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Diesen Text entnahmen wir dem Antifa-Kalender 2001 (Unrast-Verlag, PF 8020, 48043 Münster)

Jeden Tag eine gute Tat

Neues aus dem Bermuda-Dreieck deutscher Politik und wo die Antifa geblieben ist

Die Nazis bekommen ihn zuweilen noch zu spüren, der Adressenteil des Kalenders hat auch in diesem Jahr keinen signifikanten Rückgang an Initiativen, Projekten und Gruppen zu verzeichnen und selbst der Verfassungsschutz kann in seinem jährlichen Leistungsbericht die üblichen Warnungen garantieren. Wie geht’s ihm denn nun, dem „autonomen Antifaschismus“? Ist er gescheitert oder ruht er sich auf der Suche nach neuen Wegen nur aus? Eins ist zumindest bei all diesen oft gestellten und immer noch selten beantworteten Fragen sicher: Die Bedingungen für linke und antifaschistische Politik haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Unter dem Eindruck der Anschlagswellen von 1991 und 1992, dem zeitweiligen Durchdringungsverhältnis von rassistischen Aktionen und bürgerlicher Politik wie auch zuletzt unter dem politischen Einfluss des rot-grünen „Reformprojekts“ in Gestalt der neuen Bundesregierung wurden immer wieder gesellschaftliche Tatbestände geschaffen, die eine Neuorientierung nahelegten, aber nicht immer zu einer Neuorientierung führten. So ist die antifaschistische Bewegung, das kann trotz ihrer Zähigkeit gesagt werden, in einer Krise, die strukturelle und inhaltliche Dimensionen, äußere und hausgemachte Gründe hat. Einige Überlegungen zum sprichwörtlichen Stand der Antifa sollen im folgenden formuliert werden.

Man stelle sich einfach mal vor, ganz Deutschland wäre ein Pfadfinderlager, die Grünen kochen und die Sozialdemokraten zum Beispiel Antifa 2000?, 10.0k wären die Fähnleinführer. Jeden Tag eine gute Tat und immer Vorbild sein. Ganz abwegig scheint dieses Bild auf den ersten Blick nicht zu sein, denn die sogenannte „Berliner Republik“, deren Namensgebung allein schon das Ende der Nachkriegszeit symbolisiert, strotzt nur so vor guter Taten. Vorbildlich hat sie sich von der völkischen Definition des Staatsbürgerschaftsrechts gelöst, vorbildlich hat sie die Lehren aus der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gezogen und sich nach über 40 Jahren den Ansprüchen der letzten überlebenden Opfer gestellt, sie hat die Moral als politische Kategorie wieder entdeckt und dementsprechend vorbildlich hat sie den offensiven Umgang mit dem Rechtsextremismus auf die politische Agenda gesetzt.
Manchmal hat ein Bild aber mehrere Ebenen und entsprechend sieht die Realität anders aus. Und so wirkt dieses Land eher wie ein neoliberales Workcamp, das den ganzen Tag beregnet wird. Das völkische Staatsbürgerrecht ist allenfalls punktuell durchbrochen worden, die „Lehre aus Auschwitz“ bestand in der ersten deutschen Kriegsbeteiligung nach dem zweiten Weltkrieg und die Diskussion um die Entschädigung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen hat zunächst einmal bewiesen, wie preiswert sich ein Land seiner Geschichte entledigen kann, um mit großen Schritten der Normalität entgegenzueilen.
Auch die Debatte um den Rechtsextremismus trägt diese Züge von vergammelter Ware in bunter Verpackung und die Ernsthaftigkeit und Geschäftigkeit, mit der sie plötzlich von allen möglichen und unmöglichen Vertretern aus Parteien, Industrie und gesellschaftlichen Verbänden geführt wird, enthüllt gleichzeitig die verschiedenen Motive und Gemütslagen, die einiges gemeinsam haben, nur nicht, Faschismus und noch weniger Rassismus als gesellschaftliches Problem wahrzunehmen, an dessen Entstehung und Verfestigung sie selbst nicht unwesentlich beteiligt sind. Und weil genau dieser Kern des Problems ausgespart wird, handelte es sich bei der Debatte um den “Rechtsextremismus” im Jahr 2000 um das selbe Sommerlochphänomen, als ginge es um die Wiedereinführung der Todesstrafe oder um ein abendliches Ausgehverbot für Jugendliche unter 16 Jahren, um Themen also, die immer mal wieder angeführt werden, wenn es sonst gerade nichts zu sagen gibt. Einerseits. Andererseits: Wer würde nicht zustimmen, dass Rot und Grün ein größeres oder anderes Interesse an der Bekämpfung des Rechtsextremismus haben könnten als ihre Vorgänger?

