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Die Offenbarung der selbstherrlichen Subjekte

Die „Infantile Inquisition“. Der Bahamas-Artikel und seine Ursachen

Man könnte meinen, die Bahamas hätte bei ihrer Marx-Lektüre geschwänzt und just an dem Punkt, an dem es droht, persönlich zu werden. Und auch Adorno legt den Finger in die Wunde von so manchem, völlig ahnungslosen, auf frischer Tat ertappten linken Theoretiker, wenn er darauf besteht, daß Theorie nur Sinn macht, wenn sie eine Ebene der Selbstreflexion mit einschließt.
Genau da wirft aber ein großer blinder Fleck heimlich seine Schatten in den Text – unbemerkt von seinen Autoren Wertmüller und Krug (W&K). Er läßt sie in eben jener Logik selbst verfangen bleiben, die in einer der radikalsten Stellen im Kapital als fetischisierende ‘objektive Gedankenformen’ hervorbringende eingeführt und aus der Warenform erklärt wird.(1) Im folgenden soll es darum gehen, diese unvermittelte Logik, in der argumentiert wird und die sich objektiv, universalistisch, neutral geriert und deren Form nur diese inhaltliche Gegenstandsbetrachtung in sich zuläßt, darzustellen und deren unsichtbare Vermittlung mit dem kulturhistorisch männlichen Subjekt aufzuzeigen und zu kritisieren. Denn nur wer imstande ist, die Identität des bürgerlichen Subjektes als männliches Subjekt und dies als Ausdruck gesellschaftlicher Totalität zu denunzieren, ist auf der Seite der Gesellschaftskritik.

Die vertretene Bahamas-Position zwingt geradezu eine harsche Erwiderung auf grundsätzlicher Ebene ab – hier ist sie.

1. Die Wahrheit kennt nur W&K...
oder: warum ihr Anspruch auf Objektivität, Neutralität und Universalität Ausdruck herrschaftlich-patriarchalen Denkens ist

Die Rede wird sein von der Genese des bürgerlichen männlich zugerichteten Subjekts(2) und dessen Argumentationslogik: Ontologisierung, Naturalisierung und einem spezifischen Subjekt-Objekt-Verhältnis.

Ein historischer Exkurs: Die französische Revolution (1789) und die Entstehung moderner Wissenschaften (19.Jahrhundert)

Die Gesellschaft, so wie wir sie heute vorfinden, war nicht schon immer so. Sie ist erst zu dem geworden, was wir heute vorfinden. Diese Perspektive ist ein materialistischer Grundsatz, der der Bahamas nicht fremd sein dürfte. In letzter Konsequenz gibt es also nichts innerhalb dieser Gesellschaft, was als ‘schon immer so gewesen’, als ‘natürlich’ vorausgesetzt werden könnte. Doch offensichtlich ist ihr Blick auf Gesellschaft in gewisser Weise doch nicht so grundsätzlich kritisch, vielmehr ein traditioneller und ja ich mache es explizit: ein bürgerlicher. Unkritisch verbleiben sie in jener (ebenso gewordenen und nicht ‘natürlichen’) Argumentationslogik, in die die Geschlechtsspezifik der bürgerlichen Gesellschaft förmlich eingemeißelt ist. Blind auf genau jenem Fleck also sparen sie jenen Bereich fein säuberlich aus und denken und nehmen die Welt wahr, wie die (warenförmige) Gesellschaft es uns lehrt: Die ‚gesellschaftlich-natürliche‘ Überzeugung von der Möglichkeit, eine Perspektive einnehmen zu können, die neutral, objektiv, für alle gleich gelten würde.
Diese Denkweise entpuppt sich aus der Betrachtung ihrer Genese heraus mithin aber als eine kulturhistorisch männliche und ist lediglich ein Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen sich strukturell das männliche Prinzip durchgesetzt hat: Die Gesellschaft ist eine ihrem Prinzip nach männliche.

Der Aufstieg rationalen Denkens als auch die gesamte gesellschaftliche Entwicklung war an die Konstituierung und Stigmatisierung von ‘Frauen’(3) zu niederen Wesen und schließlich an ihren totalen Ausschluß durch ‘Männer’ gekoppelt (Roswitha Scholz). Stellvertretend soll das an zwei bedeutungsvollen historischen Stationen der Menschheit deutlich gemacht werden(4):

Französische Revolution (1789)

Zu ihren allgemeinen Errungenschaften für die Menschheit wird nicht zuletzt die Menschenrechtserklärung gerechnet. Bei näherem Betrachten erweist sich dies als trügerisch: die Menschen- und Bürgerrechte wurden lediglich allen Männern(5) zugestanden, indem stillschweigend ‚Mensch‘ und ‚Mann‘ im sich damals immer mehr verfestigenden Denken identisch gesetzt wurden. An anderen Stellen wird offensichtlich, daß in der sich entwickelnden Denkweise es ‘natürlich’ war, Frauen zwar als menschliche Wesen nicht jedoch als Mensch an sich gedacht wurden. Etwa wenn es um die bürgerlichen Pflichten geht:

„Keiner ist guter Bürger, wenn er nicht guter Sohn, guter Vater, guter Bruder, guter Freund, guter Gatte ist“(6)

