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LeserInnenbrief


Reaktion auf den Beitrag „Feind-seligkeiten“

Getroffene Hunde bellen“ … mögen wohl der Autor des o.g. Artikels und seine Freunde denken. Sei es so. Beanstanden will ich die halluzinierten Vorwürfe, die im Beitrag „Feind-seligkeiten“ gegen Leipziger „Anti-Krieger-Innen“ und Nato-KritikerInnen erhoben werden.

In unsäglicher Manier wird in letzter Zeit stereotypenartig Antisemitismus denen unterstellt, die sich in irgendeiner Weise gegen die Nato und den schwelenden Krieg in Afghanistan wenden. Dass einer traditionellen Friedensbewegung mit ihrem unreflektierten und antisemitisch motivierten Anti-Amerikanismus dieser Vorwurf gemacht wird und werden muss, soll hier nicht in Frage gestellt werden. Mit dem im CEE IEH #86 erschienenen Artikel „Feind-seligkeiten“ jedoch entblößt sich in antideutscher Manier eine blinde Geilheit, alles, was „nicht auf Linie ist“, abzustrafen. Das wirksamste, weil schwerwiegendste und bedeutendste Mittel ist der Antisemitismus-Vorwurf.
Der von Andreas eingangs zitierte Kommentar, gepostet am 02.02.02 auf indymedia, ist ein reiner Bericht, eine kurze Beschreibung einer misslungenen Demonstration zur Solidarisierung mit gegen Militarisierung und die kapitalistische Globalisierung Demonstrierenden in München. Auch von Leipzig aus sollte ein Bus nach München fahren. Die Zusammenarbeit mit attac z.B. wurde vorher kategorisch abgelehnt. Als am Abend des 01.02.02 die ersten Meldungen über zurückgeschickte Busse und das totale Versammlungsverbot in München Leipzig erreichten, entschied mensch sich, den Bus vor allem auch aus Kostengründen abzubestellen und stattdessen mit Autos nach München zu fahren bzw. eine lokale Solidarisierungsaktion durchzuführen. Dazu wurde ein Flugblatt erstellt, welches zum einen die repressive Politik der bayerischen Justiz thematisierte (dies jedoch dahingehend fragend, wie sich, wenn sogar zivilgesellschaftlichen Initiativen, wie attac sowie Parteien und Gewerkschaften, Demonstrationsverbote auferlegt werden, die Situation für linksradikale GlobalisierungskritikerInnen und KriegsgegnerInnen dann entwickeln könnte…) und nur kurz anriss, was in München im Rahmen der Sicherheitskonferenz politisch und strategisch verhandelt wurde. Kurz gesagt sollte gegen die bedingungslose Erbombung von Gebieten, die „kapitalismusfähig“ gemacht werden sollen, sowie die kompromisslose Verteidigung der kapitalistischen Welt (des Warenverkehrs, der Verwertungsrahmenbedingungen etc.) demonstriert werden.
Kritik an der schlechten Vorbereitung und den inhaltlichen Defiziten der Aktion in Leipzig wären also vielmehr angebracht!
Stattdessen interpretiert Andreas in das indymedia-Posting sowie die Leipziger Aktion scharf und unsachlich Deutschtümelei und Antisemitismus hinein. Sorry, dies ist weniger ernst zu nehmen, vielmehr offenbart es eine egozentrische, selbstüberhöhende Polemik, die imaginierte Feindbilder angreift, nur um ihre einseitig-abgehobene Ideologie abzulassen. Dies scheint Normalität geworden, doch kann in diesem konkreten Falle Paranoia nachgewiesen werden.
