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Die Geister, die ich rief...


Oder: Wie eine postulierte Nichtparteinahme zur Parteinahme wird. Zur Erklärung des BgR zu den Vorkommnissen während der Tag X Demos.
Von Mario Möller


    „Hat die autarkische Praxis seit je manische und zwanghafte Züge, so heißt diesen gegenüber Selbstbesinnung: die Unterbrechung der blind nach außen zielenden Aktion; Unnaivetät als Übergang zum Humanen.“
    (Adorno, Marginalien zu Theorie und Praxis)

    „Kein Zweifel und unbestritten, daß die vernünftige Analyse der Situation die Voraussetzung zumindest von politischer Praxis ist...“
    (ebd.)

    „In der allergrößten Not ist der Mittelweg der Tod.“
    (Autonomenweißheit, radikal)
Das Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR), eine der ernstzunehmenderen Post-Antifagruppen, dies soll hier unmißverständlich klargestellt werden, hat zunächst ein Positionspapier zum Irak-Krieg veröffentlicht, danach eine Demo gegen diesen mitveranstaltet und nun eine Erklärung herausgebracht, in der die Angriffe der Pazifisten auf „antideutsche Bellizisten“ verurteilt werden. „So nicht“ wird getönt und eine Kritik hätte anders auszusehen.
Womit natürlich sämtliche, vorsichtig formulierten, Analysen bezüglich der Friedensbewegung und ihrer Motivation dahin sind.
Was mit einem richtigen Schritt begann, nämlich den ideologisch deutschen Charakter dieser kriminellen Zusammenrottung namens Friedensbewegung und ihrer linken Apologeten zu beleuchten, führte leider nicht zu einem notwendigen Schritt politischer Praxis. Dieser notwendige Schritt hätte mindestens darin bestanden, eben nicht mit diesen Leuten an einer Demo zu basteln, wo nach Lage der Dinge ganz klar damit zu rechnen war, was die Antideutschen provozierten: der Angriff von (linken) Antikommunisten auf Leute, die ganz klar sagten welchen Charakter der Krieg gegen den Irak und indirekt gegen old europe trägt. Nämlich das dieser Krieg ein antifaschistischer ist und das jeder, der hier nach Frieden brüllt mit der Barbarei paktiert! Dies gilt auch für eine sich linksradikal artikulierende Gruppe, die glaubt, in dieser Situation einen Frieden, der längst ein Krieg gegen das „jüdische Prinzip“ ist, ohne Antiamerikanismus, Antizionismus und Antisemitismus: jener drei großen A, die noch jeder bis ins Mark deutschen Bewegung als Scharnier dienten, haben zu können.
Indem gesagt wird, „so nicht“, hat man seinen Frieden mit diesem pazifistisch-reaktionären Fußvolk längst gemacht, denn in der Sache scheint die Kritik an der Antideutsch-Kommunistischen Gruppe Leipzig (AKG) wohl gestimmt zu haben, nur die Form ist etwas daneben. Und: peinlicherweise waren auch Leute dabei, die an der eigenen Demo teilnahmen. Na so gehts wohl nicht.
Wie naiv muß man eigentlich sein, die Geister zu mobilisieren und anzufixen, wo doch klar ist, daß jene Verzichtsprediger in diesem Fall die volle Dröhnung wollen, um sich dann darüber zu echauffieren, daß der zur Schau getragene Pazifismus jener Leute nur das Spiegelbild ihrer Vernichtungsphantasien ist, die wie immer klar strukturiert sind, damit ja kein Zweifel aufkommt wer denn die Betriebsamkeit stört: kriegsgeile Juden, Amerikaner und ihre rassistischen Helfershelfer, die am besten alle auf eine Insel in der Karibik abgeschoben gehören.
Der Dialog wird eingefordert, wo klar sein müßte, daß es hier längst nichts mehr zu bereden gibt, jedenfalls nicht in der Form, als daß hier noch um eine Position verhandelt werden könne, die allen gerecht wird. Diesen Dialog hat jeder Kommunist zu verweigern! Offensichtlich reden wir hier nicht über pubertierende, desperate Jugendliche, die nicht genau wissen was sie da tun und in Ermangelung lohnenswerterer Ziele nun mal eben zufällig den Bellizisten zeigen, wo es lang geht. Hier sind kritikressistente deutsche Gesinnungstäter aus der Vokü am Werk, mit denen nicht dialogisiert gehört, sondern ein für alle mal gebrochen. Wenn man das schon nicht will, so sollte zumindest die Provokation in agitatorischer Absicht solchen Leuten klarmachen auf welcher Seite der Barrikade sie stehen.