Den Frauen sprach man jene Voraussetzungen demnach ab, die das Menschsein im Sinne der Menschenrechte(7) überhaupt ausmacht: Sie wurden aus der (männlichen) Perspektive in ihrer gesellschaftlichen Situation weder als frei, vernunftbegabt noch als zu autonomen Handeln fähige Subjekte wahrgenommen, sondern stets abhängig – als Tochter des Vaters, Ehefrau ihres Mannes, nie als Eigenständige. Eine gewisse Verrücktheit, denn schließlich legte ein in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandener gesellschaftlicher Diskurs (unter Männern) schließlich erst fest, was man unter ‘Frau’ zu verstehen hat: Sie wird auf ein ihr „angeborenes natürliches Wesen“ und auf ihre „natürliche Bestimmung als geschlechtliches Wesen“ reduziert. Aus dieser Definition werden die ihr zugewiesenen Defizite in der Moral – die Fähigkeit, Entscheidungen fällen, Realitäten objektiv wahrnehmen und einschätzen zu können etc., (Stereotype im übrigen, auf die die Bahamas ohne mit der Wimper zu zucken, zurückgreift) und intellektuelle Defizite erklärt. Während der Mann sich primär über die dem Mensch-Sein zugeschriebenen Merkmale definiert (oder anders herum...) und sein Geschlecht lediglich sekundäre Bestimmung ist, wird die Frau als „rein geschlechtliches Wesen“ schlechthin begriffen.
Das Denken in zwei, sich ausschließenden biologischen Geschlechtern ‘Mann’ und ‘Frau’ entsteht also erst im 18. Jahrhundert.(8) An jene werden ab diesem Zeitpunkt Charaktereigenschaften als eine Zwangsläufigkeit angeheftet. Es wird zur Voraussetzung und Legitimation des Ausschlusses der Frauen aus einer sich herausbildenden Öffentlichen Sphäre und die Identifizierung der Frau mit einer davon abgespaltenen Privatssphäre(9). Die allgemeine „Idealisierung des Männlichen als (scheinbar neutrale – d. A.) Grundlage von Staat und Gesellschaft“(10) wird fundamentales Prinzip der gesamten Perspektive. Nur folgerichtig werden auch die modernen Wissenschaften im 19. Jahrhundert selbstverständlich nur durch Männer etabliert und entsteht als ein Teil der öffentlichen Sphäre. Eben als männlich Domäne (wie Politik,...), die den Ausschluß von Frauen impliziert und konstitutiv das männliche Prinzip gleichsam in sich einschreibt:

Ideologie: Das männliche Prinzip wird zur neutralen allgemeinen Gesellschaftsgrundlage

„Die Trennung von Subjekt und Objekt ist real und Schein. (...)
Zur Ideologie, geradezu ihrer Normalform, wird (sie), sobald sie ohne Vermittlung fixiert ist.“(11) Aus dieser „zwangvoll gewordenen“, verdinglichten Trennung erhebt sich herrschaftliches Denken im ontologisch gefärbten Gewand antisubjektivistischen, wissenschaftlich objektiven Identitätsdenkens – falsch wegen seines latenten, da unreflektierten und desto verhängnisvolleren Subjektivismus.

Im Entstehungsprozeß der modernen Wissenschaften kommt der Konstruktion des ‘neutralen’ Wissenschaftlers enorme Bedeutung zu. Die damit verbundene Annahme, die Betrachtung als auch die daraus gewonnene Definition irgendeines Gegenstandes durch den (männlichen) Wissenschaftler zeichne sich durch Neutralität (zum Gegenstand), Objektivität (Darstellung unter größtmöglicher Ausschaltung des Subjektiven) und Universalität (Allgemeingültigkeit für alle Betrachter) aus, verweist auf obengenannte vermeintliche Auslöschung des Subjektiven aus der Erkenntnis durch die Trennung und Distanz des Subjektes zum Objekt. Konkreter: Es verweist auf die immanente Geschlechtsspezifik dieser kulturell-historischen Erkenntnisstruktur als vom männlichen Prinzip geformte.
Jener Fetisch Objektivismus, den W&K in ihrem Artikel so eifrig vertreten, als „wissenschaftliches Prinzip, das davon ausgeht, daß Objektivität unabhängig von den Wertvorstellungen des Betrachters, von den gesellschaftlichen Realitäten existieren könne und somit prinzipiell wertfrei sei“(12) ist dann nämlich Ideologie, die ein Herrschaftsverhältnis – nämlich das patriarchale – zur Grundlage hat.
Voraussetzung für diese Prägung von Erkenntnis war die Kopplung an eine komplexe Geschlechterideologie, die sich mit dem Wechsel der Konzepte der Naturbeziehung – eingelagert in den Paradigmenwechsel der Weltbilder von einem theokratischen zu einem androzentrischen – weg von einer emphatischen Naturbeziehung hin zur Naturbeherrschung in der Neuzeit herausbildete. Dies führte über die Reduzierung zur dualistischen und hierarchisch typischen Polarisierung der Vorstellungen über Geschlechter und zur Identifikation mit einem aus dieser Kulturgeschichte heraus entstandenen Geschlechtscharakters:
Entweder mit dem Mann als Sinnbild für Vernunft/Geist/Subjekt/Erforschender/Mensch/Rationalität/... oder mit der Frau als Symbol für Natur/Körper/Objekt/zu Erforschendes/geschlechtliches Wesen/Emotionalität.

Den großen Erfolg der modernen Wissenschaften und Theorien sah man dementsprechend also in der neuen Methodologie, die die Forschung vor dem Einfluß menschlicher idiosynkratischer Motivation bewahre – eben objektive Wissenschaft total. Wissenschaftliche als auch alltägliche Erkenntnis aber hat im Laufe ihrer Entwicklung genau jenes in sich eingeschrieben, was sie von sich weist: Ein reflektiertes Bild vom Subjekt, das sich als autonom und objektiv, von der Welt der Objekte getrenntes setzt – eben Spuren des Kollektivsubjekts Mann.(13) Hinter den postulierten Merkmalen der bürgerlichen Vernunft wie Objektivität, Universalität und Neutralität scheint vielmehr das verdrängte männliche Subjektive hervor.

