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Der Tod als Waffe der Kritik?

Über das Verhältnis der Linken zu ihren heiligen toten Kriegern am Beispiel des Liebknecht-Luxemburg-Gedenkens und dem fortwährenden Problemfall Heidegger

    „Der Satz, der Tod sei immer dasselbe , ist so abstrakt wie unwahr.“
    (Theodor W. Adorno, Negative Dialektik S. 364)
Daß nach den Anschlägen vom 11. September doch nicht alles anders ist, hatte man ja schon länger vermutet und befürchtet. Am einschlägigen Sonntag im Januar bewahrheitete sich diese Prophezeiung nun realiter auch für die deutsche Linke in ganzer Pracht des Elends: der Tod der Linken stand zwar nicht auf der Matte aber dafür mal wieder der Totensonntag als fester Termin im Politkalender von Genosse Hinz bis Genossin Kunz.
Im Ungleichschritt marschierten rund einhunderttausend auf roten und anderen Socken zu den Gräbern von Karl und Rosa, als gelte es Buße zu tun für den Machtverlust (PDS und Konsorten), den verpatzten Aufbau gesellschaftlicher Gegenmächte (Spontis, Autonome) oder dem Ausbleiben des echten Sozialismus (MLPD & Co.). Von früh um Neune bis kurz nach’m Mittag zwangskollektivierte sich die ungezwungene revolutionäre Aufrichtigkeit zur antiimperialistischen Solidarität mit den Verdammten dieser Erde – von Kolumbien bis Argentinien, von deutschen und türkischen Arbeitern bis zum Volk von Palästina. Mit jenen Verdammten also, die einfach nicht so richtig aufwachen wollen, um an die Stelle der Knechtschaft ihrer Völker durch die Herren Kapitalisten die selbstverwaltete und selbstbestimmte Knechtung durch die organisierte Arbeiteravantgarde zu setzen. Unerwünscht und somit einzigstes Ausschlußkriterium an jenem Sonntag war auf den Straßen des roten Ost-Berlin die Solidarität mit dem jüdischen Staat – als traditionell üblicher Rot Front-Terror.
Sich in dem Glauben wähnend, daß die Märtyrer der sozialistischen und kommunistischen Bewegung nichts anderes von ihnen erwarteten, als an ihren Gräbern entlang zu flanieren, tingelte und schlenderte man als lockeres Heer richtigen Bewußtseins schnurstracks einmal um den Ehrenhain der Sozialisten herum.
Warum der traurige Karneval der letzten Aufrichtigen gerade nach dem 11. September einer gehörigen Portion Kritik unterzogen gehört, liegt wesentlich in der nach den Anschlägen deutlicher als je zuvor zu Tage tretenden Ambivalenz der Linken in ihrem Verhältnis zum Tod, das demjenigen islamistischer Fundamentalisten weniger wesensfremd ist, als es der in dieser Hinsicht besinnungslos dahinvegetierenden Linken auch nur in Ansätzen lieb sein sollte.
Ob nun Lenins Mausoleum, „Sozialismus oder Tod“ – der Schlachtruf der alten Spanienkämpfer, Ernst Buschs Liedgut, Che, Benno Ohnesorg, die Meinhof und der Baader, der fanatische Hungerstreik in der Türkei, der von Christine Ostrowski Anfang der 90er als Solidarität mit den Arbeitern von Bischofferode oder jüngst der Tote bei den sommerlichen Revolutionsfestspielen in Genua: Das dynamisierende und identitätsstiftende Moment der Authentizität und Glaubwürdigkeit des linken Kampfes erhält seine letzten Weihen erst durch das Martyrium des Todes. Dieser rote Faden linker Geschichte ist als ein blutgetränktes Band linker Identität bloßzutellen, das die Dimension der symbolischen Bedeutung der roten Fahne als eine vom Blute der Pariser Kommunarden getränkte erst richtig verdeutlicht: die Linke trägt das Sinnbild ihrer Besten als ein Dasein zum Tode zur gesellschaftlichen Schau. Damit ist sie ideologisch in dieser Hinsicht keinen Deut besser als der Rest der christlich-säkularisierten bürgerlichen Abendland-Gesellschaft; sie ist geistig viel stärker mit ihr im Bunde als wohl ihrer kollektiven Charakterstruktur lieb wäre.
Die gesellschaftliche Verdoppelung der christlichen Tugendhaftigkeit im Arbeitswahn des Protestantismus, dem die Linke durch die Fetischisierung des schaffenden doppelt freien männlichen Abeitertypus als personifizierte „ewige Naturnotwendigkeit“ (Marx) kräftig zuarbeitete, hat ihren Ursprung im christlichen Mythos der weltlichen Selbstaufgabe Jesus Christus’. Der Messias der Christen ließ sich angeblich für andere am Kreuz zu Tode nageln.
