?“), rackern dürfe für ihr Geld, dieser Nichtsnutz. Die Freudentränen dürften einigen zu früh ins Auge geschossen sein, denn es handelte sich bei der, nach Angabe des Fallmanagers „speziell“ auf ihn zugeschnittenen, Maßnahme um eine Teufelei ganz besonderer Art, nichtsdestotrotz eine sondersgleichen.
„Betreute Kinder- und Jugendarbeit“ – Potz Blitz, dachte sich der Herr X, selbst Berufsjugendlicher, diesen Mist hatte er doch, nach eigenem Bekunden, jahrelang für lau gemacht, aus reinem Distinktionsgewinn, da kannte er sich aus, da konnten diese Spacken vom Amt ihm nichts vormachen, die
Plakat des DGB, 32.1k
Plakat des DGB 1954
würden sich noch wundern, wen sie da auf die unschuldigen Lämmchen, die in nicht allzu ferner Zeit neben ihm auf den unbequemen Sitzen der Agentur für Arbeit Platz nehmen sollten, losließen. Denen würde das feiste Grinsen schon noch aus dem Gesicht entschwinden, wenn plötzlich mehr als zwei bis drei Personen die Sanitäranlagen ihrer schönen Amtsstube mit einer gewissen Regelmäßigkeit sabotieren würden, haha. Es beschlich den offensichtlichen Alt-68er (Jeans, gestreifter Strickpulli, lange Haare zum Zopf gebunden, Denkerstirn) Staatsbüttel hinter dem Schreibtisch nicht einmal der Verdacht, er würde gerade belogen, als der Herr X das ständige entschuldigte Fehlen während der letzten Maßnahme durch eine Immunschwäche väterlicherseits entschuldigte. Psychologische Kriegsführung, denn hätte er mütterlicherseits gesagt, wäre der Späthippie auf seinem Ikeahocker mit verstellbarer Lehne vielleicht stutzig geworden, von wegen Sexismus und so, aber seinen Vater öffentlich einer Immunschwäche zu bezichtigen, das würde kein junger Mann wagen, wenn es nicht absolut wahr wäre.
Nun sollte also der Dienstantritt erfolgen, direkt einige Tage nach dem Gespräch, in einer Einrichtung die aufgrund des persönlichen Schutzes unseres Protagonisten hier ungenannt bleibt. Nur so viel, früher ging‘s da richtig krass ab, so mit Hausbesetzung, Hassis, Nazis, Bullen, Steine und schließlich Verhandlungen und so, eben alles was zu einem modernen Kulturprojekt, das auch nur ein bisschen was auf sich hält, dazugehört. Die anfängliche Euphorie sollte im Nu einer, nennen wir es mal freundlich zynischen, Lethargie weichen, die für den Rest dieses erneuten Schreckensabschnitts seines Lebens nicht mehr von ihm abfallen dürfte.
„Ich pack dich am Zopf und fick deinen Kopf.“ „Komm in mein Ghetto und ich mach dich platt, komm in mein Ghetto und ich stech dich ab.“ Solch lieblich deutsche Reime luden zur Begrüßung in die neue „Arbeitsstelle“ ein. Für Sprachforscher sicher ein schier unerschöpflicher Ort, allein der Umstand, wie die Hälfte der Zeit aller zwischenmenschlichen Kommunikation durch die Worte Nutte und Schwuchtel gestaltet werden kann, ist und bleibt beeindruckend. Noch beeindruckender allerdings sind 14jährige werdende Mütter, die fleißig rauchen und trinken, damit ihr Kind sich später einmal von dem ganzen anderen Durchschnitt, nicht nur geistig, abhebt. Oder auch über 30-Jährige, die trotz ihres relativ hohen Alters noch als „zu betreuende Personen“ durchgehen und sich neben 4-18-Jährigen vergnügen und diesen Umstand als völlig normal empfinden. Doch genug der Vorrede, es soll im Folgenden aus dem Alltag eines Ein-Euro-Jobbers, der für „Kinder- und Jugendbetreuung“ eingeteilt wurde, anhand von Anekdoten berichtet werden. Meine Damen und Herren, schnallen Sie sich an, die Geisterbahn der Sozialarbeit öffnet nun hier im Newsflyer, exklusiv für Sie, ihre Pforten. Sagen Sie nicht, Sie wären nicht gewarnt worden:
Dienstag. 7.30 Uhr. Antreten zu den Projekttagen an einer Grund/Mittelschule. Das Projekt trägt den vielsagenden Titel „Gewaltfrei kommunizieren“. Zwei Sozialarbeiter haben sich einige EinEuros(2) und Praktikanten geschnappt, die ihnen bei der Durchführung des Genannten zur Hand gehen sollen. Drei der Helfer haben einen üblen Kater vom Vorabend und zwängen sich in der ansässigen Caféteria eine schöne Bocki rein. Dann geht es los. Alle stellen sich allen vor, die Kinder sind so um die acht Jahre alt, richtige Monster. Sie schreien schon nach den ersten paar Minuten wild durcheinander, es kommt zu Übergriffen, meistens gehen die Jungs auf die Mädchen los, Fälle von Haare ziehen und Tritten in die Magengegend können beobachtet werden. Ein Sozi(3) schwingt eine kleine güldene Glocke, keine Reaktion. Nun schreitet die Lehrerin ein und entfernt zwei der männlichen Straftäter unter heftigem Gezeter aus dem Einsatzgebi... pardon...aus dem Klassenzimmer. Dann schreit sie, heftigstes Crustorgan, alles wird ruhig, jedoch erntet sie missbilligende Blicke der beiden Sozis, die vom Kater Befallenen teilen in einer unbeobachteten Minute zwei Aspirin unter sich auf. Alle sollen sich jetzt zwischen zwei Seiten entscheiden: a. ich bekomme viel Respekt, b. ich bekomme keinen/wenig Respekt. Jungen finden sich alle auf der b-Seite ein und die Mädchen unter a, kleiner Spaß, natürlich ist es umgekehrt. Kluger Schachzug seitens der Sozis, Geschlechtertrennung, hat ja früher auch gut funktioniert, minimiert Konfliktpotential. Beide Gruppen werden in verschiedene Räume gesteckt, Lehrerin geht mit zu den Jungs, pädophil? Jetzt wird aufgeschrieben, was sich die eine Gruppe jeweils von der anderen wünscht. Dann alle wieder in ein Zimmer, Jungs wollen in Ruhe gelassen werden und dass Mädchen nicht immer gleich petzen/flennen, Mädchen wollen, dass Jungs netter sind und nicht immer gleich beleidigen/schlagen, ein nahezu unlösbarer Konflikt, doch die Sozis sind guter Dinge, schreiben Lösungsvorschläge an die Tafel („keine körperliche und seelische Gewalt, ruhig miteinander reden, Probleme gemeinsam lösen, etc.“). Ein Junge fragt nach der qualitativen Bestimmung des Begriffes „Seele“, es kommt zu Tumulten, natürlich ein Witz, jedoch nutzt einer der Jungs die abwesenden Blicke der Sozis, um einem Mädchen auf den Kopf zu schlagen, Weinen („Siehste, die Kuh flennt schon wieder“). Einer der Sozis fragt: „Warum hast du das getan?“, Junge beteuert seine Unschuld, dem Sozi fällt der Rechtstaat in den Rücken (unschuldig, bis Schuld bewiesen). Die Geheimwaffe wird ausgepackt: „Buddhismus“, tata. Kindern werden nun die Regeln und Pflichten im Buddhismus erklärt, um sie zu gewaltfreien Individuen zu erziehen, einer der EinEuros geht kotzen, nur der Alkohol?
Freitag. Ca. 17.30 Uhr. Ein betreuter Jugendlicher beschuldigt einen anderen des Diebstahls, es kommt zu Handgreiflichkeiten, Angreifer wird des Projektes verwiesen. Der wahrscheinlich Bestohlene (15) zieht ab, kommt wenig später mit zwei Freunden wieder, alle drei tragen Handschuhe, so kalt? Sie warten vor dem Hauseingang auf Beschuldigten, wollen die Sache klären, ohne Rechtsstaat. EinEuro fragt Sozi, ob man nicht einschreiten müsse. Müsse man nicht, Problem liegt außerhalb des Projektes, ginge sie nun nichts mehr an. EinEuro setzt Partie Billard fort, sieht nicht gut aus, 3 zu 1, was soll‘s.
Montag. Ca. 14.00. Herr X kann ersten pädagogischen Erfolg für sich verbuchen. Verlässt das Projekt, um zu rauchen, einige zu betreuende Jugendliche stehen schon draußen. Junge schlägt Mädchen, Herr X schreitet ein, trotz Anweisung, jegliches Vorgehen zuerst mit Sozis abzusprechen, spricht Jungen mit Sido-Shirt an. Erklärt, dass richtige Männer Frauen beschützen, nur Schwuchteln würden sie schlagen, Junge versteht. Er soll sich entschuldigen, dies tut er auch. Danke Sexismus?