2. Machen wir es konkret

Reden wir also über das vermeintlich ausgelöschte (eben historisch männlich geformte und gesellschaftlich allgemein herrschende(14)) Subjektive – in den Denkformen, die aus der kapitalistischen Gesellschaft resultieren – das nach Adorno um so verhängnisvoller wird, weil es latent, maskiert, unbegriffen in der Darstellung selbst mitschwingt.
Die Bahamas ist nicht nur Claqueur im Hintergrund, sondern setzt sich mit ihrem offensiven Antifeminismus selbst an die Spitze jener bejubelten, von Antisexismusdiskussionen verschonten, Pornos benutzenden und frauenfeindlich rumprollenden „bewußtlosen Jungmännerwelt“ einer sich als irgendwo schon noch gesellschaftskritisch begreifenden Szene. Das ist ärgerlich, denn sie könnten es – entgegen manch anderen – tatsächlich besser wissen. So reihen sie sich aber in die lange Tradition der alten und leider auch neuen Linken ein, indem sie ihrerseits bewußtlos und unreflektiert so manches aus der menschlichen Entwicklung als dem Menschen natürlich Vorausgesetztes reproduzieren. Jene Manier, die Marx als spezifisch bürgerliche, d.h. aus den kapitalistischen Verhältnissen resultierende, herleitet und kritisiert. Ideologie eben.
Die sich zur Despotie aufgeschwungene Logik ihrer Argumentationsweise karikiert den explizit ausgedrückten Anspruch des Artikels – Gutes zu wollen(15), schließlich ins Abstruse. Daß allerdings auch in diesem Falle die frommen Wünsche zuweilen zu bösen Taten mutieren, wie schon Karl Kraus ironisch feststellte, können die Autoren leider nicht für sich in Anspruch nehmen: Dazu sind ihre in Anschlag gebrachten Antifeminismen doch zu manifest und fürwahr ihnen in Fleisch und Blut (!) übergegangen.

Im Artikel hat man es also mit einer Art Skelett an spezifisch bürgerlichen Kategorien und Verhältnissen zu tun, die sich in den still vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten widerspiegeln. Sie kommen als ontologisch überhistorisch beschworene Grundtatsachen daher.(16) Für Marx drücken sich in dieser Verkennung historisch gewordener Formen, in deren zwanghafter Naturalisierung die ‘objektiven Gedankenformen’ aus.

3. Vorausgesetzte Realität

Die von W&K angenommene und vorausgesetzte Realität wird demzufolge als objektive, also allgemein gültige dargestellt, aber ist es eben nicht.
Die Darstellung eines Objektes ist immer vermittelt über das bürgerliche (männliche) Subjekt und – solange unreflektiert – Ideologie. Dieser immanente Universalitätsanspruch auf alleinige Wahrheit verbindet sich dann notwendig mit der Stigmatisierung anderer Realitätswahrnehmungen als subjektive (weiblich konnotierte). Indem diese schließlich abgewehrt werden, wird der subjektive Teil am Objekt und somit ein Teil des eigenen Selbst verleugnet. Die Trennung von Subjekt und Objekt ist hier total.
So wähnen sich die beiden Autoren scheinbar völlig losgelöst vom referierten Gegenstand und schalten sich aus ihrem de facto herhalluzinierten Jenseits in die Vergewaltigungsdebatte ein. Doch sehen wir selbst:

Am Beispiel eines Vergewaltigungsvorwurfes einer Frau in Berlin exerzieren sie – beinahe mit militärischem Schneid – Definitionsversuche von Vergewaltigung durch. Die Assoziationen, die beim Lesen kommen, springen. Dennoch passen sie in unsere Gesellschaft: Mal glaubt man plötzlich von Elektrikern (und vielleicht einer Elektrikerin?) umgeben zu sein, die die Prüfung von Stromleitungen zwanghaft neurotisch fein säuberlich dokumentieren: fließt oder fließt nicht, dann plötzlich glaubt man sich in einer Horde braver Studentinnen und Studenten, die in gelernter formalistischer Manier Definitionen abarbeiten und darüber den Gegenstand vergessen. Erleichtert – wie der Anwalt eines Beschuldigten – hört man aus den Zeilen den Triumph über das entlastende Ergebnis fast heraus: Die Begriffe greifen nicht. Keine Beweise, kein Grund zur Anklage – so der Schluß der traditionellen bürgerlichen Logik, der sie folgen – ohne ihr auch nur einen Augenblick lang zu mißtrauen.

