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review-corner, 2.7k

Mein schönstes Weihnachtsgeschenk

Die Neuauflage des Plakatbuches ist nicht nur ein quantitativer Fortschritt
Cover, 29.3k

HKS 13 (Hrsg.):

vorwärts bis zum nieder mit

30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen

Assoziation A: 2001, ISBN: 3-935936-05-2, DM 48,80

, 0.0k

    „Also, falls es eine Nachauflage gibt, unbedingt anschaffen!“
    review-corner im CEE IEH #73 zu: HKS 13 (Hrsg.): hoch die kampf dem. 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen.
Vor über zwei Jahren erschien „hoch die kampf dem“, ein Buch, welches anhand der Plakate der autonomen Bewegung die Geschichte ebenjener nacherzählte. Das Buch wurde damals von der review-corner-Redaktion zum „Buch des Jahres 2000“ gekürt. Die neue Ausgabe des Plakatbuches ist nicht nur 40 Seiten dicker und die beiliegende CD-Rom mit dreimal so vielen Plakaten vollgepackt – es geht auch zeitlich weiter zurück (bis in die 60er Jahre) und ist thematisch breiter angelegt. Während im ersten Buch die autonomen Teilbereichsbewegungen (Antifa, Anti-AKW, Antira, Antimilitarismus, Frauenbewegung) im Mittelpunkt standen, widmet sich das neue Buch neben der autonomen Plakatkunst auch der der Grünen, der K-Gruppen, der 68er und anderer system(un)kritischer Subkulturen. Außerdem, und das ist wohl der größte Verdienst des neuen Projektes, wird das Verhältnis der verschiedenen Plakate und deren MacherInnen zu bestimmten Fragestellungen untersucht: Militanzdebatte, Antisemitismus in der Linken, symbolische Politik, Solidarität, Ästhetik.
Das Buch und die beiliegende CD-Rom (die 8.300 Plakate sind alle verschlagwortet und können nach verschiedenen Kriterien durchsucht werden) eignen sich aber nicht nur zum versonnenen Schwelgen in bildhaften Erinnerungen, wie gut doch früher alles war und wie schlecht noch früher, sondern die Beiträge sind jeweils knappe und trotzdem gute historische Abrisse zu den einzelnen Bewegungen und Epochen der linken Bewegungen.

Ein Sammelband mit ca. 25 verschiedenen AutorInnen bringt es natürlich mit sich, daß die Texte nicht alle aus einem Guß und von unterschiedlicher Qualität sind. Es mischen sich oft subjektive Wertungen in die Geschichtsschreibung, was nicht weiter verwundert, da die meisten als InsiderInnen schreiben, also immer auch über ihre eigene Geschichte. Ergebnis dessen sind dann solche Sätze: „Die Qualität und die Art der Gestaltung (der Plakate zu den Anti-Globalisierungsprotesten) entsprach meist der Aktualität und Frische der politischen Position der jeweils mobilisierenden Gruppe.“ Was ja noch stimmen mag. Wenn aber zum Beweis vom Autor (Dario Azzellini) nicht nur die Linksruck-Plakate für schlechtes Layout herangezogen werden, sondern als positives Beispiel die seiner Lieblingsgruppe (FelS) herhalten müssen, wird es peinlich. Der Autor sieht sich jedoch nicht nur von Linksruck bedroht, sondern auch von Gruppen, die er als Rechtsruck innerhalb der Linken deutet: die Antideutschen. „Anstatt sich auf das bisher junge und zarte Pflänzchen (der Antiglobalisierungsbewegung) zu stürzen und es in der Luft zu zerreißen, sollten die Anstrengungen der vernichtenden
Plakat der Grünen, 48.1k

