home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[87][<<][>>]

review corner Film, 1.4k

Mit 68 abgeschlossen

Filmausschnitt, 15.9k

Was tun, wenn's brennt?
Regie: Gregor Schnitzler
BRD: 2001

Während die Schüsse der Stadtguerilla im bundesdeutschen Film als verrückt und brutal denunziert werden(1), kommen die Scherze der Spaßguerilla besser weg. Das liegt sicher nicht nur daran, dass die ProtagonistInnen der einen immer noch im Knast, die anderen jedoch inzwischen im Parlament sitzen. Wie sich die 68er-Bewegung selber feiert, ist im Film „Was tun, wenn’s brennt“(2) exemplarisch zu begutachten.

Der Film ist gut. Gut gemacht, lustig und lehrreich, wahrscheinlich auch gut besetzt. Er hält die richtigen, linken Werte hoch. Er ist recht authentisch. Die eine Fiktion, dass nämlich erst 12 Jahre nach dem Bombenlegen die Bombe hoch geht(3), gehört zur Geschichte, die erzählt wird. Die zwei anderen (1. die vielen Graffities und die Stacheldrahtsicherung im besetzten Haus, 2. die zwei glücklichen Pärchen, die am Filmende entstehen) sind natürlich dummer Kitsch, aber der gehört zum Film-Handwerk. Für das Thema „Was waren die 68er und was ist aus ihnen geworden“ ist der Film für den Schulunterricht zu empfehlen. Dass er in Leipzig nur in Kinos läuft, die von Nazis frequentiert werden (Bofimax, UCI, Regina), liegt wahrscheinlich daran, dass Nazis die einzigen sind, die sich bislang den Errungenschaften der 68er, wie sie im Film geschildert werden, verschließen. Früher oder später wird er aber in der LIWI laufen müssen und alle können dazu feiern.
Doch genug des Lobes. Spannender ist die Frage, warum die filmische Vergangenheitsbewältigung so funktioniert. Dass den RAFlerInnen keine einfühlsamen und verständnisheischenden Porträts gewidmet werden, sondern sie Opfer einer Psychologisierung werden, die beabsichtigt, alle politischen Motive zu vertilgen, liegt sicher nicht daran, dass die radikaler waren. Radikalität bemisst sich ja nicht an der geübten Militanz. Die Spaßguerilla, die linksradikalen Gruppen, die autonome Szene haben sicher mehr verändert, für mehr Ärger gesorgt und mehr Polizeikosten verursacht, als die ca. alljährliche Eliminierung eines „Vertreters“ des Staates oder des Kapitals. Doch sitzt der Schrecken angesichts der wenigen Todesschüsse tiefer als der Ärger über die vielen abgebrochenen Mercedes-Sterne. In beiden Fällen zahlt die Versicherung, aber – und hier, bei der Beurteilung der Reaktion der Gesellschaft auf linke Aktionen und nicht bei der Erklärung der Aktionen selbst, hilft die Psychologie – schmerzt der Tod eines Menschen mitunter mehr als materieller Verlust. Oder zumindest gräbt sich die Angst, eines Tages selbst davon betroffen sein zu können, tiefer ein. Nicht aufgrund ihrer unsäglichen Pamphlete, sondern lediglich aufgrund ihrer Aktionsformen, konnte die RAF also nie wirklich in die bundesdeutsche Gesellschaft integriert werden. Alle anderen, nur scherbenverursachenden Erben der 68er, sind völlig unabhängig von ihren jeweiligen reformistischen, esoterischen oder radikalen Inhalten in der Mitte der Gesellschaft angekommen oder werden an ihrem total marginalisiertem Rand stillschweigend geduldet. Und was machen sie dort, in der Mitte? Sie erneuern die Gesellschaft, retten mit ihren Innovationen und ihrer Aufopferungsbereitschaft den Kapitalismus über seine Krise hinweg – und drehen Filme über sich selbst. Diese Filme müssen sich von nichts distanzieren, weil man sich so siegessicher ist, eine Gefahr droht nicht (Auch nicht, wenn im Film detailliert gezeigt wird, wie man Brandbomben bastelt. Ein Vorgang, wegen dem etliche linke Zeitungen, wie die radikal, noch bis vor kurzem verfolgt wurden. Oder wenn der Film zeigt, wie viel Spass Straßenschlachten