Die Lust der Frau als phantasierte Wirklichkeit „Aber eigentlich wollte sie!“

„(D)er wirkliche(n) Sachverhalt“(27) – das ist es, worum es ihnen geht. Genau das ist aber ihr Problem. In eine Anwaltsrobe gehüllt, verteidigen sie die eindeutige Wahrheit, die reine, nachprüfbare Objektivität, die schändlich vors Gericht gezerrt wird von der anrüchigen makelhaften Subjektivität – in idealiter geschlechtsspezifischer Besetzung versteht sich. Herauszufinden, was da wirklich passiert ist – um nichts weniger darf es gehen. Und fürwahr, sie wissen es – über jeglichen Zweifel erhaben – bereits vor ihrem Marsch durch die Definitionen:
Schon auf der 1. Seite erfahren wir nämlich von den beiden Zorros, die – als ständen sie selbst vor einem Gericht – rechtfertigen, daß die Frau „zunächst“ (ebd.) eben nur nicht wollte.(17) Das ‘Aber eigentlich wollte sie!’ scheint sich mit unsichtbarer Tinte dahinter zu heften und wird zur stillschweigenden, aber dafür um so bedeutungsvolleren Voraussetzung für ihre weitere Argumentation: Die Lust der Frau wird vorausgesetzt, als sei sie natürlich.
Da hilft auch nicht das „Nein“ der Frau, dem sie an anderer Stelle einfach zusätzlich voraussetzen, es sei zum „Ja“ geworden.
Die Ähnlichkeit der Argumentation zu einschlägigen Gerichtsverhandlungen, in der der vergewaltigten Frau eine Schuld unterstellt wird nach dem Motto: ‘Komm, du wolltest es doch!’, ist nicht zufällig. Auch nicht der in der Bahamas - Argumentation immanente sich daran anschließende Zirkelschluß, die Frau mit Subjektivität und (Über)Sensibilität zu identifizieren, ihr die Wahrnehmungsfähigkeit abzusprechen und selbige dem Mann automatisch zuzugestehen – schließlich ist für die beiden Autoren die Lage glasklar: Der Mann ist in ihren Augen das (auch hier wieder: eindeutige!) Opfer übler Verleumdung, während die Frau den Geschlechtsverkehr doch wollte! So reihen sie sich, ohne daß die Autoren es wohl bemerkt hätten, in eben diesen bürgerlich-männlichen mainstream ein, von dem sie sich explizit zu distanzieren vorgeben. Ausgehend von den widersprüchlichen Situationsbeschreibungen des Mannes und der Frau stellen sie sich die (falsche) Frage: Wer von den beiden erkennt die Wirklichkeit nicht? Und notwendig zieht eine solche Frage eine Antwort nach sich, die dem Gegenstand nicht gerecht wird. Sie ist selbst schon Ideologie, indem sie in dualistisch unvermittelter Logik eine eindeutige, widerspruchsfreie Lösung geben: W&K lösen die situative Widersprüchlichkeit undialektisch nach einer Seite auf, indem sie das Problem in eine Person projizieren: die Frau wird als Problemquelle festgelegt. Selbstverständlich wird vorausgesetzt, der Mann spricht die Wahrheit (es folgt: das Weib lügt oder kann sich selbst nicht begreifen – beides handfeste antifeministische Stereotype). Sie kann – letzterem folgen die beiden – nicht mit ihrer eigentlich gewollten Lustauslebung umgehen und projiziert das auf den Mann, indem sie ihn im Nachhinein bestraft. Aus dieser Perspektive ist der Mann neutral, die Frau das Übel, das Problematische. Ein Paradebeispiel für beschriebene sich neutral gebende Erkenntnisstruktur.
Vielmehr müßte die Frage jedoch lauten: Wodurch entsteht aber diese situative Widersprüchlichkeit zwischen Mann und Frau? – Denn Kritik heißt, nicht die Antworten zu kritisieren, sondern die Fragen (Marx).
Denn resultiert nicht der beschriebene Widerspruch gesellschaftsbedingt aus der geschlechtsspezifischen Realität, in der die Geschlechterrollen die Art und Weise wahrzunehmen, zu empfinden mit einschließt und ist nicht genau dieser gelebte Widerspruch dann etwas tatsächlich Gesellschaft Widerspiegelndes?
Dann allerdings wäre es schwierig mit der Wahrheit. Dann gäbe es lediglich diesen realen objektivierten Widerspruch.
Alles weitere wäre nur Konkretion: Daß sich Mann und Frau kannten, evtl. eine Beziehung hatten, ist nichts, was den Widerspruch aushebelt, sondern ihn im Gegenteil näher ins Auge faßt. Relevant ist, daß sich offensichtlich gesellschaftlich Objektives im Individuum, in Beziehungen zwischen Individuen wiedergibt.

Und so loben sie logischerweise auch die „pragmatische Weise“, durch „objektive Kriterien“, die „jenseits des subjektiven Empfindens der Opfer [Frauen – d. Autorin]“ ein „akzeptables Fundament“ (ebd.) für antisexistischen Umgang in der Politszene zu schaffen.

Immer offensichtlicher wird, daß Gesellschaft für sie etwas neutrales ist, Geschlechterverhältnis nichts, was relevant für sie wäre. Da – wie später noch detaillierter gezeigt werden wird – ihre Argumentation letztlich da vollends selbst von den Widersprüchen aufgefressen wird, wo sie die Existenz eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses trotzig verneinen, andererseits entgegen aller herbeibeschworenen „Angleichuung der Geschlechter in der Ungeschlechtlichkeit“(18)(30) aber feststellen müssen: „trotzdem bleibt die gesellschaftliche Gewalt, die immer auch Vergewaltigung miteinbeschließt, bestehen.“ (ebd.). ... da kann man nur sagen – von woher auch immer...
Da sie weder von einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur ausgehen noch in irgendeiner Weise erklären können, woher diese kommt, bleiben sie auf die innerpsychische Ebene gefesselt. Sie ist nur auf den ersten Blick für die beiden rettend, denn sie unterschlagen die Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum an dieser Stelle, obwohl sie von ihr auszugehen vorgeben.

