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Jenseits digitaler Hysterie |
Mouse on Mars (Sonig), DJ Elephant Power Mapache (Velocity Sounds) resom (Propellas/Giroton) Mouse on Mars, Avantgarde-Künstler, dekonstruktivistischste Band, Schöpfer non-hierarchischer Musik, mit 1001 auf dem Sampler In Memoriam Gilles Deleuze (1996, Mille Plateaux, früher mal bei EFA) vertreten, haben mit Radical Connector zum 10-jährigen Bestehen ihr achtes Album veröffentlicht. Das musikalische Prinzip von Mouse on Mars beschrieb die Spex mit Blick auf
Autoditacker (1996) wie folgt: Dabei ergehen sie sich in
Andeutungen: Kaum hat ein Riddim oder eine Melodie seine/ihre Präsenz
behauptet, pocht ein anderes Element auf den Platz in der ersten Reihe. Kaum
hat sich Deepness ausgebreitet, wird sie von Lustig- und Leichtigkeiten
konterkariert. Kaum hat sich eine Song-Struktur etabliert, wird sie von einer
freieren abgelöst. Jenseits von Jazz und E-Musik haben Mouse on Mars hier
das Prinzip Non-hierarchischer Musik unter den Bedingungen von im
weitesten Sinne Pop verwirklicht. In diversen Besprechungen und in Anspielung auf dekonstruktivistische Theorien schwingt mit, dass MoM mit ihrem Umgang mit Musik ihren Songs/Tracks quasi die Idee zum richtigen Umgang mit Gesellschaft einschreiben würden. Sicher gelingt es Mouse on Mars, durch bewussten Bruch den typischen Aufbau, teilweise gar die Funktion von Musik offen zulegen. Denn folgt man der Ansicht, dass sich in Musik und Kulturprodukte im Allgemeinen über deren Produktion auch deren Funktion für Gesellschaft einschreibt und sich daran orientiert auch deren musikalische Struktur aufbaut (darin, so denke ich, könnten sich vielleicht sowohl Dekonstruktivisten als auch kritische Theoretiker einig sein), so birgt der bewusste, offensive, ich möchte meinen für MoM programmatische Bruch damit natürlich einen gewissen Erkenntnisgewinn. Und selbst wenn man sich soweit aus dem Fenster lehnen und behaupten würde, dass sich individuell sinnliche Erfahrungen einstellen können, die einem oder einer sonst verborgen blieben, so wären diese doch nur im Bezugssystem Popkultur überhaupt erklärbar und nicht unterscheidbar zum Berührt-Sein durch beispielsweise den neueste Chat-Breaker. Doch unabhängig von der Einschätzung, ob Musik oder Kultur im Allgemeinen es überhaupt leisten kann, eine Idee, eine Utopie zu transportieren, so ist festzustellen, dass zumindest im Bezugsrahmen Popkultur kaum noch wer tatsächlich diesen Anspruch hegt. Mouse on Mars jedoch halten diesen Anspruch hoch. So führt Jan Werner aus: Für mich ist MoM in erster Linie eine Idee. Es gibt viele musikalische Inspirationen, immer wieder auch free Jazz. Vor allem aber Dada, Futurismus, oder Fluxus all diese Kunstbewegungen, die den Rahmen sprengen wollten und eher Lebensziele hatten als kunstimmanente. Es geht eben um Ansprüche an Leben, die sich auch in der Kunst ausdrücken lassen oder formulieren lassen müssen. Die musikalische Aussage von MoM enthält also neben der Möglichkeit,
sich sinnlich der Musik hinzugeben, durchaus den Subtext, die Rolle
von Musik und Kultur für unserer Gesellschaft zu hinterfragen
umgesetzt, indem offensiv mit gängigen Hörgewohnheiten gebrochen
wird. Das Ganze dann als Anleitung zum richtigen Umgang mit dem falschen Leben
zu überhöhen, würde jedoch wohl etwas zu weit führen. So
schrieb Diedrich Diederichsen in der Besprechung des In Memoriam Gilles
Deleuze-Samplers in Spex #3 1996 richtigerweise: Inspiration
durch Theorie ist nicht deren Umsetzung. Denn egal wie reflektiert Musik
daherkommt und wie sehr sie mit Hörgewohnheiten bricht, sie ist in erster
Linie dennoch Ware und die Aussage, die mitgeliefert wird, kann
wahrgenommen werden, muss aber nicht. Denn auch ein Mouse on
Mars-Konzert lässt sich nur innerhalb des normalen Veranstaltungsrahmens
umsetzen, und so dient z.B. auch dieser Text in erster Linie der Werbung, ob
gewollt oder nicht. Und selbst wenn MoM noch so vertrackte Sachen machen, so
