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Guten Morgen, Antifa

Die Zeit des Antifa-Dissings sollte spätestens seit den Landtagswahlen vorbei sein, vor allem in Sachsen

Die rassistischen und antisemitischen und dabei immer seltener kaschierten Einstellungen weiter Teile der Bevölkerung haben bei der sächsischen Landtagswahl ihren nachzählbaren Ausdruck gefunden. 9,2 Prozent der Zweitstimmen wurden für die NPD abgegeben – das sind reichlich 200.000 WählerInnen. Diese wählten eine Partei, die offen die Verherrlichung des Nationalsozialismus betreibt und zu deren Zielen die Wiederherstellung von „Volks- und Deutschtum“ gehören. Sie sind nicht mehr und nicht weniger Ausdruck der gesellschaftlichen Realität. Auffällig ist dabei, dass die NPD flächendeckend hohe Ergebnisse erzielen konnte. Abgesehen von den Städten Leipzig, Dresden und (bedingt) Chemnitz lagen die Ergebnisse in vielen Wahlkreisen gar im zweistelligen Bereich. Spitzenreiter dabei ist, wie nicht anders zu erwarten, der Wahlkreis Sächsische Schweiz 2 mit 15,1% der Stimmen, gefolgt von Annaberg mit 14,0% und Riesa-Großenhain mit 13,9%. Also jene Gebiete, die bereits zur Kommunalwahl im Juni hohe Stimmenanteile für die NPD verzeichneten. Hier sind aber auch andere Regionen wie Ostsachsen oder der Landkreis Döbeln zu nennen, wo es zu hohen Ergebnissen für die NPD kam.
Leipzig zeigt Courage I, 23.3k

Leipzig zeigt Courage II, 20.1k
Es mag sein, dass einzelne aus Protest, Unkenntnis und Dummheit ihr Kreuz bei den Neonazis machten – eine Erklärung für über neun Prozent ist das nicht. Im Gegenteil: Die Leute, welche NPD wählten, haben gewusst, was sie tun und sie haben es bewusst getan. Sie wählten die Partei, weil sie das vertritt, was sie selber denken und empfinden: eine eliminatorische Strategie gegen alles als „fremd“ und „anders“ empfundene; und weil die NPD dies ohne Rücksicht auf vermeintliche Political Correctness „offen ausdrückt“; und weil die NPD für die ausgemachten gesellschaftlichen Problemlagen die angeblich Schuldigen benennt und einfache Lösungsansätze gleichermaßen bietet: „Ausländer raus“. Die Reaktion der gesellschaftlichen „Zu- und Anständigen“ war ebenso altbekannt: Neonazis schaden dem Image, dem Wirtschaftsstandort, den Investitionen. Neonazis schaden der sächsischen Bevölkerung. Damit werden die rassistischen Wähler nachträglich zu Opfern ihrer eigenen Wahl gemacht. Kein Wort von der alltäglichen Bedrohung für MigrantInnen, Nichtrechte, Anderslebende, die sich mit diesem Wahlerfolg manifestiert.
