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Kultur-Report, 1.7k

Incipito
"Magazin für Neubeginn"


Das Nachfolgeprojekt des eingegangenen KlaroFix erschien als Sommerausgabe das erste mal im Juli. Incipito – das „Magazin für Neubeginn“, so die Selbstreferenz – heißt das Heft und soll ab September monatlich erscheinen. Was da neu begonnen hat oder neu beginnen soll, über dass man als Magazin berichten will, bleibt vorerst ein Geheimnis.(1) Oder will das Magazin über den eigenen Neubeginn berichten?
Incipito als Wort ist eine Neuschöpfung und ist verwandt mit dem lateinischen incipio (anfangen, unternehmen). Ob es der, die oder das Incipito heißt, konnte mir auch ein Redaktionsmitglied des Magazins nicht beantworten. Er empfahl mir, „das Heft Incipito“ in meinem Artikel zu verwenden, um das grammatikalische Problem zu umgehen. Ich werde es mit „das Magazin Incipito“ umschiffen.
Das Magazin Incipito kam mit einer fetzigen und poppigen Aufmachung auf den Markt. So ist der Name und die Datumsangabe mit Vierecken verziert, die Umschlagsfarbe ein knalliges Orange, und es gibt ein großes Titelbild. Die Headline sticht über dem Bild hervor: „Es geht um Israel?“. Da im ganzen Heft eine Israel-Solidarität unhergeleitet bleibt, dennoch aber bekundet wird, handelt es sich nicht um eine Ja-oder-Nein-Frage, sondern um die Frage nach richtiger oder falscher Israel-Solidarität. Insgesamt beschäftigen sich im „Schwerpunkt“, so der Name der ersten und größten Rubrik, fünf der sieben Texte mit den Antideutschen (insbesondere der Antinationalen Gruppe Leipzig und dem Zeitungsprojekt Bahamas).(2) Adäquat wäre es daher gewesen, die Headline auf dem Umschlag anders lauten zu lassen – nämlich: „Es geht um Antideutsche“. Eben weil sich das Magazin im Schwerpunkt mehr mit den Antideutschen als mit Israel beschäftigt, handelt es sich zwei Probleme ein.
Gasmaske, 14.7k Anmerkung des Layouters: das zweite Ergebnis einer Internet-Suchmaschine Suchbegriff: Gasmaske
Das erste Problem: Das Bild, welches den Umschlag schmückt, stellt die Israelsolidarität der Antideutschen als eine Bewegungsmeierei dar, indem das Symbol der Antifaschistischen Aktion als eines der Antideutschen Aktion dargestellt wird. An Stelle der schwarzen und roten Fahne tritt die Israel-Fahne. Unter dem Symbol sammelt sich die Fäuste-ballende Masse. Doch diese Kritik an einer unkritischen Bewegung schlägt auf das Magazin zurück, weil sämtliche Artikel die eigene Israel-Solidarität unbegründet voraussetzen (um sich daraufhin von den Antideutschen abgrenzen zu dürfen), ohne diese auch nur einmal zu begründen. Bedeutet Solidarität mit Israel die Verteidigung einer Demokratie gegen Diktaturen, die Verteidigung Israels gegen Islamisten oder die Verteidigung der Juden gegen den Antisemitismus? Kein Text über die politische Ökonomie des Antisemitismus, kein Text über den Vernichtungswahn des Antisemitismus. So führt das Bild auf der Titelseite des Magazins das Magazin selbst vor: Israel-Solidarität wegen der Israel-Solidarität.
Das zweite Problem: An welches Publikum wendet sich das „Magazin für Neubeginn“? Wie es scheint, an diejenigen, die in der Diskussion zwischen Bahamas & Co., Krisis & Co. und weiteren Gruppen Bescheid wissen. Denn auf diesem Bescheidwisser-Level diskutieren die meisten Texte im Schwerpunkt des Magazins Incipito mit. Nicht das etwas gegen diese wichtigen Diskussion einzuwenden wäre; aber sie laufen schon im CEE IEH. Und da wahrscheinlich nicht mehr als 50 Leute in Leipzig diese Diskussionen verfolgen, wird es für das Magazin Incipito mit nachlassender Neugierde der potentiellen Käufer zunehmend schwerer werden, sich zu verkaufen. Der Anspruch, eigene Schwerpunkte unabhängig von der Szene zu setzen, ist auf jeden Fall unter anderen Vorzeichen beizubehalten.