Eine solch groteske Situation muß man faktisch heraufbeschwören, wenn man ernsthaft daran glaubt, einen Mittelweg – Frieden ohne Antiamerikanismus – fahren zu können, um einer Entscheidung, die angeblich nicht anstünde, zu entgehen. Leider hat man sich genau damit – ob nun bewußt oder nicht spielt dabei keine Rolle – positioniert: auf der Seite der Gegenaufklärung, denn der geforderte Frieden wird nur über dieses ticket zu lösen sein.
Als hätte es den 11. September nicht gegeben; als hätte nicht Matthias Küntzel akribisch nachgewiesen, wie antisemitisch der politische Islam als derzeit augenscheinlichste Variante deutscher Gesinnung ist; als sähe man nicht, unter welchem Banner heutzutage die größte Mobilisierung von „antikapitalistischem Protest“ weltweit gelingt, werden halbherzig gemachte und zumindest in der Sache nicht ganz falsche und für zukünftige Positionen Hoffnung aufkommen lassende Einschätzungen einfach über Bord geworfen. Tatsächlich sind Genossen in der Lage, eine Situation, die man als Manifestwerden einer antisemitischen Internationale von links bis rechts zu diagnostizieren hätte, dermaßen zu verharmlosen, als daß keine Entscheidung anstünde. Keine Entscheidung gegen den globalisierten deutschen Weg der Elendsselbstverwaltung und der Preisung des einfachen Lebens, keine Entscheidung gegen das antiwestliche Ressentiment, keine Entscheidung gegen einen völkischen und romantischen Antikapitalismus und keine Entscheidung für den Vorschein einer vernünftigen Gesellschaft deren Gedanke allein die bürgerliche Gesellschaft stiftet, keine Entscheidung für einen antifaschistischen Krieg, der zumindest die Todesandrohung gegen die irakische Bevölkerung außer Kraft setzt, keine Entscheidung für bürgerliche Verlaufsformen, die zumindest die Möglichkeit der Kritik beinhalten und keine Entscheidung für die Beseitigung der größten Unterstützer der Intifada.
Damit gerät auch die Besorgnis gegenüber Israel zum bloßen Scheinargument. Denn hätte man die gesellschaftlich nach wie vor wirkungsmächtigen Bedingungen zur prinzipiellen Wiederholbarkeit von Auschwitz als negativ-pathologische Form der Aufhebung des Kapitalverhältnisses – natürlich unter den jeweils gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen – verstanden, so würde man nicht wie das Kaninchen auf die Schlange permanent auf Deutschland schielen, um dieses geographische Gebiet tatsächlich als Hort des Antisemitismus und damit als einzigen Hort des Ausbrütens dieser Denkform auszumachen. Nicht gesehen wird dabei, daß Nazi-Deutschland und dessen zu sich selbst gekommene deutsche Ideologie Bezugspunkt eines moralisch wie völkisch daherkommenden Antikapitalismus ist, der von „notwendig falschem Bewußtsein“ durchtränkt ist und der immer offener als Vorbild einer globalen Bewegung dient!
Das sich Auschwitz nicht 1:1 wiederholt, sei hiermit ausdrücklich nochmals gesagt. Aber das Prinzip Auschwitz: die Vernichtungsandrohung und -tat ist dem krisenhaft geschüttelten Subjekt im nachbürgerlichen Zeitalter dennoch ein Bedürfnis und es gilt auch hier die in dieser Situation vielleicht schon verspätete Warnung „Wehret den Anfängen!“. Passender wäre wohl, das Schlimmste zu verhindern, bevor sich die Antisemitische Internationale erst so richtig heiß läuft.
Der Gipfel des Ressentiments gegen kommunistische Kritik ist schließlich dann erreicht, wenn die Kennzeichnung dieser Entwicklung als insbesondere für den Islam und ähnliche Erweckungsbewegungen konstituierende als rassistisch und eurozentristisch beschimpft wird.