Das Ergebnis der Wahl mag entsetzen, überraschen kann es nicht. Ausgesprochen siegesgewiss konnte die NPD in und durch den Wahlkampf ziehen. Bereits nach dem Erfolg bei den Kommunalwahlen, insbesondere der ertragreichen Zusammenarbeit mit anderen Parteien und Gruppen im Nationalen Bündnis Dresden, sah man den Weg in den Landtag bald klar vor sich. Spätestens aber seit dem Abkommen mit der DVU, sich gegenseitig keine Konkurrenz zu machen, und dem Handstreich der sächsischen Landesführung der Republikaner, die einen Tag vor Schließung der Wahlliste eigenmächtig den Wahlvorschlag der REPs zurückzog, war der Einzug sicher. Alle Umfragen bestätigten den Trend, so dass der Wahlabend selbst, rational gesehen, in Bezug auf das NPD-Ergebnis eigentlich keine Überraschungen bot.
Mit dieser Einschätzung konnte sich die NPD schlussendlich auch am Wahltag selbst präsentieren. So war der Spitzenkandidat Holger Apfel schon bei seiner Stimmabgabe am Morgen fröhlich aufgelegt. In die Kamera grinste er den anvisierten Einzug in den Landtag am Abend.
Im Landtag selbst waren schon am späten Nachmittag die ersten drei Nazis zugegen. Um 18 Uhr lagen sie sich in den Armen und kündigten das Kommen von Holger Apfel und Udo Voigt an. Selbst über ihre Ziele befragt, konnten sie keine Auskunft geben, sondern verwiesen immer nur auf die Parteiführung. Parteipressesprecher Klaus Beyer wiederholte gebetsmühlenartig seine zwei Sätze: „Vor 60 Jahren wurde diese Stadt Dresden von anglo-amerikanischen Bombern zerstört.“ und „Heute 60 Jahre später geht von Dresden ein Fanal für Deutschland aus.“
Schließlich trudelte dann der Nazimob inklusive Apfel und Voigt ein. Auch die waren sprachlos vor der Presse, mehr als die in den Wahlkampfflugblättern festgehaltenen Phrasen wurden auch im Landtag nicht gedroschen.
Dennoch gelang es ihnen, sich mediengerecht zu inszenieren, als Apfel einen schlecht getarnten Hitlergruß in die Kameras zeigte und Apfel und Voigt gemeinsam eine NPD-Flagge hielten, womit sie gleich das erste mal gegen die Hausordnung des Landtages verstießen. Zu gleicher Zeit bedrohte Manfred Börm Journalisten. Ein Abend, an dem sich eben Neonazis wie Neonazis verhielten. Keine Überraschungen, keine Besonderheiten, nur der Ort war bisher ungewöhnlich.
Als dann die entschlossene Spontandemonstration der Antifa bis vor den Landtag gelangte, flüchtete die ganze Horde durch einen Hinterausgang aus dem Landtag. Sie fuhren stattdessen zum Autohof Nossen, wo schon zwei Dutzend andere sächsische Nazikader am Feiern waren. Unter diesen waren aber auch Exponenten des NPD-freundlichen Teils der „Freien Kameradschaften“, so das frischgebackene NPD-Mitglied Thomas „Steiner“ Wulff oder Christian Hehl, der seit neuestem den Bodyguard für Holger Apfel mimt.
Ebenso wenig überraschend die großspurige Pressekonferenz zwei Tage später. Nachdem die JournalistInnen zunächst zu einem Parkplatz bestellt wurden, leierten Apfel und Voigt im Freitaler „Sächsischen Wolf“, wo übrigens immer wieder Neonaziveranstaltungen stattfinden, einmal mehr ihre Parolen herunter. Die anwesenden neuen Landtagsabgeordneten Uwe Leichsenring und Johannes Müller durften kaum zu Wort kommen, ebenso wenig der zukünftige sächsische Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx aus dem Saarland.