Die dem Zitat und Andissing nachfolgende Aneinanderreihung von (einseitigen) Fakten ist das, was der Autor uns eigentlich darbieten will, nur geht es in der Linken, besonders in antideutschen Kreisen, ohne krasseste Angriffe auf IRGENDWELCHE Leute eben nicht mehr. Der stereotypenartig bemühte Antisemitismus-Vorwurf droht den ernstzunehmenden und in allen gesellschaftlichen Bereichen, eben auch oder auch besonders in „der Linken“ präsenten Antisemitismus, durch seine „inflationäre“ Bemühung gerade zu verharmlosen! Und ich spreche mich klar und deutlich für die uneingeschränkte Thematisierung, die Diskussion und Ächtung von (strukturellem) Antisemitismus aus!!!! Hier will ich es mit Hannes halten: „Wegen der Tatsache, dass latenter Antisemitismus im Kapitalismus allgegenwärtig ist und immer droht barbarisch auszubrechen, gilt es für eine antikapitalistische Linke, Position für Israel zu ergreifen. Erst auf Grundlage eines solchen Verständnisses kann man dann einzelne politische Züge des Staates Israel kritisieren.“ (CEE IEH #85). Wohin das Schattenboxen gegen vermeintlich antisemitische Linke führt, kann mit Schrecken verfolgt werden.
Um indymedia Schweiz hat sich eine Diskussion entzündet, die nicht auf das oben beschriebene zutrifft, deren Dimension ich jedoch hier kurz anreißen will. Kurz lässt sich das geschehene folgendermaßen darlegen: Im Dezember begann ein Kreis von Menschen, die sich später den Namen „Für einen progressiven Antikapitalismus“ (f.e.p.a.) gaben, gegen offensichtlich antisemitische Beiträge auf indymedia Schweiz vorzugehen. Sie veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie die Zensur derartiger antisemitischer Beiträge forderten und das Prinzip des auf indymedia gängigen „open-posting“ in Frage stellten. Dass gerade in einer sich als links definierenden Szene sorgfältig auf die Vermeidung und Problematisierung antisemitischer Positionen geachtet werden muss, sei es auch in „marginal anmutenden“ Bereichen wie Wortwahl [siehe „Endlösung“ o.ä.], ist in vielen politischen Gruppen keineswegs gängig. So war das von der Gruppe „Für einen progressiven Antikapitalismus“ eingeforderte eindeutige Bekenntnis zu Israel sowie die Positionierung zu Antisemitismus und dem (notwendigen) Verbot antisemitischer Beiträge nur gerechtfertigt. Nachdem indymedia Schweiz den antisemitischen Artikel und Stein des Anstoßes „Palestinian Control of Mass Media“ zwar in den Zensurkübel gesteckt hatte, wurde auf der Startseite trotzdem ein Link zu diesem sowie zu einem auf übelste Weise verschwörungstheoretisch-antisemitischen Comic des Brasilianers Latuff sowie zugehörigen Kommentaren gelegt, um „die Diskussion allen Interessierten zugänglich zu machen“. Hier hielt f.e.p.a. berechtigterweise entgegen, dass die Grundlage einer Diskussion die weitere Diskussion bestimmt, dass die Grundlage sich links definierender Gruppen/Personen die strikte Ablehnung von Antisemitismus sein muss, somit antisemitische Beiträge sofort zu zensieren sind! So startete f.e.p.a. eine Überflutungsaktion der schweizerischen indymedia-Seite. Dies werte ich als adäquates Mittel gegen diesen diffusen Meinungspluralismus, der zulässt, „erstmal über Antisemitismus zu diskutieren“.
Nach einer Aussprache zwischen beiden Parts, nach der Entfernung des Links zu den antisemitischen Beiträgen gab es verschiedene Ereignisse, die nicht wirklich transparent sind. Im Endeffekt wurde von Seiten der „Aktion Kinder des Holocaust“ (AKdH), die mit der Gruppe „für einen progressiven Antikapitalismus“ (f.e.p.a.) zusammenarbeitet, Strafanzeige gegen indymedia Schweiz wegen Verstoß gegen das Antirassismus-Gesetz gestellt.
