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Malochen für eine gute Sache


    „Nach dem Jubel beginnt die Arbeit“
    (Leipzigs Stadtsprecherin Kerstin Kirmes)

Alles klingt wie ein deutsches Märchen: Ein kleines Nest im Osten wird wegen einer heldischen deutschtümelnden Vergangenheit und trotz des kleinsten Etats Sieger gegen große westdeutsche Städte und damit nationaler Bewerber für Olympia 2012. Zigtausende sympatische einfache Menschen mit Bockwurst auf dem Marktplatz, einem Oberbürgermeister, der so nett ist, ein christliches Lied eigenhändig zu spielen, Kanalarbeiter und Anwälte joggen spontan zusammen für Olympia und der altehrwürdige Richard von Weizäcker, der das zukünftige Leipzig beschwört: „Die ganze Stadt als olympisches Dorf“.
Wenn eine Stadt mit einem so niedrigen Etat siegt, dann hat das wohl auch sehr viel mit der im Etat nicht aufgelisteten ehrenamtlichen Arbeit zu tun. Von aufopferndern einfachen Menschen berichtete auch gleich das Leipziger Schmierblatt Leipziger Volkszeitung. Dieses schwärmte von den beiden Hausmeistern des Lichtenberggymnasiums. Diese hatten Stunden damit zugebracht, 2012 Lufballons mit Gas zu füllen und mit Bändchen zu versehen. „Die Strippen fraßen sich ins Fleisch. Doch echte Kerle ertragen so einiges für die gute Sache. Die heißt in diesen Tagen Olympia 2012.“ (LVZ) Nach Blut- und Schweißarbeit lechzten auch die taumelnden Massen auf dem Markt, wenn deren Exemplare mit verkrampftem Gesichtsausdruck nach dem auf nationaler Ebene errungenen Sieg ihrer geliebten Stadt in die Fernsehkameras brüllten: „Jetzt müssen wir alle zusammen noch mal richtig ranklotzen, damit wir die olympischen Spiele nach Leipzig holen!“ Und auch der Star-OBM Tiefensee sprach den Leipzigern bei seinem Triumpfeinmarsch in Leipzig aus der Seele: „Heute wird nochmal richtig gefeiert, am Montag beginnt die Arbeit.“ Leider sind die arbeitsgeilen Parolen wirklich keine Ausnahmen, war doch am Dienstag nach dem Entscheid der LVZ-Seite-Eins-Kommentar von Uwe Niemann auf der Tittelseite der LVZ zu lesen: „Es spricht für uns Sachsen, dass wir nach dem Freudentaumel schnell wieder zur Sache kommen“. Kommentar-Uwe meinte mit „Sache“ genau das, was einen Tag zuvor an gleicher Stelle Hartwig Hochstein als „harte Arbeit“ bezeichnet hatte. Kommentar-Uwe machte sich zudem Gedanken über den „wirtschaftlichen Aufschwung“, dieser nämlich „erwächst erst aus Mut und Tatkraft“. Damit beweist er kein wirtschaftliches Wissen, bezeugt aber die innere Einstellung der „Sachsen“, „die den aufrechten Gang versuchten“, um die auf Schlaraffenlandbäumen wachsenden Früchte kapitalistischen Aufschwungs mit der Arbeitskeule zu pflücken.
Als einer derjenigen wenigen, die nicht zu arbeiten wünschen, kann ich nur hoffen, dass sich von den 92 Prozent Leipzigern, die die Bewerbung der eigenen Stadt unterstützen, genug freiwillig zur Zwangsarbeit eilen, wenn angesichts leerer Kassen ein notwendiges Projekt nicht nach regulären Arbeitsmarktmechanismen fertig gestellt werden kann. Es ist kein schöner Gedanke – die bankrottwirtschaftliche Fertigstellung des Zentralstadions zum Turnfeste vor einem Jahr.
Übrigens: Angesichts leerer Kassen landeten 1989 die Pläne der Regierung der DDR, Leipzig zur Olympiastadt 2000 zu machen, im Papierkorb. Vielleicht hatten „die da oben“ in der DDR keine Ahnung, wie aufopferungsvoll man im Volk arbeiten würde. Die Demokratie hingegen hat ihr Ohr ganz nah am Volkskörper und lauscht dem Puls der Zeit. „Her mit der Maloche“.

Sport frei, Hannes


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last modified: 28.3.2007