Die sächsische NPD – Honigtopf der deutschen Naziszene?

Der Landesverband in Sachsen ist mit dem Wahlergebnis attraktiv geworden. Hatten mit dem Umzug des NPD-Verlages Deutsche Stimme nach Riesa bereits einige Kader der Bundesebene ihren Wohnsitz nach Sachsen verlegt, etwa Holger Apfel oder Sascha Wagner, locken die mit dem Aufbau einer Landtagsfraktion verbundenen Gelder und Posten noch mehr an. Der Saar-NPD-Chef Peter Marx soll, wie erwähnt, Geschäftsführer der Fraktion werden und auch die ÜberläuferInnen von den sächsischen REPs erhoffen sich wohl einige Pöstchen. Interessanter ist jedoch der im Umfeld der Wahlen erfolgte Eintritt der Kameradschaftskader Thomas Wulff, Thorsten Heise und Ralph Tegethoff. Ihr Eintritt wurde mit relativ großem Tamtam auf allen Nazi-Webseiten begleitet, sie hatten dazu auch extra eine Erklärung verfasst, die auch von der NPD verteilt wird. Auf dem nächsten Bundesparteitag der NPD Ende Oktober soll wenigstens einer der drei in den Bundesvorstand gewählt werden.
In der sächsischen Fraktion sind auch größtenteils Vorstandsmitglieder zu finden. 9,2 Prozent bedeuten zunächst einmal zwölf Sitze im Landtag. Interessant wird zukünftig sein, wer alles einen der begehrten Mitarbeiter-Jobs bekommt. Zwar bleibt abzuwarten, ob die gierenden Aktivisten je nach ihrem Einsatz im Wahlkampf belohnt werden, aber niemand braucht zu hoffen, dass die Partei die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht einsetzt. Allein die Fraktion bekommt ab sofort 118.500 Euro pro Monat, mit denen sie u.a. MitarbeiterInnen bezahlen kann. Dazu kommen noch mal 27.000 Euro für die Arbeit in den Wahlkreisen, zum Beispiel für die Eröffnung von Abgeordnetenbüros – von denen ein erheblicher Schub für lokale Nazistrukturen ausgehen wird. Ganz zu schweigen von den Diäten der Abgeordneten selbst. Und das ist dann immer noch nicht alles, weil der NPD aus Europa- und Landtagswahl noch größere Summen an Wahlkampfkostenentschädigung zustehen. Das wird zur Folge haben, dass in Sachsen ab sofort eine Menge Nazikader, sofern sie loyal zur NPD bleiben, sich keine Gedanken mehr um ihren Lebensunterhalt machen müssen, sondern ihre ganze Zeit in ihr politisches Unwesen stecken können. Selbst wenn man einmal davon ausgeht, dass nicht allzuviel des ganzen Geldes die NPD oder gar die privaten Konten der Abgeordneten etwa in Richtung „freier“ Nazi-Strukturen verlassen wird, bedeutet das trotzdem immer noch eine enorme Stärkung der gesamten Naziszene. Zumal die finanzielle Verlockung wohl so manchen bisherigen NPD-Kritiker frühere Streits vergessen lassen dürfte (Mit Ausnahme von Worch, der hat selber genug Geld.)
Neben dem finanziell-strukturellen Boom, die der Einzug in den Landtag bringen wird, sind damit aber noch ganz andere Gefahren verbunden. Der Charakter der NPD und die Funktionen, welche die meisten der Mandatsträger in der Partei wahrnehmen, machen klar, dass man nicht viele Ähnlichkeiten mit den Auftritten so mancher DVU-Abordnungen der letzten Jahre erwarten darf. Auch wenn die nunmehr gewählten Kandidaten bisher genau wie die DVU ein eher unprofessionelles Verhalten an den Tag legen, trügt dieser Schein jedoch. Die NPD wird von allen parlamentarischen Möglichkeiten, die sich ihr nun bieten, umfassend und wohl auch zunehmend professionell Gebrauch machen. Bereits jetzt kündigt sie offen an, den Landtag für grundsätzlich nationale Opposition nutzen zu wollen. Im Klartext heißt das, es werden in Erfüllung des Auftrages der WählerInnen und zu deren Freude solange offen Nazisprüche geklopft, bis der Landtagspräsident irgendwann die Nase voll hat und die Immunität des betreffenden Abgeordneten aufhebt, damit sich die Staatsanwaltschaft seiner annehmen kann. Darüber hinaus, dass völkisch-antisemitische und nationalsozialistische Inhalte also auch auf der Bühne des Landtages ihren Platz finden werden, stehen der NPD außerdem Plätze in diversen Ausschüssen zu. Noch interessanter aber ist das Recht, Anfragen an die Landesregierung zu stellen. Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um zu wissen, dass die NPD diese Möglichkeit nutzen wird, um an Informationen über ihnen missliebige, also zum Beispiel linke, Projekte oder Personen zu kommen.

