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Der anti-europäische Think-Tank.


Verworfener Ableitungsmaterialismus, Philosophie der Macht und Antimperialismus

Trotz drohender Langweile soll hier nochmals das Leipziger BgR inklusive der Leipziger Abteilung der Phase 2 einer Kritik ausgesetzt werden. In der Incipito Nr. 13 verteidigt Udo Schneider, Mitglied des BgR, die These, dass Europa sowohl eine „macht-politisch“ kalkulierende „Großmacht“ in der „innerimperialistischen“ Konkurrenz ist, die versucht, den USA „ökonomisch, geostrategisch und militärisch ebenbürtig“ zu werden, als auch in einer bestimmten ideologischen, z.B. völkischen Tradition steht. Der Text von Schneider heißt dementsprechend „Kalkül und Wahn“. Die Grundaussage ist völlig richtig: Es gibt und gab in der kapitalistischen Vergesellschaftung immer den Zwang, den kapitalistischen Produktionsverhältnissen entsprechend zu handeln, und Ideologien, die in bestimmten historischen Konstellationen in Wahn umschlugen. Der Text wirft diesbezüglich eine wichtige und erkenntnisdürstende Frage auf. Er fragt, wie es um das Verhältnis von Interessenpolitik und „Bewusstseinsprozessen“ im Falle Europas bestellt ist, wie einerseits versucht wird, die politisch und wirtschaftlich notwendige europäische Einheit so anzupreisen, dass in der Breite der Gesellschaft eine Bereitschaft für Europa entsteht, und wie andererseits das in der Breite der Gesellschaft schon vorhandene Bewusstsein in dem Prozess der Europäischen Einheit unterminiert, aufgehoben oder übernommen wird. Schneider fragt also in kritischer Anknüpfung an einen Text von Sören Pünjer (CEE IEH #111) nach der Vermittlung zwischen der Entwicklung materieller Verhältnisse in Europa und diversen Diskursen und Ideologien, die in Europa gerade brisant sind und werden.
Nachdem diese Frage gestellt ist, fällt die Erörterung dieser wichtigen Frage hinter ebendiese zurück, abgesehen vielleicht von Schneiders Feststellung, dass die Antideutschen die Frage zwar stellen, aber selbst nicht beantworten. Schneider „riecht“ – m.E.: stark verschnupft – in der von Pünjer zuerst gestellten Frage erst mal den Ruf nach „ökonomistischer Herleitung“, empfindet sie aber dennoch als „spannend“ und beginnt sie zu diskutieren. Und wie diskutiert er sie? – im Rahmen der von ihm herbeigerochenen Dunstwolke, deren Geruch ihm wohl von der Nase in den Kopf gestiegen ist, sprich: Schneider guckt, was sich an Diskursen und Bewusstsein ökonomistisch herleiten lässt, und kommt zu dem Ergebnis, dass die „euronationalistischen Identifikation“ keine „konsistente Entsprechung“ in den „ökonomischen Verhältnissen“ hat. Logisch: hat er sich doch „ökonomische Verhältnisse“ und deren Vermittlung in Diskurs und Bewusstsein so vorgestellt, wie – sagen wir es ruhig – Traditionsmarxisten.
„Ökonomische Verhältnisse“ behandelt Schneider nämlich im Sinne von „Produktions- und Handelsbeziehungen“, „Kapitalverflechtung und Warenströmen“ und „ökonomisch intendierter Machtkonkurrenz“. Er versucht, das Kapitalverhältnis durch die sich aus diesem ergebenden mehr oder weniger quantifizierbaren Fakten zu begreifen. Während Marx in der Kritik der politischen Ökonomie das Kapitalverhältnis auf dem Begriff zu bringen versucht, indem er die „in den Resultaten verschwundene gesellschaftliche Bewegung“ (Marx) darstellt, denkt sich Schneider „ökonomische Verhältnisse“ als ein Sammelsurium dieser Resultate. Es ist sicherlich unmöglich, das Kapitalverhältnis und dessen jeweilige historische und lokale Form zu kritisieren, ohne die Resultate in der Kritik als Ausgangspunkt zu nehmen. Aber halt als Ausgangspunkt. Wie Schneider die „ökonomischen Verhältnisse“ reflektieren will, indem er erst gar nicht nach ihnen fragt – z.B. nach Staat, Geld, Ware, Kapital –, sondern nur die Analyse dessen betreibt, was sich in den Verhältnissen faktisch ergibt, bleibt sein Geheimnis.
