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Identität und Feindschaft

Buchcover, 15.1k

Wolfgang Kraushaar,
Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, Hamburg: Hamburger Edition, 2005, 20 Euro.

Wolfgangs Kraushaars Analyse der antisemitischen Tradition des linken Terrorismus

Es gab eine Zeit, da kannte man beinahe automatisch, wenn man sich der subkulturell geprägten Linken zugehörig fühlte, ein bestimmtes Repertoire an musikalischer Begleitmusik. Eines jener Lieder, getextet und vertont von Ton Steine Scherben, einer der wohl bedeutensten Bands der linksradikalen Musikgeschichte in Deutschland, trug den Titel „Rauch-Haus-Song“, handelte vom besetzten Bethanienkrankenhaus in Berlin Kreuzberg und zugleich dem Kampf gegen „die da oben“, geführt von „denen da unten“. Der Name des besetzten Hauses bleibt in jenem Lied Nebensache, vielmehr scheint es möglich, die Kenntnis jener Person, nach der das Haus benannt ist, umstandslos vorauszusetzen. Heute, da die Zeiten sich geändert haben, ist dies allerdings keineswegs mehr der Fall. Deshalb bedarf es der Erinnerung. Handelt es sich doch mit Georg von Rauch, nach dem eben jenes Rauch-Haus benannt ist, um eine zentrale Persönlichkeit der Neuen Linken der ausgehenden 60er und beginnenden 70er Jahre. Und dies nicht allein deshalb, weil von Rauch im Dezember 1971 von Polizisten bei seiner Verhaftung erschossen wurde und ihm dadurch gleichsam der Status eines Märtyrers innerhalb der deutschen Linken zukam. – Schließlich dürfte sein Konterfei nach seinem Tode zu den am meisten verbreiteten Abbildungen innerhalb der undogmatischen Linken gezählt haben. Georg von Rauch ist darüber hinaus schon allein deshalb von Bedeutung für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Neuen Linken, weil sich in seiner Person deren zeitgenössisch antizionistisches Selbstverständnis einerseits und die Herausbildung eines linken Terrorismus andererseits miteinander verbinden. Schließlich war er federführend bei der Entstehung linksterroristischer Gruppierungen, die noch vor der Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) den bewaffneten Kampf in Form der Stadtguerilla in die Zentren Westeuropas tragen wollten und deren Ziel unter anderem in Deutschland befindliche jüdische Einrichtungen waren.
In seinem neuen Buch Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, nimmt der am Hamburger Institut für Sozialforschung tätige Wolfgang Kraushaar genau diese konstitutive Verbindung von antisemitischem Weltbild und der Entstehung der Stadtguerilla in den Blick und liefert damit zugleich einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Geschichte der außerparlamentarischen Linken, deren Verhältnis zum Staat Israel, zur Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Vergangenheit und beschreibt damit letzten Endes eine antizionistische Tradition innerhalb der deutschen Linken, mit der erst im Laufe der letzten 15 Jahre allmählich gebrochen wurde. Doch anders als in den bisher geführten Diskussionen, die sich „in erster Linie auf“ die „ideologische Ausrichtung“ bei der Auseinandersetzung mit Antizionismus und Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken orientiert haben, unternimmt Kraushaar den Versuch, sich deren „politische[r] Praxis“ zuzuwenden. (289-290) Den Fokus richtet er dabei auf einen lange Zeit ungeklärten Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße. Am 10. November 1969 war hier eine Bombe gefunden wurden, deren Explosion für den Tag zuvor gedacht, aber ausgeblieben war. Am 09. November 1969 hatte im Jüdischen Gemeindehaus die alljährliche Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung stattgefunden. Neben dem Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, versammelten sich ca. 250 weitere Gäste, um anlässlich der Jährung der Reichspogromnacht an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Genau dieses Datum hatte sich zugleich eine Vereinigung ausgewählt, die sich später unter dem Namen Schwarze Ratten TW und damit als Ableger der Tupamaros West-Berlin zu erkennen gab, eine Bombe zu deponieren. Wäre sie explodiert, so hatte der Leiter der kriminaltechnischen Untersuchung nach der Sprengung eines Duplikats einige Tage später festgestellt, wäre nicht nur „das Haus zerfetzt“ worden, sondern zudem zahlreiche Opfer zu beklagen gewesen. (39)