Nötig wäre in Leipzig eine monatliche Zeitung, die – ohne den Autonomen- und Szenesumpf (Fußball-, Sub- und Freiraumkulturen) zu obliegen – Gesellschaftskritik zugänglich macht; eine Zeitung, die von Szeneleuten, Schülern, Studenten und anderen gelesen werden könnte. So wenige sich links nennende Personen kennen die Voraussetzungen einer kommunistischen Israel-Solidarität. „Warum es um Israel geht?“, wäre eine klasse Schwerpunktsetzung gewesen.
Ein gutes Beispiel für zugängliche Gesellschaftskritik ist der Text „Schulen vom Netz – fickt das System!“ von der AG Bildungskritik in der tollWUT. Dieser kritisiert anhand schulischer Bildung die Zurichtung von Menschen im Kapitalismus. Dieser Text befindet sich nicht in der Rubrik Schwerpunkt. Die meisten anderen Texte in dem Magazin Incipito haben nicht überzeugt, einige gar nicht: Ein Text möchte den Revolutionären Antifaschismus retten, ohne auch nur ansatzweise die Kritik an jenem zu reflektieren, Andy Warhol wird vorgestellt, als müsste Incipito für eine Ausstellung werben und Antiwahlaktionen werden von einem radikaldemokratischen Standpunkt aus angegriffen. Langweilig und beliebig ist die Grenzcamp-Vorstellung durch die Leipziger Antira-AG, ausgenommen dem Geheimnis, warum mitten im Text die deutsche Rechtschreibung in eine konsequente Kleinschreibung umschlägt.
Das Layout erinnert sehr an eine Schülerzeitung. Die Gestalter sind wohl so verfahren: Man schaue sich die Überschrift an, nimmt sich ein Stichwort und sucht mit diesem im Internet nach einem Bild. So tauchen dann Gasmasken und orthodoxe Juden in Texten zum Thema Israel, eine USA-Flagge zum Thema Antiamerikanismus und die Teletubbies im Text „Taliban oder Teletubbis“ auf. Die gestalterische Umsetzung durch Bilder liefert weder weitere Informationen noch repräsentiert sie den Inhalt der Texte auf deren Niveau. Andere Zeitungen machen aus der Not, keine adäquaten Bilder zu den Texten zu finden, eine Tugend namens Bleiwüste. Die eingegangene Zeitschrift KlaroFix hatte bei der Gestaltung teilweise auch eine Art angebrachter Distanz bewiesen, indem das Layout sich durch überspitzte Sinnentleertheit selber nicht gar so ernst genommen hat oder witziges und diskretes Beiwerk war. Das Magazin Incipito möchte gestalterisch poppiger sein, wirkt aber durch die aufdringlichen und letztendlich sinnleeren Bilder ein wenig naiv. Damit man beim Layout nicht den Karoshi probt, sollte die Formel, weniger ist mehr, vorerst gelten. Verpackungstechnisch hat die Linke innerhalb dieser Gesellschaft komplementär zu dem, was sie gegen jene zu sagen hat, konsequenterweise nichts zu bieten. Gesellschaftskritik ist nun mal so traurig und öde, wie das abstrakte Prinzip dieser Gesellschaft, gegen das sie sich richtet. Was sollen schrille Bilder in Texten, die gegen Antisemitismus, das Wertgesetz und andere Scheußlichkeiten ankämpfen. Die bunten Verpackungen kann man so weit wie möglich denjenigen überlassen, die ihren warenförmigen Müll bestmöglich auf dem Markt des kapitalistischen Grauens verkaufen wollen, sei es ihre junge und dynamische Arbeitskraft, ihre neue Funsportart oder ihr innovatives Musikprodukt.
Das Magazin Incipito ist auf alle Fälle zu begrüßen. Zu wünschen ist, dass das Magazin den Drahtseilakt vollbringt, eine breitere Zielgruppe zu erreichen als jene, die ihre Diskussionen im CEE IEH führt, ohne dabei jedoch den linken Marktgesetzen á la schrilles Outfit und Kiezromantik zu verfallen. Da es nicht leicht ist, ein Magazin monatlich in der wenigen „Freizeit“, die man in dieser Gesellschaft hat, herauszubringen, muss man den Machern auf jeden Fall gutes Gelingen wünschen.
