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Du zögerst, Genosse? | |||
Die LiebhaberInnen der Revolutionsromantik sind beim lateinamerikanischen Kino oft ganz richtig. Unzählige Filme handeln vom bunten Leben der Guerilleros und Guerilleras, als wärs ein Ferienlager im Schwarzwald. Dabei untermauern sie die Ideologie vom stahlharten männlichen Revolutionär, vom Kampf fürs Kollektiv und dem Märtyrertod. Nichtsdestotrotz gibt es Filme, die versuchen, sich dem Kitsch aus Mao-Zitaten, Dschungelkampf und der erotischen Allianz aus Revolution und Liebe zu entziehen. Vier Tage im September spielt 1969 während der Militärdiktatur in Brasilien. Eine Gruppe revolutionärer Marxisten versucht mit der Entführung des damaligen US-amerikanischen Botschafters Charles Burke Elbrick (Alan Arkin) 15 politische Gefangene freizupressen und hatte Erfolg. In dieser Form würde man die Geschichte vielleicht im Handbuch 120 Fragen an den bewaffneten Kampf finden, zusammen mit dem Verweis, dass der Kampf natürlich noch längst nicht beendet sei. Aber in dieser kleinen Zusatznotiz würde alles aufbewahrt, was über die dem Anschein nach glorreiche Aktion hinausgeht. Wenige Monate später wurden alle Mitglieder gefasst, zwei wurden getötet, die anderen gefangengenommen und gefoltert. Später wurden sie erneut in einer Gruppe von 15 Gefangenen freigepresst. Damals entführte man den deutschen Botschafter. Das Tagebuch Fernando Gabeiras, eines der Mitglieder der Bewegung 8. Oktober wurde in Brasilien ein Bestseller und bildet die Grundlage des Films. Der Film versucht, die Balance zwischen Psychogramm und Rekonstruktion der Ereignisse in jenen vier Tagen zu halten und schafft es auf diese Weise, dem revolutionsromantischen Linken von heute wenig Anlass zu bieten, die Schriften Ho Chi Minhs zu lesen und die Botschaften seines Landes abzuklappern. Die Mitglieder der Bewegung 8.Oktober sind am Ende desillusioniert, körperlich und geistig geschunden und emotional verzweifelt. Auf dem Photo am Ende des Films, das bei der Auslieferung der Gefangenen nach der Entführung des deutschen Botschafters gemacht wurde, sieht man gealtertere Männer und Frauen, die kaum die Hand zum Victory-Zeichen heben können. Die Revolutionärin Maria (Cláudia Abreu) sitzt nach der Folter im Rollstuhl, die Brille der Hauptfigur Ronaldo ist zerbrochen. Mit der Brille die Metapher könnte subtiler sein ist auch seine intellektuelle Eloquenz dahin. Er sollte der Schlauberger der Gruppe sein, der rhetorisch und intellektuell bewanderte, der mit Worten besser umgeht als mit der Uzi. Kurz bevor ihn der brasilianische Geheimdienst in der Wohnung Marias gefangen nimmt sagt er zu Maria: Keiner will hören, was wir zu sagen haben. Gerade hatte die sich zufrieden darüber geäußert, dass auf der neusten Platte eines Popstars der Name eines Revolutionärs erklingt wenn man sie rückwärts abspielt. Das wäre doch was. In ihren Tränen liegt nicht nur die Trauer darüber, dass man nicht mehr weiß, wozu das alles gut war, sondern die Trauer über den Verlust des eigenen Selbst. Der Film beginnt mit der Rekrutierung der Gruppenmitglieder und einem mehr oder minder erfolgreichen Banküberfall. Zwar kann man eine Menge Geld erbeuten, aber man verliert auch einen Genossen, der sich nicht schnell genug zum Schuss auf den Polizisten entscheiden kann. Schwächeln gilt nicht bei den Revolutionären und die Gruppe macht relativ schnell die