Über 35 Jahre später hat Wolfgang Kraushaar in seinem Buch nun die Tat, die bislang ungeklärt blieb, genauestens untersucht, den Täter und seine Gehilfen ausfindig gemacht und das gesellschaftliche Umfeld der deutschen Linken rekonstruiert, aus dem diesen Taten erwachsen waren. Seine Ergebnisse sind deshalb mehr als die Analyse und Auflösung eines kriminellen, antisemitischen Verbrechens, sondern sie geben zudem einen Einblick in die spannungsgeladenen Diskussionen über den Nahostkonflikt innerhalb der deutschen Linken, welche mit dem 6-Tage-Krieg von 1967 die bekannte Wende vom Philosemitismus zum Antizionismus und bisweilen sogar zum Antisemitismus vollzogen hatte.
Im Zentrum von Kraushaars Darstellung stehen dennoch die Personen aus dem Umfeld der Gruppe Tupamaros West-Berlin, die sich einen Tag nach dem Anschlag in einem Flugblatt unter dem Titel Schalom + Napalm zu dem Anschlag bekannt haben. (46-48)(1) Kopf der Gruppe war Dieter Kunzelmann, selbsternannter „Großmufti des Chaos“ (9), der seit den frühen 60er Jahren in der radikalen Linken eine schillernde Gestalt war und vor allem durch seine avantgardistische Rolle in der Berliner Kommune 1 Bekanntheit erlangte. Neben Kunzelmann gehörten zudem Georg von Rauch, Ina Siepmann, Lena Conradt und Albert Fichter zum Kern der Gruppe. Im wesentlichen benennt Kraushaar zwei Momente, die die Hintergründe für jenen antisemitischen Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum offen legen sollen. Mit dem politischen Scheitern der 68er Bewegung hatte ein zunehmender Zerfall und eine Zersplitterung der außerparlamentarischen Opposition (APO) eingesetzt. (15) Was für einige den Marsch durch die Institutionen ebnete, führte andere Personen und Splittergruppierungen zu einer Übernahme des bewaffneten Kampfes und des Konzepts der Stadtguerilla aus Lateinamerika. (142-148) Dieses Konzept hatte es jedenfalls ermöglicht, langjährige Gewaltdiskussionen aufzugeben und Differenzierungen von Widerstand, Gewalt und Gegengewalt, sowie von Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen über Bord zu werfen. (16) Doch neben dieser Bereitschaft zur Entgrenzung von Gewalt bildete zudem eine inhaltliche Wende innerhalb der außerparlamentarischen Opposition die Voraussetzung für das Zustandekommen jenes Bombenanschlags aus den Reihen der radikalen Linken. So hatte der militärische Sieg Israels im 6-Tage-Krieg und die Besetzung des Westjordanlands nicht nur zu einem antizionistischen Umschwenk innerhalb des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) geführt, der Theodor W. Adorno dazu veranlasste, an Herbert Marcuse über seine Befürchtung eines „Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus“ zu berichten. (98) Zudem zeigt Kraushaar weiter, wie sich die stark durch den Vietnamkrieg geprägte APO derselben Begriffe bediente, mit denen sie den Vietnamkrieg beschrieb, um sich den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verständlich zu machen. Schließlich wurde so die antiimperialistische Solidarität mit dem Vietcong gegen die Vereinigten Staaten von Amerika durch die Solidarität mit der palästinensischen Al Fatah ersetzt – diesmal gegen Israel. (40-45) Unbeachtet blieb dabei sowohl die Differenz der Entstehung des Staates Israel, die eben nicht nur Realisierung des Zionistischen Projekts war, sondern vor allem Ergebnis des Holocaust, als auch die notwendige Verantwortung einer deutschen Linken, die sich recht eigentlich zur Aufgabe gemacht hatte, mit den Traditionen ihrer Elterngeneration zu brechen.
