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München.

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Steven Spielberg: München,
USA 2005, 164 min

Über den neuen Film von Steven Spielberg.

Das Fazit des Film-Reports sei hier gleich vorweggenommen: der Film ist langweilig, über weite Strecken ein schlechtes James Bond Plagiat und in vielen Punkten politisch äußerst kritikabel.
Die Handlung des Films ist schnell erzählt. Er beginnt mit dem Massaker an den israelischen Athleten der Olympischen Spiele im Jahre 1972 in München durch Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September. Durch das Zeigen von original Nachrichtensendungen und Talkshows versucht der Film eine Authentizität zu erzeugen, was jedoch keineswegs gelingt. Die Ereignisse in München haben auch der israelischen Mossad Agent Avner Kauffmann und seine schwangere Frau im Fernsehen verfolgt und waren zutiefst bestürzt und traurig. Kurz nach dem Massaker wird Avner zu einem Treffen mit der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir, dem Chef des Mossad und zwei Generälen geladen. Er soll einen streng geheimen Auftrag übernehmen und die Verantwortlichen des Massakers ausschalten, weil, so Golda Meir, die Welt verstehen soll, dass es teuer ist, Juden zu töten und es nicht länger ungestraft bleibt.
Obwohl seine Frau in 2 Monaten ein Kind erwartet, zögert Avner keinen Moment und übernimmt die ihm angetragene Aufgabe. Zusammen mit 4 weiteren Agenten, die jeweils unterschiedliche Qualitäten vom Bombenbau bis zur Passfälschung besitzen, macht er sich auf nach Europa, wo die Jagd auf die Terroristen beginnen kann. Auf der Liste, die er von seinem Vorgesetzten erhalten hat, stehen elf Namen von Terroristen, die zu liquidieren sind.
Unter absoluter Geheimhaltung reisen sie von Genf, nach Frankfurt, Rom, Paris, Zypern, London und Beirut, jeweils mit dem Ziel eine der Personen auszuschalten.
Sie sind, aufgrund der Brisanz des Auftrags, gezwungen, außerhalb jeglicher Legalität zu arbeiten (selbst Teile des Mossad und die israelische Armee wurden darüber nicht in Kenntnis gesetzt) und dürfen keinen Kontakt zu ihren Familien und ihrem Heimatland haben.
Zunächst sind die Männern gänzlich von der Richtigkeit ihres Agierens überzeugt und töten einige der Terroristen. Nach und nach kommen aber Bedenken auf und sie beginnen, den Zweck ihres Auftrags anzuzweifeln. Ihnen wird klar, dass sie gar nicht genau wissen, was die Zielpersonen auf ihrer Liste wirklich getan haben, weil sie so gut wie keine Informationen erhalten haben.
Avner rät schließlich sogar seiner Frau nach Brooklyn, NYC, zu ziehen, da er ihre Sicherheit in Israel nicht mehr gewährleistet sieht. Nachdem einige Terroristen erfolgreich ausgeschaltet wurden, kommt es zu Pannen im Ablauf. Einmal funktioniert die Bombe nicht, ein anderes Mal erschießen sie einen russischen KGB-Agenten und es kommen mehr und mehr Zivilisten zu Schaden. Am Anfang sind Avner und seine Leute noch sehr zurückhaltend, wenn die Gefahr besteht, dass Unbeteiligte gefährdet werden könnten. So blasen sie ein Bombenattentat auf den Fatah-Verbindungsmann in Frankreich ab, weil dessen Tochter in der Nähe ist.
Spielberg möchte zeigen, dass ein derartiger Auftrag und ein Leben in völliger Konspiration nicht ohne Auswirkung bleiben kann. Avner wird im Laufe der Zeit skrupelloser und leicht paranoid. Er vermutet überall Bomben und schläft schließlich im Kleiderschrank. Nachdem drei seiner Leute ermordet worden sind, steigt er aus. Er möchte zusammen mit seiner Familie in Ruhe leben und endlich bei seiner Tochter sein, die er noch gar nicht kennt. Doch selbst dann kommt er nicht von seinem früheren Leben los. Er wirkt apathisch, lebensunlustig, frigide und hat Alpträume. Selbst beim Sex mit seiner Frau gehen ihm die Geschehnisse von München und ihre Folgen nicht aus dem Kopf. In einer lächerlich wirkenden Szene wechselt die Einstellung zwischen der gescheiterten Geißelbefreiung durch die dilletantischen deutschen Polizeikräfte und dem fickenden Paar. Zwar unternimmt der israelische Geheimdienst noch den Versuch, Avner zur Rückkehr zu bewegen und ihn mit seiner Familie nach Israel zurückzuholen, doch Avner lehnt ab und kehrt seiner Heimat den Rücken.