Und dennoch: Die dringende Aktualität, die von allen Seiten betont wird, leuchtet nicht unmittelbar ein. Nicht nur die Antifa weiß bereits seit längerem um die Brisanz neonazistischer Organisierung und rassistischer Stimmungen, die in einigen Städten zu einer dauerhaften Bedrohung für viele Menschen geworden ist. Linke oder alternative Jugendliche, Flüchtlinge, Obdachlose, Menschen, die - wie man so passend sagt – eine Provokation des faschistischen Weltbildes darstellen, müssen seit Jahren zunehmend die Erfahrung machen, sich nicht sicher fühlen zu können. Und dennoch wurde diese Realität in der Regel mit stoischer Beharrlichkeit ignoriert. Auf höherer politischer Ebene wurden faschistische Organisierung und rassistische Angriffe ausgesessen oder in einer Mischung aus Repression und akzeptierender Jugendarbeit privatisiert, während vor Ort konsequent runtergespielt und verharmlost wurde. Wo der inhaltliche Beitrag der rechtsextremem Wahlparteien vom bürgerlichen Lager in entschärften Versionen absorbiert wurde, konnte der alltägliche völkische Vernichtungswahn und Rassismus in erster Linie weggeschwiegen werden. Allenfalls größeres mediales Interesse durchbrach dieses System. Nicht selten war daran die Antifa beteiligt, wo sie stark genug war, öffentlich Zustände zu skandalisieren. In diesem Zusammenhang reproduzierten sich ein ums andere Mal die politischen Wahrnehmungen bei allen Beteiligten, seien es die Bilder von den „Extremisten von links und rechts“ oder den „unpolitischen Konflikten zwischen rivalisierenden Jugendbanden“, die im politischen System als Erklärung hoch gehandelt wurden, sei es das in der Antifa auch heute noch durchaus populäre Bild von einem Staat, der faschistischen Terror wissentlich duldet und mitunter sogar bewusst fördert.
Mit dem ersten Erklärungsmuster muss man sich nicht länger aufhalten. Jeder, der über ein einigermaßen gut ausgestattetes politisches Bewusstsein verfügt, hat in den vergangen Jahren desöfteren die Gelegenheit gehabt, sich den staatlichen Umgang mit Neonazis und der rassistischen Grundstimmung in diesem Land anzuschauen. Natürlich ist es ganz abstrakt richtig, dass kapitalistische Verhältnisse, also gesellschaftliche Verhältnisse, die auf Konkurrenz aufbauen, einen Faktor bei der Herausbildung rassistischer und faschistischer Denkmuster darstellen. Und natürlich ist es ganz konkret richtig, dass es eine allgemeine politische Tendenz in Deutschland gibt, rechtsextreme Gewalt und Einstellungen zu verharmlosen. Entweder gibt es sie schlichtweg nicht oder es handelt sich um Minderheitenpositionen oder es sind bedauerliche Einzelfälle – begangen von unpolitischen, betrunkenen, arbeitslosen Jugendlichen. Etwas überspitzt ist dies die Erfahrung, die die Antifa seit Jahren machen muss. Unverdrossen warnt und mahnt sie, stellt sich den Faschisten direkt in den Weg, versucht gesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren, bemüht sich, den Zusammenhang zwischen rassistischer Gewalt auf der Straße und rassistischer Politik im bürgerlichen Herrschaftsapparat herzustellen – betätigt sich also, auch wenn dies nicht immer so beabsichtigt sein mag, als gutes Gewissen der demokratischen Öffentlichkeit. Und doch agiert sie zunehmend im Schatten der Verhältnisse, in den man das gesellschaftliche Problem des Rechtsextremismus als Organisierungsform oder Ensemble von Meinungen verbannt hat.