Und Schneider, der nun selbst der Ideologie anheim gefallen ist, die Verhältnisse über augenfällige Tatsachen begreifen zu wollen, untersucht des weiteren auch „Bewusstseinsprozesse“ traditionsmarxistisch. Neben der mitgeschleppten falschen Vorstellung von „ökonomischen Verhältnissen“ stellt er sich die Vermittlung von Bewusstsein und wirtschaftlichen Verhältnissen als unmittelbare vor. Das europäische wirtschaftliche Interesse müsste sich ein zu eins im „europäischen Bewusstsein“ abbilden. Wenn es ein gemeinsames Interesse des europäischen Kapitals gibt, der USA Paroli zu bieten, dann müsse es Euronationalismus und Antiamerikanismus im europäischen Volk geben. Wenn es das genannte Interesse nicht gibt, dann müsse es keinen Antiamerikanismus und Euronationalismus geben. Und weil Schneider Antiamerikanismus vorfindet aber kein gemeinsames Interesse des europäischen Kapitals, vor allem keins, dass sich eindeutig gegen amerikanisches Kapital formiert, kann das „Analyseraster“, welches Bewusstsein und „identitätspolitische Diskurse“ aus den „ökonomischen Verhältnissen“ erklären will, nicht richtig sein. Schneider kommt erst gar nicht auf die Idee, dass die Vermittlung zwischen „ökonomischen Verhältnissen“ und Bewusstseinsprozessen etwas anders funktioniert als er es ihr unterjubelt, um das von ihm eingehend verballhornte „Analyseraster“ zu verwerfen. Und gerade weil das „Analyseraster“ nun nicht funktioniert, kann Schneider triumphierend ausrufen, dass sich „weder das BgR noch die Phase 2“ dem „Historischen Materialismus explizit und ausschließlich verschrieben“ haben. Die Lesegemeinde durfte Schneider bei der geglückten Beweisführung für letztere Aussage zuschauen. Quod erat demonstrantum.
Obwohl sich laut Schneiders Aussage die Phase 2 dem Historischen Materialismus nicht mit Haut und Haar verschrieben hat, diskutiert die Leipziger Abteilung dieser Zeitschrift „Die Wahrheit des Kommunismus“ (in: Phase 2, Nr. 12). Das darf sie auch. Der Text hätte aber besser heißen sollen: „Wahrheit als Effekt“ oder so ähnlich. Dieser Text läuft erst mal auf die Aussage hinaus, dass „komplexe Theorien ... nicht einfach wahr“ sein können. Deswegen gibt es auch keine „endgültigen Wahrheiten“, keine „einzige Wahrheit“, keine „objektive Wahrheit“. Es bestände die „Unmöglichkeit eines externen Standpunktes, von dem von Ewigkeit zu Ewigkeit unbeteiligt Urteile über Gott und die Welt gefällt werden können“. Die Leipziger Abteilung der Phase 2 weist also darauf hin, dass große Theorien, die in ihrem Begriffsnetz die Wahrheit einzufangen trachten, selbst historisch und partikular sind. Selbst die einfachsten Begriffe, mit denen Theoretiker operieren, sind durch „bloße Konvention“ entstandene „Abstraktionen ..., die für sich keine Notwendigkeit beanspruchen können.“ Auch die „Fakten“ bestimmt der jeweilige „Kontext“. Sie entständen „nur im Zuge von Handlungen, die Interpretationen hervorbringen, in denen die Fakten als Elemente enthalten sind.“ Bis dato ist der Position des Textes vielleicht, wie in meinem Fall, nur wenig zuzustimmen, aber noch zu folgen. Doch dann: „Die Wahrheit im Zusammenhang ihrer Entstehung zu begreifen, heißt nichts anderes, als Wahrheit einen Effekt der Macht zu nennen.