Daß es nicht der gesunde linke Menschenverstand ist, der darauf kommen läßt, daß an dieser Jesus-Legende etwas faul sein muß – und somit also nicht nur im damaligen Staate Rom –, liegt nicht zuletzt an der reflexionslosen Reproduktion christlicher Wertvorstellungen innerhalb der Linken, die die von Marx geforderte Bedingtheit der Kritik der Religion als Voraussetzung aller Kritik als eine letztlich unvollendete Sache bloßstellt. Dies zeugt gleichzeitig von schlechter und falscher Fortführung durchaus bewahrenswerter „theologischer Mucken“ (Marx). Eine Aneignung dieser aber müßte zuvorderst mit der Abkehr vom christlichen Mythos einhergehen, daß Jesus’ Opferbereitschaft in der Hingabe zum Tode bestand und seine Peiniger dabei angeblich nicht wußten, was sie taten: Es war gerade nicht die Preisgabe des Lebens, sondern im Gegenteil der Kampf gegen den Tod – für das Leben –, der Jesus antrieb.
Die Aufklärung der Linken über die christliche Mythologie der Todesopferung als Zeichen unendlicher menschlicher Größe müßte eine ideelle Güterabwägung von Leben und Tod mit dem Ergebnis zur Folge haben, daß das Leben gegen den Tod als das höchste Gut des Menschen begriffen werden muß.
Unter diesen Vorzeichen einer von der christlichen Mythologie sich lösenden Linken könnte sich dann tatsächlich ein emanzipatorischer Gehalt des Christentums offenbaren (sic!), der die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) durch die Aufklärung nicht als Teufels-Austreibung der Religion, sondern als emanzipatorische Versöhnung mit ihrem durchaus vernünftigen Gehalt des Glücksversprechens begreifen ließe.
Der aus dem Unbehagen in der Kultur entstandene sehnsuchtsvolle Todestrieb des bürgerlichen Subjekts, auf den der späte Freud abhob, und der in der Tradition der Kritischen Theorie (vgl. Erich Fromm und Herbert Marcuse) als eine veränderliche gesellschaftliche Formung der natürlichen Triebstruktur des Menschen als Teil der Natur begriffen werden sollte – also nicht der Todestrieb selbst, sondern eine überhaupt vorhandene Triebstruktur –, verlangt die Kritik der Konstitutionsbedingungen bürgerlicher Subjektivität. Dazu gehört, das Äquivalenzdenken vom Tode als Bemessungsgrundlage für menschliches Heldentum geistig zu durchbrechen.
Die Wirklichkeit des Seins, so läßt sich mit Hegel, Marx und Kritischer Theorie nur festhalten, ist das genaue Gegenteil von Eigentlichkeit eines Martin Heidegger. Der materialistische Begriff der Wirklichkeit kennt keinen Ursprung des Daseins und verweigert sich so einer undialektischen Denkbewegung, die für Heidegger an der Stelle abbricht, wo er sich sein dialektisch begriffenes Verhältnis von Dasein und Sein selbst aufkündigt, um die Philosophie vom metaphysischen Denken zu reinigen. Ein eigentliches Sein und ein materialistischer Begriff vom Dasein sind als Antinomien wie Feuer und Wasser und damit unvereinbar: Mit dem Wasser des eigentlichen Seins löscht man das materialistische Feuer des dialektischen Daseins. Wirklichkeit ist also das Gegenteil von Eigentlichkeit. Seit Marx’ Hegel-Umstülpung steht fest, daß es kein Nichts gibt, sondern nur ein dialektisches Natur-Verhältnis von Materie und Form als das Verhältnis von Identität und Nichtidentität.
Ein emanzipatorischer Materialismus, wie er hier verstanden werden soll, hat die Kritik der Waffen daran zu schärfen, daß der Tod nicht als Waffe der Kritik dienen kann. So nur läßt sich emanzipatorische Kritik ohne ambivalentes Restrisiko der verharmlosenden Romantisierung der Massaker vom 11. September und der idiosynkratischen vollends antisemitischen Täter-Motive maßlosen Vernichtungswahns begreifen. Das heißt ebenso, rücksichtslose Kritik an einem Philosophen wie Jean Baudrillard zu üben, der es auch nach den Anschlägen vom 11. September nicht besser wissen will und als Protagonist der Postmodernen und deren Simulation toter Subjekte tatsächlich das terroristische Selbstmordattentat als die schärftste Waffe der Kritik der politischen Ökonomie glorifiziert: „Wenn die politische Ökonomie der rigoroseste Versuch ist, dem Tod ein Ende zu setzen, so ist klar, daß allein der Tod die politische Ökonomie beenden kann“, schreibt er allen Ernstes in seinem Buch „Der symbolische Tausch und der Tod“ (München 1991). Bei Baudrillard verdinglicht sich hier selbst im Tod die bürgerliche Eigentumsfrage – sie ist ihre verlängerte, wenn nicht gar vollendete Affirmation: der Tod wird zum Eigentum des Menschen, als stünde dies so im Rosseauschen Gesellschaftsvertrag der Aufklärung, den eh nie ein Bürger unterzeichnet hat und der ausschließlich auf dem Idealbild des Citoyens als Personifikation angeblich vernünftiger bürgerlicher Verhältnisse basiert.