4. Was für sie wie zum Problem wird und was nicht

Der Charakter dieses Seins enthüllt sich jedoch darin, was für das auf seinem Boden gewachsene Denken nicht zum Problem wird, mindestens ebenso klar, wie darin, was und wie etwas zum Problem geworden ist, jedenfalls ist es ratsam, beide Momente in Wechselbeziehung aufeinander zu betrachten“.(19)

Definitionsmacht

Was W&K in einer Klarheit in der Folge angreifen und was eben nicht, kickt sie fast vollends ins Aus:
Sie greifen die Definitionsmacht an, was allerdings gar nicht auftaucht, ist die ihm innewohnende gesellschaftskritische Intention und Begründung für die Existenz des Definitionsrechts. Dass eben genau jene gesellschaftlichen Verhältnisse mit diesem politischen Instrument angegriffen werden sollen, die den Frauen den Subjektstatus verwehren, können oder wollen sie nicht sehen. Gegen die „dogmatische Setzung“ der Definitionsmacht, der sie die Ausschließlichkeit der darin enthaltenen Subjektivität vorwerfen, plädieren sie im selben Moment für objektive Kriterien, im Glauben, diese seien neutral. Was sie damit einfordern, ist aber nicht mehr als die Sichtweise „Nicht, wie sie es erlebt hat so sei es, sondern wie er“. Ihre wenigen erhellenden Kritikpunkte (an der ‘Haltet den Dieb Rhetorik’, die eine Auseinandersetzung in der ‘Szene’ meist ersetzt) gehen unter jenem Motto unter und entfalten sich zu herrschaftlichen Elementen statt kritisches Potential entfalten zu können.

Lustfeindlichkeit und Bilderverbot

Sie sehen in Antisexismusdiskussionen in der Szene die Ursache für die Tabuisierung der Lust, den Herd des Übels schlechthin und den Auslöser des antifeministischen roll backs. „Selbst dran schuld!“ – könnte das Motto eben jener Logik lauten, die derselben entspricht, nach der für Manche der Faschismus aus dem Antifaschismus resultiert, doch das ist zurecht und gut (!) bereits von einem Mann kritisiert worden.(20) Doch auch hier greifen W&K nicht die fehlerhafte Form der Problematisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen an, sondern ziehen vielmehr den Schluß, dass es die Thematisierung selbst ist, die vollends nervt. Es scheint kein existentes Problem zu sein. Dagegen legen sie eine nicht zu verkennende Symphatie für jene „bewußtlose Jungmännerwelt“ – mit Anhang) an den Tag, die die ‘Tabus’ selbstlos durchbrechen, sozusagen den Kampf für die befreite allgemeine Lust aufnehmen. Und in ihrer einfach gestrickten Sichtweise kann tatsächlich dann nur folgen, daß es so richtig ist wie es ist, schließlich verhilft der Mann der Frau, die selbst gar nicht weiß, daß sie Lust hat – er aber schon – ihr zur Lust. Es wird deutlich, daß W&Ks Intention, das Definitionsrecht zu kritisieren, vollends ins Chauvinistische umschlägt, denn die Seite der Frau wird in ihrer Argumentation lediglich berücksichtigt durch unterstellte Ontologien und stereotype Bilder. Die Lust des Mannes ist auch die Lust der Frau. Ihr „Entzücken“ über die Jünglinge findet eben auch erst da eine Grenze, wo für sie mit zu eindeutigen Begriffen wie „Fotze“ hantiert wird. Sie beklagen das Bilderverbot und finden es „keineswegs automatisch unsympathisch“, wenn „ein Kerl, der Sexmagazine liest (?), sich dabei einen runterholt“. Worauf sie scheinbar gar nicht kommen, ist, daß es nicht die Selbstbefriedigung ist, die hier kritisiert wird, sondern die Pornos, die krasse Übersteigerung der Objektivierung der Frau (als Gebrauchsmittel) ist, denn die Vorstellung von der Lust der Frau ist immer lediglich eine männlich geprägte, da gesellschaftliche Vorstellung.