Über lange Strecken ist der Film ein schlechter Agententhriller. Die zu Anfang leicht unbeholfen wirkenden Israelis führen ihren Mordauftrag zunehmend professioneller aus, verstricken sich aber in ein Gewirr von konkurrierenden Geheimdiensten und skurrilen Personen aus der Unterwelt. So ist ihre Hauptquelle ein Mann in Paris, der für hohe Geldsummen Personen ausfindig macht, aber eigentlich nicht mit Regierungen zusammen arbeitet. Dieser erzählt Avner, dass der CIA auch mit Salameh, dem Hauptverantwortlichen des Massakers in München und Chef des Schwarzen September, arbeite, um sicher zu stellen, dass amerikanische Diplomaten im Nahen Osten nicht ums Leben kommen. Prompt verhindern in der nächsten Szene CIA-Agenten einen Anschlag auf Salameh in London.
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Bayerischer Humor: Münchner Groß-demo gegen das Kruzifix-Urteil des BVerfG (1995) unter dem Motto „Das Kreuz bleibt in unseren Schulen“
Kurze Erklärung und Übersicht über die anderen Karikaturen im Editorial
Fehlen darf natürlich auch nicht die femme fatale, eine verlockende Schönheit mit gut riechendem Parfum, die verführerisch an der Hotelbar sitzt. Zwar fällt es Avner schwer, ihr zu widerstehen, aber letztlich gelingt es ihm. Dafür trifft es einen anderen aus seinem Team, den Avner nackt auf dem Bett im Zimmer der Frau tot auffindet.
Spielberg intendiert unter anderem die Darstellung des Loyalitätskonflikts, in den Geheimagenten notwendig kommen. Sie sind als Agenten bereit, ohne zu fragen, etwas für ihr Land zu tun, ja sogar für es zu töten. Als Menschen haben sie aber ein Gewissen und hinterfragen ihr Tun. Als Familienväter sorgen sie außerdem sich um das Wohl ihrer Angehörigen. Diese Art des Konflikts ist weder neu noch ist es Spielberg gelungen, ihn besonders spannend oder ausgefallen darzubieten.
Das problematischste am Film ist jedoch die sich verändernde Perspektive auf die Racheaktion Israels. Während der Zuschauer zunächst dazu gebracht wird, die Handlung des israelischen Staates nachzuvollziehen und gut zu heißen, ändert sich dies im Laufe des Films. Spielberg endet bei einer moralischen Äquidistanz zwischen der Entführung und Massakrierung israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen und der gezielten Liquidierung der Verantwortlichen durch Israel. Er deutet die Ereignisse im Nahen Osten als eine Gewaltspirale, in der die Aktion der einen Seite eine Reaktion der anderen provoziert und deshalb alles schlimmer wird.
Dies äußert sich im Film auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen haben die Agenten mehr und mehr Selbstzweifel und fragen sich, welchen Sinn es macht, einen Terroristen zu liquidieren, wenn dadurch sechs neue geschaffen werden und der getötete durch einen noch brutaleren ersetzt wird. Solche Fragen haben fraglos ihre Legitimität, aber sie können nur beantwortet werden, wenn sie nicht auf eine individuell-moralische Art und Weise abgehandelt werden unter Ausblendung der realen historischen Situation. Dies verhindert eine Kontextualisierung der individuellen Positionen und Handlungen. Dann steht die Notwendigkeit der Gründung des Staates Israel neben dem Leid des palästinensischen Terroristen, der um die Olivenbäume seines Großvaters trauert. So tragisch solche individuellen Leidensgeschichten sein mögen, Spielbergs Herangehen verhindert eine differenzierte Wahrnehmung des Konflikts, für die Gewalt nicht gleich Gewalt ist.
In einer anderen Szene treffen Avner und sein Team, denen in Athen ein angeblich sicheres Versteck von ihrer Quelle besorgt wurde, auf eine Gruppe PLO-Mitglieder, denen das gleiche Versteck zugewiesen wurde. Avner gibt sich als Hans, Mitglied der RAF, aus und hat ein längeres Gespräch mit Ali, dem Chef der anderen Gruppe, das zu einem Schlüsseldialog wird. Ali beklagt den Verlust seiner Heimat und merkt an, dass es der PLO gar nicht um internationale Solidarität gehe, sondern ganz schnöde um Heimat. Dies könne die europäische Linke nicht verstehen. Als Avner anmerkt, dass dieser Kampf aussichtslos sei, weil die Araber keinen Trumpf in der Hand hätten, wirft Ali Hans alias Avner vor, dass er als Deutscher viel zu umsichtig mit den Juden umginge, wegen Hitler.