Bei den sich um Dieter Kunzelmann versammelten Mitgliedern der Tupamaros West-Berlin hatten sich diese beiden Elemente in besonders starker Weise ausgeprägt. Die Begeisterung für den bewaffneten Kampf und Terrorismus als Mittel revolutionärer Politik, verband sich hier mit einer Identifizierung mit den palästinensischen Freischärlern der Al Fatah, die sich zugleich mit dem offenen Aufruf verband, sich der dem Holocaust entspringenden Verantwortung zu entledigen. Insbesondere Dieter Kunzelmann selbst hatte dies unmittelbar nach dem gescheiterten Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum deutlich werden lassen, als er sich mit seinem „Brief aus Amman“ in der Zeitschrift Agit 883 zu Wort meldete. Hier waren alle Schlagworte des linken Antisemitismus versammelt, als Kunzelmann zur Rechfertigung für jede Politik gegen Israel, aber auch gegen Jüdische Menschen und Institutionen überhaupt festgehalten hatte:
„Eines steht fest: Palestina (sic!) ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. ‚Wir haben 6 Millionen Juden vergast. Die Juden heißen heute Israelis. Wer den Faschismus bekämpft ist für Israel.‘ So einfach ist das, und doch stimmt es hinten und vorne nicht. Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ‚Zionismus‘ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“ (68-69)
Es bedarf kaum einer besonderen Erklärung, dass der Gegenstand von Kunzelmanns Äußerungen kaum der Nahost-Konflikt ist, sondern er statt dessen auf den realen und tragischen Konflikt zwischen Juden und Palästinensern seine eigene deutsche Form von Vergangenheitsbewältigung und Gegenwartsanalyse projiziert: Nicht nur wird die eigene historische Verantwortung direkt durch die Rede vom „Judenknax“ entsorgt. Zudem werden die deutschen Verbrechen der Judenvernichtung durch die Aussage relativiert, dass sie mittlerweile in gleichem Maße von Israel gegen die Palästinenser verübt würden. Was an Kunzelmanns Brief und den Äußerungen anderer Mitglieder der Tupamaros West-Berlin allerdings darüberhinaus hervorsticht, ist der offene Umschlag in ein antisemitisches Weltbild und antisemitische Gewalt, wovon nicht zuletzt der Bombenanschlag vom 9. November Zeugnis ablegte. Schließlich verstand Kunzelmann seinen „Brief aus Amman“ zugleich als den direkten Aufruf „unseren Kampf auf[zu]nehmen“ (69). Die Grundlage dafür hatte eine über die Projektion deutscher Verbrechensleistungen auf Israel hinausreichende Suche nach einer revolutionären Identität gebildet, die man in der Identifikation mit den antiisraelischen Kämpfern der Al Fatah gefunden hatte. Insofern ist nicht als naiv abzutun, wenn Georg von Rauch an seine Frau schrieb: „Ich krieg meine Identität nur, wenn alles identisch ist, mit Menschen und an Menschen, nicht an Problemen. Sie müßte ich meine Identität finden können, so, wo alles drin ist, was ich mal theoretisch gemacht hab und was ich für ne praktische Geschichte hab (...) und was ich machen werde, ‚politisch‘ arbeiten mit identischen Leuten, mit Leuten, mit denen ich identisch bin.“ (136-138, Fn.207) Was dieses „Loblied auf die Identität“ letztlich gefährlich macht – und darin gelangen die Äußerungen Kunzelmanns mit denen von Rauchs zu ihrer inneren Einheit – ist die Konstitution und Bewährung der eigenen Identität durch den Kampf gegen den politischen Feind, den beide in Israel und den Juden überhaupt ausgemacht hatten. So scheint es denn wie eine Ergänzung von Rauchs, wenn Künzelmann in seinem Brief aus Amman von der Notwendigkeit spricht „den Feind wieder sichtbar zu machen.