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review corner Film, 1.4k

Bowling for Columbine.


Bowling for Columbine, 10.3k
"Bowling for Columbine"
Michael Moore, USA 2002

"I was made in America and America hates me for what I am." (Marilyn Manson)

Zur unterhaltsamen Einleitung sei folgendes gesagt, gleichzeitig auch als Empfehlung zu lesen. Einen Film im Prager Frühling zu sehen nervt total. Unglaublich, wenn in der freien Marktwirtschaft mehr Tickets verkauft werden als Plätze vorhanden sind, ein wenig zuviel des guten Unternehmergeistes. Davon abgesehen ist es dort scheißkalt, bei einem nicht gerade billigen Eintrittspreis. Doch kommen wir zu dem, was ich sah und hörte.
122 Minuten Film, 122 Minuten Reportage, 122 Minuten pure Angst. Dies beschreibt grob, was das neueste Werk von Michael Moore ausmacht. Es dreht sich um die relativ frei erhältlichen Waffen in den USA, was daraus folgt und in Ansätzen weshalb. Der Regisseur will kein Moralprediger sein und ist es doch. Er selber ist, wie ich einem Interview entnahm, Waffennarr und Mitglied auf Lebenszeit in der NRA (National Rifles Association). Dieser Umstand ist nicht Mittel zum Zweck, wie es der Film eventuell durchscheinen lässt. Es ist der Versuch eines humanistischen Liberalen, sich kritisch mit der Waffenvernarrtheit der Amerikaner und somit auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dies ist ihm hoch anzurechnen, wobei er in seinem Film sich selbst als Gegenstand der Kritik zu großen Teilen außen vorlässt. Schade eigentlich, aber dieses Manko tut dem Ganzen keinen Abbruch. Lassen wir nun einige Motive der Reportage sprechen. Ein Friseurbesuch in einer typischen amerikanischen Kleinstadt: während jemand sich die Haare schneiden lässt, sucht er im Regal gegenüber dem Frisierstuhl nach der passenden Munition für das nächste Schießtraining. –Szenenwechsel – Eine Frau mittleren Alters, Mitglied einer Bürgerwehr und gekleidet in Armyklamotten, spielt mit ihrer Tochter, während sie erklärt, dass es gerade für Frauen wichtig ist, sich selbst verteidigen zu können, vor allem geht es ihr dabei um den Schutz ihrer Familie. –Szenenwechsel – Die Überwachungskameras der Columbine Highschool filmen die beiden Jugendlichen, während sie umherziehen und gezielt Mitschüler erschießen und eine Rohrbombe werfen, ein mitgeschnittener Anruf zeugt von der Bewunderung einer jungen Dame, die sie irgendeiner Fernsehmoderatorin entgegenbringt, sie telefoniert zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Highschool, während das Massaker läuft. –Szenenwechsel. Das nur als kurzer Einblick in die Reportage, welche bei weitem noch abgefahrenere Kuriositäten, die eben gar nicht so kurios sind, zu bieten hat. Die inhaltliche Ausrichtung des Filmes, in subkulturellen Kreisen oft mit einem einfachen „message“ gefasst, was umfasst sie? Kann Moore erklären, weshalb gerade in den USA so viele Menschen durch Schussverletzungen sterben, weshalb gerade dort nicht wenige Amokläufe stattfinden, obwohl in bspw. Kanada ein Gros der Bevölkerung auch über Waffen verfügt? Nein, er kann es nicht, obwohl er es krampfhaft versucht. Mitverantwortlich sind wohl soziale Missstände, die Medien, das Grundgesetz, etc. Moore ist eben wie gesagt Liberaler und kein Linker und erkennt folglich nicht, dass all dem, was er kritisiert, die bürgerliche Gesellschaft zugrunde liegt. Deshalb bleibt während der gesamten Reportage der blinde Fleck im Bewusstsein, das, was letztlich wirklich dazu führt, sich eine Knarre zu schnappen und durchzudrehen, unbeleuchtet. Trotz dieser Tatsache ist der Film unglaublich unterhaltsam auf seine eigene furchteinflößende Art. Manchmal ernsthaft, manchmal satirisch präsentiert er seine Suche nach Zusammenhängen und bleibt dabei objektiv, zumindest in meinen Augen. In denen eines größeren Teils des anwesenden Publikums sicherlich nicht. Manchmal möchte man aufstehen und das Kino verlassen, wenn bspw. eine Reihe vor mir zwei Schmuddelzecken beim Anblick Bushs brüllen: „Faschistenschwein!