Daß der Sinn des Lebens im Tod besteht und der Tod etwas natürliches, ursprüngliches sei, etwas, was die vollkommene Askese, die völlige Selbstaufgabe symbolisiere, ist Teil des christlichen Mythos, mit dem die Linke nicht etwa gebrochen hat, sondern den sie kräftig reproduziert – so auch jedes Jahr im Januar, wenn Zehntausende zu „Karl und Rosa“, den vermeintlichen Märtyrern der Bewegung, pilgern.
Die Glorifizierung des Todes als Synoym des endlosen Heldentums ist die konsequente Folge einer falschen linken Utopie, die statt eines idealen Lebens ohne Arbeit in Saus und Braus die Verzichtshaltung der protestantischen Subsistenz als Vorstufe des Vegetierens vor dem Ableben setzt.
Der christliche Mythos des Todes ist historisch konstitutiver Bestandteil der organisierten Arbeiterbewegung. Die Kritik an der Geschichte der Arbeiterbewegung müßte aber im starken Maße gerade darauf rekurrieren. Die allgemein unreflektierte Besinnungslosigkeit der Linken zum besonderen Verhältnis von revolutionärer Leidenschaft und Tod befestigt die Lüge deutscher Ideologie, daß der Sinn des Lebens im „Sein zum Tode“ (Heidegger) bestünde und man dieser „Seinsvergessenheit“ (ders.) durch Hinwendung zur Ursprungsphilosophie auf die (Ur-)Sprünge helfen müßte. In „Sein und Zeit“ (Tübingen 2001), Heideggers Meisterwerk, heißt es: „Die Frage nach der Daseinsganzheit, die existentielle sowohl nach einem möglichen Ganzseinkönnen, als auch die existentiale Frage nach der Seinsverfassung von ‘Ende’ und ‘Ganzheit’, birgt die Aufgabe positiver Analyse von bisher zurückgestellten Existenzphänomen in sich. Im Zentrum dieser Betrachtungen steht die ontologische Charakteristik des daseinsmäßigen Zu-Ende-seins und die Gewinnung eines existenzialen Begriffes vom Tode“ (S. 237). Und er fordert dort zugleich, daß es gelte nachzuforschen, „inwieweit überhaupt und in welcher Weise das Dasein aus seinem eigensten Seinkönnen her Zeugnis gibt von einer möglichen Eigentlichkeit seiner Existenz, so zwar, daß es diese nicht nur als existentiell möglich bekundet, sondern von ihm selbst fordert“ (S. 267). Gegen solche vom objektiven metaphysischen menschlichen Bedürfnis erzeugten Hirngespinste ist ein Begriff von Emanzipation zu stellen, der die angebliche Natürlichkeit des Todes als Affirmation einer gesellschaftlich notwendig erzeugten zweiten Natur bloßstellt. „Der Tod wird zum Stellvertreter Gottes (...)“, argumentierte nimmermüde Adorno gegen Heideggers Fundamentalontologie. „Auch nur die Abschaffung des Todes zu denken, wäre ihm blasphemisch. (...) Regrediert wird auf den Todeskultus (...). So wird der Tod in die Position des Eigentlichen manövriert“ (Jargon der Eigentlichkeit, S. 115).
Die kritische Stellung der Menschen zum Tod sagt viel über ihre Aneignung eines emanzipatorischen Versöhnungsbegriffes aus. Zu erinnern ist an dieser Stelle daran, daß die Einlösung des menschlichen Glücksversprechens die Überwindung des Todes als größter Widerspruch zum glücklichen Leben ist. Und das wiederum verweist notwendig darauf, daß das Reich der Freiheit nur eines sein kann, in dem man endlos glücklich lebt, ohne den Tod als Beendigung des Lebens fürchten zu müssen. Anzustrebende Versöhnung mit Natur hätte demzufolge dort seine Grenzerfahrung zu machen, wo begriffen würde, daß der Tod nicht a priori Teil des Menschen ist. Ob er an sich Teil der Natur ist, kann damit allerdings noch lange nicht gesagt sein. Der Tod muß vielmehr weder als Eigentum des Menschen noch als ewige Naturnotwendigkeit begriffen werden. Nur so läßt sich überhaupt ungetrübte Hoffnung auf Emanzipation und Versöhnung zugleich aufrechterhalten.
Die besinnungslose Pilgerfahrt zehntausender Linker an besagtem Sonntag im Januar, selbst nach den Anschlägen vom 11. September, spricht zwar Bände, aber weniger von den dreien des Marxschen „Kapital“ als der Linken auch nur in Ansätzen bewußt wäre: „Besinnung des Menschen auf sich selbst als Natur wäre zugleich die kritische Reflexion des selbsterhaltenden Prinzips; richtiges Leben wohl eines, das nicht auf die ‘erreichte Existenz’ sich versteift“ (Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit S. 131).

Sören Pünjer

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last modified: 28.3.2007