dient eben auch ein MoM-Platte in erster Linie dem Amüsement, der
Ablenkung und fungiert, wie Roger Behrens es in Anlehnung an die kritische
Theorie formulierte, dazu: die bestehende Ordnung lediglich affirmativ
und ästhetisch [zu] verdoppeln (Diktatur der Angepassten,
[transcript]), selbst dann, wenn es uns eine Vielzahl von MoM-Stücken
schwer machen, sie zu erschließen und sich vielleicht sogar ein kleiner
Erkenntnisgewinn über die Funktion von Musik oder Soundstrukturen
einstellt. Das ist nicht als Vorwurf an Mouse on Mars zu lesen, sondern deren
Eingebundenheit in Popkultur geschuldet. Denn MoM nutzen ihre
Möglichkeiten, um zumindest den Anspruch, Kultur und Musik dafür zu
nutzen, mehr zu formulieren (jenseits auf Songtexte heruntergebrochener
Slogans) anstatt nur musikalische Ansprüche hoch zu halten. Damit
versuchen sie zumindest ein Stück weit aus dem heraus zu treten, was
wiederum Roger Behrens in seinem Buch Diktatur der Angepassten als
das selbstreferenzielle Bezugsystem Pop benannte. Beim Hören der neuen Platte Radical Connector fällt eins auf. Entgegen der musikalischen Bestimmung dessen, was Musik nicht sein sollte, dem bewussten Verzicht auf ausgedehnte, emotionale Verdichtung etwa, bzw. die Vertracktheit älterer Stück, sind MoM offensichtlich an einem Punkt angekommen, an dem sie weniger einen Gegenentwurf im Negativen versuchen, sondern einen wesentlich positiveren Entwurf vorgelegt haben. Für mich ist dies wenngleich nicht im ästhetischen Sinne vergleichbar mit der von mir unterstellten Intension der letzten Blumfeld-Platte Jenseits von Jedem. Auch da hatte sich gegenüber Testament der Angst eine Wandlung vollzogen. Wurde in Diktatur der Angepassten noch sehr zutreffend transportiert, weshalb sich gesellschaftliche Umstände, in denen wir leben, tendenziell eher zementieren, wird dieser Hoffnungslosigkeit ein Wir sind frei entgegengehalten. Jedoch ohne das vorherige damit zu negieren. Auf graue Wolken folgte der Sturm. So ist es nach meinem Verständnis ein Aufruf, auch im Falschen die Möglichkeiten zu Lustvollem, Schönen zu nutzen, ohne sich dabei jedoch gänzlich darin zu verlieren. Und so ist für mich weniger musikalisch-ästhetisch als vielmehr intensional ein Jugend von heute auf Blumfelds Jenseits von Jedem eng mit Send me Shivers auf Radical Connector von Mouse on Mars verwand. Und auf diese Wandlung anspielend schreibt De:bug in Bezug auf die neue Platte
von MoM im Popformat, und die NZZ erkennt darin ein nicht unbedingt
erwartetes musikalisches Bekenntnis zu Funk, RnB, und
Pop. Der lockere und dennoch souveräne Umgang mit
Popmelodien sowie eine weniger gebrochene Ästhetik auf
Radical Connector überraschte also. Wobei mit Pop
wohl recht unspezifisch auf die Stücke der Platte angespielt wird, die
melodisch recht umgänglich daher kommen. Im Gegensatz zu
Ideology aus dem Jahr 2001, die zwar spannungsvoll, jedoch zuweilen
für so manches auf eindeutige Rhythmik, klare Tonnation und
eingängige Melodien konditioniertes Ohr schwer zugänglicher war und
gerade daraus seine Bedeutung bezog, bietet Radical Connector da
mehr Anknüpfungspunkte ohne sich jedoch dieser Verlockung
gänzlich hinzugeben. Jan Werner dazu in der NZZ: Dass alles wirr
sein soll und hoffnungslos, wie behauptet wird, das galt es zu
widerlegen, als Pop-Platte ist dies auch unsere aggressivste, denn
sie dringt in Bereiche vor, wo man immer dachte, wir würden uns da vornehm
zurückhalten: wir bilden die Alternative dieses Image
sollte mal zerschmettert werden. Für uns gibt es keine musikalischen
Tabus. Dennoch erhalten sich MoM im Spiel zwischen musikalisch Gewohntem
und bewusstem Bruch ihre sehr eigene Unberechenbarkeit. Wenngleich es kein
Novum ist, dass MoM mit recht eingängigen Melodien arbeiten, so werden sie
mit Radical Connector ihrem musikalisch formulierten Anspruch,
Genregrenzen aufzulösen und Stile zu verbinden, sehr eindrucksvoll
gerecht, ohne dabei jedoch Verrat an ihren Soundzerlegungen
(De:bug) zu begehen.
Marvin |
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