home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[117][<<][>>]

Texta aus den Kinderzimmern.


I.   Kinderzimmer Productions – oder „die hohe Kunst der tiefen Schläge“

none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k Kinderzimmer Productions, 25.2k none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k

Seit über zehn Jahren basteln Textor und Quasimodo nun schon in schwäbischen Kinderzimmern an ihrer ganz eigenen Interpretation von Hip Hop, die es noch immer schafft, „dass sich die ganzen Ischfickdischbitsch-Rapkids gelangweilt abdrehen. Und wir uns zuwenden.“ (das sind jetzt aber auch schon mehr als genug Intro-Zitate für diesen Text)
Jedenfalls bieten die Jungs keine Anknüpfungsmöglichkeiten für identitäres Gehabe . Da mir Produktwerbung nicht liegt, hier ein paar Text-Samples der ersten Jahre KP: „pas de Glamour nur ein Führerschein, Zivildienst und ein Durchschnittsabitur“. „Wir sind nichts für niemand. wer uns vorsichtig beäugt: stellt fest: wir sind fett viel besser als das ganze Zeug.“ „Vielleicht habe ich nur einen Kopf und keine Eier – Reclam-Kraftmayer winschnittig blaß - der Trottel auf der Feier“
Schon beachtlich, dass Textor und Quasimodo sich schon Anfang der 90er die Frage stellten, wieso „deutscher Hip Hop so oft den Geruch von Uniformen an sich“ hat. Zwar beantworten die beiden die Frage nicht aus der Perspektive des Kritischen Theoretikers, aber sie wussten von Beginn an ihr Konzept „Abgrenzung ohne Uniformierung“ durch ihren schrägen Nonkonformismus umzusetzen.
Das Duo aus „U-Stadt“ kommt mit neuem Album „Irgendjemand muss doch“ im Gepäck, das laut Gorilla-Promotion klar macht, „wie gehaltvoll Leichtigkeit sein kann. Sie ist frei, fliegt wie ein Schmetterling und sticht wie ‘ne Biene“ (huch, ist das noch Werbung?)
„Sie ist eine Einladung für die die wollen, eine Herausforderung, für die die können und nicht immer nett zu deiner Mutter“.
Wer KP kennt, weiß, dass das nicht als niveaulose Battle-Rhyme-Attitüde zu verstehen ist, sondern vielmehr als Einladung zum Zuhören, als Herausforderung zum Verstehen.
Die wortgewaltigen Diss-Attacken lassen nicht immer gleich einen Schluss auf Adressat und Absender zu und sind an Niveau und Ironie unerreicht. Den Unterschied zu jeder Form von massentauglichem Hip Hop in Deutschland kann man definitiv nicht nur an den unglaublichen Reimkünsten festmachen, (Quasimodo ist der Sample-Maniac, in Person), ist es doch die oft konfus anmutende Mischung von scheinbar unsinnigen und tiefsinnigen Aussagen (Reime von Lasagne al forno über Adorno zu Panda Porno), die für mich das Markenzeichen des Kinderzimmers bilden. Oft verstecken sich beim genauen Hinhören erfreulich gehaltreiche Statements zwischen Textors Wortschwallen, ohne jemals wirklich Antworten zu liefern.
Keine Frage, Textors Sprechgesang ohne Punkt und Komma gepaart mit dem rohen Sound von QuasiModo mögen für mancheN gewöhnungsbedürftig sein. Wer trotzdem willens ist, in die schräge Welt der Zwei aus Ulm einzutauchen, wird mit Geschichten statt Plattitüden bombardiert, die zum Nachdenken, Grinsen oder einfach nur zum Kopfschütteln einladen. Oder, wie auf der neuen Platte so nett gereimt: „Irgendwo zwischen hier und ich werd nicht mehr.“

II.   Texta - brechen Sprachbarrieren

none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k Texta, 28.8k none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k
none, 0.0k