In diesem Spannungsfeld war „autonomer Antifaschismus“ im letzten Jahrzehnt gefangen und konnte sich als Position auch über den weitgehenden Niedergang der radikalen Linken hinaus als Teilbereich (oder letzter bemerkbarer Ausdruck linker Politik?) fortlaufend reproduzieren. Antifaschismus musste durchgesetzt werden. Nicht nur gegen Neonazis und gesellschaftliche Stimmungen, sondern auch gegen einen Staat, der nichts mehr anstrebte als die nationalsozialistische Vergangenheit endgültig zur abgeschlossenen Geschichte werden zu lassen und dessen Eliten und Bevölkerung sich gegenseitig einredeten, wie normal alles geworden sei. Diese Abwehrhaltung war verbreitet und ist es natürlich auch heute noch. Jedes Land, so heißt es, wenn sie argumentativ belegt wird, hat seine dunklen Flecken, jedes Land muss mit einem bestimmten Prozentsatz sogenannter „Unbelehrbarer“ leben. Ansonsten business as usual. Vor dem Hintergrund einer solchen verbreiteten Grundhaltung, deren zeitgemäße Ergänzung die Normalität von rassistischen Angriffen, Morden, Wahlerfolgen und Meinungen ist, fand der „autonome Antifaschismus“ seinen Boden, sein politisches Betätigungsfeld, seine Positionen.
Der rot-grüne Wahlsieg und zuletzt die Debatte um die Gefahren des Rechtsextremismus, so kurzlebig sie gewesen sein mag, verweisen jedoch darauf, dass dieses Grundmuster sich zunehmend verändert und damit auch die Bedingungen, unter denen die Antifa Politik macht. Es ist das zweite – also unser Erklärungsmuster – das sich eine kritische Überprüfung gefallen lassen muss.

Antifa Deutschland

Mit dem Beginn des rot-grünen Regierungsprojektes hat in der bundesdeutschen Politik ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien bereits an verschiedenen Stellen erörtert wurde. Seine wesentlichen Aspekte sind die Rückkehr einer bestimmten Moral in die Politik und die punktuelle Abkehr von einer völkischen Tradition, die in Deutschland zuletzt von der Regierung Kohl konserviert wurde, einer Regierung, deren Repräsentanten entweder selber noch Zeitzeugen der Naziherrschaft waren oder denen man zumindest nur zu leicht abgenommen hat, dass sie für jeden autoritären Scheiß im Sinne der Pflege deutscher Traditionen sofort zu haben sind.
Die Folgen der Ablösung dieses Systems haben sich nach nur einem Jahr unübersehbar eingebrannt. Während „Normalisierung“ für die Konservativen noch die historische Relativierung des Nationalsozialismus bedeutete, haben wir es heute mit einem Typus von „Normalisierung“ zu tun, der weitaus nachhaltiger all das verwischt, was Ausgangspunkt für linke und antifaschistische Politik auch der Autonomen war. Mit anderen Worten, das Bezugssystem ist durcheinander geraten. Bereits während des Krieges führte dies die linken Kritiker ein ums andere mal in Bedrängnis. Die SPD und an ihrer Seite eine Partei, deren Geschichte in den neuen sozialen Bewegungen wurzelt, argumentierten nicht trotz sondern gerade wegen Auschwitz für die deutsche Kriegsbeteiligung. So schuf sich die neue deutsche Politik in der nationalsozialistischen Vernichtungspraxis ein argumentatives Reservoir, dem so leicht nicht beizukommen war.

Die innenpolitische Verlängerung dieses offensiven Umgangs mit dem nationalsozialistischen Erbe ist an verschiedenen anderen Debatten des letzten Jahres zu besichtigen. Die Errichtung eines zentralen Mahnmals für die ermordeten Jüdinnen und Juden demonstriert nicht nur das Eingeständnis, dass dieses Land verantwortlich für den Holocaust war, es dokumentiert gleichzeitig die beabsichtigte Kumpanei der Täter und ihrer Nachfahren mit den Opfern. Es macht das Erinnern zum Staatsauftrag und zieht damit einen Schlussstrich, den keine konservative Regierung hätte ziehen wollen und können. Das neue Deutschland, das symbolisiert das Mahnmal mitten in Berlin eben auch, hat mit dem alten Deutschland nichts mehr zu tun, obwohl es gleichzeitig aus der Vergangenheit die Argumente für seine heutige Politik bezieht. In einem solchen Zusammenhang ist auch die der neue Ton in der Debatte um den Rechtsextremismus zu verstehen.
Wo bereits die Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien wie nirgendwo anders sonst, in Deutschlands sozialdemokratischen und ex-alternativen Milieus zur militanten antifaschistischen Kampagne umgelogen werden konnte, soll der antifaschistische Staatsauftrag nunmehr auch im innenpolitischen Terrain zur Geltung gebracht werden.

