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Wer für einen imperialistischen Krieg plädiert, ist nicht links!

Leserbrief

Wer heutzutage gegen eine militärische Intervention der NATO-Staaten - allen voran Großbritannien und die USA – argumentiert, denen wird all zu gern in den Mund gelegt, sie fänden wohl in Ordnung, wie das afghanische Talibanregime in Afghanistan mit Frauen (als am häufigsten benutzte Opfergruppe) umspringt. Im selben Atemzug wird man zum Antisemiten gemacht, weil Bin Laden und dessen Gefolgschaft in ihren Kampfansagen offen Bezug genommen haben auf Amerika und Israel als vornehmliche Horte des Weltkapitalismus und der Unterdrückung des Islams. Ohne den letztgenannten Tatsachen zu widersprechen, daraus folgt keine Kriegslegimitation – für Menschen, die sich als Linksradikale verstehen, schon gar nicht.

Daß es Dummköpfe gibt, ist nichts neues und daß darunter auch welche meinen, die Anschläge auf das WTC und das Pentagon hätten etwas mit der mißlichen Lage irgendwelcher Ausgebeuteter im Trikont zu tun, dem muß auf jeden Fall in aller Schärfe erwidert werden, daß sie keinen Plan von den politischen Ambitionen der Taliban und Bin Ladens haben.

Doch kann es ebensowenig angehen, daß sich die eskalierende Situation derart zunutze gemacht wird, daß allen Ernstes die Militärschläge gegen Afghanistan mit Argumenten gerechtfertigt werden, die von den Kriegstreibenden bestenfalls im Nebensatz angeführt werden. Bei den Militärschlägen geht es vorrangig eben nicht darum, ein westliches Wertemodell zu etablieren. Die Situation der Bevölkerung Afghanistans – eines der ärmsten Länder der Welt – spielt in den Erwägungen innerhalb der Militärmaßnahmen eine genauso untergeordnete Rolle, wie es in den letzen Jahren der Fall war. Um nicht zu sagen Afghanistan als solches ist den meisten scheißegal und so lange dort in einem gewissen Maße Ruhe vorherrscht, kann dort jeder machen, was er will. Wenn jetzt von ex-linker Seite vornehmlich die Situation der Frauen ins Felde geführt wird, ist das einfach nur verlogen. Nicht weil ihnen abgesprochen werden soll, das sie darüber zu Recht erbittert sind, aber artikuliert wurde das in den letzten Jahren allenfalls von antirassistischen Gruppen wohlgemerkt bis ins Parteienspektrum hinein. Die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund wurde nämlich Frauen aus Afghanistan vornehmlich verwehrt, weil die Taliban nicht als Regierung anerkannt waren. Das Talibanregime und die von ihm – auch nur verschärfter als zuvor von anderen afghanischen Clans – vorangetriebene Entrechtung, Drangsalierung und Verdrängung der Frauen aus dem öffentlichen Leben sind im übrigen seit 1996 quasi an der Macht.
Die Empörung über die Zustände dort hielt sich jedenfalls derart in Grenzen, als daß diese für eine Erwähnung im CEE IEH leider bis dato noch nicht ausreichte(1). Im Gegenteil: Es ist seit geraumer Zeit CEE IEH-Mode, sich über Bewegungslinke lustig zu machen.

Einmal angenommen, die USA hätten sich die Veränderung des politischen Systems in Afghanistan mit auf die Fahnen geschrieben, leitet sich trotzdem daraus nicht zwangsläufig Sympathie oder gar Zustimmung für einen imperialistischen Krieg ab.

