Der Hardcore definiert sich über eine Szene, die, wenn man einen
flüchtigen Blick darauf wirft oder diversen Veröffentlichungen
(Platten, Fanzines, Diskussionen
) glaubt, intakt scheint. Dem ist nicht
so. Größere Bands überschlagen sich in Rechtfertigungsversuchen
gegenüber einem fragwürdigem Publikum und sind trotz allem happy, vor
mehreren tausend Leuten zu spielen. Kleinere Bands beschwören ihre
Authentizität, bedienen mal dies, mal jenes Klischee und verstehen jedes
Konzert als Sprungbrett in die nächste Liga. Eine Prise mehr Politik
wünschen sich all jene Konzertbesucher, die Hardcore oder Punk als etwas
Emanzipatorisches, Antifaschistisches schätzen gelernt haben. Alle Kenner
der Großwetterlage in linken Kreisen sehnen sich nach einem Maulkorb
für politisch ambitionierte Bands. Niemand lässt nur ein gutes Haar
an Tough Guys und doch dominieren sie die Konzerte von Flensburg bis Garmisch.
Ständig diskutiert wird der Sinn und Unsinn der Straight Edge-Ideologie.
Und, um diese halbherzige Bestandsaufnahme abzuschließen, selbst Nazis
besuchen teilweise unbehelligt Hardcoreshows. Konstruktive Kritik, wie sie
nicht selten formuliert wird, scheitert am Interesse, am Intellekt oder der
grassierenden Borniertheit. Das ist kein spezifisches Phänomen, sondern
der aktuelle Stand aller Dinge weltweit, deren Betrachtung in jedem Falle
lohnt. Bleibt der gemeinsame Nenner: ein Faible für harte
Musik. Die kommt heute Abend im Marathon-Format daher. Sechs Bands machen
bestimmt fünf Stunden Musik und besitzen vier verschiedenfarbige
Pässe. Die kürzeste Anreise hat die selbsternannte letzte Gang in
town, die auf den schicken Namen Paint The Town Red hört. In
München und Umgebung eine feste Größe, dank stetiger
Live-Präsenz und qualitativ hochwertigem Hardcore der neueren Schule. Aus
der Schweiz reist die junge Formation Solid Ground an. Machten bei den
wenigen Konzerten die sie bisher spielten, doch gehörig von sich reden.
Auffallend sympathische Old School S.E. Mucke, die an In My Eyes, Champion
oder Better Than A Thousand erinnert. Ein wenig ruhiger lassen es
die Amerikaner von Planes Mistaken For Stars angehen. Zwar werden auch
ihre Platten von Jahr zu Jahr härter, aber das Image einer Emoband haftet
ihnen immer noch an und das nicht zuletzt deshalb, weil sie melancholische und
melodiöse Songparts noch immer nicht aussparen können. Klingen ein
wenig wie Grade und werden von mir gesondert empfohlen. Ein Klassiker,
denkt man, hört man die musikalischen Ergüsse der Engländer
Awoken. Arges Gestampfe, flotte Strophen und ständiges Gegrunze
machen die Band markant und gleichzeitig beliebig. In jedem Fall supporten und
bereichern sie die Szene in England. Und weil Insel ja nicht gleich Isolation
bedeutet, kommen auch Awoken um ein paar nette Metal-Riffs nicht drumrum.
Sympathische Streithälse, fällt mir beim Thema Undying ein.
Las ich doch letztens von einem netten Vorfall während ihrer Tour mit
Walls Of Jericho. So trug es sich zu, dass Undying am Abend selbst
beschlossen, nicht auf die Bühne zu gehen, weil man sich kurz vorher
massiv in die Haare gekriegt hatte. Konsequent, meine ich, auch wenn der
Veranstalter vor Ort das nur mit Kopfschütteln quittieren würde.
Musikalisch blieb bei der Formation aus North Carolina sicher alles beim
gehabten. Derber Metalcore mit Female-Voices. Wer nach all dem Krach noch
stehen kann, wird von der Koryphäe mit Namen Converge belohnt. Es
gibt wirklich wenig Bands, die es so glänzend verstehen, ein ratloses
Publikum zu hinterlassen. Kaum ein Motiv wird länger als zehn Sekunden
gespielt, dazu klare Breaks und ständige Tempiwechsel. Ein Universum aus
Gewalt und Brutalität wird fortwährend aufgebaut und mit dem Arsch
wieder eingerissen. Dabei bedienen sich Converge jedwedem musikalischen
Einflusses. Der Jazz macht die Musik, der Metal den Ton und über allem
thront König Punkrock. Selten geil.
Biene
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