„Patriarchatsgeschwafel“

So verwundert es auch nicht, daß an dieser Stelle verstaubte Antifeminismen, die einst von bürgerlicher Seite gegen die Frauenbewegung in Anschlag gebracht, hier von den beiden vertreten werden, unterschiedslos gegen all jene, die überhaupt das Geschlechterverhältnis als hierarchisches zu thematisieren wagen. Ihr Jargon entpuppt sich als jener, der früher Frauen als sexuell frigide, prüde, hysterisch, unbefriedigt denunzierte, genau dann, wenn sie aus der ihr zugewiesenen Rolle ausbrachen und speziell, wenn sie die herrschenden Sexualitätsnormen in Frage stellten. (in W&Ks Text kann man alles wiederfinden von: „frigide“, „eine Gemeinschaft der Unbefriedigten“, „Hysterie“, „Sittlichkeitsapostel“, bis zum „prüden Eiferertum“, nur das eben nun auch jene Männer eingeschlossen sind, die es als Problem anerkennen).
Was sie davon halten, bricht aus den Zeilen unverholen hervor, wenn von „Patriarchatsgeschwafel“ die Rede ist. Und dass sie mit der deutschen Volksgemeinschaft doch nicht völlig gebrochen haben, zeigt sich in ihrer Bewertung der Diskriminierung der Frauen: Erst wenn die Diskriminierung von Frauen gewalttätige Züge annimmt – und das ist eine bedenkliche Analogie, die derzeit für die öffentliche Diskussion (also in der deutschen Volksgemeinschaft) um Fremdenfeindlichkeit genauso prägend ist: Als Problem wird nämlich in erster Linie die Gewalt und nicht die dafür auslösenden ideologischen Einstellungen von einer Ungleichwertigkeit von Menschen gesehen. Deutlich macht sich das in ihrer Definition von Vergewaltigung als „bewußten Bruch fremden Willens unter Ausübung von Gewalt oder ihrer Androhung zum Zweck der Benutzung eines Körpers zur Befriedigung der eigenen Lust“, ebenso an ihrem Begriff von ‘Verführung’. Sie, die vorliegt, solange ein Mindestinteresse beim ‘Objekt’ vorhanden ist, hat weite Grenzen: „Die alltägliche aggressive Anmache“ ist für W&K eben auch noch Verführung, obschon sie gestehen, daß dies gar nicht mehr auf das Einverständnis des begehrten ‘Objektes’ abzielt und als „Gewaltakt“ eigentlich völlig intolerabel sei. Mit ihrer Defintion berühren sie eher zufällig ein Argument, was sich stehenden Fußes gegen sie richtet: Denn eine Vergewaltigung ist nur eine, wenn der Täter selbst merkt, daß es nur sein Wille, nicht dagegen ihrer ist, Sex zu haben. Erstaunlich nahe kommt man hier plötzlich wieder an ihren Präzedenzfall: Denn was, wenn sie nicht wollte und das ‘Nein’ eben doch für das ‘Nein’ steht? Ihre Auslegung der Situation ist eine andere: Indem sie voraussetzen, daß ein ‘Nein’ bereits automatisch zum Spiel gehört, in denen die Spielfiguren der „Überwältigung und die Freuden der Passivität“ lustvoll sein können, gibt es für die Frau keine Möglichkeit, ihr Nichtinteresse so zu äußern, daß es als genau das ernst genommen wird. Genau da fängt Gewalt an. Auch hier eine gefährliche Nähe zu bürgerlichen antifeministischen Argumentationsweisen, in denen beispielsweise die Lust der Frau dann als belegt gilt, wenn sie mit einem Mann einen Abend verbringt und mit ihm auf ein Zimmer geht. Daraus ist mitnichten zwangsläufig zu schließen, daß sie mit ihm Sex haben will, als ob es nichts anderes gäbe. Ebenso ist ihre klare Trennung zwischen gespielten Figuren, die auf hierarchischer Ungleichheit basieren und der Realität ein Trugschluß: Schließlich ist es nicht zufällig so, daß es diese Figuren mit geschlechtsspezifischen Konnotationen gibt und entgegen ihrer Argumentation ist der Fakt, daß es selbiges auch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gibt, eben Anzeichen dafür, wie eingefahren die zwangsheterosexuellen Zuweisungen in dieser Matrix sind, daß nichts anderes denkbar ist.
Spätestens da fragt man sich, ob sie nicht eigentlich genau den Gesellschaftszustand zurückholen wollen, von dem sie später sagen, er hätte sich heute erledigt, denn letztenendes klingt in ihrer weinerlichen Art Angst „vorm inneren Politkomissar“, der mit ins Bett kommt, an: keine störenden Fragen, keine Reflexion, nicht stören lassen im bewustlosen Tun. Daß Auseinandersetzung mit Sexualität zwangsläufig in Angstschweiß endet, betont ihre Sichtweise auf die Dinge, die wiederum ausschließt, daß es befreiend sein kann. Über Sexualtität zu reden, über Sexualität der Frau ist dann fragwürdig, wenn Männer diskutieren und ihre Erkenntnisse eben zu Wirklichkeit festklopfen.

Also muß auch für W&K die Frau tatsächlich nachweisen, dass der Mann ihren Willen gebrochen hat (und nicht genug, sie muß beweisen, daß Gewalt im Spiel war)
In diesem Kontext verlieren die wenigen Ansätze von Lichtblicken im Text an Bedeutung: Ihre nachvollziehbare Kritik an Forderungen wie „Lebenslänglich raus aus allen Zusammenhängen“, wenn die Auseinandersetzung über die Verhältnisse, die eigene Konstitution ausbleibt, und an den Projektionsmechanismen der Szene, indem sich unheilige Allianzen bilden, die zur Jagd auf den Vergewaltiger ansetzen. Auch hier scheint sich ihre Antriebsquelle eher aus tiefverwurzelten Ressentiments zu speisen, denn verschweigen oder sehen sie nicht den politischen Charakter dieses Instrumentariums: Denn genau weil in den bestehenden Verhältnissen der Frau nicht geglaubt wird, ihr Mitschuld/Lust unterstellt wird, eine Position eingeräumt wurde, die ihr Sicherheit geben soll.

5. Das Märchen von der Karrierefrau und „die gesellschaftliche Gewalt“, die „bleibt...“

Zweifellos avanciert der mit „Patriarchat“ überschriebene Absatz im Text zum unangefochtenen Lieblingsabschnitt, der sogar ins Mystische abdriftet:
Kurz: Gehen sie wohl davon aus, daß es ein Patriarchat im Sinne einer repressiven Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen einmal gab, sich aber mittlerweile in Wohlgefallen aufgelöst hat – bis auf den genitalen Unterschied versteht sich. Der Kapitalismus macht danach alle so gleich, daß schon jetzt eine „Angleichung der Geschlechter in der Ungeschlechtlichkeit des keinen physischen und sozialen Ballast mehr duldenden Konkurrenzkampfes“ gibt. Als unzweifelhafte Argumente werden ins Feld geführt, daß es weder die patriarchale Kleinfamilie à la 19. Jahrhundert mehr gibt noch eine restriktive Auferlegung von Sexualtabus im Sinne von Verbot des Geschlechtsverkehrs für Frauen vor der Ehe. Dazu läßt sich eigentlich nur sagen, daß wir im 21.Jahrhundert leben und sich natürlich die Gesellschaft ein wenig verändert hat(21). Ganz entschieden stellt sich aber die Frage, wovon sie eigentlich ausgehen, wenn sie die gesellschaftlichen Veränderungen für Frauen so überaus positiv einschätzen? Eine derart die Realitäten negierende Einschätzung ins Positive kann nur zustande kommen, wenn eine gewisse „Natürlichkeit“ (Neutralität, Ungesellschaftlichkeit) der scheinbar längst vorübergegangenen patriarchalen Verhältnisse unterstellt wird. Das nennt man gemeinhin Naturalisieren und Ontologisieren(22) und ist: Ideologie, unbegriffene Denkform - auf anderen Ebenen wissen sie das auch.... Das verweist auf ihre implizit angelegte Norm: das hierarchische Geschlechterverhältnis als neutrale gesellschaftliche Grundlage zu betrachten und das strukturelle Herrschaftsmoment auszublenden. Frauen können doch froh sein, letztenendes so sein zu dürfen, wie Männer. Ihre Intention aber, mit diesen Beispielen zu zeigen, daß die Frau heutzutage doch alles kann und damit das Geschlechterverhältnis als etwas unerhebliches zur Seite gelegt werden darf, wird damit keineswegs auch nur ansatzweise begründet: Denn die Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft ist das eingewobene und die gesellschaftlichen Normen setzende männliche Prinzip, das – bisher allen Veränderungen, die der Kapitalismus bisher so mit sich brachte – widersteht.