Die entscheidende Frage ist doch: Worum geht es beim Krieg gegen Afghanistan und eventuelle andere ausgemachte Schurkenstaaten, die vermeintliche Terroristen beherbergen?
Der Stolz der amerikanischen Nation – ihre Unverletzlichkeit, ihre militärische Überlegenheit als Siegernation des kalten Krieges – wurde angegriffen, empfindlich. Aus den Mitteln, die gegen den Terror eingesetzt werden, spricht, daß außer einer Mischung aus Wut, Angst, Ratlosigkeit und dem unbedingten Willen zum Reagieren noch lange kein Konzept vorhanden ist, auf die neue, für die USA völlig unkalkulierbare Bedrohungssituation in irgendeiner Art und Weise adäquat zu reagieren. Sie kennen nur Krieg als Mittel der Krisenbewältigung.
Was der Krieg gegen Afghanistan vermitteln soll und vermitteln wird, ist: wer die Weltordnung mitsamt den sie prägenden westlichen Wertevorstellungen, politischen, militärischen und ökonomischen Verhältnissen auch nur ansatzweise in Frage stellt oder angreift, wird fertig gemacht. Bush jr. pflegte in diversen Ansprachen auch von Vernichtung der Terroristen und deren Unterstützern zu sprechen. Daß dabei vermutlich auch offene Rechnungen etwa gegen den Irak beglichen werden können, bietet sich förmlich an. Ein 129-Verfahren im Weltmaßstab.

Aus linker Sicht tun sich unausweichlich Parallelen auf, die einer Befürwortung des Krieges entgegenstehen. Daß eine islamisch-fundamentalistische Gesellschaft einer emanzipatorischen Gesellschaft bzw. Revolution entgegensteht (wie es Bahamas allerdings mit einer irrsinnigen Analogie behauptet), steht völlig außer Frage. Doch wo bitteschön nimmt irgend jemand die Weisheit her, eine kapitalistische Gesellschaft würde mit den BefürworterInnen einer fundamental linken Gesellschaftsidee anders umgehen, als mit dem Islam?

Der kalte Krieg gegen den vermeintlich kommunistischen Ostblock, die Kommunistenjagd in den 50ern unter McCarthy, der Radikalenerlass in den 70ern in der BRD, die Unterstützung von Antikommunisten weltweit von Vietnam und seinerzeit übrigens ja wohl auch in Afghanistan (namentlich eines gewissen Osama Bin L.) über Angola und Nikaragua, bis zur anhaltenden Isolation Kubas und Bekämpfung der Guerilla in Kolumbien sind doch nicht aus irgendwelchen Launen heraus mal eben passiert. Und das mit der Vernichtung ist Bush jr. auch nicht mal so eben über die Lippen gerutscht. Das muß man ernst nehmen – für alle Tage!

Nicht außen vor gelassen werden darf natürlich die besondere Bedrohungssituation Israels. Keine Frage, daß eine deutsche Linke als Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus oder übersetzt: in Verantwortung für die Verbrechen ihrer Großeltern und mittlerweile Urgroßeltern, den Staat Israels verteidigen muß – jedenfalls bis zu dem Tag, an dem Staaten endlich obsolet geworden sind(2). Da gibt es kein Wenn und Aber. Doch wer nur ein bisschen schlau ist und sich die Stimmungslage in der „arabischen Welt“ vergegenwärtigt, wird erkennen, daß mit Krieg gegen den islamischen Fundamentalismus unter Umständen eine Welle der Gewalt und Gegenreaktionen ins Rollen kommen könnte, die sich – mehr als gegen jeden anderen Staat – gegen Israel wenden könnte. Dann hätten nicht nur die USA und die am Krieg beteiligten Staaten, sondern auch Teile der deutschen Linken Israel einen Bärendienst erwiesen.
In der Hoffnung, daß sich letztere Befürchtungen nicht bewahrheiten und der klare Kopf und Argumente auch im CEE IEH irgendwann obsiegen.
Eric

Fußnoten: 
1 Soweit die nadir-Suchmaschine nicht schlechter als mein Gedächtnis funtionieren sollte, war das Talibanregime bis Mitte 2000 in CEE IEH-Artikeln keine Erwähnung wert.
2 nicht um hier noch einen Staatfetischismus- und/oder Nationalismusvorwurf einzufangen


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last modified: 28.3.2007