Sachsen als einziges Nazi-Zentrum

Es dürfte schwer fallen, den Erfolg der NPD nur damit zu begründen, dass Sachsen im Osten liegt. Denn im Nachbarland Thüringen bekam die NPD bei der Landtagswahl in diesem Jahr nur 1,6% der Stimmen und auch die REPs nur 2,0. Im Saarland dagegen kam die NPD auf 4%, auch hier gab es Hochburgen mit zweistelligem Ergebnis. Die Gründe sind wohl eher in der spezifisch sächsischen Situation zu suchen. In 14 Jahren CDU-Alleinregierung saßen Leute wie Volker Schimpff für diese Partei im Landtag, hatte das Christlich-Konservative Deutschland-Forum der CDU hier sein Zentrum, wurde mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung einer Reihe prominenter Verfechter der Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus ein freistaatlich finanziertes Auskommen geboten, sollte in Jura-Staatsexamen ein KZ-Verbrechen explizit nicht als Kriegs- oder Menschheitsverbrechen beurteilt werden und werden im Gedenkstättenkonzept NS und DDR gleichgesetzt. Kurz: Die rechtskonservative Grundstimmung im ostdeutschen Boom-Freistaat schuf gute Vorraussetzungen, vielleicht vergleichbar mit Bayern, wo es beispielsweise in der Stadt Senden völlig selbstverständlich ist, der NPD, deren Liedermachern und offenen Antisemiten wie Horst Mahler städtische Säle zur Verfügung zu stellen. Diese Ausgangslage dürfte mit ausschlaggebend für die NPD gewesen sein, ihren Verlag und den Fokus ihrer Aktivitäten nach Sachsen zu verlegen. Die Deutsche Stimme zog 1999 aus Bayern nach Riesa und die Landtagswahlkämpfe waren sowohl 1999 als auch 2004 sogenannte „Schwerpunktwahlkämpfe“. Am letzten nahmen sogar Angehörige von Freien Kameradschaftsstrukturen aus anderen Bundesländern teil. Sieht man sich den Terminteil der aktuellen „Deutschen Stimme“ an, kann man nicht übersehen, welche Bedeutung Sachsen für die NPD hat. Von 30 angekündigten Veranstaltungen finden 18 in Sachsen statt.

Antifa? How are you?

Es sind Ansätze zu erkennen, dass die Antifa nach der Wahl, nach dem Naziangriff auf die Antifademo in Chemnitz und nach dem gescheiterten Versuch Worchs, in den Leipziger Stadtteil Connewitz zu marschieren, aufgewacht sein könnte. Der Dornröschenschlaf dauerte in der tat ja auch schon lange genug an. Selbst im letzten CEE IEH stand geschrieben, die Zeit sei vorbei, da Antifa Ausschlafen gehießen. Nun denn. Immerhin erfordert die derzeitige Situation unbedingt eine aktive Antifa. Es hat sich gezeigt, dass die NPD in den Gebieten, in denen es linke und antifaschistische Strukturen gibt, deutlich weniger punkten konnte. Ein erfolgversprechender Ansatz ist zur Zeit die Kampagne „Schöner leben ohne Naziläden“. Sie versucht, die vor allem in Sachsen blühende Struktur von Nazi-Musikproduktion, -Vertrieb, -Konzertorganisation und -Läden zu stoppen. Ausgehend von der Analyse, dass die Nazis damit in immer mehr Subkulturen eindringen und dabei herkömmliche Nazi-Styles hinter sich lassen, ist Ziel der Kampagne, die Neonazis aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und/oder diesen ihnen streitig zu machen. Gemäß dem Devise: „Die erzwungene Schließung eines Naziladens ist zugleich ein Schlag gegen das öffentlich zur Schau getragene Selbstbewusstsein der Nazis!“ sollen primär die finanziell und ideologisch wichtigen Strukturen der Naziläden zurückgedrängt werden. Aber auch der für deren Existenz notwendige akzeptierende Konsens soll angegriffen werden. Mit der Kampagne ergibt sich auch die Möglichkeit, in einer (mindestens) sachsenweiten Zusammenarbeit antifaschistische resp. linke Strukturen genau in den Regionen zu unterstützen, wo die Nazipräsenz es dringend nötig macht. Die Demo in Chemnitz war dazu der Auftakt. Und die ersten Erfolge sind in Sicht: Der Vermieter des Naziladens „Backstreetnoise“ in Chemnitz prüft derzeit die Möglichkeit, einer außerordentlichen Kündigung. Für den Fall, dass diese nicht möglich ist, muss der Laden sein Domizil Ende 2005 fristgerecht verlassen.
Die nächste Demo der Kampagne am 27.11. in Pirna richtet sich u.a. gegen den Laden „Eagle“ und gegen die zahlreichen Versände, die in der Gegend ansässig sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass die (eigentlich, naja, verbotenen) Skinheads Sächsische Schweiz und ihre Kameraden aus anderen Regionen auf jeden Fall dasselbe wie in Chemnitz versuchen werden: die Demo anzugreifen. Und auch bei der Demo in Pirna sollte sich die Antifa nicht auf den Schutz der Polizei verlassen, sondern vielmehr durch massenhafte Anwesenheit und entschlossenes Auftreten ein deutliches Zeichen setzen und für den eigenen Schutz sorgen können.

Lucy Sandberg und Peter Conrady


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last modified: 28.3.2007