Nun frage ich mich, ob es soweit kommen darf, dass Linke andere Linke soweit unter Druck setzen, sogar auf das staatliche Rechtssystem zurückgreifen und mittels Strafanzeigen gegen Linke vorgehen!!??? Der Staat, der die Rahmenbedingungen der Ökonomie schafft und absichert und z.B. das essentielle Prinzip des Kapitalismus, den Arbeitszwang, repressiv durchsetzt, der gegen rassistische und faschistische Denk- und Handlungsweisen nur insoweit vorgeht, dass die eigene Staatlichkeit nicht bedroht wird, im Gegenzug aber standortnationalistisch gegen „Fremde“, die den eigenen Wohlstand und die Wirtschaftskraft bedrohen (die „schmarotzenden, faulen, ökonomisch unnützen Ausländer“), vorgeht, dieser Staat wird hier von Linken angerufen, um gegen „politische GegnerInnen“ vorzugehen. Diese von mir als „GegnerInnen“ bezeichneten Menschen sind auch Linke, also Menschen, die ebenfalls für eine emanzipatorische Vision, die nicht die kapitalistische ist, eintreten. Ihr Defizit ist, ganz klar gesagt, die Unterbelichtung der schwerwiegenden Problematik des Antisemitismus, was in einer Linken kein Problem sein dürfte! Es stellt sich auch die Frage, inwiefern die Kommunikation zwischen indymedia Schweiz und der AKdH/f.e.p.a. falsch gelaufen ist. Die Situation scheint angespannt und aufgeladen. Mit dem Schritt der Erstattung von Strafanzeigen wird eine Problematisierung des Gegenstands auf einer politischen Ebene sehr erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Was sich hier als gängige (linke) Praxis erweist, ist ein unsolidarischer Umgang miteinander, das Unterbleiben von Diskussionen miteinander, also die Austragung krasser Differenzen auf einer politischen Ebene.
Da es keine einheitliche antikapitalistische Bewegung gibt, gibt es klarerweise auch inhaltliche Unterschiede und oft eine verkürzte Analyse der kritisierten und bekämpften kapitalistischen Verhältnisse, die sich dann in unreflektierten Schuldzuweisungen für gesellschaftliche Missverhältnisse niederschlagen. Diese zu diskutieren, besonders das daraus resultierende Problem des linken Antisemitismus, stellt ein wichtiges und aufwendiges Unterfangen dar. Das Vorgehen gegen indymedia Schweiz, Strafanzeigen gegen dem Projekt zugehörige Menschen zu stellen, staatliche Zwangsmittel also willentlich einzusetzen, Leute namentlich an Staats/ VerfassungsschützerInnen auszuliefern, zeugt in meinen Augen von dieser beängstigenden Tendenz der Entsolidarisierung innerhalb einer Linken. Dieser Schritt, die Kooperation mit der Staatsgewalt, ist die Spitze eines Eisberges, in dessen Bauch eine Eskalation schlummert – die Konfrontation innerhalb einer für mich nicht wirklich zu fassenden und zu definierenden linksradikalen/ autonomen Szene, die gerade auch in Leipzig, und hier ziehe ich den Bogen zur eingangs geübten Kritik, krasse Ausformungen annimmt. Diskussionskultur, Aufeinander-Zugehen, (kritische) Solidarisierung, in meinen Augen Grundstandards eines emanzipierten Umgangs miteinander (dies soll das Üben von Kritik aneinander keineswegs ausschließen – im Gegenteil), werden mehr und mehr zugunsten gegenseitiger Beleidigungen, Dissings, Abwertungen eingetauscht. Hier zeigt sich die in „Kritiker-Kreisen“ viel beschworene (und auch von mir unterstützte) Pragmatik „wir leben nun mal in diesen kapitalistischen Verhältnissen, es gibt keine Illusionen, es gibt keine Nischen und keine Autonomie“ überbewertet und überstrapaziert.
An den gesellschaftlichen Verhältnissen orientierend scheint sich eben Umgangskultur gestalten. Ellenbogenmentalität und Autoritätenhörigkeit, bezeichnende Merkmale der kapitalistischen Verhältnisse, bestimmen und bestimmten sowieso eine linke Szene, was aber inzwischen als gegeben hingenommen und nicht mal mehr angeprangert und diskutiert wird. Es ist eben so.
Das ist für mich jedoch nicht akzeptabel. Ein Meinungspluralismus, dem klare Kriterien, wie z.B. eine kompromisslose Ablehnung des Antisemitismus zu Grunde liegt, das visionäre Reflektieren einer befreiten nachkapitalistischen Gesellschaft, das nicht im defensiven „Warten auf den Niedergang des Kapitalismus“ verharrt, dies sind Ansprüche an eine Linke, die Menschen mit dem Ausblick auf die Überwindung des Kapitalismus für sich gewinnen will. xena


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last modified: 28.3.2007