doch eigentlich machen!) – und wenn doch, dann ist sie nicht wirklich gefährlich. Eine ideologische Abgrenzung ist nicht mehr nötig, die alten linken Werte (Solidarität, Illegalität, Spontanität, Kreativität, Humanismus) müssen nicht lächerlich gemacht werden. Sie werden vielmehr hochgehalten. Weil sie eben nicht unvereinbar sind mit der Gesellschaft, sondern ihr Triebmittel. Lächerlich gemacht werden dagegen die alten rechten Werte (nämlich die deutschen Sekundärtugenden, die im besagten Film von den verschiedenen Bullenrollen verkörpert werden), weil sie sich als Bremsklotz der Entwicklung erwiesen haben. Und selbst diese Analyse kann im Film ausgesprochen werden – und dies wird auch getan. Die entsprechenden Worte werden im Film nicht etwa den zwei letzten Hausbesetzern in den Mund gelegt, sondern dem ekligsten aller Renegaten, dem Chef eines Internet-Start-Ups, der in seinem Büro mit dem Anarchie-A verzierte Aktfotos hängen hat, seine Angestellten rumkommandiert, wie ein Parteichef einer kommunistischen Sekte seine Schafe, und von sich sagt, dass er nur aufgrund der jahrenlange linken Plenumserfahrung jetzt so erfolgreich ist. Das Geschwafel von damals habe ihn fit gemacht für das Verkaufsgespräch von heute. Ein linker Film über die 68er oder die Autonomen könnte nichts anderes erzählen, als „Was tun, wenn’s brennt“, er käme nur biederer, unkritischer und technisch armseliger daher.
Die Keimzelle der modernen Gesellschaft ist eben nicht mehr die Familie, sondern das besetzte Haus. Dort findet die Zurichtung für den Arbeitsprozess, der von flachen Hierarchien und Eigenverantwortung geprägt ist, statt. Dies zu beweisen, ist der Verdienst des Films. Der Leipziger OBM Tiefensee, hätte er den Film nur gesehen, würde sofort alle Beschlüsse gegen das Hausbesetzen revidieren, das Standesamt schließen und in der Ernestiestraße ein Denkmal zu Ehren der Helden der Arbeit errichten.
Soviel zur „Kritischen Theorie“ und was sie zum Film gesagt hätte. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Richtig kritisch und somit über die Kritische Theorie hinausweisend, wird der Film erst an seinem Ende. Nicht die linken Werte sind das Problem, sondern in welchem Kontext sie zur Geltung kommen. Solidarität diskreditiert sich eben nicht, weil sie im Teamwork notwendig ist. Vielmehr diskreditiert sich der Kapitalismus, weil er sich alles, auch das allzu menschliche, einverleibt.
Die Schlüsselszene des Films ist die Schlüsselszene: Der links gebliebene Hausbesetzer ist der einzige, der den Bullen (der von den ex-HausbesetzerInnen überwältigt wurde) nicht in die Luft jagen will und ihm den Handschellen-Schlüssel zurückgibt, damit er sich selbst befreien kann. Alle anderen haben nichts dagegen einzuwenden, wenn der einzige, der, weil er ihre Vergangenheit kennt, ihrer Karriere gefährlich werden könnte, weggebombt wird. Der Bulle dankt’s, indem er sich über die kurz darauffolgende Sprengung seines Arbeitsplatzes, der Polizeikaserne, freut und die Bande nicht verpfeift.
Die Moral der Geschicht‘ lautet allerdings nun nicht: Friede den (Polizei-)Palästen, Krieg den (besetzten) Hütten. Das wäre zu einfach.

Tino

(1) siehe auch Rezension zu dem Film „Das Phantom“, http://www.conne-island.de/nf/69/14.html
(2) Wer wissen will, was im Film passiert, dem sei eine andere Rezension empfohlen (z.B. jungle World 06/2002, S. 24)
(3) Dies nimmt aber auch Anleihen an der Wirklichkeit: Erinnert sei nur an den gerade laufenden RZ-Prozess, in dem Anschläge aus den 80er Jahren verhandelt werden, derer sich die Angeklagten fast nicht mehr erinnern können – sofern sie überhaupt damit zu tun hatten.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[87][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007