Ihre Beispiele stehen recht schwach auf den Füßen, denn die Tatsache, daß der Umgang mit der Sexualität der Frauen sich gesellschaftlich – und auch in sich links-definierenden Kreisen (!) recht traditionell bürgerlich von Doppelmoral geprägt ist: Man überlege nur, wie eine Frau betrachtet wird, die (real oder vermutet) mehrere Geschlechtspartner oder -innen hat und wie dagegen ein Mann (nicht in irgendwelchen öffentlichen politischen Plena, sondern im abgetrennten privaten Stammtischgespräch) bewertet wird.
Auch mit der Auflösung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie ist das so eine Sache: Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß die bürgerliche Familie sich nicht geändert hat: die Frau bleibt nicht mehr selbstverständlich zu Hause, das Bild des postmodernen Mannes ist nicht mehr nur das Familienoberhaupt und der Ernährer, sondern integriert heute auch das Bild vom liebenden Vater und Lebensgefährten, der sich auch um die Kinder kümmert. Jedoch bleiben die der Gesellschaft zugrunde gelegten patriarchalen Grundstrukturen erhalten: Denn auch heute geben Frauen immer noch an, mehr als 2/3 des Haushalts machen zu müssen – und das selbst dann, wenn die traditionellen Geschlechterrollen ‘vertauscht’ und der Mann zu Hause bleibt. Gleiches gilt für die Tätigkeiten um die Betreuung von Kindern: Auffallend ist hier nämlich die geschlechtsspezifische Prägung des Bezugsrahmens, indem die Tätigkeiten von Mann und Frau stattfinden: Während Männer mehrheitlich Tätigkeiten übernehmen, die im Bereich des öffentlichen Bereiches liegen, d.h. auch gesellschaftlich wahrnehmbar zu sein – wie etwa Arztbesuche mit den Kindern, Spielplatzbesuche etc., steht die Frauen mehrheitlich weiterhin ans Heim gefesselt und macht die Wohnung sauber etc. und ist damit gesellschaftlich unsichtbar. Mit diesen Tätigkeiten sind auch andere Wertigkeiten verbunden, Tätigkeiten sind im Falle des Mannes positiv bewertet, während die der Frau sowieso selbstverständlich sind. Die Frau bleibt trotz einer hinzugekommenen beruflichen Identität die Zuschreibung an den nichtgesellschaftlich definierten, d.h. privaten Reproduktionsbereich gebunden. Sie ist einerseits nun dadurch doppelt vergesellschaftet, andererseits herrscht strukturell das männliche Prinzip in und mit der öffentlichen Sphäre als hierarchisch gesetzte über die gesamte Gesellschaft fort. Das heißt: Klar dürfen Frauen nun mitmischen, allerdings nur wenn sie sich den herrschenden Prinzipien unterwerfen. Damit ist auch gesagt, daß die Träger eines solchen herrschenden männlichen Prinzips mitnichten nur Männer sind. So ist auch ihr Verweis darauf, daß es sogar im Kapitalismus mittlerweile Karrierefrauen gibt, einer, der nicht angegriffen werden zu braucht, denn er steht als absolut hochgepushte Ausnahme für sich (Karrierefrauen im universitären Bereich machen z.B. 5% der C4-Professuren aus). Den Frauen wird lediglich zugestanden, genau wie Männer zu werden. Das aber impliziert bereits die Norm an der die Gleichheit gemessen wird: am Mann. Somit ist die unbestrittene Angleichung der Geschlechter nicht „ungeschlechtlich“ oder um es klarer zu fassen: „neutral“, was die darin enthaltene unhinterfragte ideologische Dimension, etwas als ‘neutral’ zu definieren, was bereits eine geschlechtsspezifische männliche Struktur in sich trägt, offenlegt.
Hat man einmal festgelegt, die Gesellschaft gibt Mann und Frau dieselben Möglichkeiten, kann man dann auch endlich von „privaten Gemeinheiten“ palavern, die Männer Frauen antun. Man ist frei von jeder Verantwortung, hat ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis einfach in individuelle Streitigkeiten, in den Privatbereich abgeschoben. Ihrer Forderung - von all dem Patriarchatsgeschwafel angenervt – endlich Standardregeln einzuführen, weil „mehr nicht möglich ist“, zurrt den vorstellbaren Veränderungsrahmen aufs für sie Erträgliche gehörig zusammen: Werdet uns gleich oder haltet die Klappe!, heißt die Message in etwas deftigeren Worten. Daß ihnen dann im Zusammenhang mit ihrem ständig vertretenen Anspruch auf Gesellschaftskritik skeptisch zu begegnen ist, ist nur konsequent, denn wie Horkheimer ausdrückte:

„Sei mißtrauisch gegen den, der behauptet, daß man entweder nur dem großen Ganzen oder überhaupt nicht helfen könne. Es ist die Lebenslüge derer, die in der Wirklichkeit nicht helfen wollen und sich vor der Verpflichtung im einzelnen konkreten Fall auf die große Theorie hinausreden. Sie rationalisieren ihre Unmenschlichkeit....“(23)

Unmißverständlich wird hier von all jenen, die die Gesellschaft in Gänze kritisieren wollen, ein radikalkritischer Blick auf die Gesellschaft eingefordert, der sich notwendig um die radikalfeministische Kritik an und auch um Erkenntnis- und Subjektkritik erweitern muß. Ohne jene Ideologiekritik bleibt radikalkritische Gesellschaftskritik, die das Ganze angreifen will, verstellt und selbst ernstzunehmender Angriffspunkt. Und das ist ein Unterschied ums Ganze.