Die Wiege gesellschaftlichen Fortschritts ist der Westen als ideengeschichtliche Formation. Die Kennzeichnung dessen, was aus kommunistischer Perspektive falsch und bekämpfenswert ist, ist eine verdammte Pflicht und hat einen Dreck mit Rassismus zu tun: es ist schlichtweg ein Behaupten der Wahrheit und ein Rückgriff auf den Begriff der Vernunft. Es ist die Hoffnung, der Mensch möge mittels seines Verstandes wahrhaft menschliche Verhältnisse schaffen.
Ich behaupte nach wie vor: Es steht verdammt noch mal eine Entscheidung an. Denn seitdem Autonome und Islamisten die gleiche Welterklärung vereint, seit sich links und rechts gegen die USA und Israel die Hand geben steht eine Entscheidung zur Erhaltung der Mindestbedingungen kommunistischer Kritik an. Mir ist eigentlich unklar, welche „Beweise“ man eigentlich noch braucht, um nun endlich mal klaren Kopf zu bewahren und zu erkennen, was für kommunistische Kritik unabdingbar ist, wie diese Mindestbedingungen gerade als negativer Aufhebungsversuch zur Disposition stehen und mit wem man sich gefälligst nicht einzulassen hat. Die Entscheidung für kommunistische Kritik ist auf der Höhe der Zeit eine zwischen dem american way of life und der deutschen Elendstugend, die antiwestliche Kleingeister weltweit vereint.
Sich nicht zu entscheiden, bedeutet, dem globalen Vormarsch deutscher Ideologie nichts mehr entgegensetzen zu wollen, weil man diesen mit seiner Deutschlandfixiertheit gar nicht mehr analytisch zu diagnostizieren fähig ist. In diesem Sinne fungiert die Parole „Nie wieder Deutschland!“ aus den (Post-)Antifa-Kreisen wie eine hilflose antiimperialistische Pose, die einen hippen popantideutschen Pathos zur Schau trägt.
In einer solchen Situation sollte man sich endlich mal selbst etwas ernst nehmen und nicht beständig nach Massenkompatibilität schielen. Wie sowas gehen könnte habt ihr selbst schon mal bewiesen: denkt an Saalfeld, Wurzen, Sebnitz, etc. Damit ist nicht gemeint, zu alter Antifa-Hochform aufzulaufen, sondern das eine Gruppe wie das BgR damals die Courage besaß, sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream durchzusetzen und zumindest in den Analysen die Masse anzupissen.
Da in Zeiten triumphalen Unheils alles zu tun wäre, damit Auschwitz sich nicht wiederholt und es kommunistischer Kritik anstünde, sich dem globalen antisemitischen Mob entgegenzustellen, um zumindest das Schlimmste zu verhindern, vermag man in Zeiten der Ohnmacht kommunistischer Kritik schon fast verzweifelt die Aufforderung Ludwik Krasuckis trotz besseren Wissens über den affirmativen Charakter der Bewegungslinken und ihrer neuerdings krisentheoretisch geschulten Fangemeinde bekräftigen: „Ihr seid zur falschen Zeit auf einer falschen Demonstration in falscher Gesellschaft. Sagt: auf Wiedersehen! Macht dieses Mal nicht mit!“ (Jungle World, Nr. 17; D4)
Gefragt wäre ein „Moment des Widerstands, im Moment des Nicht-Mitmachens bei dem herrschenden Unwesen“ (Adorno; Probleme der Moralphilosophie, S. 18)!
Warum die Linke dann doch wieder mitgemacht hat war wohl aufgrund einer omnipräsenten Kritikressistenz gepaart mit dem Unwillen, gesellschaftliche Entwicklungen beim Namen zu nennen und sich im Ernstfall eben mit den Statthaltern bürgerlicher Verlaufsformen zu solidarisieren, schon aus purem Eigeninteresse!
Der Krieg ist einstweilen beendet. Die schlimmsten Mutmaßungen, die man wohl nur als Wünsche der Moralisten interpretieren muß, sind nicht eingetreten. Es soll sogar vorgekommen sein, daß die Alliierten als Befreier gefeiert wurden. Der Flächenbrand blieb aus, Israel bekam kein Giftgas verabreicht und die Hoffnung ist bislang immer noch realistisch, daß der irakischen Bevölkerung etwas anderes bevorsteht als der sichere Tod.
Diejenigen, die Frieden forderten, sollten nun ein für alle mal zu ihrem Scheitern Stellung beziehen!


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last modified: 28.3.2007