Oder: was hat Medienkritik mit Politik zu tun?
Zur Oscarnacht 2006 und zu Jon Stewart.
Die Oscarnacht sei das einzige Mal im Jahr, an dem man all die Stars zu Gesicht
bekomme ohne den Zusammenhang einer Spendenbitte für die Demokraten. Die
Oscarnacht sei das einzige Mal im Jahr, an dem sich all den Stars, die
traditionell für die Opposition stimmen, ausnahmsweise die
Möglichkeit biete, einen Gewinner zu wählen. Björk (u.a. Swan
Song) habe leider nicht zur Oscarverleihung kommen können, weil, als sie
gerade im Begriff war, ihr Kostüm anzuziehen, ihr Dick Cheney auch schon
ins Gesicht geschossen hätte. Ein müdes Lächeln. Allerdings sagt
all das Jon Stewart, Oscarmoderator 2006, vor 3000 prominenten Gästen und
42 Millionen Fernsehzuschauern.
Jon Stewart ist nicht Hollywood. Aber auch nicht eben irgendjemand. Derzeit ist
er in den USA wohl das populäre Symbol für kritischen und
unterhaltsamen Journalismus schlechthin. Stewart hat zwar wie die meisten
bisherigen Gastgeber der Oscarverleihung in einigen Filmen mitgespielt, war
dabei aber, wie die betreffenden Filme selbst, alles andere als
hitverdächtig.
Stewart erhält seine Preise für ausgezeichnetes Nachrichtenfernsehen.
Dieses Nachrichtenprogramm, das den Namen The Daily Show trägt und
sich selbst dazu auserkoren hat, The Most Trusted Name in Fake News zu
sein, läuft seit sieben Jahren von Montag bis Donnerstag jeweils eine
halbe Stunde auf Comedy Central, einem Kabelkanal. Innerhalb der
vergangenen fünf Jahre hat The Daily Show unter anderem viermal
einen Emmy und einmal den Peabody Award gewonnen Jon
Stewart in aller Munde, auf den großen Titelblättern und
täglich auf dem Schirm von mittlerweile über 1,5 Millionen vorwiegend
jungen, überdurchschnittlich gut gebildeten Zuschauern. Die haben ihn 2004
zur Media Person of the Year gewählt, im Rahmen einer groß
angelegten Umfrage weit vor Desperate Housewives, George W. Bush und Janet
Jackson. Trotzdem ist Stewart nicht eben der Popstar, wie er im Buche steht.
Genausowenig wie er als effektheischender Clown daherkommt. Interviewpartner
wie George Clooney, Bill Clinton oder RZA geben sich hier die Klinke in die
Hand.
Abend für Abend legt die Daily Show den Finger in die Wunden der
politischen Kultur des Landes. Und vielmehr als mit zum Beispiel
einem debilen Präsidenten, sei diese politische Kultur, so Stewart, mit
der Vermittlung der Nachrichten verbunden. Das Problem sei, dass, durch die
Vermittlung, die Debilität im System verloren gehe und der Präsident
letztendlich doch als ganz helle paradiert. In der Infrastruktur politischer
Kommunikation bestehe die Audienz nicht aus Menschen oder Bürgern, sondern
eben aus nichts als mehr oder weniger ohnmächtigen Konsumenten.
Dementsprechend sind es die, seien es kulturindustrielle,
Vermittlungsmechanismen von Nachrichten, die das Thema der Daily Show
stellen konkretisiert an dem, was ohnehin schon jeder weiß und was
seitens der Produzenten verschoben und verdichtet wird. Was dabei
herausspringt, sind, vor allem anderen, tons of fun. Auf der Basis einer
kaum beschreibbaren Sprache liegt der Reiz gerade darin, dass eine brutale
Satire immer an die daily news und deren Produktion gebunden bleibt.