Zwar ermöglicht die Darstellung Alis keine ungebrochene Identifikation des Zuschauers mit ihm, aber es wird doch möglich, sich in ihn einzufühlen und seine Motivation zu verstehen. Wer würde nicht für eine bessere Zukunft seiner Kinder kämpfen? Wer versteht nicht die Wut über die Bombardierung palästinensischer Flüchtlingslager durch die israelische Luftwaffe? Während das Prinzip in Paradise Now „Feel like the suicide bomber“ war, ist es in diesem Film „Understand the terrorist.“ Der Unterschied ist eher marginal.
Die ach so gern herbei beschworene Gewalt-spirale kommt dann immer wieder vor, etwa wenn Avner und seine Leute nach einem erfolgreichen Anschlag auf einen Terroristen im Fernseher sehen, dass andere Palästinenser ein Massaker an israelischen Touristen am Athener Flughafen angerichtet haben. Gewalt provoziert Gegengewalt. Gegengewalt provoziert Gegengegengewalt. Gewalt ist schlimm und immer zu verurteilen. Dennoch sind zugleich auch die Motive beider Seiten irgendwie verständlich. Dass bei diesem gutmenschelnden Herumlavieren Antisemitismus nicht vorkommt, ist nicht verwunderlich.
Spielberg würde diese Interpretation sicherlich von sich weisen; so sagte er: „In 1972, when Black September used the Olympics to announce themselves to the world, they broke all the rules and broke the boundaries of that conflict. Israel had to respond, or it would have been perceived as weak. I agree with Golda Meir’s response. The thing you have to understand is, Munich is in Germany. And these were Jews dying all over again in Germany. For Israel, it was a national trauma. The Avner character, in the end, simply questions whether the response was right.“ (http://www.filmspiegel.de/filme/muenchen/muenchen_1.php)
Dieser Aussage ist weitgehend zuzustimmen, aber ihre Umsetzung im Film findet nicht statt. Es ist nicht einfach nur der Avner-Charakter, der am Ende in Zweifel zieht, dass die Reaktion richtig war. In der Endszene schlägt Avner definitiv das Angebot aus, zurück nach Israel zu gehen und weiter für den Mossad zu arbeiten. Dies kann ihm sicherlich niemand verübeln und die Entscheidung, sein Leben in New York City zu verbringen, ist vollkommen nachvollziehbar. Warum wird aber von Spielberg im Abspann die Skyline der Stadt mit beiden Türmen des World Trade Center lange eingeblendet? Wie kann das anders interpretiert werden, als dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Gewalt-spirale in den 70ern und 9/11 gebe? Zwar gibt es eine Relation zwischen den Flugzeugentführungen der Palästinenser in den 70ern und den Islamfaschisten im Jahre 2001, die Passagierflugzeuge in Bomben verwandeln, aber sicherlich anders als Spielberg es sieht.
In der Schlussszene macht der Regisseur außerdem seine Haltung zum war on terror deutlich, der, vor dem Hintergrund des Films betrachtet, nur die Gewaltspirale weiter anheizen kann. Nach dem Massaker in NYC 2001 sind auch die USA zu einer Racheaktion geschritten und haben das Talibanregime beseitigt und gezielt die Führungskader von Al Quaida liquidiert. Wozu das führen kann, indiziert Spielberg mit der Schlusssequenz.
Der Rezensent geht im Gegensatz zu Spielberg davon aus, dass auch der Einsatz militärischer Mittel ein integraler Bestandteil im Kampf gegen den Terrorismus ist. Mit Bin Laden oder der Hamas lässt sich schlecht diskutieren und auch ein Sozialarbeiter wird sie kaum von ihrem Fanatismus abbringen. Zu hoffen bleibt deshalb, dass die USA und Israel den war on terror gewinnen, unter anderem auch deshalb, damit Leute wie Spielberg weiter Filme drehen können, die man sich aber nicht immer anschauen muss - manchmal geht man besser Bier trinken.

Sebastian Steim


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last modified: 28.3.2007