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Der Traum vom Matriarchat

Das Buch „Der feministische ‘Sündenfall’“ setzt sich mit dem Antisemitismus in der Frauenbewegung auseinander
Kein Cover, 0.0k

Der feministische “Sündenfall“?:

Antisemitische Vorurteile in der Frauenbewegung

Charlotte Kohn-Ley ; Ilse Korotin (Hg.). Mit Beitr. von Johanna Gehmacher ....

Wien : Picus-Verl., 1994. - 263 S.

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Das im nachfolgenden besprochene Buch „Der feministische ‘Sündenfall’?: Antisemitische Vorurteile in der Frauenbewegung“ stellt eine Sammlung von Beiträgen dar, die von feministischen Theologinnen und Historikerinnen zum Thema Antisemitismus und Frauenbewegung verfaßt wurden. Die Textsammlung erschien 1994 und ist im Buchhandel vergriffen. Sie macht die Auseinandersetzungen transparent, die innerhalb der deutschen Frauenbewegung zu antijudaistischen und antisemitischen Äußerungen in derselben geführt oder unterlassen wurden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die christliche Frauenbewegung gerichtet. Der Aufsatz von Susanne Heine „Die feministische Diffamierung von Juden“ setzt sich beispielsweise damit auseinander, wie sich die Matriarchatsforschung antisemitische Äußerungen zunutze machte, um ihren Anspruch des Antipatriarchalismus zu verteidigen. Verschiedene katholische Theologinnen wie Gerda Weiler oder Christa Mulack sehen das weibliche Geschlecht im Einklang mit der Natur, während das männliche die eigene biologische Benachteiligung durch eine soziale Benachteiligung der Frauen auszugleichen versuche. Das ontologische Gutsein des weiblichen Wesens ist für sie der entscheidende Schlüssel zur Frauenbefreiung, doch die Juden, so kann man bei ihnen lesen, hätten alles Verderben über die Welt gebracht: der Judengott sei für das Patriarchat, für Kriege, christliche Hexenverbrennungen, in letzter Konsequenz sogar für das Nazi-Regime verantwortlich. „Die ethische Dimension menschlichen Handelns kann dann nur noch als rigorose, heteronome Gesetzlichkeit wahrgenommen werden, die Männer zum Zwecke der Frauenunterdrückung erfinden. Wird diese ontologisch festgeschriebene Geschlechterdifferenz in die Geschichte projiziert, entsteht das explosive Gemisch eines ebenfalls ontologisch untermauerten Antijudaismus, der mit seiner Rede vom ‘wesenhaft’ Jüdischen fließend in den Antisemitismus übergeht.“(1) Nun mag es für die Linke weniger interessant sein, was sich feministische Theologinnen zu sagen haben, aber das Buch bietet darüber hinaus auch historische Komponenten, die sich damit beschäftigen, welche Rolle Frauen während des Nationalsozialismus als Täterinnen spielten und wie ihre Geschichte in der feministischen Literatur der Neuzeit dargestellt wird. Einen interessanten Beitrag liefert Johanna Gehmacher, die sich in ihrem Artikel „Feministische Geschichtsforschung und die Frage nach Antisemitismus von Frauen“ der Frage stellt, inwieweit Antisemitismus in der feministischen Geschichtsforschung thematisiert wurde. Ihr Ergebnis war nicht sehr ermutigend, denn immer dort, „wo in antisemitischen Texten das Geschlechterverhältnis angesprochen ist, verweisen Historiker mit pathologisierenden Begriffen gern an Psychologie und Psychoanalyse weiter.