Fernab von Deutschrap, Battlcrews und selbsternannten bundesdeutschen HipHop-Metropolen existieren ebenfalls seit mitlerweile über zehn Jahren Texta, der wohl bekannteste HipHop-Act aus Österreich.
Wem beim Gedanken an österreichische Raps jetzt die Gesichtszüge entgleiten, der/dem sei’s verziehen, da er oder sie höchstwahrscheinlich noch nie eine Scheibe der fünf Sympathen aus Linz gehört hat. Texta ist definitiv eine der ungewöhnlichsten und mittlerweile vielfältigsten Crews im deutschsprachigen Raum. Ihre Verbindung von Mundart und unglaublichem Wortwitz, dem Gespür aus jeder Situation im Sinne des Storytelling eine Geschichte zu machen, in die man eintauchen muss und immer wieder harte Raps auf fetten Beats suchen ihresgleichen.
Textlich fasziniert weniger der genaue Inhalt als das Konzept „Blickwinkel“ (so auch der Titel des letzten Albums). Gedanken werden individuell formuliert und im Gespräch neben- oder gegeneinander gestellt.
Trotz des unglaublichen DJs Dan leben Texta vom MCing und schaffen es, wie wahrscheinlich nur wenig andere, mit Skero, Huckey, Flip und Laima vier unterschiedliche Styles und Charaktere aufs Parkett zu bringen, die es verstehen, ihren Gedankenoutput und -austausch reimtechnisch ebenso virtuos wie verwirrend zu gestalten. (Irgendwie erinnern sie mich manchmal an RAG.)
Zwar steht nicht an erster Stelle der Erkenntnisgewinn, sondern der Gedankengang - und es kommen dabei Gedanken zum Ausdruck, die ich nicht immer unterschreiben würde - aber dennoch: hier liegt für mich das Geheimnis und der „Zauber“ von Texta: ernste, im Ansatz politische Songs haben nie einen doktrinären oder Propagandacharakter. Lustige, verarschende Texte werden nie zynisch und verletzend. Dabei steht meist die Story (sei es Message oder Humor) im Vordergrund und keine x-fach gedoppelten High Speed Raps.
Allerdings lässt sich schon eine deutliche Weiterentwicklung, wenn nicht gar ein Bruch, auf dem mittlerweile vierten Album „So oder So“ feststellen. Nach dem Abschluss ihrer Album-Trilogie, liefern sie nun ein experimentierfreudiges Gewitter aus Mundartstyles, einen (für Texta ungewöhliche) DubleRhymeTrack, im Ansatz politische Raps sowie eine wilde Mischung aus souligen Tracks und DanceHallTunes. Dazu solche im Hip Hop selten vorkommenden Erscheinungen wie ein Intro im „hochalpine“ Style und ein Song mit Jazztrompeter. Nicht zu vergessen der ultimative „Nachricht von Dan“, einem Message-Track, ausschließlich mit Cuts and Scratches, indem DJ Dan seine Disse gegen Savas und Kollegen (?) los wird.
Auch wenn ich nicht auf Name-Dropping stehe, sollte wohl erwähnt werden, dass die Jungs über die Jahre mit solch namhaften Acts wie Blumentopf, Jurassic Five oder Main Concept zusammengearbeitet haben.
Für „So oder So“ haben sie einige Songs von Paul Gregory in New York abmischen lassen und unter anderem einen Track mit OneIImany aus Kroatioen aufgenommen.
Der mittlerweile aufkommende Erfolg ist den Österreichern scheinbar gut bekommen und tat ihre Tourfreudigkeit und Klasse keinen Abbruch, schließlich macht das ihre Popularität aus.
Gäbe es so etwas Sinnloses, wie ein aus dem Boden gestampftes Gegenkonzept zu all dem unerträglichen Auswüchsen von Hip Hop in Deutschland (von Fanta 4 bis Aggro Berlin), dann wären Texta und KP sicherlich zwei Aushängeschilder davon, ob sie wollten oder nicht. Also, ein Abend mit zwei Hip Hop Größen, die beide nicht in der Style-/ Technique-Falle gefangen sind, sondern eine unterhaltsame Show zum Tanzen oder Kopfnicken, Zuhören oder Lachen versprechen.
Interessant werden dürfte das Ganze auch für nicht eingefleischte Hip Hop Heads, die sich schon immer die Musik minus der idenditären und reaktionären Tendenzen (und ohne dabei einzuschlafen!) gewünscht haben. Es lohnt sich - So oder So!

Lehni
supported by: Beatpunk Webzine (www.beatpunk.org)


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[117][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007