“ (69) In diesem Wechselspiel, bestehend aus der Suche nach der eigenen revolutionären Identität einerseits und der Notwendigkeit der Feindbestimmung andererseits, bestand letztlich das antisemitische Weltbild der Tupamaros West-Berlin um Kunzelmann und von Rauch. Schließlich war die Bekämpfung des Feindes als Endkampf gedacht und dieser zugleich in Israel und den Juden identifiziert. Die Folge war die Herausbildung eines linken, antisemitischen Terrorismus, der sich sowohl gegen israelische Einrichtungen, als auch nicht-israelische, jüdische Institutionen wandte. Gerade darin aber bestätigte sich einmal mehr das antisemitische Element der Gruppe um Kunzelmann und von Rauch. Schließlich verweigerte es sich jeder Differenzierung zwischen Zionismus, jüdischen Gemeinden in der Diaspora und dem israelischen Staat. Deutlich wird dies insbesondere in der von Kraushaar genau rekonstruierten politischen Entwicklung der Tupamaros West-Berlin. Bereits einige Monate vor dem Anschlag vom 9. November 1969 reisten deren Mitglieder mit einem Kleinbus des AStA der Technischen Universität Berlin quer durch Europa um letztlich Jordanien zu erreichen, wo sie sich in Trainingscamps der Al Fatah militärisch ausbilden ließen. Aus einem undatierten Brief aus der Feder von Rauchs geht dann auch das ganze Anliegen der Reise hervor: „Wir sind bisher nur durch die Richtung in den Zeitungen informiert, wo stand, dass Studenten bei der El Fatah 1. für den Kampf dort 2. die Terrorakte im Ausland + 3. in Organisationsfragen ausgebildet werden. Für mich selbst ist der 2. Punkt einer der wichtigsten.“ (132). Und nach einwöchigem Aufenthalt in einem Ausbildungscamp der Al Fatah, der sogar zu einem kurzen Zusammentreffen mit Yassir Arafat führte, machten die Mitglieder der Kunzelmann-Gruppe dann in der Tat Ernst. Auch wenn Wolfgang Kraushaar aufzeigt, dass die Bombe, die am 9.November im Jüdischen Gemeindezentrum explodieren sollte, mit Albert Fichter letztlich durch eine Randgestalt der Tupamaros West-Berlin deponiert wurde, lässt er zugleich keine Zweifel daran, dass Kunzelmann und von Rauch als die Hauptprotagonisten dieses militanten Antisemitismus gelten müssen. Von ihnen ausgehend wurden dann auch weitere Anschläge geplant, die sich neben juristischen und kommerziellen erneut gegen jüdische Institutionen wenden sollten. So wurde das Büro der israelischen Fluglinie El Al ebenso Ziel eines Anschlags (152), wie Kunzelmann außerdem plante, ein Denkmal für die ermordeten Juden mit PLO-Parolen zu beschmieren. (250) Und Georg von Rauch schließlich berichtete seinen Genossen schon im Sommer 1970 davon, dass während der Olympischen Spiele 1972 in München etwas passieren werde (209). Der Fortlauf der Entwicklung ist bekannt.
Diese Anfänge des linksdeutschen Antisemitismus untersucht Wolfgang Kraushaar in seinem Buch an Hand der Analyse der Personen und des Selbstverständnis der Tupamaros West-Berlin Er zeigt auf, wie diese einerseits in einem antizionistischen Selbstverständnis verwurzelt waren, das zum guten Ton der Neuen Linken gehörte. Andererseits macht er außerdem deutlich, wie die Tupamaros West-Berlin eine linke Tradition des gewaltsamen Antisemitismus begründeten, die sich bis in die frühen 90er Jahre fortsetzte. Noch im Dezember 1991 hatten etwa Mitglieder der RAF einen Anschlag auf einen Reisebus in Ungarn verübt, in dem sich jüdische Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion auf dem Weg zum Flughafen nach Budapest befanden. Er liefert damit vor allem eine Fülle an Material, das einen Einblick in die Geschichte des Antisemitismus und Antizionismus der neuen Linken liefert, die bisher vorrangig theoretische und ideologiekritische Aufarbeitung fand. Deshalb ist sein Buch, auch wenn es an manchen Stellen etwas weit ausholt, ein wichtiges Dokument für alle jene, die einen Einblick in diese traurige Tradition der deutschen Linken gewinnen wollen.

Lutz

Fußnoten

(1) Das Flugblatt findet sich im Internet unter: http://www.trend.infopartisan.net/litlisten/aufruhr/aufruhr14.html

Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.


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last modified: 28.3.2007