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Folgender Text ist die überarbeite Fassung des Referats „Äußerlichkeiten? Die deutsche Linke und ihr inniges Verhältnis zu ‘arisiertem’ Besitz“, welches am 16.06.01 im Rahmen von „10 Jahre Conne Island“ gehalten wurde.

Grenze der Verweigerung

Im Conne Island wird sich an diesem Wochenende die eigene Geschichte vergegenwärtigt. Zufrieden kann auf 10 Jahre zurückgeblickt werden, in der es sich zu einem bedeutenden Zentrum linksradikaler Politik und Gesellschaftskritik entwickelt hat. In den Artikeln, die die Geschichte des Conne Islands anläßlich des 10jährigen Bestehens nachzeichnen, wird dargestellt, an welchen Diskussionen entlang und durch welche Ereignisse sich diese Entwicklung vollzogen hat.

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Als Ort, an dem sich verschiedene Projekte in gesellschaftskritischer Absicht entwickelten, war es gleichzeitig der Ort, an dem viele der Diskussionen geführt wurden, die für die politische Entwicklung der radikalen Linken in Leipzig entscheidend gewesen sind.
Somit verstand sich das Conne Island seit seinem Bestehen als antifaschistisch, antirassistisch und im Laufe der Jahre auch immer mehr als antideutsch.
U.a. machten die Wohlfahrtsausschüsse hier Station und sorgten für erste Diskussionen zur Kritik an der noch frischen Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten und der neuen deutschen Identität. Und schließlich wurde im Laufe der weiteren Jahre zu den verschiedensten Anlässen die Diskussionen um den Umgang des wiedervereinigten Deutschlands mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit geführt. Insbesondere aus einem antideutschen Selbstverständnis, das in Leipzig wohl von weiten Teilen der radikalen Linken geteilt wird, wurden die deutschen Gedenkfeierlichkeiten zum Bombenabwurf über Dresden kritisiert. Die Gleichsetzung Dresdens mit Coventry, der Versuch, einem deutschen Opfermythos einmal mehr zu etablieren, wurde eine klare Absage erteilt. 1995/96 entstand einer der ersten Antifa-Aufrufe anläßlich des Nazi-Zentrums in Wurzen, der über acht Seiten hinweg die Analyse eines Post-NS-Deutschlands mit latenten Rassismus und Antisemitismus mit einbezog und damit weit über die obligatorischen „gegen Nazis“-Attitüden hinausging. Der Begriff des „Rechten Konsens“ setzte sich so durch. Als 1999 dem ehemaligen Oberbürgermeister Goerdeler ein Denkmal gesetzt wurde, griff die antideutsche Haltung erneut; gegen die Ehrung des Antisemiten der Stadt Leipzig wurden Proteste organisiert. Weitere Veranstaltungen zum Thema Kritik deutscher Verhältnisse fanden immer wieder hier statt.

Gerade durch die wechselseitige Beeinflussung des Ladens und der verschiedenen linksradikalen Gruppen, die hier ihre ‘Heimat’ fanden (Auf die Besondere Bedeutung, die das Wort Heimat hier spielt, ist noch hinzuweisen!), führte dies für das Conne Island zu einem Konzept der „Verweigerungshaltung“ – so in einer Einschätzung über die politische Bedeutung des Conne Islands (anläßlich des 10jährigen Bestehens) – mit dem man sich von den deutschen Verhältnissen und der deutschen Öffentlichkeit abgrenzen wollte. Alles in allem kann der Laden wohl als eines der wenigen bundesweiten Zentren gelten, in denen eine so enge Bindung zwischen den bedeutenden politischen Diskussionen der radikalen Linken und dem Projekt bestand.

Eine vehemente Veränderung des Bildes vom Conne Island ergibt sich allerdings, wenn man sich vor Augen hält, daß zeitgleich zu jener Entwicklung von 1991 bis 1995 ein Restitutionsanspruch der Jewish Claims Conference auf das Gelände des Conne Islands bestand. Besagt doch eben jener Anspruch auf Restitution, daß es die begründete Vermutung gibt, daß Gelände und Gebäude durch eine sogenannte „Arisierung“ während des Nationalsozialismus von vormals jüdischen Eigentümern zwangsweise und unter Wert verkauft werden mußten.
Dies muß als Voraussetzung dafür gewertet werden, daß die Gebäude an ihre derzeitigen BetreiberInnen überhaupt vermietet werden konnten.

