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»LAmérique« |
Gute Musiker und ein Trauerspiel waren am 04.01.2004 im UT-Connewitz in Leipzig.Der Abend versprach nur Gutes, konnte doch den einschlägigen Stadtmagazinen entnommen werden, dass Les Robbespierres und Melissa Logan an diesem 04. Januar im UT Connewitz (Leipzig) gastierten. Erstere dürften dem geneigten Conne Island Gänger bereits von der Goldenen Zitronen Gala im letzten Jahr ein Begriff sein und auch Melissa Logans Musik- und Styleprojekt Chicks On Speed erfreut sich spätestens nach dem Erscheinen von deren neuester Platte »99 Cents« außerordentlicher Beliebtheit. Es durfte also mit allerlei Erwartungen ausgegangen werden... Bereits kurz vorher stellte sich heraus, dass hier nicht wirklich zum Popkonzert geladen wurde, sondern die Musik »nur« den Rahmen eines Theaterstücks bildete. Das ist von daher ungewöhnlich, dass Theater abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen in den Jugend- und Popkulturen kaum eine Rolle spielt. Die Abscheu gegenüber der sogenannten Hochkultur bricht sich in diesem Punkt Bahn, insofern nicht gerade einer der unzähligen belanglosen popliterarischen Schriftsätze auf die Bühne drängt. Eine Aufführung von Stuckrad-Barre, Houellebecq, Beigbeder, u.ä. kann sich des Applaus wohl immer sicher sein. Ähnlich auch hier: In der Atmosphäre des alten Kinos mit dem abgeschlagenen Putz an den Wänden, dem zerfallenen Charme dieses Raumes versucht sich eine Reihe von Musikern im Schauspiel sehr zum Wohlgefallen des Großteils des Publikums, nach meinem Dafürhalten allerdings mit mäßiger Qualität. Nicht nur, dass die Handlung jede Stringenz vermissen ließ und sich statt dessen wie ein bunter Cocktail aus Versuchen und Ansätzen darstellte Les Robbespierres & Freunde waren zudem noch unfähig, die gewählten schauspielerischen Stilmittel für ihr Werk treffend einzusetzen. Irgendwelche Versatzstücke aus Brechts epischem Theatermodell wurden hier nach Lust und Laune gesampelt, jedoch derart zerfahren, dass man dem allemal eine ostsächsische Abiturienten-Theatergruppe vorziehen möchte. Wären sie bloß beim Musikmachen geblieben; die acht Euro hätten sich dann gewiss gelohnt. Es war jedoch vor allem die Handlung, die bei kritischer Betrachtung aufstoßen musste: Theater über und gegen die USA, sowas wird derzeit ja mit Sinn für Geschmack und moralischen Kompetenzen gleichgesetzt, das ist gefragt und bringt Erfolg. Mit Fragmenten aus T.C. Boyles »America« und Michael Moores Pamphleten schustern Les Robbespierres ein Stück namens »LAmérique« zusammen, das Sklaverei, Rassismus, Sexismus und Kapitalismus auf die Folie USA kopiert, so als ob es dergleichen nicht auch vor der Haustür gäbe. Die deutsche Realität zwischen sechs Millionen getöteter Juden, marodierender Nazibanden, einem verbreiteten Salon-Antisemitismus, Geschichtsklitterung u.ä. lohnen wahrscheinlich nicht für eine Thematisierung, solange es noch den großen Satan Amerika gibt. Dass man die USA nicht lieben braucht, steht ausser Frage, aber bei welchem Staat muss man das schon? Die Behauptung, die Bush-Administration gewinne keinen Preis für die aufgeklärteste Regierung ever, die Innenpolitik in den Staaten sei derzeit von einem massiven Verlust der Freiheitsrechte gekennzeichnet, bleibt unbestritten. Nur hat das die Robbespierres nicht interessiert und musste es ja auch nicht: Da drüben gibts ja schliesslich nichts mehr zu retten. Ihre Kernthese bestand darin, dass sich in den USA immer schon das Übel der Menschheit zusammenbraut und das Schlechte sein Zuhause hat. Wenn eine deutsche Band über Amerika vermittels »Yellow Submarine« von den Beatles singt »We all live in a terrorist regime«, dann fehlt ihnen ganz offensichtlich der Blick auf die Weltlage: Die mörderische Mobilmachung des Islamismus, der Vernichtungsphantasien unzähliger Staaten und Cliquen gegen Israel würde eher eine solche Bezeichnung verdienen. Der projektionsbeladene Hass gegen Amerika bewegt sich außerhalb des Erträglichen, zudem und erst recht, wenn er von Leuten formuliert wird, die Ideologiekritik eigentlich auf dem linken Stundenplan gehabt haben dürften. Ein reflektierteres Weltbild müsste man angesichts dessen wohl erwarten können. Also liebe Musiker und Theaterfreunde, bevor ihr Eure Übelkeit das nächste Mal zu Stücken formt, legt Euren Michael Moore für eine Weile beiseite und greift Euch zur Abwechslung mal ein gutes Buch. Als Empfehlung: Feindbild Amerika von Dan Diner und Amerika, Der War On Terror und der Aufstand der alten Welt von Thomas Uwer/Thomas von der Osten Sacken/Andrea Woeldike. Dann kann sowas wohl nicht noch mal passieren. Sympathischer als das waren allemal Die drei Normal Beatles, zu denen auch die an diesem Abend anwesenden Ted Geier (member of the Golden Lemons), sowie der Robbespierres-Sänger gehörten. Vor ein paar Wochen war dieser Ausfluss des Hamburger Inzest-Bandwesens im Ilses Erika zu Besuch und legte dort ein bravouröses Konzert von satten viereinhalb Stunden und zwei Flaschen Wodka aufs Brett. Da gab es definitiv nicht eine Silbe zu meckern. Es wäre schön gewesen, wenn vom hier zu rezensierenden Robbespierres-Auftritt ähnliches behauptet werden könnte. Sebastian Elser |
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