“(2) Ihr geht es vor allem um die Untersuchung von Zusammenhängen und Interferenzen zwischen Judenemanzipation und Frauenemanzipation und darüberhinaus um die Frage, inwiefern um Emanzipation kämpfende gesellschaftliche Gruppen in Konflikten, die sie nicht unmittelbar betreffen, herrschaftskonform und rigide sein können. Gehmachers Resultat bezüglich ihrer Quellenstudien ist, daß Wissenschaftlerinnen, die sich mit dem Thema Frauen im Nationalsozialismus beschäftigen, oft die These aufstellen, Frauen seien nur Opfer von Nationalsozialismus und Faschismus. Das Wahlverhalten von Frauen ab 1930 (der Anteil der Frauenstimmen für die NSDAP nahm seit dieser Zeit zu) soll nach Meinung einiger Historikerinnen signalisieren, daß Frauen Parteien wählten, die eine Förderung der Familien versprachen. Dies sei vorrangig mit dem Mangel an Arbeitsplätzen, durch den die Emanzipation „ohne Basis“ blieb, zu erklären. Antisemitismus erscheint nicht als Aspekt der Zustimmung von Frauen zum NS. Wiederum verwies Marion Kaplan 1981 darauf, daß sich bereits bis 1933 eine antisemitische Haltung vieler Mitglieder des Bundes Deutscher Frauen (BDF) manifestiert hatte. Bezug nimmt Gehmacher auch auf einen Beitrag der Zeitschrift „Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis“(3). Die Autorinnen beschäftigten sich hier mit der Unsichtbarmachung von Juden und Jüdinnen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, insbesondere aber im feministischen Diskurs. „“Hier sehen sie vor allem in der von ihnen konstatierten Vorstellung, ‘alle Frauen seien Opfer des NS gewesen’, eine spezifisch feministische Form der Ausgrenzung von Jüdinnen.“(4) Gehmachers Aufsatz endet mit der Forderung, „viel intensiver als bisher Fragen nach der Beteiligung von Frauen an Bewegungen wie dem politischen Antisemitismus aufzuwerfen. Haben Frauen eine Rolle in diesen Bewegungen gespielt, und wenn dem so ist, aus welchen Motiven? ... Inwiefern spielt Geschlecht als Kategorie in antisemitischer Ideologie eine Rolle? ...“(5)
Ebenfalls wesentlich, von den insgesamt acht im Buch vereinigten Beiträgen, erscheint mir Susannah Heschels Studie unter dem Titel: „Konfigurationen des Patriarchats, des Judentums und des Nazismus im deutschen feministischen Denken“. Sie problematisiert die Analyse deutscher Feministinnen, die die „Mentalität“ des Nazismus und des Holocaust als patriarchale Phänomene zu fassen suchte. „Die deutschen Feministinnen haben den einzigartigen Schluß gezogen, daß die Moral des jüdischen Patriarchats analog zum Moralverständnis des Nationalsozialismus zu verstehen sei.“(6) Interessant sind auch ihre Anmerkungen zur Relativierung des Holocaust innerhalb der Frauenbewegung, die die Verfolgung und den Mord an Hexen im Laufe der europäischen Geschichte als Holocaust an Frauen bezeichneten. Weitere Auseinandersetzungen mit feministischen Aufsätzen zum Thema bringt sie zu dem Schluß, daß „das Liebäugeln“ mit dem Opfer-Status eine zentrale Rolle im deutschen feministischen Antisemitismus spiele. „Der feministischen Theorie inhärent – und besonders betont im deutschen Feminismus – ist die Sicht von Frauen als Opfer des Patriarchats anstatt von Subjekten der Geschichte... Obwohl Feministinnen zum Ziel haben, für Frauen den Status des Subjekts zu erlangen, betonen sie zugleich den Opfer-Status der Frauen. Solche Theorien können benützt werden, um den Opfer-Status, Handlungsunfähigkeit und das Freisein von Verantwortung zu formulieren.“(7)
Insgesamt sind die Beiträge des Buches sehr informativ und bilden eine gute Einführung in die Problematik. Viele Fragen bleiben dennoch offen und spiegeln die Schwierigkeiten wider, die entstehen, wenn frau ihrer Geschichte nicht direkt ins Auge sieht.
Anne

Fußnoten
(1) Der feministische „Sündenfall“?, S. 33
(2) ebd., S. 132
(3) Jacoby, Jessica: Was „sie“ schon immer über Antisemitismus wissen wollte, aber nie zu denken wagte. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. – 13 (1990) 27. – S. 95 ff.
(4) Der feministische „Sündenfall“?, S. 146
(5) ebd., S. 152
(6) ebd., S. 161
(7) ebd., S. 182



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last modified: 28.3.2007