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Es lebe die Antifa-Recherche!


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Matthias Küntzel:
Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg.
ça ira: 2002, ISBN 3-924627-07-X, 180 S.

Matthias Küntzel besinnt sich mit seinem Buch „Djihad und Judenhaß“ auf alte Traditionen: die klassische Antifa-Recherche, und macht damit vor, wie eine Analyse richtig aufgezogen wird. Von den antideutschen SpinnerInnen erntet er falsche Vereinnahmung, die restliche Linke straft ihn mit Missachtung. Das Bündnis gegen Rechts (BGR) lädt ihn zu einer Diskussionsveranstaltung zu seinem Buch ein.

Bahamas und Co. waren schnell und oberflächlich in ihren Beschreibungen des Islamismus als faschistisch. Sie glaubten mit ihren Pamphleten eine Analyse der Welt abzuliefern, ergingen sich aber lediglich in (zum Teil gar rassistischen und kulturalistischen) Pauschalisierungen und einer Apologetik der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre Aufrufe zur Bombardierung islamistischer Zentren sollten wohl als Provokation gelesen werden, um die friedensverliebte Linke zur Vernunft zu bringen, trieben jedoch diese noch viel tiefer in ihren Wahn hinein.(1)

Matthias Küntzel legt nun mit seinem Buch erstmalig im deutschsprachigen Raum einen Grundstein für eine Diskussion über den Islamismus und die Bedrohung, die von ihm ausgeht, sowie dessen Nähe zur faschistischen Ideologie. Alle älteren Publikationen kann mensch getrost weglegen. Küntzel betreibt die viel geschmähte Antifa-Recherche und verhilft ihr – wenn auch ungewollt – zum alten Ruhm. Er beschreibt die Entwicklung des Islamismus in den letzten hundert Jahren, nennt Namen und zitiert aus Programmen, vergleicht Ideologien und deckt auf, wer von wem beeinflusst wurde. Mit weitreichenden Global-Analysen hält er sich bewusst zurück. Im Vorwort gibt er kund, nur kleine Brötchen zu backen: „Um Enttäuschungen vorzubeugen, gesteht der Autor schon an dieser Stelle, die Rätsel mehr gezeigt, als gelöst zu haben. Das Material immerhin ist ausgebreitet, die faschismustheoretischen, sozialpsychologischen, antisemitismustheoretischen und sexualpsychologischen Analysen können beginnen.“ (S. 9) Dies hebt sich von der ansonsten weitverbreiteten antideutschen Großmäuligkeit wohltuend ab, die nur verdecken soll, dass sie eigentlich gar nichts zu sagen hat. Die von Küntzel ausgebreitete Faktenlage ist aber in einem noch viel größerem Maße ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Linken, die selbst ihren Antisemitismus im Antizionismus ausleben, ihrem Antiamerikanismus frönen und im islamistischen Terror nur den verzweifelten Hass unterdrückter Völker zu erkennen vermögen.
Das wird an den Reaktionen in Leipzig deutlich: Einerseits zitiert z.B. Mario Möller im aktuellen CEE IEH(2) ausgiebig ihm genehme Passagen aus Küntzels Buch – stellt dem jedoch die etwas eigenartige Bemerkung vom „in gewisser Weise lesenswerten Buch“ voran, was wohl seine Bauchschmerzen mit der Kritik von Küntzel an antideutscher Polemik andeuten soll. Nach einer Unmenge von Küntzel-Zitaten folgt die Möllersche Schlußfolgerung „Antifaschismus sollte sich mehr denn je bewußt sein, daß er nicht mehr aber nicht weniger als die Sicherung der bürgerlichen Demokratie vor der faschistischen Bedrohung ist.“. Es scheint, als wolle Küntzel dies nahelegen – dies ist aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil: „Dies“, nämlich die Tatsache, dass der „Djihadismus ein Programm ist, das der zerstörerischen Wirkung des Kapitalismus etwas noch Schlimmeres, nämlich ein Konzept der Vernichtung, entgegensetzt“, „macht den Kapitalismus allerdings nicht besser, sondern offenbart seine destruktive Kraft lediglich in neuer Dimension. Es gibt daher keine Veranlassung, ‚westliche Standards‘ oder gar die USA als den ‚zuverlässigen Garanten einer Weltordnung, der die Menschheit nicht im völkischen Hauen und ethnisch reinem Stechen eines Alle gegen Alle versinken läßt‘, zu verteidigen, wie es seit dem 11. September bisweilen heißt.“ (S. 12). Die Bahamas (39/2002, S. 32-35) dokumentiert Auszüge aus seinem Buch als nachgereichte Begründung für ihre haltlosen Thesen. Die AKG (Antideutsch-kommunistische Gruppe Leipzig), die Küntzel gern zu einer Veranstaltung über dieses Buch eingeladen hätte, hätte auch keine Freude gehabt mit einem, der klar stellt, dass der Kapitalismus nicht „als die ‚Zivilisation des freien Tauschs‘ zu verklären oder der moslemischen Welt gar in einer Art Etappentheorie die Vorzüge dieser Gesellschaftsordnung mit Verweis auf eine kommunistische Option am St. Nimmerleinstag ans Herz zu legen“(3) sei.
