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review corner Film, 1.4k

Hundstage.

Hundstage, 8.0k
Ulrich Seidl : Hundstage, Österreich 2001

Ein Film über kleinbürgerliche Normalitäten und Extravaganzen

Die Handlung, insofern es überhaupt eine gibt, spielt in einem Wiener Vorort, einem Siedlungsgebiet der typisch bürgerlichen Mittelschicht. Während drückend heißer Sommertage zeigen Durchschnittsmenschen, was Durchschnitt heißt und präsentieren uns Absurditäten des Alltags. Absurd ist, was normal ist und umgedreht. Fast möchte man lachen über mitgesungene Radiowerbesongs, Sicherheitswahn und Beziehungshickhack, doch wer lacht schon gern über die Realität, wenn sie derart ungeschminkt, jede daily soap Lügen strafend, dargestellt wird. Nimm deinen Nachbarn, die Kassiererin im Supermarkt und deinen Uni-Professor und stelle sie in einen Film. An allen wird das zu Tage treten, was dieser Film zeigt – die blanke bürgerliche Existenz. Angst vorm Alleinsein, vor zu viel Nähe, davor sexuell zu kurz zu kommen, vor Missbrauch, vor Verbrechen, Gewalt, Demütigung, Magersucht, Fettleibigkeit und Alter hat jeder und jede, im Film von Ulrich Seidl, sowie im Film der sich Realität nennt. Aber wer hat Angst vor Armut? Im Film scheint diese wohl noch nicht angekommen zu sein – daher sicher auch die ganzen anderen Existenzprobleme.

Hundstage, 26.9k
Die spezifische Warenkenntnis ersetzt die nicht vorhandene Menschenkenntnis und das ist das eigentlich schlimme im Film und nicht nur dort. Besonders deutlich wird das an der Figur der kindlich naiven Anhalterin, welche wohl im „Familienduell“ (RTL) fett absahnen würde, weil sie eben jene Warenkenntnis hat, wäre da nicht das Problem, dass ihr darüber hinaus eher der Weg in die Klapse als in eine ordentlich funktionierende Familie offen steht. Der Begriff Labertasche muss neu definiert werden! Großartig anzuschauen ist auch der spießige Opa, der sich einen Vorratskeller mit Lebensmitteln anlegt und ganz unverblümt das zu Hause nachgewogene Mehl wegen ein paar Gramm unter angegebenem Bruttogewicht im Supermarkt zur Reklamation bringt. Er ist der Prototyp deutscher Gründlichkeit. Viel erschreckender hingegen ist das dargestellte Leid der Lehrerin, welche sich auf demütigende Eskapaden mit zwei zwielichtigen Kleinkriminellen einlässt, wobei einer davon wahrscheinlich ihr Liebhaber ist. Umso erbärmlicher erscheint dann der für den Zuschauer sarkastisch erscheinende Versuch des einen Assiprolls, die Frau aus ihrer Unterdrückung zu befreien. Seine bahnbrechend metaphorische Erkenntnis: „Stellvertretend für alle Frauen hast du den Kot fressen müssen, gestern – wahrscheinlich.“, meinte er zaghaft nach der für die Frau qualvollen Nacht, an der er selbst beteiligt war.

Es soll hier jedoch nicht zu viel verraten werden, denn dieser Film ist auf jeden Fall sehenswert. Nichts wirkt irgendwie künstlich oder gespielt. Und gerade das ist es, was so lustig und traurig zugleich ist. Aber vielleicht hab ich ja nur einen verschwommenen Blick darauf und sollte demnächst herzhaft lachen, wenn ein entrüsteter Bürger lediglich in der Lage ist, mir die zu zahlende Strafsumme in Euro hinterher zu rufen, weil ich mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fahre. Oder sollte ich, statt auszurasten, wirklich mal daneben stehen bleiben und grinsen, wenn unser Hausmeister (alias Blockwart) meinen Müllsack zwecks ordnungsgemäßer Wertstofftrennung seziert?

Realität ist Kino, Kino ist Realität. Das trifft auch auf „Hundstage“ zu, der Film, der auf die Frage: Was ist deutsch? zumindest antworten kann: Österreich zum Beispiel!

Roman


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last modified: 28.3.2007