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Ausschlafen gegen Rechts? |
Die Zeiten im Osten sind wirklich nicht die Besten. Die nationalsozialistische NPD sitzt seit kurzem erstmals seit 1968 wieder im Landtag und hat gute Chancen im Verbund mit der semiprofessionellen Mannschaft der DVU und der militanten Stiefelnazistraße in Bälde erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder in den immer noch vorhandenen Reichstag einzuziehen. Beinahe zeitgleich werden die Mittel für den zivilgesellschaftlichen Umgang mit den neuen Nationalsozialisten eingefroren und schmelzen wegen der fortschreitenden Schließung einschlägiger Projekte langsam dahin. Schon steht Wolle Tiefensee fast allein auf seinem Kulturfest und sinniert im Angesicht der vorbeigröhlenden Nazis nachdenklich, dass wir alle (!) jetzt genau (!) hinhören müssten, was dort gesagt werde. Beflügelt vom parlamentarischen Erfolg der Neonazis, gewinnen auch die Kameradschaften wieder an Höhe. Noch vor drei Jahren hatte die rot-grüne Kampagne für Zivilcourage den heranwachsenden Jungnazis deutlich zu verstehen gegeben, dass ihre deutsche Heimat sie aus Imagegründen nicht tolerieren würde. Diese Zeiten sind vorbei. Folgerichtig und angesichts dieser Zustände wird auch in Leipzig, beispielsweise beim BgR, die Notwendigkeit der Wiederaufnahme klassischer Anti-Naziarbeit wieder diskutiert. Den Nazis die Höhe zu nehmen scheint wieder Aufgabe linker (oder mit welchen Labels auch immer versehener) AntifaschistInnen. Vor allem weil sie augenscheinlich die Einzigen sind, die über die kurzzeitige mediale Aufregung nach dem Wahlerfolg der Rechtsextremisten hinaus dazu zumindest praktisch bereit wären. Am Tag deutschen Einheitsfeierlichkeiten, an dem sonst das hemmungslose mediale Abfeiern nationaler Borniertheit im Mittelpunkt steht, scheint in Leipzig in dieser Hinsicht ein ganz passabler Startschuss gelungen zu sein. Und doch offenbart die Stärke beim pragmatischen Umgang mit den Kameraden in Verbindung mit der Schwäche bei der Auseinandersetzung mit inhaltlicheren Themenfelder, wie dem Umgang mit der Friedens- oder Antiglobalisierungsbewegung, der rot-grünen Geschichtspolitik oder auch der Kritik an Europa vor allem eines: Den inhaltlich katastrophalen Zustand der Linken. Wie sonst könnte es zu erklären sein, dass die erwähnten Themenfelder, denen im postfaschistischen Deutschland zweifellos eine weitaus größere Bedeutung zukommt, einen doch recht geringen Anklang finden? Wie kann es sonst sein, dass die gleichen Punker, die an dem einen Wochenende gegen die Nazis demonstrieren, einige Tage zuvor mit einer weitaus größeren Menge an RechtsextremistInnen (man denke nur an die zahlreichen BüSO-Verrückten) auf den Montagsdemonstrationen davor warnen, dass Deutschland unter- bzw. baden gehe? Will wirklich jemand mit der PDS, die den Wanderpokal für das entlarvendste Wahlplakat in der Kategorie deutsche Ideologie mit ihrer zeitlosen Feststellung Jeder Zweite schläft auch werktags aus. Ungerecht! problemlos für sich beanspruchen kann, zusammen demonstrieren? Wie ist es möglich, dass ein Großteil der Linken allerorten die abflauende Anzahl von Protestierenden gegen Hartz IV als Vorschein der Emanzipation als zu radikalisierendes Potential analysiert? Will jemand diese Menge, die in ihrer Sorge um den Standort Deutschland, ihrer fetischistischen Forderung nach Arbeit und ihrem Hass auf angebliche Volksschädlinge, ob korrupte Politiker oder unersättliche Manager, mehr rechte Ideen als zweckrationale Interessen vertritt, wirklich radikalisiert sehen? Den Wenigen, die gegen die Zumutungen der Rücknahme der Alimentierung der nicht Verwertbaren im globalisiert erblühten Kapitalismus oder gar gegen diesen selbst protestieren, sollte aufgefallen sein, wogegen sich der Volkszorn vor allem richtet. Gegen die da oben. Wir hier unten sind schließlich das Volk. Und auch noch das deutsche. Diese Demonstrationen kann kein noch so motivierter Das Ende der Bescheidenheit-Block mehr veredeln. Dabei wäre Protest gegen den sich verschärfenden Zwang durchaus angebracht, denn das Modell ist ein in Deutschland bekanntes. Die historische Bezeichnung Reicharbeitsdienst wirkt allerdings heute nicht mehr so recht griffig im rot-grünen und damit vor allem geschichtspolitisch modernisierten Deutschland. In einem sind sich die guten Demokraten von Attac und PDS allerdings einig: die Neonazis gehören nicht auf die Anti-Hartz-Proteste. Der hysterische Umgang mit der allerorten mitdemonstrierenden Handvoll Nazis, die mit Forderungen auftreten, die teilweise so auch auf Transparenten der PDS hätten stehen können, offenbart vor allem eines: die völlige Unfähigkeit eines Großteils der deutschen Gesellschaft, das wirkliche Problem an den Rechtsextremisten auch nur zu benennen geschweige denn sich kritisch mit deren Ideologie auseinanderzusetzen. Allein der Grund ist einfach. Die von den Nationalsozialisten in radikalisierter Form vorgetragenen Vorstellungen ihr Wille zum homogenen völkischen Kollektiv, ihr autoritäres Verhältnis zum Staat und Arbeit, ihr Verhältnis zu Amerika und Israel und ihre Problemanalysen der Gesellschaft, die sie allerorten von Volksverrätern unterminiert sehen sind Auffassungen, die weiten Teilen der deutschen Bevölkerung keineswegs fremd sind. Der rechte Konsens ist ungebrochen vorhanden. Die bundesweiten Wahlerfolge bekennender Nazis scheinen eine Ausbreitung und Enttabuisierung dieses volksgemeinschaftlichen Denkens und dessen Rückkehr in die offizielle Politik anzuzeigen. Auch in dieser Hinsicht lassen die Positionen, die in der aktuellen Diskussionen in der CDU um den Beitritt der Türkei in die Europäische Union ans Tageslicht geraten, auf nichts Gutes schließen. Mit Ausschlafen gegen Rechts könnte es also zumindest in absehbarer Zeit vorbei sein. Marcel Frost |
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