Schuld bei dem Compañero aus: Er war halt noch nicht so weit. Trotzdem bringt diese Aktion die Idee zur Entführung des Botschafters erst ins Rollen. Warum es etwas Größeres sein muss als ein Banküberfall, wusste man genau. Marginalisierung und die Angst davor, in Bedeutungslosigkeit zu versinken, bestimmte auch damals untergründig den Drang der Linken, theoretisch und praktisch möglichst radikal zu sein. Der Wunsch, gefangene Genossen zu befreien, kam nach dem Verlangen nach Aufmerksamkeit. Als die Entführung dann gelungen ist und sich die Gruppe samt Geisel in einem Landhaus versteckt, beginnt der Regisseur Bruno Barreto, die Feinheiten der Charaktere hervortreten zu lassen. Die tiefgründigsten Sätze legt er dem amerikanischen Botschafter Elbrick in den Mund. In den Briefen an seine Frau, als Beweis, dass er noch lebt, schreibt er am zweiten Tag den Satz: Die Revolution scheint ein guter Ort, um vor sich selbst zu flüchten. Elbrick portraitiert Barreto als humanistischen Patriot, der zwar Amerikaner aber auch nur ein Mensch ist. Mit Ronaldo diskutiert er über die Black Panthers und dieser entlockt dem Staatsmann sogar sein persönliches Statement gegen den Vietnamkrieg. Überhaupt wird die Individualität der Revolutionäre um die Geisel herum entwickelt. Als fremdes Element, das in die Gruppe eindringt, bringt es die Struktur durcheinander und lässt damit Züge hervortreten, die in der erzwungen Einheit der Revolutionäre untergehen. Die Hände der Leute, die ihn bewachen und die immer Waffen tragen: Für den amerikanischen Botschafter sind sie das einzige, dass er von seinen Geiselnehmern sieht und worin das letzte bißchen Individualität haust. Die zarten Hände der jungen Frau, die sich immer wieder in ihrer zuvorkommenden Art zurücknehmen muss, weil sich Höfflichkeit für eine Geiselnehmerin nicht schickt. Die faltigen Hände des aus dem spanischen Bürgerkrieg eingeflogenen Revo-Spezis und die zitternden Hände des um Anerkennung bettelnden Youngsters, der so gern durch die Exekution des Botschafters in der Revo-Hierarchie aufsteigen würde. Die kühlen Hände der asexuellen Revolutionärin, die sich erst in der Verzweiflung kurz vor Ende der Geiselnahme mit Ronaldo einlässt. Der Beginn einer halbwegs menschlichen Beziehung besteht darin, dass sie sich ihre richtigen Namen sagen. Wenn man dem Film unterschiebt, es gänge darum zu zeigen: alle Menschen sind auch nur Menschen dann stimmt das und geht doch fehl. Tatsächlich stehen im Mittelpunk die kleinen Psychogramme der Akteure und in denen gibt es nun mal nicht nur Schwarz und Weiss. Die Kategorie der Ambivalenz war dem Regisseur dabei offensichtlich nicht fremd. Zwar merkt man ihm auch den Drang an, irgendwie bei der Wahrheit bleiben zu wollen und nicht die Küchenpsychologie über die Ereignisse zu legen, aber im Großen und Ganzen gelingt dieser Spagat. Bei welcher Wahrheit aber geblieben werden soll, bleibt unklar. Ein bisschen fürchtet sich der Film wohl selber vor der Schlussfolgerung, dass, wenn niemand verletzt wird, man eigentlich mit Terrorismus leben könnte. Die Hinrichtung des Botschafters, für den der stahlharte und intrigante Anführer Ronaldo auserkoren hat, wird nur um Sekunden verhindert. Nicht auszudenken, was wäre wenn, dachte der Zuschauer. Gerade hatte man den Staatsmann liebgewonnen, zum revolutionären Kampf die rechte Distanz entwickelt die Ziele könne man ja verstehen, aber die Mittel... da