Hannes

Fußnoten:
(1) Der Artikel auf Seite 34 des Magazins Incipito will Diskussion über das Selbstverständnis eröffnen, bietet aber leider nur Phrasen: „es sollte bei der ‘incipito’ nicht um phrasen (...) gehen“, „natürlich auch links, irgendwie. So diffus halt.“, „aus der szene, für die szene“, „offen“, „hoffnung auf einen allgemeinen und persönlichen erkenntnisprozess“, „ich habe lust, eine zeitung entstehen zu lassen“, „entwicklung und identitätskritik“ (alle Rechtschreibfehler im Original) Hoffentlich verwechselt laatsch, so der Name des Autors, die Incipito nicht mit einer Selbstfindungsgruppe oder einer Pop-Zeitschrift.
(2) Fußnote zum Inhalt der Rubrik „Schwerpunkt“:
Der erste Text im Heft ist von Martin D. und heißt „Für eine andere Israel-Solidarität!“. Martin sieht Israel nicht nur von äußeren arabischen und inneren palästinensischen Kräften bedroht, „sondern auch von zentrifugalen Kräften innerhalb der israelischen Nation“. Welche er meint, ob linke oder rechte, erwähnt er nicht. Erwidert werden muss auf Martin, dass der Pluralismus innerhalb der israelischen Gesellschaft zu verteidigen und als Stärke zu interpretieren ist. Gegen die militärischen Eingriffe der USA im Nahen Osten argumentiert er mit der altbekannten Gewaltspirale, die bei ihm eine Hydra ist, „der für einen abgeschlagenen Kopf jeweils drei neue nachwachsen“. Man kennt diese Argumentation als antifaschistischer Jugendlicher von seinen Eltern, wenn man vor diesen Militanz gegen Nazis verteidigt. Dagegen zu halten ist, dass Gewalt eben auch einschüchtern kann. Der Bestand Israels ist in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich dadurch verteidigt wurden, dass aggressiven Nachbarstaaten mit militärischer Gewalt die Grenzen aufgezeigt wurden. Die USA war Israel dabei eine wichtige finanzielle und militärisch furchteinflößende Rückendeckung. Martin hätte Recht, wenn er meinen würde, die Stärke Israels verliefe nicht analog zu der Stärke der Frequenz der amerikanischen Interventionen im Nahe Osten ab. Es existiert aber auch keineswegs (und darauf zielt Martins Metapher mit der Hydra) ein umgekehrter Zusammenhang in der Form, das Israel um so schwächer wird, je öfter die USA im Nahen Osten interveniert. Bei beiden Argumentationen Martins fehlt ein Glied, welches seine Argumentationen nachvollziehbarer machen würde, welches er aber in diesem Text nur unterschwellig benennt. Wenn man andere seiner Texte kennt, kann man das fehlende Glied erraten: Die finale Krise der kapitalistischen Warenproduktion. Wegen ihr geht Martin davon aus, dass eine pluralistische Gesellschaft zentrifugale Kräfte hervorbringt und dass durch Gewalt heutzutage keine stabilen Verhältnisse mehr hergestellt werden können. Die Frage stellt sich, ob Martin vorgeworfen werden kann, die grundlegende These seiner Texte (die finale Krise) nicht mitzubenennen, wenn er sich der finalen Krise sicher ist. Solange die finale Krise in Leipzig zur Diskussion steht, muss man ihn bitten, seine Argumentation vollständig darzustellen. Ansonsten besteht einerseits die Gefahr, dass aneinander vorbeigeredet wird und andererseits, dass er sich unliebsame Adepten ins Haus holt, die nichts von finaler Krise wissen wollen, seine Argumentation gegen amerikanische Interventionen aber mit Kusshänden übernehmen.