"Auch wenn ein Weg von Rudi Dutschke zu Gerhard Schröder führt, ebenso wie einer von Elvis zu Bon Jovi, so war das Resultat nicht unvermeidlich. Was sich im Nachhinein als Modernisierung der Ausbeutungsverhältnisse darstellt, besaß in seinem Verlauf einen utopischen Überschuss, den zumindest zu dokumentieren auch eine Aufgabe dieses Plakatbuches darstellt" (Michael Koltan im Buch).
Für alle visuell veranlagten Menschen dürften die im Buch dokumentierten Plakate der Grünen eine bessere Abrechnung mit dieser Partei und deren "utopischen Überschuss" darstellen, als alle verbalen Abhandlungen (siehe z.B. review-corner: Das waren die Grünen, CEE IEH #77)


Plakat gegen die Grünen, 27.5k
KritikerInnen sich lieber darauf orientieren, auch...“ innerhalb der wachsenden Bewegung kritisch mitzumachen. Verkürzte und antisemitisch angehauchte Kapitalismuskritik ist allerdings kein junges und zartes Pflänzchen, auch wenn’s poetischer klingen mag, sondern so alt und knorrig wie eine deutsche Eiche. Dies kann Azzellini jedoch nicht begreifen, ist er doch zu sehr in seiner Bewegung verhaftet und entschuldigt antisemitische Plakate gegen die „Globalisierung“ damit, daß Plakate immer mit Symbolen arbeiten würden und Symbole immer verkürzt wären, deswegen zwar nicht „die Welt erklären“ jedoch „Aufmerksamkeit erregen“ könnten.
Zum Glück gibt es im Buch einen Beitrag des jour fixe initiative berlin-Mitglieds und ex-Bahamas-Autorin Elfriede Müller zum Thema „Antisemitismus auf Plakaten? Plakate gegen Antisemitismus!“, der alles wieder zurechtrückt. So hofft mensch zumindest nach der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses. Doch auch dieser Beitrag verwundert. Für die Bahamas überraschend unpolemisch und differenziert setzt sich Müller mit antisemitischen Plakaten auseinander. Sie attestiert der Linken, zu großen Teil nicht direkt antisemitisch (gewesen) zu sein, jedoch unbewußt Anschlußstellen für antisemitische Interpretationen in Text und Bild zu liefern. Angenehm ist ihrer Feststellung, daß die Palästina-Solibewegung nicht den Umfang und Rückhalt in der linken Szene hatte, wie es inzwischen aufgrund der linken Bekenntnisliteratur (in der „ehemalige linke Antisemiten“ ihren Schandtaten abschwören, sie aber gleichzeitig auf die gesamte Linke projizieren und verallgemeinern(1)) zu scheinen mag. Warum sie allerdings indirekt eine eigene, bessere Palästina-Solibewegung einfordert, bleibt schleierhaft: „Allerdings soll hier keinesfalls bestritten werden, dass eine Solidarität mit den Palästinensern gegen die Militärdiktatur in den von Israel besetzten Gebieten und mit dem Protest der Israelis palästinensischer Herkunft gegen ihre Diskriminierung eine Notwendigkeit des linken Internationalismus darstellt.“ Ähnlich moderat verfährt sie mit einem Plakatmotiv der Autonomen Antifa (M) gegen den „Polizei- und Überwachungsstaat“: Weil die abgebildete Krake (mit einem Heiligenschein aus Konzernsymbolen von Nestle, Mercedes, Shell, Deutsche Bank etc.), die mit ihren Tentakeln Europa umschlingt und unterdrückt, – ein klassisches antisemitisches Bildmotiv – keine „antisemitische Physiognomie“ habe (soll wohl heißen: der Totenschädel der Krake hat keine Hakennase), sei das Plakat nicht „antisemitisch konnotiert.“ Anstatt dieser Entlastungsaussagen hätte Müller genauer herausarbeiten können, daß selbst diejenigen, die nicht Zionismus mit Faschismus gleichsetzen (wie es in Hamburg noch 1989 geschehen ist), sondern ganz im Gegenteil sich kritisch mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen und z.B. Demonstrationen zum 9. November organisieren, nicht frei von Fehldeutungen und Verunsicherungen sind: Dafür spricht die auffallende Zurückhaltung auf den ansonsten immer so kämpferischen linken Plakaten, die pflichtschuldige Aufzählung des Antisemitismus neben anderen „Unterdrückungsverhältnissen“ bzw. noch öfters die verschämte Subsumierung des Antisemitismus unter dem Schlagwort Rassismus.

