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review corner Platte, 1.5k

Aussage gegen Aussage
Die Goldenen Zitronen.

Die Goldenen Zitronen, 19.0k
"Aussage gegen Aussage", Die Goldenen Zitronen, Buback Tonträger

Hello Fans! Das hier ist Geschichtsschreibung! Aus einem grossen Wust von Songs aus achtzehn Jahren haben Die Goldenen Zitronen die vorliegende Kompilation zusammengestellt: Danke! Was aber soll das? Wie jede Geschichte hätte man auch diese Geschichte anders erzählen, eine andere Auswahl der Songs treffen können. Geschichtsschreibung, meine Damen und Herren, ist immer auch Geschichtsklitterung. Deshalb nimmt man das Ganze am besten gleich selber an die Hand. Aussage gegen Aussage.
Man schrieb Sommer 1986, Fussball-WM in Mexiko. Ein windiger Funpunk-Schallplattenmanager hatte die „Jungs von den Zitronen“ und einige Gäste zu sich nach Bremen eingeladen, um in seinem Garten das Finalspiel anzuschauen. Es gab, wie immer bei solchen Angelegenheiten, zwei Möglichkeiten: Deutschland oder Argentinien, dafür oder dagegen, Aussage gegen Aussage. Ein Riss ging durch das Gartenfest-Publikum und mitten durch die Band. Argentinien gewann, einige Leute bekamen richtig schlechte Laune, die Minderheit gute (und einen interessierte das alles überhaupt gar nicht). So gab es auf natürliche Weise einen merkwürdig unartikulierten Streit, der in einem zärtlichen Handgemenge zwischen zwei Bandmitgliedern gipfelte und meine Schweizerische Neutralität bzw. Argentinien zugetane Warte des unabhängigen Beobachters ein bisschen irritierte. Aus heutiger Sicht sollte diese Schlägerei aber irgendwie exemplarisch werden für eine Band, die damals gerade mal eine Single veröffentlicht hatte und als heisser Scheiss im Post-Punk- und Nach-New-Wave-Deutschland galt. Denn jener Streit, obwohl aufgrund der allgemein verbreiteten Jugendlichkeit auf recht intuitivem Niveau geführt, zeigte, wie ein nebensächlicher Anlass, ein Fussballspiel, nicht nur zu Rede und Widerrede, Aussagen und Gegenaussagen führte, sondern wie er mehr oder weniger dumpf Gefühltes artikulierte und gegeneinander in Stellung brachte. Dieser kollektive Prozess hatte sozusagen konstitutive Exemplarität für die spätere, noch vorbewusste Arbeitsweise der Goldenen Zitronen. Wir können sie heute, mit dem Abstand des vielen Elbe und Rhein hinuntergeflossenen Wassers, einmal gelassen „Dialektik als Methode“ nennen. Egal, ob und warum man damals für oder gegen Beckenbauers Betonmischertruppe, für oder gegen Maradona war. Das „Hallo HSV“ im Titelsong der (übrigens nach über 15 Jahren fast vergoldeten und zur Grundausrüstung jedes jungen Punks gehörenden) ersten LP „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ war lange vor dem FC-St.-Pauli-Hype eine dieser typischen Zitronen-Vignetten, die wie eine Antithese zu etwas schien, das noch keinen Namen hatte. Deshalb heisst es im Text, dass der Sänger keine Ahnung hat, was „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ bedeuten soll. Was zählt, ist die Wucht, die Durchschlagskraft, das Mitsing-Potenzial. Denn These und der Standpunkt, von dem aus „Hallo HSV“ gesagt wird, ist sich über den konkreten Inhalt der Botschaft nicht im Klaren. Das ist bereits thematisiert. Die These ist als Ahnung und damit das dialektische Arbeitsprinzip vorwegnehmend jedoch im Lied vorhanden. Im Nachhinein ist die These vielleicht zu einem Standpunkt geworden, den die Band, als er von den „Fans“ übernommen wurde, längst nicht mehr interessierte: der HSV ist Establishment, reich, kleinbürgerlich, blöd; wir aber sind Underground, arm, dagegen usw. Der Anlass für den Song war ja, wie im Text angedeutet, der schöne Brauch, dass man über Alkoholika Eingeschlafene mit Sprüchen bemalte. Das Genie der Band wählte einen dieser aufgemalten Sprüche als LP-Titel. „Mercedes, Kohl, Hallo Bayern“ kann man sich ausdenken, „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ nicht, nur finden und wie die Dadaisten oder Duchamp als object trouveé mitnehmen aus und in einem Umfeld, das sich in Hamburg zwischen Butt- und Hafenstrasse, zwischen Polit- und Gag-Aktivisten, zwischen Punk und allen davon ausgehenden, noch nicht formulierten Antithesen dazu befand. Die Möglichkeiten dieser Antithesen waren auch auf der Bühne zu sehen: Da stand ein Teddy-Boy, ein Typ im Schlafanzug und in Fussballschuhen, ein stachliger 77er Punk und ein Hardcore-Straight-EdgeSchlacks mit Lederjacke. Wo ist das Zentrum?