Mittwoch. Ca. 16.00 Uhr. Schulklasse diesmal im Projekt. Wieder gewaltfreies Kommunizieren, wieder Buddhismus. Kinder sollen die zwölf (?) Wege desselben nachschreiten, schön mit Kreide im Hof aufgemalt, Himmel und Hölle, Ost-Berlin? Unter anderem wird erklärt, Sex mit Personen, die man nicht liebt, sei schändlich, einige der Praktikanten und EinEuros lachen, tauschen Bettgeschichten aus, Teufel Alkohol. Buddhistisch orientierter Praktikant schämt sich für Lachende, erklärt ihnen und Kindern, Aids entstehe, weil zuwenig Liebe zwischen den Menschen und der ganze Schmutz verseuche die Körper und so. Wird dumm gemacht, blöde esoterische Jungfrau und so. Beleidiger werden von Sozis zur Rede gestellt, sollen andere Meinung akzeptieren. Herr X sagt, er akzeptiere keinen Quatsch, es gäbe auch keine fliegenden Kühe. Wird der Intoleranz bezichtigt, stimmt zu, wird erst mal für drei Tage krank, Aids?
Donnerstag. Ca. 17.00 Uhr. EinEuro erzählt zu betreuendem Jugendlichen, fast alle Amerikaner seien Nazis, Herr X erträgt es trotz Restalkohol nicht, schreitet ein, verbal. Eine Diskussion entspinnt sich, fiese Kopfschmerzen, Herrn X wird von ca. 30jährigem zu betreuenden Jugendlichen massivst Dresche angeboten, weil Scheißamis nie das Recht hatten, Deutschland anzugreifen. Zwei Leute verstehen Argumente und schlagen sich auf die Seite von Herrn X, sehr vernünftig, erstaunlicherweise aus Westberlin und Landkreis Borna. Sozi sagt, es gäbe kein richtig und falsch, Erwiderung, Geld sei ein Zahlungsmittel und dies sei ein Fakt wird quotiert mit: „Das ist vielleicht deine Meinung, für andere ist es eventuell etwas anderes. Jeder hat seinen eigenen Blickwinkel auf die Welt.“ Argumente bringen nichts, wenn Blickwinkel verstellt durch deppertes Studium und Weiterbildungskurse, Gespräch wird abgebrochen. Persönliche Nachfrage, ohne Sozis, das Angebot des ca.30-Jährigen auf die Zeit nach der Arbeit zu verlegen scheitert, falscher Blickwinkel?
Mittwoch. 12.00 Uhr. Teambesprechung. EinEuro fragt, ob es Pflicht sei, zum monatlichen Frühstück (10.00 Uhr!!!) zu erscheinen, Runzeln auf den Stirnen der Sozichefetage. Lange Debatte folgt, Sozis einigen sich auf den Terminus „freiwillige Pflichtveranstaltung“. Praktikanten und EinEuros lachen, Sarkasmus?
Solcherlei Begebenheiten tragen sich also zu im Osten der Republik, einem Ort, wo soziales Engagement, ob nun freiwillig oder nicht, noch großgeschrieben wird. Ein ganzes Heft hätte mit Erlebnissen dieses Kalibers gefüllt werden können, doch meinem Freund fehlte die Lust, mir alle Geschichten preiszugeben, denn nicht immer dient die Reflexion des Erlebten auch seiner Bewältigung und wer von uns würde ernsthaft verlangen, sich diesen Schrecknissen nochmals in Gedanken aussetzen zu müssen.

Schlaubi

P:S.: Es steht zu befürchten, dass dies nicht der letzte Teil seiner Art war. Solltet ihr dazu bereit sein Leiden zu lindern, dann nimmt die Redaktion gerne Spenden (Geld, Platten, Geld, Konzertkarten, Geld, Alkohol, Geld) unter dem Kennwort „Arbeitskraftbehälter“ entgegen. Buddha möge eure Seele beschützen.

Fußnoten

(1) Teil Eins zu sichten in CEE IEH #123
(2) Im folgenden für Ein-Euro-Jobber
(3) Im folgenden für Sozialarbeiter, nicht wie fälschlich angenommen für Sozialist, SPD zugehörig

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[132][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007