Aber auch andere AutorInnen frönen ihrer Liebe zur Bewegung, was einen verklärten Blick zu Folge hat. Esther López kritisiert am Anfang ihres Beitrages über die Plakate der Lesbenbewegung noch die Bildmotive, die eine von Männern befreiten Ort als heile und widerspruchsfreie Welt präsentieren. Sie erkennt auch deutlich das Dilemma der Lesbenbewegung, erst Anhängsel der Frauenbewegung, später der Homosexuellenbewegung zu sein und somit nie wirklich eigene Akzente setzen zu können. Am Ende ihres Beitrages muß sie konstatieren, daß die Lesbenbewegung heutzutage einerseits in Mainstream-Events wie dem Christopher Street Day, anderseits in der queeren Partyszene restlos aufgegangen ist. Diese Entpolitisierung benennt sie allerdings nicht als solche, sondern bezeichnet diesen Prozeß als einen der Professionalisierung. Oder: Die Partyszene sei schon deswegen politisch, weil sie politische Vereinnahmung ablehnen würde. Eine Deutung, die schon allein durch die abgebildeten Plakate konterkarriert wird. Ein Vergleich der Lesbenplakate mit denen der Schwulenbewegung zeigt allerdings deutlich, wer jetzt mit Politikmachen dran wäre: Während sich die Frauen- und Lesbenbewegung von Anfang an umfassend politisch artikuliert und bei bestimmten Themen, wie linker Antisemitismus und Rassismus, sogar eine Vorreiterrolle gespielt hat, haben die Schwulen dort angefangen und beständig weitergemacht, wo die Frauen- und Lesbenbewegung erst viel später gelandet ist: bei der Konstruktion positiver Eigenidentitäten, der narzistischen Beschäftigung mit nichts anderem als sich selbst oder seiner Party und Einverleibung von Fremden als exotische Garnierung für die deutsche Hausmannskost.
Suspekte Identitätspolitik betrieben aber alle linken Bewegungen. Die Chile-Solidarität setzte erst 1973 nach dem Putsch ein, der als vom US-Imperialismus inszeniert galt. Für das sozialistische Experiment in Chile interessierte sich vor 1973 in der BRD niemand. Erst als es zu spät war, kamen alle möglichen und unmöglichen linksradikalen und linksliberalen Gruppen zusammen, um dem „geschundenen chilenischen Volk“ beizustehen. Zum Lieblingsmotiv avancierte die chilenische Nationalflagge, die auf wirklich jedem Plakat der Chile-Solidarität auftaucht. Rätselhaft bleibt hingegen, warum für Straßenmilitanz in den westlichen Metropolen immer der unerschrockene männliche Streetfighter herhalten mußte, der Kampf der trikontinentalen Befreiungsbewegungen dagegen am liebsten mit schönen oder verschleierten Frauen bebildert wurde.
Der Lokalpatriotismus macht sich im Buch in Form von vier Berichten aus der „Provinz“ breit: Bremen, Düsseldorf, Nürnberg und Hannover. So erklären uns die BremerInnen, wie der kapitalistischen Entfremdung zu widerstehen ist, nämlich mittels Siebdruck: „ ...ein ziemlich spannendes Unterfangen. Jedes Plakat ist tatsächlich ein Einzelstück, das manuelle Verfahren bringt regelrecht handwerklichen Spaß und die Entstehung, von der Idee über das Drucken bis hin zur Resonanz, zu verfolgen, verbindet SiebdruckerInnen ganz speziell mit ihrem ‘Werk’“. Ein Blick über den Tellerrand liefert der letzte Beitrag, der sich mit der Plakatkultur in anderen Ländern beschäftigt. Neben den links-autonomen Bewegungsplakaten haben da auch Plakate der „Befreiungsbewegungen“ und der „befreiten Länder“ China („Die Sauberkeit lieben“, „Kleine Gäste im Mondpalast“) und Kuba ihren Platz.

