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Pflichtlektüre.


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Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2004, 234 Seiten.
Die Fülle der Sekundärliteratur zum Marxschen „Kapital“ ist reichhaltig. Es gibt wohl kaum ein Buch, das im Laufe der letzten knapp 140 Jahre mehr interpretatorische Aufmerksamkeit erhalten hat. Gerade aufgrund der nach wie vor aktuellen Thematik erfährt dieses Werk auch heute noch immense Beachtung. Neben den klassischen Interpretationen der verschiedensten marxistischen Strömungen findet man aber auch immer häufiger Ansätze, die über die Marxsche Theorie hinauszugehen beanspruchen und denen „ein recht oberflächlicher Umgang mit den Marxschen Kategorien gemeinsam“ (8)(1) ist. Dies zumindest meint der Autor Michael Heinrich, wenn er auf neuere Entwürfe wie Robert Kurz’ „Schwarzbuch Kapitalismus“ oder auf „Empire“ von Negri/ Hardt zu sprechen kommt, deren Popularität sich nicht zuletzt dem Globalisierungsdiskurs der letzten Jahre verdanken dürfte. Kapitalismuskritik scheint angesichts weltweiter Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung und einhergehendem Sozialabbau in den Industrieländern wieder „en vogue“ zu sein. Deshalb ginge es darum, so der Autor, erneut die Kategorien des Marxschen Hauptwerkes zu bemühen, nicht nur um „sich mit Neuem auseinander zu setzen“, sondern auch um „scheinbar Bekanntes und Selbstverständliches (...) zu überprüfen“ (9).
Heinrich untergliedert seine Einführung in verschiedene Kapitel, die weitestgehend dem Gang der Darstellung im „Kapital“ folgen und nicht nur den ersten Band berücksichtigen, sondern auch die Konzeption von Band 2 und 3, der beiden von Engels editierten Bände, einschließt. Allerdings setzt sich gut die erste Hälfte des Buches mit dem ersten Band, der von Heinrich als grundlegend erachtet wird, auseinander, bevor die anderen beiden Bände besprochen werden. Darauf folgen dann ein Kapitel zur „Krise“, ein Kapitel zum „Fetischismus der bürgerlichen Verhältnisse“, das bemerkenswerter Weise auch einen „Exkurs zum Antisemitismus“ enthält, ein Kapitel zum Verhältnis von „Staat und Kapital“, sowie ein abschließendes Kapitel mit kursorischen Bemerkungen zum „Kommunismus“.
Außer Zweifel steht für Heinrich, dass es sich bei der Marxschen „Kritik der politischen Ökonomie“ nicht um eine historische Analyse oder Durchsetzungsgeschichte der kapitalistischen Produktionsweise handelt, sondern vielmehr um die Darstellung einer fertigen Struktur, in der die „historischen Passagen“ die „theoretische Darstellung“ zwar „ergänzen“, nicht aber „begründen“ (29). Daran anschließend legt der Autor dar, dass es sich bei der viel diskutierten „dialektischen Methode“ des „Kapital“ um eine „Kategorienkritik“ handle, bei der „im Fortgang der Darstellung die einzelnen Kategorien auseinander entwickelt werden sollen“ (35) und die ihres Zeichens „eine sehr genaue und detaillierte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Stoff, auf den sich die Kategorien beziehen“ (36) voraussetzt. Kritisiert werden diesbezüglich Ansätze, die den Stellenwert der „Dialektik“ überschätzen, weil sie von einer separaten Methode ausgehen, die Marx nur nicht explizit dargelegt habe, als auch Ansätze, die „Dialektik“ nur sehr oberflächlich, im Sinne einer alltäglichen Aussage über „Wechselwirkung“ auffassen.