Anderseits wird das Buch bewusst im einzigen linken Buchladen Leipzig, dem ellibro, nicht verkauft. Und im BGR stritt mensch sich lange darüber, ob Küntzel, der vermeintliche Kriegstreiber, eingeladen werden könne bzw. ob ihm nicht eine Gegenposition mit aufs Podium gesetzt gehöre. Im Gespräch waren AutorInnen des Buches „Feindbild Islam“. Beide Bücher haben aber nicht viel miteinander zu tun: Das eine beschreibt den Antisemitismus im Islamismus, das andere die rassistisch motivierte Feindschaft gegenüber MuslimInnen in der westlichen Welt – beides Erscheinungen, die aber nur insofern zusammen hängen, dass die AnhängerInnen des Islams für ihren Antisemitismus geliebt und wegen anderen Sachen gehasst werden. Die AutorInnen dieser Bücher auf ein Podium setzen zu wollen, kommt also der Unterstellung gleich, dass Küntzel selbst das Feindbild Islam kultivieren würde. Dies ist aber nicht der Fall – oder nur insoweit, dass der Islamismus als Religion und Ideologie natürlich für jede/n Linke/n ein Feindbild sein sollte! Der Vorwurf der Kriegstreiberei schlägt ebenfalls fehl: „Es gibt Schlimmeres als den Krieg. Es sind Schrecken möglich, von denen nur ein Militäreinsatz befreit. Diese Wahrheit versteht sich in allen vom Nationalsozialismus überfallenen Ländern von selbst. Nur in Deutschland wird das Selbstverständliche nicht anerkannt, weil es dem eingefleischten Opfermythos widerspricht“ (S. 12 f.) Damit spricht sich Küntzel nicht für einen Krieg in Afghanistan oder dem Irak aus, sondern lediglich gegen die deutsche, antiamerikanische Friedensbewegung. Andere Passagen zum Thema Krieg befinden sich nicht im vorliegendem Buch – da hängt Küntzel aber noch der konkret-Artikel „Das Fanal“ (11/2001, S. 14-15) an, wo er schreibt: „Selbstverständlich müssen die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden. Jedoch nicht deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent genug verfolgt.“ Was beim oberflächlichem Lesen nach dem Aufruf aus der Bahamas klingt, die islamistischen Zentren weltweit zu bombardieren, erweist sich bei genauerem Lesen als dessen Gegenteil: Die Art, wie die USA im Irak oder Afghanistan Krieg geführt hat, zeugt weder von Zielgenauigkeit (Bomben auf ZivilistInnen) noch von Konsequenz (Verschonung der Machthaber). Was Küntzel hier vorgeschwebt haben dürfte, ist die wahrlich zielgenaue und konsequente Hinrichtung islamistischer Terroristen durch den israelischen Geheimdienst – und dagegen dürfte es, spätestens nach der Lektüre des Buches, wenig einzuwenden geben.
Vielleicht gab bei der Entscheidung für die BGR-Veranstaltung nur die Tatsache Ausschlag, dass mensch Küntzel aus den Klauen der AKG „befreien“ wollte. Ein etwas eigenartiger Reflex, der allerdings das positive Ergebnis hat, dass Küntzel nun am 28. Januar 2003 ins Conne Island kommen und – allein auf dem Podium – über sein Buch mit Euch diskutieren wird.
Küntzel arbeitet in seinem ersten Kapitel „Die Muslimbrüder und der Palästinakonflikt“ heraus, dass die momentane antisemitische Ausrichtung des Islamismus weder „gottgegeben“ ist (d.h. schon im Koran vorbestimmt war) noch weit verbreitet war – bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Zionismus wurde im Nahen Osten als Möglichkeit der Annäherung zwischen Orient und Okzident begrüßt. Inzwischen hat sich die antisemitische Ausdeutung des Islam, die von den ägyptischen Muslimbrüdern begründet wurde, weltweit durchgesetzt – und insofern ist es berechtigt, heutzutage den Islamismus als antisemitische Ideologie zu bezeichnen. Die Nähe des Islamismus zum Nationalsozialismus (populistisch, nationalistisch, antikapitalistisch, sozial, antisemitisch, antikommunistisch, antiliberal, patriarchal, antihedonistisch, gegen Finanzkapital und Zinsen, für „erdverbundene“ Wirtschaft und den Mittelstand, intensive Nutzung der Technik, für die Versöhnung von Arbeit und Kapital, Todeskult) hat dabei nicht nur ideologische Gründe (der Kapitalismus gebiert die Barbarei, wie es oft so schön heißt), sondern konkret historische: Die Muslimbrüder arbeiteten eng mit den Nationalsozialisten zusammen, bekamen finanzielle Untersützung und Waffen aus dem Dritten Reich und rezipierten begierig die nationalsozialistische Propaganda. Der Fokus der islamistischen Bewegung auf Palästina und die zionistische Einwanderung entstand aufgrund strategischer antisemitischer Überlegungen im Dritten Reich. Dass schon die ersten antisemitischen Pogrome in den 20er und 30er Jahren nicht Folge der jüdischen Einwanderung waren – und somit nicht antikolonialistisch verklärt werden können – ist daran ersichtlich, dass sie sich weder gegen die britischen Kolonialisten noch gegen die jüdischen EinwanderInnen richteten, sondern gegen alteingesessene JüdInnen und „abtrünnige“ PalästinenserInnen, die in noch viel größerer Zahl Opfer der islamistischen Erweckungsbewegung wurden. Nach 1945 wurden die islamistischen Führer, die offen mit den Nazis paktierten, nicht zur Rechenschaft gezogen und verhalfen vielen Nazigrößen zur Flucht in arabische Länder, wo diese schneller als in Westdeutschland erträgliche Posten, z.B. im Geheimdienst, besetzen konnten.