Die meisten Abhandlungen im Buch geben einen guten und kurzweiligen Einblick in die jeweilige Bewegungsgeschichte; die Texte zu Solidarität, Militanz, Antisemitismus, linker Ästhetik, Kommunikationsguerilla überzeugen mit ihren kritischen und analytischen Einleitungen, die sich auf der Höhe der Zeit bewegen und die Grenzen linker Theoriebildung ausloten. (Sobald es praktisch wird, fangen einige AutorInnen dann allerdings an zu schwimmen: So klären uns die Layout-Profis in „Ein kleiner Leitfaden zur Gestaltung und Betrachtung von Plakaten“ zum Beispiel bei jedem Thema, das sie anreißen, darüber auf, daß mensch dazu auch ein Buch schreiben könne, der Platz hier aber nicht ausreiche und deswegen sie auch schon zum nächsten Thema übergehen würden, ohne auch nur irgend etwas substantielles zu sagen.) Aufgrund der umfangreichen Bebilderung können die Texte allerdings nur als Appetitanreger dienen, wer mehr wissen will, sollte sich in der entsprechenden Fachliteratur umsehen.

Einige krude Textstellen wären allerdings nicht ein Fall für eine Rezension gewesen, sondern für’s Lektorat. Mit der Bitte um Änderung geben wir zurück: Erstens die Behauptung in dem ansonsten interessanten Beitrag über „Scherben-, Punk- und Pop-Plakate“: „Heiter bis wolkig zerbrachen letztendlich am Sexismusvorwurf, den eine ihrer Szenen provozierte“ (so kann mensch einen Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Bandmitglied also auch bezeichnen); zweitens die Assoziation der Autorin des unsäglichen (weil nicht aus einer autonomen sondern entwicklungspolitischen-christlichen und somit völlig uncoolen Perspektive geschriebenen) Beitrages „Die Plakate der Anti-Apartheid-Bewegung“ von Behausungen von südafrikanischen WanderarbeiterInnen mit KZ-Baracken. Drittens die nach Totalitarismus klingende These: „In der bewaffneten Auseinandersetzung BRD gegen die RAF schenkten sich beide Seiten nichts.“ Dem Lektorat hätte übrigens auch auffallen müssen, daß einem Plakatbuch ohne Verweis auf die Göttinger Gruppe Kunst und Kampf, egal was mensch von ihr halten mag, etwas fehlt – oder war die Auslassung gar Absicht? Keine Ahnung, welche von beiden Varianten armseliger ist...

Es gibt neuerdings zwei Wege zu einem guten Plakat: Entweder mensch studiert das Buch von vorn bis hinten, macht sich das Credo „Schlaglöcher statt Schlagworte“ (Verunsicherung des vorherrschenden Blickes anstatt Selbstvergewisserung der eigenen Szene) zu eigen, lernt von den Fehlern und Erfahrungen der Vergangenheit und macht sich dann an die Arbeit. Oder aber mensch schiebt die CD in den Computer, schmökert ein wenig, lädt sich das Lieblingsplakat herunter und ersetzt bei Bedarf Zeit und Ort. In beiden Fällen kommt ihr allerdings nicht an dem Buch+CD vorbei. Also: kaufen! Klara

Fußnote
(1) z.B. Neidhardt, Irit/Bischof, Willi (Hrsg.): Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken, Unrast: 2000; autonome L.U.P.U.S.-Gruppe: Die Hunde bellen... Von A bis RZ. Eine Zeitreise durch die 68er-Revolution und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, Unrast: 2001

Anmerkung
Beide Plakatbücher können im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.

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last modified: 28.3.2007