Grit
Dieser Text wurde in einer Arbeitsgruppe des Frauenkoordinierungstreffens diskutiert. Ein zweiter Text folgt in der nächsten Ausgabe.

Fußnoten:

(1) K. Marx: Das Kapital. Bd. 1 S.90
(2) ausführlicher über die kulturhistorische Zurichtung zum „identische(n), zwechgerichtete(n) männliche(n) Charakter des Menschen“ ist nachzulesen in Horkheimers/Adornos „Dialektik der Aufklärung“ im Kapitel „Der Begriff der Aufklärung“ (1969) S. 33 . Zudem lohnt sich fürwahr die Frage, ob die Bahamas – die sich in der Tradition der Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer sehen – diese und andere Stellen bewußt und geflissentlich einfach überlesen hat oder ob sie diese als verzeihbaren Fehler der beiden alten Männer großzügig zur Seite wischen.
(3) In Anführungszeichen, denn die dualistische Vorstellung von sich ausschließenden Identitäten „Mann“ und „Frau“ ist nicht überhistorisch, sondern erst eben im 17./18. Jahrhundert entstanden. Geschlechtscharaktere, also was etwa ihn und was sie ausmachen soll, wurde erst da in der heute selbstverständlichen Weise mit brachialer Gewalt als einzig geltende Norm durchgesetzt. Sehr empfehlenswerte Literatur siehe Fußnote 7
(4) aber es gibt eine Fülle von Literatur dazu, siehe A. Maihofer, R. Scholz und nicht zuletzt ganze Forschungsrichtungen
(5) mit Ausnahme der jüdischen Männer
(6) zit. nach Andrea Maihofer et al (Hrsg): Differenz und Gleichheit. Darin: Gleichheit nur für Gleiche? Vgl. Markov (1986):Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789-99. Leipzig, S.679
(7) Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht hier sehr wohl um radikale Kritik auch an den Menschenrechten. Schließlich sind sie lediglich Ausdruck der bürgerlichen (männlichen) Subjektivität.
(8) vertiefend: Karin Hausen: Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere. (Über den Übergang von einem Eingeschlechter-Modell zu dem für uns heute als scheinbar natürlichen Zwei-Geschlechtermodell im 18. Jahrhundert)
(9) Diese geschlechtsspezifischen Zuschreibungen sind nicht ausschließlich als totale Verdinglichung in den beiden Sphären zu verstehen, wirken sie doch in der gesamten Gesellschaft.
(10) Georg Mosse (1985): Nationalism and Sexuality. Respectability and Abnormal Sexuality in Modern Europe. New york S.17, zit. nach Sander L. Gilman (1994): Freud, Identität und Geschlecht. F./M.
(11) Th. W. Adorno: Zu Subjekt und Objekt. In Gesammelte Schriften Bd.10.2. S742
(12) Duden. Das große Fremdwörterbuch S.962
(13) Evelyn Fox Keller (1986): Liebe, macht und Erkenntnis. Männliche oder Weibliche Wissenschaft?
(14) Somit rettet W&K eben auch nicht der legitimatorisch-funktionale Verweis auf Frauen, die das teilen, was sie da von sich geben. Dies zeigt lediglich die ideologische Dimension objektiver Gedankenformen.
(15) : Die Lust zu befreien. Dies ist ein voraussetzungsvolles Unterfangen, was die Aufhebung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses verlangt, welches sie offenbar noch nicht mal sehen. Ohne das ist sie eben nicht zu haben.
(16) Ernst Lohoff: Zur Kernphysik des bürgerlichen Individuums. Was immer man von der Krisentheorie der (wie alle Theoriegruppen männlich dominierte) Krisis-Redaktionsgruppe auch hält, möchte ich die Krisis an dieser Stelle wohltuend aus dem Rest an LinkstheoretikerInnen hervorheben: Zumindest versucht sie – sicherlich auch nicht ganz freiwillig - in Publikationen/Diskussionen die Konsequenzen der radikalfeministischen wertkritischen Wertabspaltungstheorie von Roswitha Scholz mitzudenken. Was keinesfalls auf das Sympathisantenfeld übertragbar ist.
(17) Daß sie sich im Kampf um die Wahrheit auf genau dasselbe stützen, was sie den Interim-Autoren moralisch vorwerfen – nämlich auf ein Gerücht –, nur ganz nebenbei.
(18) Wer sich über den backlash der Geschlechterbilder ein scharfes Bild machen will, schaue doch mal beim „girls camp“ rein.
(19) G. Lukacs: Die Verdinglichung und Bewußtsein des Proletariats. S. 212
(20) AntisexistInnen auf Abwegen? In Prasses Erben Nr.8, Zeitung des Roten Stern-Fußballclubs in Leipzig
(21) Gleichwohl ist die patriarchale Grundstruktur der Gesellschaft nach wie vor erhalten.
(22) etwas als überhistorisch Bestehendes – eben „Natürliches“ voraussetzen
(23) Horkheimer(1987): Man kann nur dem Ganzen helfen. In Dämmerung. Gesammelte Schriften Band 2. Philosophische Frühschriften 1922-32.F/M



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last modified: 28.3.2007