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review corner Film, 1.4k

Knallfrosch.


Herr Wichmann von der CDU, 14.1k
"Herr Wichmann von der CDU", Andreas Dresen, BRD 2003
In Zeiten, in denen die deutschen Massen in Bowling for Columbine rennen und Stupid White Men auf der Bestsellerliste steht, ist es wenigstens tröstlich, dass ein Film, der die Stupid White Germans(1) aufs Korn nimmt, im Kino läuft: Herr Wichmann von der CDU(2).

Herr Wichmann ist mit 25 Jahren der jüngste CDU-Abgeordnete im Kreis Uckermack – ein lieblicher Landstrich in Brandenburg, MiesmacherInnen würden ihnen auch als "national befreite Zone" bezeichnen. Es ist Wahlkampf – Bundestagswahl 2002. Ein Kamerateam begleitet Wichmann bei seinen Versuchen, die UckermärkerInnen davon zu überzeugen, dass er die richtige Wahl ist.
Herr Wichmann war auf alle Fälle die richtige Wahl für diesen Film. Es hätte wahrscheinlich auch fast jede/r andere CDUFPDPDSSPDGRÜNE(3)-Abgeordnete/r sein können. Aber Herr Wichmann ist andererseits schon ein Unikat: So jung, noch überzeugt von der Sache und trotzdem schon so abgebrüht und eiskalt – eine unwiderstehliche Mischung.
Herr Wichmann kann nicht leiden: Frauen, die vorbeischlürfen, wenn er seinen Werbespot dreht – zusammen mit seiner Frau, die im Spot für die Familienwerte stehen soll, die er aber auch nicht richtig leiden kann (seine Frau, nicht die Werte). Desweiteren: Frösche. Die wären nämlich der Grund, warum sich die Industrie nicht in der Uckermark ansiedeln will. Die Grünen hätten so restriktive Umweltgesetze durchgesetzt. Sein Standardsatz im Wahlkampf (und deswegen auch im Film) lautet somit: "Da ist eine Feuchtwiese, da ist ein Frosch und schon...".(4) Desweiteren: Wind, der ihm die Blätter vom Wahlkampftisch weht, an einem Ort, wo sowieso niemand vorbeikommt, denn die Uckermark ist schwer von der Abwanderung betroffen.
Herr Wichmann will trotz alledem "frischen Wind in die Politik" bringen. Und dafür sorgen, dass die Jugend eine Perspektive in der Uckermark hat. Er will sich für die Region stark machen. Er will nicht, wie der SPD-Kandidat, nur einmal im Jahr eine Radtour machen, eine Feier abhalten, sich mit Polen (dem Land, natürlich nicht den Menschen) gut vertragen und sein Geld für Hochwasseropfer spenden. Er will wirklich was tun.
Herr Wichmann hat keine Gefühle und kein Herz. Mechanisch verteilt er Flyer und Kugelschreiber. Beschimpft eigentlich mehr die PassantInnen als auf sie zuzugehen. Die wenigen, die mit sich reden lassen – denen redet er dummdreist nach dem Mund. Was sie halt grad hören wollen. (Nur zu dem Hitler-Bush-Vergleich will er sich – vor der Kamera? – nicht äußern.) Er behandelt seine Frau genauso abweisend wie er zu den Alten im Pflegeheim zynisch ist. Wenn man nicht wüsste, dass die Alten mehrheitlich Nazis waren und seine Frau wohl selbst dran Schuld ist (immerhin gibt es keine Zwangsheirat in der Uckermark, oder?), könnte man vor Mitleid im Kino zu heulen anfangen.
Herr Wichmann ist trotzdem sehr leidenschaftlich und emotionsgeladen. Wenn er von seinen neuen DIN-A0-Plakaten schwärmt, mit denen er dem SPD-Kandidaten eins auswischen wird. Wenn er über das Ordnungsamt schimpft, welches seine Plakate wegen Gefährdung des Straßenverkehrs abnimmt, der SPD hingegen beim Aufhängen ihrer Plakate sogar helfen würde. Wenn Angela Merkel neben ihm auf der Bühne steht. Und das Deutschlandlied mit ihm singt. Wenn er in der Proletenkneipe ist. Und er den jungen Nazis, die den Text nicht können, das Deutschlandlied beibringt. Wenn dort auch die Kinder mit ihren Fackeln rumstehen. Da ahnt Wichmann instinktiv – weil wissen kann er es nicht: Gnade der späten Geburt und chronische Schulabstinenz – dass das ganz schön faschistisch ist. Wenn er in der Nacht der Entscheidung, dem Wahlabend, den vermeintlichen Sieg seiner Partei feiert – und seine Sender sehen, die die falschen Hochrechnungen bringen würden. "Bei den öffentlich-rechtlichen liegen wir vorne. RTL – was ist das denn für ein Sender!" Plötzlich werden ARD und ZDF, die sonst wegen ihrer SPD-Unterwanderung am Pranger der CDU-Propaganda stehen, zum Garanten für den Sieg.
Herr Wichmann kann das CDU-Ergebnis in der Uckermark von 20% auf 21% erhöhen. Obwohl die anderen Abgeordneten im Film nur am Rande auftauchen, wird klar, dass sie auch nicht besser sind. Und es keinen großen Unterschied macht, wer gewinnt – außer für die Frösche natürlich. Und für die SchlürferInnen, vielleicht.
Herr Wichmann ist zwar ein übler Demagoge – sein Wahlvolk betrügt er aber nicht, obwohl er sie nach Strich und Faden anlügt. Denn sein Wahlvolk setzt sich aus verblödeten Jung- und Altnazis zusammen, die folgendes Wissen mit Herrn Wichmann teilen: AusländerInnen sind böse, Amis sind böse, die Arbeitslosen bekommen zu viel Geld und die Reichen werden immer reicher, nur der Mittelstand ist arm dran. Und dass die Frösche an allem schuld sind, wird Herr Wichmann seinem Volk noch beibringen.