“. Aber das ist generell das Problem einer Rezeption durch Deutsche, ein bisschen wie mit dem auch nicht üblen „South Park“. Was hier wie dort wahrgenommen wird, ist plattester Anti-Amerikanismus, der eben nicht die eigene Entstehungsgeschichte Amerikas reflektieren will. Da schwatzt man schnell vom durchgeknallten Ami und will nicht wahrhaben, wie durchgeknallt man selber ist. Gäbe es in Deutschland ein Grundgesetz, das den Besitz einer Waffe für den Schutz der eigenen Familie erlauben würde... Ach nein, dieses Szenario will ich mir nicht einmal in Ansätzen vorstellen. Ein Polizeibeamter, der eben noch das „Arbeit statt Sozialhilfe“-Programm der US-Regierung verurteilt, wird im nächsten Moment, als klar wird, dass er Bulle ist, von denselben zwei Honks ausgebuht wie vorher Bush. Die Suche nach dem Sündenbock für den alltäglichen Wahnsinn des Kapitalismus, wie sie im Film noch einige Minuten davor kritisiert wurde. Für Littleton fand man auch jemanden, nämlich den von mir sehr geschätzten Rockmusiker Marilyn Manson, der wohl den intelligentesten Interviewbeitrag des Filmes abliefert, weshalb ich im folgenden einige kurze Auszüge, entnommen seinem schriftlichen Statement zu den Highschool-Morden, dokumentieren möchte.
„Der Name Marilyn Manson hat niemals den traurigen Umstand zelebriert, dass Amerika Killer auf die Titelseiten des Time Magazines bringt und ihnen damit dieselbe traurige Berühmtheit zuteil werden lässt wie Filmstars. Von Jesse James hin zu Charles Manson haben die Medien, seit ihrer Entstehung, Kriminelle zu Volkshelden stilisiert. Erst kürzlich wurden zwei neue erschaffen, als die beiden Volltrottel Dylan Klebold und Eric Harris (Columbine-Amokläufer; Anm. d. A.) auf jede Titelseite gepflastert wurden. Seid nicht überrascht, wenn jeder herumgeschubste Jugendliche zwei neue Idole hat. (...) Wenn es darum geht, wer für die Highschool-Morde in Littleton, Colorado, zu verurteilen ist, dann wirf einen Stein und du triffst einen Schuldigen. Wir sind diejenigen, die sich zurücklehnen und tolerieren, dass Kinder Waffen besitzen, und wir sind diejenigen die sich einschalten und minutiös jedes Detail davon verfolgen, was sie damit anstellen. (...) Im Moment ist jeder damit beschäftigt, wie ein weiteres Littleton verhindert werden könne. Doch wie verhindert man AIDS, Autounfälle, Weltkriege oder Wirtschaftskrisen? Wir leben in einem freien Land, aber mit dieser Freiheit kommt die Bürde der eigenen Verantwortung. (...) Es ist kein Wunder, dass die Kids heute viel zynischer aufwachsen; ihnen gegenüber stehen unendlich viele Informationen. Sie können sehen, dass sie in einer Welt leben, die aus Scheiße gebaut ist. (...) Amerika ist ein einziges großes Einkaufscenter geworden und aufgrund des Internets und all der Technologie, über die wir verfügen, kann man sich nirgendwo verkriechen. Menschen sind überall gleich. (...) Ich habe immer versucht aufzuzeigen, dass die Teufel, auf die wir unsere Greueltaten schieben, keine anderen sind als ein jeder von uns. Deshalb erwartet nicht, dass das Ende der Welt aus dem Nichts hervorschießt – es passiert jeden Tag, seit einer langen Zeit.“(1)
Abschließend möchte ich jedem ans Herz legen, sich den Film unbedingt anzusehen, sei es nur, um sich mal wieder so richtig vor dem Irrsinn der bürgerlichen Gesellschaft zu fürchten.

Schlaubi

(1) Marylin Manson, Columbine: Whose Fault Is It?, zum besseren Verständnis von mir übersetzt.


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last modified: 28.3.2007