Die Goldenen Zitronen, 18.7k Wo man nicht hinwollte, war klar. Wo man hinwollte und wo der Standpunkt war, den man verlassen musste, macht vielleicht das Lied „Ihre Faust so fest Skinheadmädchen“ deutlicher - in seiner mehrfacher. Umkehrung der realen und ästhetischen Gegebenheiten. Erstens: Ähnlich wie in einigen frühen Liedern bei den Ärzten ist der Mann schwach und die Frau stark - die Umkehrung der Macker-Verhältnisse in der Rockmusik und anderswo. Ein Thema übrigens, das in vielen anderen Stücken wie „L’amour á trois“, „Die chinesische Schubkarre“, „Daniel“, „St. Pauli Boys“ usw. Variationen erfahren sollte und heute schick mit Gender-Bindestrich-Diskursen tituliert wird. Zweitens: In „Ihre Faust so fest Skinheadmädchen“ verliebt sich der Mann in die Vertreterin einer rechten Jugendkulturgruppe, die sich in jenen Jahren gerade in Hamburg zunehmend für Ärger an Konzerten und in Treffs sorgte. Das Skinheadmädchen in dem Lied ist nicht als rechts erkenntlich - die allgemeine Übereinkunft, was von Skins zu halten ist („Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“, wird ignoriert. Ein Verstoss gegen einen Konsens in der Subkultur. Das Mädchen ist einfach wunderschön. Doch Schönheit schliesst Prügel nicht aus: Das Skin-Girl bringt seine Gewaltbereitschaft deutlich zur Anwendung. Und so steht der Mann in seinem Blut und geht als Verlierer ab, nur die Liebe bleibt. Das Lied benutzt als weiteren Affront Klischees aus dem Schlager - damals das allerletzte, das breite Festzelt-Revival kam erst später - indem der Schlager-Wert von der ewigen Liebe ins Absurde getrieben wird. Das verstand und goutierte man nicht überall. Wer nicht humor- und ironiebereit war, fand das albern, scheisse oder richtig scheisse. Insofern ist das Lied ein Beispiel, wie man Verwirrung stiftet und die „eigenen“ Reihen aufmischt - Bands und Fans, die beispielsweise Punk musikalisch in einen sich totlaufenden Schneller-härter-brutaler-Rockkompetenz-Wettbewerb verwandelt und sich einen textlichen Rigorismus (Bullen, Scheissstaat) angewöhnt hatten.
Insofern hatte das, was in den späteren achtziger Jahren unter dem Stichwort Funpunk riesige Efolge feierte, an diesem Anfang seine strategische Berechtigung: Nachdem die „Neue Deutschen Welle“ verbrannte Erde hinterlassen hatte, die Überbleibsel der alten Punk-Idealen, unter Einfluss des neuen US-Hardcore-Protestantismus zu verkrusten begannen, hatte dieses Vorgehen das Ziel, sozusagen als Punk innerhalb des Punk, das Prinzip der Selbstkontrolle über alle musikalischen Belange zurück zu erlangen, jegliches gruppenästhetische Diktat zu unterlaufen und mit umgekehrten Spiessen Gag-Attacken gegen die humorlose Lustfeindlichkeit abzufeuern. So klingt das fröhliche „Nuestro Mexico“ als Tex-Mex- und Wildwest-Adaption noch heute nach Party, volkstümlicher Revolution und Tequila. Es steht zudem fast programmatisch für jene den Goldenen Zitronen schon früh eigene musikalische Offenheit, Genrefremdes zu nutzen. Ein Verfahren, das auch auf das verloren gegangene Credo des Punk verwies, alles zu können, alles zu machen, ohne Rücksicht auf die Amtlichkeit Musiker-technischer Fähigkeiten oder auf ästhetische Verbote. Ein Verfahren auch, das in vielen späteren Liedern wieder produktiv gemacht und ständig weiter entwickelt wurde: „Die Kakteen“, eine eingedeutschte Coverversion von Jacques Dutronc, nimmt Einflüsse aus der merkwürdigen Welt der frankophonen Pop-Missverständnisse auf, „Heinrich Brinkmann“, ein neorealistisch-biografisches Protokoll des in den frühen sechziger Jahren in Bremen-Fegesack links erzogenen Heinrich, arbeitet mit Country-Versatzstücken und integriert einen Erzähler im Geiste Bertolt Degenhardts, „Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo“ verwendet Hip Hop als Format für die möglichst grosse Textunterbringung, um nur einige sinnfällige Beispiel zu nennen.