Im zweiten Kapitel „Ägyptischer Islamismus von Nasser bis zur Gegenwart“ geht es um das komplizierte Wechselverhältnis zwischen den Muslimbrüdern und dem ägyptischen Staat, der sie zwar einerseits kurzzeitig verbot und mit massiven Repressalien verfolgte, andererseits selbst den Islamismus und Antisemitismus kultivierte. Die Repression der Muslimbrüder führte lediglich zur Radikalisierung bis hin zu den terroristischen Strömungen der heutigen Tage. Gleichzeitig wurde der Islamismus in seiner „gemäßigten“, d.h. staatsloyalen Form, in fast allen Bevölkerungsschichten verankert.
Im dritten Kapitel „Der Djihad der Hamas“ beschreibt Küntzel, dass der palästinensische Kampf gegen Israel, sei es der der PLO oder der Hamas, von Anfang an antisemitisch geprägt und von den Muslimbrüdern inspiriert war. Es war also kein Zufall, dass 1999 „Mein Kampf“ Platz 6 auf der palästinensischen Bestsellerliste erreichte. Ohne weitere Erläuterung führt Küntzel an dieser Stelle des Buches für die Selbstmordattente in Israel den Begriff „islamfaschistisch“ ein. (S. 120)
Diesen Begriff versucht Küntzel in den beiden letzten Kapiteln („Der 11. September und Israel“ und „Der Mufti und die Deutschen“) zu fundieren, wo er nicht nur über die Anschläge am 11.9.2001, al-Qaida und die Reaktionen im Nahen Osten schreibt, sondern auch die Reaktionen in Europa, sowohl innerhalb der Linken und Anti-Globalisierungsbewegung, als auch in Regierungskreisen analysiert.
Am Anfang des Buches schildert Küntzel seine Herangehensweise: Er will mit Hilfe der islamistischer Originaldokumente die interessierte Öffentlichkeit zwingen, endlich deren extremen Antisemitismus zur Kenntnis zu nehmen(4), und deutlich machen, dass eine Massenbewegung nicht allein deswegen fortschrittlich sein muss, weil sie eine ist. Dies gelingt ihm. Sein Versprechen, dass er die „Entwicklung des Islamismus hier nicht losgelöst von seinem gesellschaftlichen Kontext, sondern als der ideologische und kulturelle Widerhall spezifischer politischer und ökonomischer Voraussetzungen analysiert“ (S. 9), kann er allerdings nicht wirklich einlösen. Zum einen versucht er sich gerade nicht an einer weltpolitischen oder ökonomischen Fundierung (er schreibt nur aus einer innenpolitischen und biographischen Perspektive über Ägypten, aber z.B. wenig darüber, warum die Regierung außerdem noch auf den Islamismus setzte), zum anderen beleuchtet er nicht den Einfluss anderer politischer Strömungen außer der nationalsozialistischen auf den Islamismus. So erfahren wir erstmals interessante Details über die Verstrickung der Islamisten mit den Nazis, aber gar nichts über die Unterstützung der Taliban durch die USA. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass alle anderen dieses Thema ausgiebig und in verschwörungstheoretischer Manier auswälzen. Wer allerdings über den 11.9. und den Islamismus schreibt, kommt nicht umhin, auch neuere westliche Einflüsse auf den Islamismus zu erwähnen.

Tom

Das Buch kann im Infoladen Leipzig (www.nadir.org/infoladen_leipzig) ausgeliehen werden.
Fußnoten

(1) Für eine Kritik an dem falschen Vorgehen für ein berechtigtes Anliegen (Solidarität mit Israel, Kritik an Islamismus):
siehe den Artikel „Es geht um Israel“ in Phase 2.05 (http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=75)
(2) im Artikel: Die unheimliche globale Allianz und der notwendige Bruch mit alten Gewissheiten und Gewohnheiten
(3) Matthias Küntzel: Schöne alte Welt. Im linken Antiamerikanismus, der sich für den islamistischen Antisemitismus nicht interessiert, scheint für Spezifika der deutschen Geschichte kaum noch ein Platz zu sein. jungle World 23.01.2002, www.jungle-world.com/_2002/05/05a.htm
(4) siehe auch Dossier der jungle World 49/2002, wo er die Charta der Hamas und andere Texte erstmalig ins Deutsche übersetzt und dokumentiert (www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/49/29a.htm und folgende)


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last modified: 28.3.2007