Frosch, 18.5k P.S. Passend dazu kommt ein Vorfilm, auch Werbung genannt, wo ein Frosch mit Parfüm in Berührung kommt, dadurch unwiderstehlich wird, beim Geschlechtsverkehr erschlagen wird, seine Schenkel in einem französischem Restaurant landen, der Gourmet durch den Verzehr des Frosches unwiderstehlich wird, beim Geschlechtsverkehr an Herzversagen verendet, seine Schenkel von einem Regenwurm verspeist werden usw. Der Kreislauf des Lebens – nicht nur für das neue Parfüm gilt das, sondern auch für die alte deutsche Dummheit. Es geht immer weiter, mit und ohne Herrn Wichmann. Und solange in Deutschland nur die Froschfrage auf der Tagesordnung steht, können wir uns getrost mit der französischen Lösung arrangieren.
Gönnt Euch also in all dem Elend mal einen schönen Kinoabend(5).

Cecile

Fußnoten
(1) In der jungle World (04/2003) gibt es von der
Phase Zwei Berlin unter diesem Titel einer sehr lesenswerten Artikel zur Kritik am antiamerikanischen Hype der an sich nicht schlechten Michael Moore-Produktionen in Deutschland, dessen Lektüre in diesem Zusammenhang ausdrücklich empfohlen wird. (http://www.jungle-world.com/seiten/2003/03/115.php)
(2) Andreas Dresen: Herr Wichmann von der CDU, 2003 – ein Film in der Reihe "Denk ich an Deutschland" (http://www.herrwichmann.de)
(3) Im Film entwerfen bei einer Wahlkampfveranstaltung in einer Schule genau diese Parteien zusammen ein gemeinsames Wahlplakat – und verstehen sich prächtig dabei. Alle ParteipolitikerInnen können sich auf folgende Forderungen einigen: Gegen den Abzug der Jugend aus der Heimat Uckermark, für glückliche Kühe, für soziale Gerechtigkeit und Frieden.
(4) Dass Herr Wichmann AusländerInnen nicht leiden kann, muss wohl nicht extra betont werden. Gibt’s ja eh fast keine in der Uckermark. Wer es wissen will, dem sagt er’s natürlich: Die AusländerInnen müssen raus, nur die, die was nützen, können rein. Die SPD ist da ganz schlimm. Auch einen REP-Wähler versucht er mit der tollen Anti-AusländerInnenpolitik der CDU überzeugen. Der ist aber der einzige mit Format im Film: Zeigt sein Tattoo auf dem Oberarm und sagt: "Ich bin rechtsradikal". Herr Wichmann zuckt bedauernd mit den Schultern.
(5) Dass Andreas Dresen das Kunststück, einen so kritischen und demaskierenden Film zu drehen, unbeabsichtigt oder gar entgegen seiner eigentlich Intention vollbracht hat, tut dem Filmgenuss keinen Abbruch. Er selbst äußert sich nämlich dahingehend, dass er mit dem Film ein liebevolles Porträt einer vernachlässigten Region und deren Menschen, eines idealistischen Kämpfers auf verlorenem Posten, der Schwierigkeiten der Demokratie etc. zeichnen wollte. Und er lobt ausdrücklich jenen alten CDU-Opa, der erst Marx zitiert, um dann seine falsche Kapitalismuskritik, seine Globalisierungsparanoia und seine nationalistischen Weltverschwörungstheorien abzulassen. (siehe: jungle World, 17/2003, S. 24-25)

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last modified: 28.3.2007