macht einem der Film einen Strich durch die Rechnung. Als Ronaldo kopfüber in der Zelle hängt, der Bildschirm schwarz wird und aus dem Off die beginnende Folter angedeutet wird, mag man sich gar nicht mehr so recht freuen. Eine zerrüttete Maria im Rollstuhl gibt dem bewegten Zuschauer den Rest und keiner weiß mehr, was denn nun recht und rechtens ist. Ob es sich gelohnt hat und ob Ronaldo jemals wieder zum Marx-Buch greifen wird, verblasst hinter dem kümmerlichen Rest an Subjekt, das den Revolutionären verbleibt. Ihre Identität hatten sie an der Tür des Hauptquartiers abgegeben. Fortan hieß Ronaldo nicht mehr Ronaldo sondern Genosse Paolo. Die Ferienlagerromantik wird im Keim erstickt. Die Bewegung 8. Oktober ist autoritär geführt, völlig humorlos und in ihrer Struktur der Bundeswehrkaserne Greifswald vermutlich nicht unähnlich. Wer nicht gehorcht, wird erschossen, so das knallharte Credo des Chefrevolutionärs. Alles Menschliche bleibt draussen und der Erfolg der Aktion hängt letztlich davon ab, wie sehr sich alle in strukturlose Maschinen verwandeln können. Ronaldo bekommt die Rolle des Intellektuellen, der die Flugblätter schreibt und sowas wie der Medienstratege der Gruppe wird. Als der völlig in seiner Aufgabe verschwundene Anführer ihn für die Hinrichtung auswählt, reproduziert er noch das dumpfeste Männlichkeitsgebaren gepaart mit Anti-Intellektualismus. Der Schlauberger soll sich beweisen und schließlich ist Revolutionär nur, wer auch tötet. Echte Arbeit wird eben mit der Hand gemacht, am besten sie hält einen Revolver. Alle haben Angst zu sterben, aber noch mehr fürchten sie sich vor den Folterungen, die für politische Gefangene damals gang und gäbe waren. Im Wissen um die Praktiken, die die amerikanische Regierung mit der Junta unterstützte, fürchtet sich auch der Botschafter am meisten vor der Rache der Geiselnehmer. Zaghaft deutet der Film an, dass das Ziel, Menschen davor zu retten, dass sie mit Schlägen, Stromstößen oder anderen grausamen Variationen gefoltert werden, das einzige ist, das die Mittel heiligt. Anfang des Filmes sieht man zwei Geheimdienstschergen bei der Folter eines der Mitglieder der Bewegung 8. Oktober. Beim Plausch darüber, ob und wer des Abends der Geburtstagsfeier eines Kollegen beiwohnt, vergessen sie fast, dass nach mehreren Minuten mit dem Kopf unter Wasser nichts mehr aus einem Gefangenen heraus zu holen ist. Abgesehen davon haben die Revolutionäre wohl am meisten Angst davor, zuende zu bringen, was sie angefangen haben. Man meint fast, dass die Freude über die Freilassung der Gefangenen mehr der Tatsache entspringt, dass man einer Frau nicht ihren Mann nehmen musste, und der Hoffnung, dass am Ende vielleicht alle heil hier raus kommen. Dass dem nicht so ist, stellt nicht nur die Revolutionäre, sondern auch Zuschauer vor die Frage, warum dann das alles. Wahn und Hoffnung liegen nah beieinander. Die umstandslose Rede von den Terroristen zielt hier ebenso vorbei wie Revolutionsromantik und die Glorifizierung des bewaffneten Kampfs. An einer Stelle führen die Revolutionäre als Grund für die riskante Aktion vor allem die Resonanz in den Medien, also die Publicity an. Als die Geiselnahme bekannt wird, schwärmt ein Taxisfahrer Ronaldo von seiner Bewunderung für die Aktion vor. Die seien für ihn jetzt die Größten, richtige Helden, diese Revolutionäre... die und die Raumfahrer, die sind auch Klasse. Robert Z |