Vor dem Hintergrund eines rassistischen Brandanschlages in Ludwigshafen, eines Bombenanschlages mit zunächst zumindest nicht eindeutig rechtem Hintergrund und der Ermordung von zwei Obdachlosen durch Neonazis – vor dem Hintergrund einer Normalität also, die in diesem Land eigentlich schon lange keinen mehr erschreckt, riefen verschiedene Politiker und gesellschaftliche Gruppen im Sommer 2000 zur „Offensive gegen Rechts“ auf.
Dabei spielten natürlich auch knallharte funktionale Gründe eine Rolle. Nicht zufällig waren es die abgehalfterten Grünen, die sich in diesem Zusammenhang am meisten exponierten. Außenminister Joseph Fischer persönlich ließ wissen, dass angesichts des rechten Terrors ein Aufschrei durch das Land gehen müsse. Weil genau das nicht der Fall sei, seien jetzt die Grünen gefragt, um Kampagnen zu organisieren und die Fähigkeit zur Mobilisierung zurückzugewinnen.
Ausgerechnet die Grünen, möchte man einwenden, wenn Fischer nicht bereits deutlich gemacht hätte, worum es unter anderem auch geht: nämlich um die Versöhnung der Partei mit sich selbst, um ein konsensfähiges Thema, an dem sich noch Mehrheiten mobilisieren lassen, nachdem die Pazifisten und die Anti-Atom-Bewegung sicherlich zusammen mit den Grünen keine guten Taten mehr vollbringen möchten.
Aber auch andere Stimmen ließen nicht lange auf sich warten: Birgit Breuel rief dazu auf, massenhaft die Expo aufzusuchen, um ein Zeichen gegen „Fremdenhass“ zu setzen, der Bund deutscher Industrieller machte sich zusammen mit der Bundesregierung Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland, Unternehmen fragten laut, welche ausländischen Mitarbeiter man denn guten Gewissens in den Osten schicken könne, die CDU war sich tatsächlich nicht zu blöde, der Bundesregierung Untätigkeit und Versagen im Kampf gegen den Rechtsextremismus vorzuwerfen und schlussendlich wurden die üblichen Prominenten durch die Zeitungsseiten gereicht, um auch alle noch einmal zu betonen, wie wichtig es sei, jetzt Zivilcourage zu zeigen. Ob sie die Zivilcourage meinten, für die etliche AntifaschistInnen in den vergangenen Jahren mit Geldstrafen oder sogar Knast belohnt wurden, bleibt offen.
Niemand sollte überrascht sein, dass diejenigen, die auf eine lange Praxis im Kampf gegen Faschismus verweisen können wie auch jene, die zu den bevorzugten Opfern von Nazis und Rassisten gehören, nicht mit ins Boot eingeladen werden. In dem Maße, wie im politischen Apparat nämlich eine bestimmte Form der Auseinandersetzung gesucht und gefunden werden soll, in dem Maße, wie sich eine bestimmte Variante von staatlichem Antifaschismus an den Erscheinungsformen faschistischer Meinungsbildung abbarbeitet, werden andere Formen des antifaschistischen Kampfes noch mehr marginalisiert werden als bisher. Jahrelang stand die Antifa oft genug alleine da, wenn es darum ging, praktischen Widerstand zu leisten. Sie tat dies vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die sich noch nicht einmal ein Problembewusstein leisten wollte.
Nunmehr – vor dem Hintergrund eines offiziellen Interesses an der Bekämpfung des Rechtsextremismus, spielt die Antifa politisch eine eher noch geringere Rolle. Ihr Monopol fällt gewissermaßen, an seine Stelle tritt eine amtlich beglaubigte Version von Antifaschismus. Deshalb ist auch gar nicht entscheidend, wie dauerhaft das Engagement der Bundesregierung und anderer gesellschaftlicher Großgruppen auch sein mag, man kann sich sicher sein, dass das Problem in der offiziellen Lesart und der öffentlichen Meinung danach weitgehend repariert sein wird.
Keine Frage. Dieser „Antifaschismus“ teilt mit dem autonomen Antifaschismus möglicherweise den moralischen Ausdruck. Politisch steht er auf einem anderen Blatt. Seine Sorge gilt dem Ansehen des Landes und durchaus auch der Unversehrtheit von Menschen, die zu den bevorzugten Opfern des Naziterrors gehören. Was ihn nicht weiter interessiert, sind die Meinungen auf deren Grundlage sich faschistische Organisierung vollzieht, ist das Spannungsverhältnis zwischen rassistischer Grundhaltung in weiten Teilen der Bevölkerung und bürgerlichen Verkehrsformen. Es ist ein Antifaschismus, der sich in diesem Land die brutalsten Auswüchse nicht mehr leisten will. Nicht mehr, aber – auch das muss gesagt werden – immerhin nicht weniger.
Was bedeutet dies für die antifaschistische Bewegung?
Politische Entwicklungen sind meist nicht absehbar, ohne ins vollends Spekulative abzudriften. Insofern kann man nur erahnen, inwieweit sich der „antifaschistische“ Aktionismus als dauerhaft erweisen wird. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sich staatliche Maßnahmen zuerst im Bereich der Repression erschöpfen werden und der Druck auf organisierte Nazis und ihre Strukturen tendenziell zunimmt. Auch die meisten gesellschaftlichen Gruppen und die Medien werden in diesem Zusammenhang vermutlich schnell zu ihrer bekannten Normalität zurückfinden. Und dennoch scheint eine gewisse Sensibilisierung unübersehbar. So ist nicht zuletzt innerhalb der Gewerkschaften in der jüngeren Vergangenheit die Bereitschaft für antifaschistisches Engagement – oft auch zusammen mit Antifas – deutlich gestiegen. Ohne den Begriff der „Zivilgesellschaft“ an dieser Stelle positiv überhöhen zu wollen – es gibt im Gegensatz zu einer verbreiteten Einschätzung innerhalb der Antifa durchaus ein Potential, das sich für den Widerstand gegen organisierte Nazis mobilisieren lässt. An diesem Punkt wird sich für uns auch die Frage nach Bündnissen und BündnispartnerInnen in einer neuen Form stellen, gleichermaßen aber auch die Frage nach der Reichweite antifaschistischer Politik. Es ist keinesfalls gesagt, dass die Auseinandersetzung mit Faschisten in der Zukunft autonomen AntifaschistInnen vorbehalten bleiben muss und niemand sollte sich darin sicher sein, dass wir in den noch folgenden Auseinandersetzungen das größte Mobilisierungspotential stellen werden. Es liegt auf der Hand, dass unter diesen Bedingungen antifaschistische Politik vielleicht noch weniger als bisher per se linke oder sogar linksradikale Politik ist.