Krude wird es, wenn Martin dann vom ANG-Papier „Opium der deutschen Bevölkerung“ (CEE IEH #90) behauptet, die ANG spreche in diesem von Auschwitz als einem geschichtlichen Ereignis, das die bürgerliche Epoche beendete. Zitat Martin: „Wie die uns da erklären wollen, dass die bürgerliche Epoche zuende ging, bleibt hoffentlich auch ihnen selbst schleierhaft.“ Wahrscheinlich hat Martin etwas zu vorurteilsgeladen gelesen. Denn in dem ANG-Papier steht schwarz auf weiß: „Für eine Menschheit wäre die Einsicht, von Auschwitz als dem Ende einer bürgerlichen Epoche und dem Ende von Deutschland zu sprechen, die einzig mögliche, um menschliche Verhältnisse herzustellen. Doch weder das deutsche noch das bürgerliche Selbstbewusstsein wurden dergestalt erschüttert.“
Nachdem Martin sich etwas kurzgeschlossen über die ANG hergemacht hat, kocht Hara in der Gerüchteküche munter drauf los, ohne in ihrer Rezeptur Zitate der ANG zu verwenden: „Der neue Ansatz der ANG ist die Verneinung des Sozialen, um jegliche Form der Kollektivität unter Menschen zu vermeiden“. So lautet Haras Hiobsbotschaft in dem Artikel „Der Stadtneurotiker“, der eine Kritik der ANG-Veranstaltung „Antiamerikanismus & Barbarei“ sein will. Da ein ANG-Vertreter auf der Veranstaltung dafür plädierte, „mit der sogenannten sozialen Frage und ihrem verstaateten Gehalt“ zu brechen, bedient Hara mit dem Gerücht, die ANG verneine das Soziale, das deutsche „Ressentiment gegen alle, die den Begriff des Sozialen nicht zwingend vermittels des Staates denken“ (der ANG Vertreter auf selbiger Veranstaltung). Hara zaubert weiter in der Gerüchteküche. Aus der Tatsache, dass die ANG die militärische Operation gegen Afghanistan mit der Hoffnung auf Bedingungen für mehr bürgerliche Freiheit verknüpfte, bastelt sie: „Diese Annahme [der ANG, H.], dass der amerikanische Staat bemüht ist, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf der ganzen Welt durchzusetzen, (...) geht davon aus, dass die USA aus einer Selbstlosigkeit heraus handle.“ Konsequenterweise hat Hara dazu kein Zitat von der ANG gefunden, behauptete doch z.B. am 30. Oktober 2001 ein Vertreter der ANG auf der Veranstaltung „Die Terroranschläge vom 11. September & der besinnungslose Flankenschutz durch das linke Erklärungsmodell von der Weltgesellschaft als Streichelzoo”: Es geht der USA um die „Durchsetzung ihrer Interessen. Was aber bitteschön verkörpern denn diese Interessen anderes als bürgerliche Werte? Es geht um die Freiheit der Wertschöpfung, um die Akkumulations- und Zirkulationsbedingungen des Kapitals“. Dann tischt Hara Woddy Allen auf, anhand dessen Filme man feststellen könne, „dass die Identitäten der US-BürgerInnen nicht von einer Ich-Stärke zeugen und sie keine selbstbewusst handelnden Subjekte sind, sondern an Vereinsamung leiden (...)“. Die ANG würde dem New Yorker Woody Allen in seiner Beschreibung bürgerlicher Subjekte Recht geben, ihm höchstens fehlende Kapitalismuskritik vorwerfen. Und, was die Gerüchteküchenmeisterin Hara ihren Gästen vorenthält, Woody Allen wußte, dass es weit größere Bedrohungen als Stadtneurosen gibt. Auf die Frage, was gegen Antisemitismus helfen würde, antwortete Woody Allen: „Ich bevorzuge Baseballschläger“. Insofern kann Woody Allen Schlechtes von Grottenschlechtem unterscheiden. Das kann auch Clara Schuhmann (BGR), welche einen Artikel („Solidarität mit Israel“) im Magazin Incipito schrieb: „Viel zu viel deutet darauf hin, dass der Antisemitismus und mit ihm der Antizionismus zum Standartrepertoire der falschen Erklärungsmuster dieses Gesellschaftssystem betreffend gehören, als das ohne Umschweife zur antikapitalistischen Tagesordnung übergegangen werden könnte. Vielmehr ist es notwendig die beiden Register Antikapitalismuskritik und Bekämpfung des Antisemitismus zusammenzudenken, ohne das eine durch das andere auszuhebeln.“
Zu empfehlen ist der Artikel („Taliban oder Teletubbis?“) von Martin & Boris, der versucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutscher und islamistischer Krisenbewältigung herauszuarbeiten und das Verhältnis von Islam und Islamismus zu bestimmen. Fabians Text („Ganz normale Deutsche“) beschäftigt sich mit dem Phänomen Antisemitismus in der deutschen Neuen Linken und liefert dazu eine gute Materialsammlung, ohne jedoch die inhaltlichen Ursachen von Antisemitismus in der deutschen Linken zu beleuchten. Als richtig „guter“ Real-Trash sollte dann noch der Leserbrief von J. von Z.d.R. gelesen werden.


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last modified: 28.3.2007