Kulturindustrielle Praxis wird so durch und durch transparent, der angebetete
Götze entkleidet, und man lacht sich tot. Im selben Moment aber schon
schlägt die Komik in bittersten Ernst um. Diese Verwobenheit von sich
offenbarender Blödheit und harter Tatsache sei vor allem eine Einladung
ans Denken, sagt Stewart. Durch die buchstäbliche Narrenfreiheit als
Comedy hat die Daily Show auch kein Problem, sich von einer
Pseudo-Wertfreiheitskonvention zu verabschieden, ohne gleich in plumpen
Moraljournalismus zu verfallen. Im Gegensatz zum Aktivismusformat eines Michael
Moore bleibt die Daily Show in ihrer Kritik durchweg implizit oder
parodiert sich umgehend selbst, sobald die Komplexität des Arguments sich
in der Auflösung wähnt und die Positionierung, als
Repräsentation, schon bewegungskompatibel wird. Stewarts
Aufklärungsdienst endet damit zwar ganz klar beim Liberalismus. Das aber
birgt, über die doch ausgesprochen unterhaltsame Zerschlagung
eingeschliffener Klischees und Identifikationsmuster, immerhin ein
tiefgreifendes Potential, glatte Integration anzukratzen. Schließlich
soll die halbe Stunde vor allem eines liefern, nämlich Spaß.
Ideologischer Kitt wie vorzugsweise Nationalismus und Antisemitismus halten dem
kaum Stand und erscheinen, wie die medienindustrielle Produktionsweise und
deren Produkte, in ihrer ganzen artifiziellen Absurdität. Das Label
Fake News verweist so in erster Linie auf die Scheinauthentizität
echter` Nachrichten und Bilder.
Die Nachrichten, sagt er, höre er während der eigenen Show über
einen Knopf im Ohr. Dann sehe er sie im Fernsehen, worauf er sich das
wichtigste aus dem Netz auf den iPod lade, um es, am nächsten Morgen,
nochmals zu hören, während er die Zeitung lese. Darauf folge
höchst aufregende redaktionelle Arbeit im New Yorker Studio, zusammen mit
so um die zehn weiteren Kolleginnen und Kollegen. Um elf Uhr abends beginnt
dann die Sendung mit der vermeintlich seriösen
Nachrichtenschienen-Eröffnung, die sofort überzeichnet wird von einer
emphatischen Ansage des Datums vor dem Hintergrund der nationalen Flagge.
From Comedy Central world news headquarters in New York, this is the
Daily Show with Jon Stewart.
The only skill I have is writing jokes, sagt Stewart im Bezug auf die
mittlerweile immense eigene Popularität. Like anything if you have
an ability, ultimately you want to apply it to something you care about.
Otherwise, you're just jerking off in your cage...which also has its
advantages. Wohlwissend, wie prekär seine eigene Lage als potentieller
Anbieter von Weltanschauung ist, macht er nichts anderes, als ideologische
Versatzstücke zu karikieren. Der Sinn für Humor der Zuschauer reiche
so weit wie ihre Ideologie, sagt er.
Die Handschrift des Daily Show-Teams hat sich bei der Oscar-Verleihung
zudem gezeigt, als Ben Stiller den Preis für Spezialeffekte verlesen
durfte. Stiller kam an in einem inwendig ausgestopften, knallgrünen und
bis zum Hals reichenden Turnanzug. In einem kurzen Vortrag huldigte er der
greenscreen und deren Bedeutung für den Film. Eigentlich würde
man bloß einen schwebenden Kopf sehen, sagte er, vor einem x-beliebigen
Hintergrund, und: This is blowing Spielbergs mind! Der Hammer sei aber
erst, dass, wenn er gleich noch seine Mütze überziehe, das erste Mal
in der langen und prachtbeladenen Geschichte der Oscarverleihungen ein Oscar
von niemandem verliehen werde. Stiller setzt die Mütze auf,
hält den Umschlag vor sich in die Luft und spricht mit krass betonter
Geisterstimme: Envelope! To the power of movie magic! Open yourselve!
Jon Setwart kommentierte Stillers Auftritt im Nachhinein wiederum damit, dass
dessen Fähigkeiten in Sachen Unsichtbarkeit der schlagende Beweis
dafür seien, dass Stiller Jude ist.
vadim
Ein Archiv der Daily Show gibt es, frei zugänglich, auf
www.comedycentral.com.
Absolut empfehlenswert dort außerdem The Colbert Report, ein
Hardcore-Ableger der Daily Show
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