Das Merkwürdige beim Durchhören der achtzehn Gesamtwerkjahre Die Goldenen Zitronen ist das Gefühl einer Folgerichtigkeit, einer künstlerischen Intuition geschuldeten inneren Logik, die sich vielleicht am gerade Gesagten verdeutlichen lässt. Die sich im Laufe der Jahre immer schärfer herauskristallisierende Konsistenz des Werkes gründet eben schon in der Musik. Einerseits sollte klar geworden sein, dass Die Goldenen Zitronen schon von Anfang an mit - und nicht in - verschiedensten Genres gearbeitet haben auf dem Weg zu künstlerischer Freiheit im besten Wortsinn, andererseits immer aber auch auf die Zugehörigkeit zu einem sozialen, politischen, künstlerischen - aussermusikalischen - Zusammenhang in wechselnden Allianzen pochten und pochen, der heute in seinen historischen Details verblasst ist beziehungsweise den Aggregatszustand von Erinnerung oder Geschichte bekommen hat. So spricht hier nie ein künstlerisches Autorensubjekt, sondern das Wir eines sich ständig verändernden, das Umfeld der Produktionsgemeinschaft abbildenden Kollektivs. Besetzungswechsel und Gäste sorgen für die Stimme des äusseren Zusammenhangs, aus und in dem die Band arbeitet.

War es noch das eher intuitiv Zweiflerische, das zur Skespsis gegenüber dem eigenen Erfolg führte, indem jahrelang mit bräsiger (Alemannisch für: schlechtgelaunt, miesepetrig) Beharrlichkeit gegen die Funpunk-Festschreibung angespielt wurde, erfolgte mit dem Fall der Mauer und der nachfolgenden rechten Neo-Nationalisierung Deutschlands Ereignisse, die in der Reaktion der Band zu einem Bewusstheits- und Reflexionszuwachs führte, der im Nachhinein musikalisch weniger als Zäsur denn mehr als Fortschritt hörbar wird. „80 Millionen“ (Hooligans), die Dumpfheit des Wiedervereinigungsgefühls artikulierend und die kurz darauf folgenden Nazipogrome vorwegnehmend, ist aus heutiger Sicht nicht zufällig eines jener Stück, das grösser wird als (Anti-) Genre-Musik. Dieser Schritt war möglich, weil er, wie oben ausgeführt, vorbereitet war und in den Neunzigern wie von keiner anderen Band in die hell strahlende Oberfläche der musikalisch und textlichen Eindeutigkeit vorangetrieben wurde. Die Vorgehensweise „Dialektik als Methode“ kam zu voller Entfaltung. Es herrschte „Die Postmoderne“, „Flimmern“. Vielleicht „weil wir einverstanden sind“. „Fin de millenaire“, eine an Sprachdurchfall leidende, im Anspruch anmassende, in der Ausführung grandiose Geschichtsanalyse, treibt das auf die Spitze, „0:30, Gleiches Ambiente“ spricht mit detailgetreuer Heiterkeit von den Verhältnissen in den eigenen Kreisen. Um das Ende der - ähnlich wie in den Achtzigern Funpunk - zu einem Emblem für Polit-Chicness werdenden Hamburger Schule in eine Rockergang-mässige, gefährliche Totenschule zu verwandeln, warfen sich natürlich Die Goldenen Zitronen mit dem Album „Dead School Hamburg - Give me a Vollzeitstelle“ in die Spiesse der kommerziellen Selbsttötung.

Was bleibt, ist „Alles was ich will (ist nur die Regierung stürzen)“: Geschichte, Geschichtsschreibung, diese alte, zerknitterte, geklitterte Mutter. Danke, Mamma.

Stephan Ramming, Zürich, im August 2002

(Rezension der Plattenfirma Buback


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last modified: 28.3.2007