Sogenannte „Arisierungen“ waren dabei Teil einer gesellschaftlichen Praxis im Nationalsozialismus, in der Jüdinnen und Juden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, ihr Vermögen angeeignet und sie vertrieben, verfolgt oder deportiert wurden. So wurde bereits 1933 mit der Verdrängung von Jüdinnen und Juden aus verschiedenen Berufen begonnen und versucht durch Boykotte jüdischer Geschäfte deren Existenz zu untergraben.
Und obwohl erst seit 1938 ein Gesetz zur „Arisierung jüdischen Besitzes“ existierte, gab es eine derartige Praxis schon seit den Anfängen des Nationalsozialismus. Denn der gesellschaftliche Druck gegenüber Jüdinnen und Juden war so groß, daß der Eigentumswechsel meist ein ungeheures Profitgeschäft für die Deutschen „KäuferInnen“ wurde, da sie das Eigentum der jüdischen BesitzerInnen weit unter Wert erstanden.
Während es allerdings vor 1936/37 zumindest noch geringe Möglichkeiten gab, einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts des Eigentums zu erhalten, wurde ab 1936/37 durch staatliche Kontrollbehörden genau überwacht und durchgesetzt, daß dieser für die jüdischen Unternehmen möglichst weit gedrückt wird.
Doch selbst wenn jüdische EigentümerInnen angemessene Kaufpreise für ihre Firmen oder Immobilien erhielten, so war es ihnen nicht möglich, diese bei Verlassen des Landes vollständig ins Ausland zu transferieren. Denn hier griff das nationalsozialistische System auf die – noch aus der Weimarer Republik bestehende – sogenannte Reichsfluchtsteuer zurück, die besagte, daß ein Viertel des zu transferierenden Betrages abzuführen sei. Gleichzeitig mußte eine sogenannte Dego-Abgabe an die Deutsche Gold-Diskontbank geleistet werden, die im August 1934 bereits 65% des zu transferierenden Betrags betrug und im September 1939 96% umfaßte.
„Arisierung“ und Fluchtbesteuerung bilden somit einen entscheidenden Anteil an der „finanziellen Ausplünderung“(1) von Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Deutschland und der Historiker Frank Bajohr spricht von den sogenannten „Arisierungen“ als „politisch-gesellschaftliche[n] Prozeß“ der den „größten Besitzwechsel der neueren deutschen Geschichte, in den zahlreiche Akteure und Profiteure involviert waren“ markiert.(2)
Doch neben jener ökonomischen Bedeutung der „Arisierungen“ ist auch noch auf eine andere Bedeutung hinzuweisen. Kennzeichnend für jene andere Dimension ist der Versuch verschiedener NS-Behörden ab 1939, den Begriff der „Arisierung“ durch den der „Entjudung“ zu ersetzen und dadurch „den vermeintlichen Säuberungscharakter der wirtschaftlichen Existenzvernichtung hervorzuheben.“(3) Somit spielten gerade auch “Arisierungen“ – als „Entjudungen“ verstanden – eine besondere Rolle bei der Herstellung der deutschen Volksgemeinschaft.
Wie stark das Wissen von „Arisierungen“ ehemaligen jüdischen Eigentums auch in der deutschen Bevölkerung vorhanden war, macht insbesondere der Charakter von Versteigerungen des Haushaltsinventars deportierter Jüdinnen und Juden unter der deutschen Bevölkerung deutlich. Für viele deutsche Familien besaßen derartige Versteigerungen nahezu den Eventcharakter eines Wochenendausflugs, bei dem es günstige Haushaltsgegenstände zu erstehen gab.

