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Neue Wege der Kritik?

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Die Leipziger Ausstellung „Fotografie und kritische Praxis“ des HGB(1)-Absolventen Maik Schlüter untersuchte Stellenwert und Möglichkeit von zeitgenössischer Fotografie, sich mit gesellschaftlichen Zuständen auseinanderzusetzen.

Kunstbegriff und Kunstbetrieb sind pervertiert – so lautet das einhellige Credo der Kritiker von Adorno bis Diedrichsen, die sich mit der Möglichkeit gesellschaftlicher Einflußnahme von Kunst im 20. Jahrhundert auseinandergesetzt haben. Schuld daran ist der bürgerliche Kunstbetrieb, dessen Stichworte Ästhetizismus, Beschaulichkeit und Museumskultur eine bürgerliche Institutionalisierung von Kunst vorangetrieben haben. Der bejahende Charakter bürgerlicher Kunst spielt gleichsam eine widersprüchliche Rolle: „Sie entwirft das Bild einer besseren Ordnung, insofern protestiert sie gegen das schlechte Bestehende. Aber indem sie das Bild einer besseren Ordnung im Schein der Fiktion verwirklicht, entlastet sie die bestehende Gesellschaft vom Druck der auf Veränderung gerichteten Kräfte. Diese werden in einem idealem Bereich gebunden. Insofern die Kunst dies leistet, ist sie im Marcuseschen Sinn des Wortes ‘affirmativ’.“(2)
Dies hat schwerwiegende Folgen für eine kritische Praxis. Ein Anrennen gegen diese Zustände scheint aussichtlos, da die freie künstlerische Produktion durch die Mechanismen des allgegenwärtigen Kulturbetriebes untergraben und Kritik als systemkonstituierend aufgesogen und präsentiert wird. Zu groß ist der Druck, der sich aus der Notwendigkeit des Verkaufs von Kunst ergibt und der beispielsweise darin gipfelt, daß in der Bundesrepublik die Industrie und das Bankwesen die bedeutendsten nichtstaatlichen Kunstförderer sind. Auch die von den Avantgardisten als Lösung postulierte völlige Autonomie der Kunst konnte sich nicht von den Vereinnahmungstendenzen des Kulturbetriebes lösen. Bald wurde erkannt, daß die Forderung nach absoluter Autonomie der künstlerischen Produktion weder wünschenswert noch möglich ist, da sie nur um den Preis der völligen Wirkungslosigkeit zu realisieren wäre. Mit Adorno nun gleich das Ende von Kunst zu formulieren, drängt sich unter dem Eindruck der Verhältnisse nachgerade auf. Aber man kann auch mit den Worten des amerikanischen Fotografen Allan Sekula antworten, der der Gradwanderung zwischen den Entfaltungsmöglichkeiten kritischer Kunst und dem gefrässigen Monolith kapitalistischer Kulturbetrieb folgendermaßen entgegnet: „Wenn es keine sozialen Bewegungen gibt, können Künstler, deren Stellung ohnehin geschwächt ist, nichts anderes tun, als gewisse Ideen für die Diskussion am Leben zu erhalten. Politik ist das Projekt von sozialen Bewegungen und nicht des einzelnen Künstlers.“
Wie in der bildenden Kunst wirken dieselben Mechanismen auch im Bereich der Fotografie. Sie entwickeln hier sogar einen größeren Einfluß, ist die fotografische Untermalung der Berichterstattung doch elementarer Bestandteil der massenhaft und facettenreich verlegten Publizistik. In zusätzlichem Maße stehen kritische Positionen somit in einem diametralen Gegensatz zu Forderungen, die ein am tagespolitischen Geschehen interessierter Journalismus an die Fotografie stellt. Die Frage nach der verbleibenden Möglichkeit von Fotografie, nicht als akzeptiertes und statisches Element gesellschaftlichen Ausdrucks zu fungieren, war deshalb Thema einer Ausstellung des HGB-Absolventen Maik Schlüter, die im vergangenen Monat im Steibs Hof gezeigt wurde. Die Ausstellung folgt den Ergebnissen der Diplomarbeit Schlüters, die unter dem Titel „Fotografie und kritische Praxis“ eben jenes Spannungsverhältnis von Fotografie und praktischer Einflußmöglichkeit thematisierte. Zu diesem Zweck wurden fotografische Arbeiten präsentiert, die sich sowohl politisch und kritisch motiviert verstehen, die aber auch den Inhalt ihrer Arbeit begrifflich in Beziehung zu gesellschaftlichen Fragen setzen. Quasi als Kritik an der Kritik ist den Arbeiten, die nicht als repräsentativ gelten sollen, dennoch aber das Spektrum möglicher Sprechweisen engagiert kritischer Fotografie aufzeigen, gemein, daß sie ihre Entstehung, Wahrnehmung und Aussagemöglichkeiten im gleichen Maße hinterfragen, wie sie sie als Mittel kritischen Ausdrucks benutzen.
An einem Beispiel: Die Serie Stefan Römers, „Was kostet es, öffentlich zu sein?“, thematisiert anhand der Darstellung vorwiegend innerstädtischer Momentansichten den Wandel öffentlicher Räume zu privatisierten, der Kontrolle und Reglementierung weniger obliegender Bereiche. Als konzeptioneller und bildlicher Rahmen unterstreicht die Gegenüberstellung von engagierter Straßenfotografie, wie sie heute noch im Bildjournalismus als relevantes Ausdrucksmittel praktiziert wird, um das soziale Gefüge zu beschreiben, eben diesen Wandel sowohl auf inhaltlicher als auch auf darstellender Ebene. Gleichzeitig wird mit begleitenden Bildunterschriften eine Kontextualisierung vorangetrieben, die in stärkerem Maße als geläufig eine Einordnung als kritische Fotografie fordert. Man kann darüber streiten, ob die gelegentlich schon als mit der „Holzhammermethode“ agierend bezeichnete Arbeit Römers nun den Stein der Weisen in Sachen kritischer Praxis bedeutet. Aber man wird nicht daran vorbei kommen, sie, genauso wie die anderen gezeigten Arbeiten, als Wegweiser zu verstehen, auf welche Art und Weise kritische Fotografie zukünftig gesellschaftskritisch relevant und glaubwürdig zugleich funktionieren kann.