Dies bedeutet für die Antifa nichts weniger, als ihre bisherigen Grundannahmen noch kritischer auf ihren Erklärungsgehalt zu überprüfen als bisher. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich die Relevanz der Antifa in erster Linie nicht aus ihren besonders originellen inhaltlichen Beiträgen speiste, sondern aus der Tatsache, dass sie diejenigen waren und sind, die sich am konsequentesten den Nazis in den Weg gestellt haben. Autonomer Antifaschismus speiste sich nicht zuletzt aus dem Unwillen der etablierten Politik, neonazistische Bewegungen als Gefahr wahrzunehmen. Diese Bedingungen sind in dieser Form nicht mehr gegeben, was nur heißen kann, sich von der bürgerlichen Variante des Antifaschismus, der zum Staatsauftrag geworden ist, inhaltlich abzugrenzen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, wieder zentrale Fragen nach politischen Inhalten zu stellen und eine Politik zu finden, deren zentraler Angriffspunkt die kapitalistischen und rassistischen Verhältnisse sind. Dies hat mit Nazis und ihrem Auftreten nur insofern etwas zu tun, dass die Bedingungen für linke Politik auch gegen Nazis und ihren Terror erkämpft werden müssen. Antifaschismus ist ein Abwehrkampf ohne politische Visionen. Er kann ein fehlendes Programm und nicht existente Vorstellungen für eine andere Gesellschaft nicht ersetzen. Die Antifabewegung, die für sich in Anspruch nimmt, Teil der kleinen linken Opposition in diesem Land zu sein, wird an dieser Erkenntnis nicht vorbei kommen, wenn sie nicht vollständig versagen will.



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last modified: 28.3.2007