Im Kapitel „Wert, Arbeit, Geld“ beleuchtet der Autor die Marxschen Grundkategorien und geht auf verschiedene Probleme ein, die sich bei der Lektüre der ersten Kapitel des „Kapital“ immer wieder zeigen. Zum einen grenzt er die Marxsche Werttheorie von der gängigen Arbeitswerttheorie der Klassik ab, die nur auf die „Wertgröße“ fixiert gewesen sei und die auch noch in neueren „substanzialistischen“ Interpretationen, wie etwa denen der Gruppe „Krisis“, aufscheine. Diese machten, so Heinrich, den Fehler „die Wertgröße als Eigenschaft der einzelnen Ware (...) unabhängig vom Tausch allein durch die bei der Produktion der Ware verausgabte Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit“ (52) zu bestimmen. Die Wertgröße einer Ware sei aber „nicht einfach ein Verhältnis zwischen der individuellen Arbeit des Produzenten und dem Produkt (darauf läuft die ‘substanzialistische’ Auffassung des Werts letztlich hinaus), sondern ein Verhältnis zwischen der individuellen Arbeit des Produzenten und der gesellschaftlichen Gesamtarbeit.“ (53). Die gesellschaftliche „Vermittlung“ dieses Verhältnisses mache sich erst im Tausch geltend, worin „der Wert eine gegenständliche Wertform“ (54) erhält. Die „substanzialistische“ Wertinterpretation jedoch ignoriere diesen Kern der „Wertformanalyse“ und stelle deswegen auch die falsche Frage nach der „Wertentstehung“. Aber „Wert ‘entsteht’ nicht irgendwo und ist dann ‘da’.“ (53), weil es sich nicht um ein bloßes „Ding“, sondern um ein „gesellschaftliches Verhältnis“ handelt. Wer dies aber ignoriere, vertrete eine sogenannte „prämonetäre Werttheorie“ und folge sowohl der „Arbeitswerttheorie der klassischen politischen Ökonomie“ als auch der gängigen „marxistischen Werttheorie“, die beide meinen, „den Wert ohne Bezug auf Geld entwickeln zu können“ (62). Im Gegensatz dazu aber sei die Marxsche Werttheorie „monetäre Werttheorie“, bei der Wert und Geld in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.
Ein anderes Problem, das häufig das Verständnis der ersten Abschnitte des „Kapital“ blockiert, sieht Heinrich in der verbreiteten Interpretation „abstrakter Arbeit“ im „physiologischen Sinn“, was insbesondere auch auf ambivalente Äußerungen von Marx selbst zurückzuführen sei. Diese „naturalistischen“ Auffassungen verklärten Arbeit schon von vornherein zu einer abstrakten Angelegenheit und begründen damit auch die Kategorie der „abstrakten Arbeit“ bei Marx. Jede konkrete Arbeit habe als „Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv“, unabhängig von der jeweiligen historischen Epoche, schon immer diesen abstrakten Charakter. Dagegen wendet Heinrich ein, dass die von Marx gemeinte „abstrakte Arbeit (...) überhaupt nicht ‘verausgabt’ werden“ kann, sondern vielmehr ein „im Tausch konstituiertes Geltungsverhältnis“ ist, bei dem „die verausgabte konkrete Arbeit als ein bestimmtes Quantum Wert bildender abstrakter Arbeit und damit auch als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit“ (49) gilt.
Als wichtig erscheint Heinrich auch das bei Marx nur sehr vereinzelt auftauchende Verhältnis von Kapital und Staat. Er macht deutlich, dass das Kapital „von seiner inneren Logik her (...) natürlichen Lebensgrundlagen (...) genauso gleichgültig gegenüber [steht] wie der Zerstörung der einzelnen Arbeitskraft“ (115). Deshalb kann „dieses destruktive Potenzial kapitalistischer Produktivkraftentwicklung (...) nur ‘von außen’ durch Widerstand der Arbeiter und Arbeiterinnen oder durch die Macht des Staates eingeschränkt werden“ (115). Gerade hier setzen dann auch Diskussionen ein, die von Heinrich jedoch nur am Rande erwähnt werden und die dem Marxschen Unternehmen der Kategorienkritik selbst äußerlich sind. So wird beispielsweise bei Diskussionen um die Zerstörung der Umwelt oder über Verteilungsgerechtigkeit zumeist ein dem Kapitalverwertungsprozess moralischer Maßstab bemüht, der außerhalb der „immanenten Destruktivität“ des kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozesses liegt. Dies aber ist nicht das, was den Aspekt der „Kritik“ im „Kapital“ ausmache, wie Heinrich ganz richtig herausstellt: „Die Marxsche Kritik besteht nicht in einer moralischen Vorhaltung, sondern im Nachweis, wie der Kapitalismus tatsächlich funktioniert.“ (130)