Fotos aus der Serie, 32.4k
"gewisse Ideen für die Diskussion am Leben zu erhalten"


Nun ist das gegenwärtige Verhältnis von Kunst und Linken verständlicherweise nicht gerade als stürmische Liebesbeziehung zu bezeichnen. Sicherlich ist es richtig, dem vorherrschenden Verständnis von Kunst und seiner praktischen Umsetzung aufgrund fehlender Politisierung und Reflexion gesellschaftlicher Zustände Belanglosigkeit vorzuwerfen. Nur sollte daraus kein Generalvorwurf erwachsen, der letztendlich bedeutet, ein Mittel der Kritik aus den Augen zu verlieren. Übertragen auf die Leipziger Verhältnisse setzt Schlüters Konzeption von der Umsetzung kritischer Praxis, die in naher Zukunft Fortsetzung erfahren soll, in zweierlei Hinsicht neue Maßstäbe: Es erscheint einerseits als Hoffnungszeichen, daß man „plötzlich“ auch in Leipzig von Arbeiten aus dem HGB-Umfeld doch noch kritische und nicht dem bloßen Selbstzweck dienende Positionen erwarten kann, ja daß der Schar der zukünftigen HGB-Absolventen sozusagen der Spiegel vor die Nase gehalten wird. Andererseits lädt sie dazu ein – und das sollte trotz aller im Leipziger Süden grassierender Berührungsängste möglich sein – den Kritikbegriff und damit mögliche Betätigungsfelder linker Politik zu erweitern und an praktischer Stelle zu überprüfen.
Boris

(1)HGB=Hochschule für Grafik und Buchkunst
(2)Zit. nach Peter Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt/Main 1974, 68.


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last modified: 28.3.2007