“ Das soll jetzt noch jemand verstehen. Nachdem im Text beharrlich insistiert wurde, dass Theorien keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben, dass schon die einfachsten Begriffe keinen Anspruch auf Notwendigkeit haben und dass es keine ewige Wahrheit gibt, plauzt nun in den Text eine pompöse Kategorie: die „Macht“. Ausgehend von dieser Tatsache – „Macht“ – ließe sich Wahrheit als Effekt verstehen. Was bitte soll die Kategorie der „Macht“ anderes sein als ein Axiom, welches das Zentrum und der Ausgangspunkt einer Theorie ist. Dementsprechend ist die Kategorie „Macht“ in dem Text selbst nicht hergeleitet, sie hat in der Darstellung grundlegende Geltung. Was uns der Text also schlussendlich anbietet, ist eine ‚Prima Philosophia’, d.h. eine, die einen allgemeinen Grund oder eine alles durchwaltenden Kraft ausmacht, von der alles andere – in besagtem Text trifft es erst mal die Wahrheit – abgeleitet, beziehungsweise – in der Sprache der Leipziger Abteilung der Phase 2 – ein „Effekt“ ist. Was in der Philosophie der Leipziger Abteilung der Phase 2 die „Macht“ ist, ist bei Parmenides das „Sein“, bei Aristoteles die „Energeia“, bei den monotheistischen Religionen „Gott“, bei vielen Aufklärungsphilosophen die Vernunft, bei aktuellen Esoterikern „schwingende Energie“ und so weiter. „Macht“ ist zudem einer derjenigen allgemeinsten Begriffe, die sich heutzutage zu vermeintlichen sinnlichen Gewissheiten gemausert haben – ein hipper Begriff. Über die Macht lässt sich auch gut am Stammtisch philosophieren. Ein Alltags-Verstandes-Begriff: ‚Na klar gibt es Macht’. Vor allem kann sich jeder die Kategorie der „Macht“ frei nach Schnauze füllen.
Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn die Lautsprecherdurchsagen auf der vom BgR und vom Antifaschistischen Frauenblock (AFBL) verantworteten Demo gegen Europa – vom Tonfall und der Wortwahl übrigens fand zwischen den beiden Lautsprecheransagern ein Wettbewerb statt, wer der potenteste Revolutionär sei, was durch die Größe der Demonstration zwar konterkariert, aber durch den kämpferischen ersten und zugleich letzten Block der Demo mitperformt wurde – ständig der „imperialistischen Großmacht Europa“ drohten (ein aufmerksam vorüberlaufender Bürger kommentierte lakonisch die Lautsprecheransage, dass das Fundament Europas eingerissen werden müsse, mit den Worten: „Da habt ihr Euch aber ganz schön Arbeit aufgehalst“). Es ist also nicht verwunderlich, wenn in Texten intellektuell die Kategorie „Macht“ zum Dreh- und Angelpunkt wird und die Demonstration antiimperialistisch und – da muss den kämpferisch Demonstrierenden die bittere Wahrheit gesagt werden: weniger mächtig – gegen eine „Großmacht“ gerichtet ist.
Bloß hinter den Text von Schneider fiel die Demo zurück. Der stellt sich etwas mehr Fragen und hat keine solche Eindeutigkeit einer europäischen Großmacht suggeriert und dementsprechend – wenn auch nicht historisch-materialistisch – keinen Antiimperialismus als politische Option kurzgeschlossen. Glücklicherweise haben die BgR’lerInnen und die AFBL’erinnen soviel antideutsche „Wut im Wanst“ (Schleimkeim), dass sie trotz ihrer antiimperalistischen Demo-Performance und theoretischen Affinität zum Antiimperialismus „Antiimps für Israel“ sind und sehr wahrscheinlich bleiben werden. Auf dieser Grundlage können dann auch Zweckbündnisse für Israel zwischen ihnen und Zusammenhängen und Einzelpersonen gebildet werden, die sich dem Historischen Materialismus verbunden zeigen.

Hannes

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last modified: 28.3.2007