Traditionelle marxistische Ansätze, welche den sogenannten „Überbau“, bestehend aus Staat, Recht, Ideologie und auch Moral, zur Regelung der destruktiven ökonomischen „Basis“ einzusetzen versuchten, gingen irrtümlich davon aus, dass „jedes Phänomen des ‘Überbaus’ eine Ursache in der ökonomischen ‘Basis’ haben müsse“ (194). Diese einem simplen „Ökonomismus“ verhaftete Vorstellung betrachtete des weiteren den Staat als „Instrument der herrschenden Klasse“ und fand so auch Eingang in eine falsche Staatskritik, die Ideologiekritik vornehmlich als „Entlarvung“ falscher sozialökonomischer Praxis einiger Privilegierter verstand. Worauf es aber bei der Rekonstruktion der staatskritischen Ansätze bei Marx ankomme, ist ein Verständnis der bestimmten Form des bürgerlichen Staates, die sich „den einzelnen Bürgern gegenüber tatsächlich als eine neutrale Instanz“ (200) verhält und gerade wegen dieser Neutralität die kapitalistischen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse sichert. Im „Imperialismusbegriff“, der relativ ausführlich diskutiert wird, sieht Heinrich ein falsches Welterklärungsmodell wirken, das sich u.a. in traditionellen linken Theorien niederschlug. Vor allem auch durch Lenins berühmte Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, in der u.a. von der „Arbeiteraristokratie“ die Rede ist, die sich von der Kapitalistenklasse bestechen lasse, gelangte der „Antiimperialismus“ zu Würden innerhalb der Linken. Verwunderlich bleibt aber, dass Heinrich, obwohl er seinem Buch selbst einen recht knappen aber übersichtlichen Exkurs zum Antisemitismus beifügt, solche personalisierenden Argumentationen nicht als Auswuchs des modernen Antisemitismus benennt.
Wenn man jedoch überhaupt von einer Schwäche in der gelungenen Einführung zur Marxschen Theorie sprechen kann, dann sind die Ausführungen zum 3. Band und zur Krise anzuführen, die sicher auch alles andere als einführenden Charakter haben können, da sie bereits einen relativ sicheren Umgang mit dem Marxschen Begriffsinstrumentarium abverlangen. Weit detaillierter werden diese Aspekte in Heinrichs umfangreicheren Buch „Die Wissenschaft vom Wert“ diskutiert, das den Wissensstand der „Einführung“ bei weitem übersteigt. Diese jedoch glänzt ihrerseits durch das bekannte, bei Heinrich auch in öffentlichen Diskussionen immer wieder bestechende didaktische Gespür. So werden z.B. die Marxschen Begriffe, entsprechend hervorgehoben, in einer Reihenfolge behandelt, die weitestgehend dem Darstellungsgang des „Kapital“ folgt, was einer aufbauenden Lektüre sehr entgegenkommt. Hoch anzurechnen ist dem Autor auch, dass er im Großen und Ganzen auf den ihm sonst immer nachgesagten wissenschaftlichen Gestus verzichtet und stattdessen immer wieder klarmacht, dass es im Endeffekt auf die „Abschaffung des Kapitalismus“ ankommt. Heinrich resümiert diesbezüglich, dass der Marxsche Ansatz und insbesondere auch die oft als pessimistisch gescholtene „Kritik der politischen Ökonomie“ zumindest kein Argument liefere, „warum eine kommunistische Gesellschaft prinzipiell unmöglich sein sollte“ (220).

Roman

Fußnote:
(1) Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich auf die entsprechenden Seitenzahlen des Buches.

Hinweis: Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.

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last modified: 28.3.2007