Sogenannte „Arisierungen“ waren schließlich integraler Bestandteil einer nationalsozialistischen Politik der Verdrängung von Jüdinnen und Juden aus der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft, die unter breiter Beteiligung (und Bereicherung) der deutschen Bevölkerung stattfand und letztlich in dem deutschen Projekt der Vernichtung gipfelte, das zum unhintergehbaren Ausgangspunkt der Neuen Linken im wiedervereinigten Deutschland wurde.
So beachtlich die Entwicklung des Conne Islands und der linksradikalen Gruppierungen in Leipzig also auch sein mag, so sehr sie auch immer versuchten, mit ihrer Kritik auf der Höhe der Zeit zu sein, so skandalös ist es doch andererseits, daß die Geschichte des Ladens und der radikalen Linken in Leipzig auch die Geschichte der nicht geführten Auseinandersetzung über den erhobenen Restitutionsanspruch ist. In der Tat ist das folgende Zitat aus einem Text anlässlich des 10jährigen Bestehens das erste und einzige, was dazu nach außen getragen wurde. So heißt es dort über die Übergabe von Gelände und Gebäude seitens der Stadt an die ersten BetreiberInnen des Ladens: „Dass auf das Gelände ein Restitutionsanspruch der Jewish Claims Conference besteht, wird nur insoweit wahrgenommen, als sich um den zukünftigen Bestand gesorgt wird. Was Ausgangspunkt für die notwendige Diskussion um die Verantwortung einer Linken in Post-NS-Deutschland hätte werden können, wird bis 1999 beharrlich ignoriert und auch heute nicht als Basis für die Ladenpolitik miteinbezogen.“

Zugespitzt ließe sich wohl sagen, daß es bis zum heutigen Tage wohl allen – BetreiberInnen wie NutzerInnen des Conne Islands – relativ egal war, daß ihr eigenes politisches Handeln, ihre Diskussionen, ihre Vergnügungen und vieles mehr in Gebäuden und auf einem Gelände stattfinden, die möglicherweise erst deshalb, weil die ehemaligen jüdischen Eigentümer diese während des Nationalsozialismus zwangsverkaufen mußten, heute an die jetzigen BetreiberInnen weitergegeben werden konnten.

Wie ernst aber ist das Selbstverständnis einer Linken zu nehmen, die seit mehreren Jahren Kritik an deutschen Verhältnissen übt, sich gegen die Relativierung und Historisierung nationalsozialisitischer Verbrechen ausspricht, sich über Kontinuitäten in Deutschland erbost und dies gleichzeitig auf einem Gelände, das möglicherweise selbst sogenanntes „arisiertes“ Eigentum ist und darüber kein Wort verliert.
Was besagt das über die Form von Verweigerung und über die Kritik an bestehenden Verhältnissen, wenn sie genau da aufhört, wo die eigenen materiellen Grundlagen angetastet werden könnten.
Verweist die nicht-geführte Auseinandersetzung nicht genau darauf, wie deutsch selbst diejenige Linke ist, die sich selbst als antideutsche begreift? Müssen sich nicht all jene, die für sich radikal linke Gesellschaftskritik in Anspruch nehmen, den Vorwurf gefallen lassen, selbst einer spezifisch deutschen Form von „Vergangenheitsbewältigung“ zu unterliegen, die dann wie von selbst ‘blinde Flecke’ produziert, wenn sie allzu nah an die eigene Person oder das eigene Projekt herankommt?
Verweist die fehlende Auseinandersetzung nicht genau auf die eigene Verstrickung, den eigenen höchstpersönlichen Gewinn, den man aus genau jener Geschichte zieht, zu der man sich ansonsten so hieb- und stichfest distanziert zu haben glaubte?
Ist das Schweigen des Conne Islands zu dem Restitutionsanspruch nicht genau ein Symbol dafür, wo die Grenze der Verweigerung gegenüber den deutschen Verhältnissen gezogen ist: wo man lieber darüber schweigt oder es zumindest nicht auf die Tagesordnung bringt, um nicht die eigene materielle Grundlage infrage zu stellen und so an der eigenen selbstsicheren Identität rütteln zu müssen? An genau jener Identität nämlich, die glaubt, sich schon durch das anti-deutsche Bekenntnis den deutschen Verhältnissen gegenüber verweigern zu können, ohne anzuerkennen, daß dies nur in einem ständig währenden Prozeß von Kritik und Selbstkritik möglich ist?
Aufgabe jener Form von Selbstkritik wäre es schließlich, eine Auseinandersetzung darüber zu führen, wie stark man selbst noch in der zweiten oder dritten Generation nach dem Nationalsozialismus von dessen Geschichte profitiert. Es wäre zu fragen, ob die Bedingungen unseres eigenen Wohlstands nicht wesentlich noch daraus resultieren, daß in den Post-NS-Staaten ein Nachkriegsaufschwung allein deshalb so problemlos möglich war, weil man an eine Gesellschaft, bestehend aus „arisierten“ Firmen und Betrieben, Zwangsarbeit in Betrieben und Konzentrationslagern sowie Raub und Mord, angeknüpft hat.
Denn eine Stunde Null hat es nicht gegeben. Dann müßte man in der Tat auch rekonstruieren, welche unhinterfragten Ausgangsbedingungen eine Linke in Post-NS-Deutschland hatte, was die ökonomischen und sozialen Grundlagen ihres Engagements waren.
Dann würde das selbstgestrickte Band zwischen dem eigenen politischen Selbstverständnis und der Situation der Opfer zerreißen, weil sich herausstellen würde, wie stark man selbst in die Geschichte jener TäterInnengeneration verstrickt ist, die man sonst so selbstsicher angreift. Und dann würde sich auch zeigen, wie wenig die Situation der Überlebenden des NS, der Hinterbliebenen und der nachfolgenden Generationen und deren fortwährendes Leid und deren ungleich schwierigerer Ausgangspunkt einer Geschichte nach 1945 Bestandteil des eigenen linken Selbstverständnisses ist.

Während der Restitutionsanspruch im Conne Island also in den ersten Jahren eher bekannt war, wurde er in der Folge nach dem Motto „schlafende Hunde weckt man nicht“ vom Laden nicht thematisiert, aber – und das ist ebenso entscheidend – eben auch nicht nachgefragt. Viele gingen, viele kamen, und so geriet der Fakt zunehmend in Vergessenheit. Erst 1999 kam der Restitutionsanspruch überhaupt erst wieder – wohl eher durch Zufall – ans Licht. Die meisten hörten dies zum ersten Mal. Schwer läßt sich sagen, wie viele davon wußten. Schwer läßt sich auch rekonstruieren, ob sich jemals jemand bemühte, nachzufragen, warum der Restitutionsanspruch aufgehoben wurde, oder ob es nur mit allgemeiner Erleichterung hingenommen wurde. Mit einiger Sicherheit läßt sich aber sagen, daß niemand es mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, Beharrlichkeit thematisierte – sonst gäbe es heute diesen Anlaß nicht.
Und da können und wollen auch wir als VeranstalterInnen der heutigen Diskussion uns nicht ausnehmen.

Sicher ist dagegen, daß wir hier heute alle ganz beruhigt über die Situation diskutieren könnten, denn soviel ist bestimmt schon bekannt: der Restitutionsanspruch war unbegründet.
Der ehemalige Eigentümer Friedrich Albert Rosenkranz der das Grundstück – damals noch Coburger Chaussee 3 – im Jahre 1888/89 kaufte, evangelisch-lutherischer Konfession war. Und auch ein tatsächlich stattgefundener Zwangsverkauf des Geländes im Jahre 1934 resultierte aus Schulden, die Albert Rosenkranz bereits 1926 besaß und die damals als Hypothek auf Haus und Gelände umgelegt wurden. Es kam also nicht zu einer sogenannten „Arisierung“ – in diesem Falle.
Doch genau jener Leichtigkeit, mit der deshalb heute über die Situation gesprochen werden kann, ist entschieden zu widersprechen. Denn dass das Conne Island kein ehemals „arisiertes“ Eigentum ist, heißt nicht, daß die Möglichkeit undenkbar gewesen wäre, sondern in Post-NS-Deutschland mitgedacht werden muss, um deutsche Kontinuitäten zu durchbrechen (für uns der zentralste Punkt).
Das ist im Conne Island nicht passiert. Obwohl Kenntnis über einen Restitutionsanspruch bestand, wurde die Auseinandersetzung damit verweigert und das Wissen darum verdrängt.

Fußnoten

(1) Frank Bajohr: „Arisierung“ als gesellschaftlicher Prozeß, in: Irmtrud Wojak und Peter Hayes (Hrsg.): „Arisierung“ im Nationalsozialismus (Jahrbuch 2000 des Fritz Bauer Instituts), S.21, Frankfurt/New York
(2) ebd. S.17
(3) ebd. S.15


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last modified: 28.3.2007