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Am 09. Dezember 1999 fand im Amtsgericht Leipzig eine Verhandlung gegen den Kriegsgegner Andreas Z. wegen Verletzung der Bestimmungen des Versammlungsgesetzes statt. Er wurde zu einer Geldstrafe von 400,- DM auf ein Jahr Bewährung verurteilt sowie gegen ihn eine Verwarnung (in Höhe von 200,- DM, an die Suchthilfe zu zahlen) ausgesprochen, weil er sich bereit erklärte, eine Demonstration anzumelden. Dieses Urteil ist folgenschwer für alle, die von ihrem verfassungsmässig verbrieften Recht auf sogenannte Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen.
CEE IEH dokumentiert zwei Erklärungen, die jeweils vor und nach dem Prozess abgegeben wurden.
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Verspätetete Rache

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Unter der Headline „Gegen den NATO-Krieg! Kriegstreiber Deutschland stoppen! Deutschland halts Maul!“ hatten am 22. Mai 1999 etwa 300 Menschen gegen den zum damaligen Zeitpunkt schon 60 Tage andauernden Krieg der NATO in der BR Jugoslawien demonstriert.
Andreas wurde vorgeworfen, einen Verstoss gegen das Versammlungsgesetz begangen zu haben, in dem er vor Ort gegenüber der Polizei die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Demonstration übernahm. Während der Demonstration kam es zu keinerlei Zwischenfällen, die den rechts- und ordnungspolitischen Anspruch der BR Deutschland in Praxi tangierten. Im Nachgang, quasi als Akt verspäteter Rache, soll Andreas nun zusätzlich die Verantwortung dafür unterschoben werden, dass den Ordnungsbehörden in Person des Leipziger Ordnungsamtes die Absicht zur Durchführung einer Anti-Kriegs-Demonstration nicht entsprechend der gesetzlich definierten Fristen angezeigt wurde. Mit einem bereits erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichtes Leipzig wurde Andreas zu einer Geldstrafe von 900,- DM bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt. Die Verhandlung am 09. Dezember 1999 begründete sich auf seinen Einspruch gegen den Strafbefehl und endete, wie weiter oben bereits geschildert, mit der Verhängung einer Geldstrafe von 400,- DM auf ein Jahr Bewährung sowie einer Verwarnung.
Der Strafbefehl und die Verhandlung stellt sich als ein Akt nachträglicher Kriminalisierung bekennender KriegsgegnerInnen, PazifistInnen, HumanistInnen und AntimilitaristInnen dar. Die Anstrengung Andreas’, einer vorgeblichen rechtsstaatlichen Ver-(Be-)-handlung zu unterziehen, stellen juristische Prinzipien in Frage. Das nach der Motivation des Handelns der Akteure einer Tat (?), das cui bono (Wem nützt es?) der alten Lateiner und das der Verhältnismässigkeit (auch der Mittel). Denn für das Erstere steht die Motivation aller TeilnehmerInnen der Demonstration, sich wenigstens gegen den Krieg zu artikulieren, wenn schon die gesellschaftlichen Umstände dieses Landes keine unmittelbareres Handeln gegen den Krieg ermöglichen. Andererseits steht die Sanktion bezüglich einer verletzten Rechtsnorm (Versammlungsgesetz) in keinem Verhältnis zur Verletzung bürgerlich-kapitalistischen Anspruchsrechtes wie Charta of United Nations oder des Grundgesetzes der BR Deutschland, welche im Krieg gegen die BR Jugoslawien realisiert wurde.
Es stellt sich deshalb die Frage, wer denn nun die Verantwortlichen für den Krieg zur Rechenschaft zieht?
Welches Gericht dieses Landes zieht die „Auschwitz-Relativierer“ von ROTzGRÜN, die Schröder, Scharping oder Fischer zur Verantwortung, die einen Krieg auch deswegen führen, weil ein deutscher Aussenminister zu blöd und zu geschichtslos-unfähig ist, seinen Kindern den Unterschied zwischen Milosevic und Hitler zu erklären.
Während in der BR Deutschland antisemitische Demonstrationen und ebenso demonstrative wie gefährliche Anschläge auf jüdische Gedenkstätten und Museen zunehmen (1995: 79 registrierte antijüdische Straftaten; 1997: 96 und 1998 bereits 106; vgl. „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ Nr. 19/99 vom 17. September 1999) wird von offizieller Regierungsseite das Szenario einer vorgeblichen „Massenvernichtung“ an den zur (völkischen) Ethnie stilisierten „Kosovaren“ aufgemacht. Die Shoa, das singuläre Verbrechen der Deutschen, wird in einer Art relativiert, die Erschauern über die zu erwartende neue „Normalität“ der „Berliner Republik“ auslöst. Lehren aus der Geschichte zu ziehen, über Schuld nachzudenken erübrigt sich für dieses Land sowieso, da es sich permanent als Opfer alles Bösen gegen das kulturell höherwertige Deutschsein versteht, reicht gerade bis zum letzten gesprochen Wort. Rückwärtige Selbstreflexion geht bekennenden Deutschen von jeher ab oder reicht gerade aktuell bis 1989.
Das Verfahren gegen Andreas hat aber noch einen anderen Aspekt: Es könnte einen Präzedenzfall für die zukünftig mögliche Wahrnahme des Grund-(gesetzlichen)-Rechtes auf freie Meinungsäusserung dahingehend geschaffen werden, dass Exekutive und Judikative dieses Staates zukünftig bestimmen nicht nur wie und wann, sondern ob überhaupt eine solche erlaubt sei. Frei nach dem Motto: Krieg ist möglich, weil er fristgemäss angekündigt wurde, Protest dagegen aber nicht, weil...???

Wir fordern Freispruch für Andreas.
Wir fordern die Einstellung aller Verfahren, denen GegnerInnen des Krieges der NATO und Deutschlands unterzogen wurden und werden.
Wir solidarisieren uns mit Samir F. dem angeblichen Werfer des Farbbeutels gegen Josef Fischer während des Sonderparteitages von B 90/Die Grünen vom Mai 1999.

Ökologische Linke / Regionalgruppe südliche EX-DDR, Kontakt: 0341 – 56 49 26 9

Cui bono? Wem nützt es?

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Erklärung des Angeklagten Andreas Z. während seines Prozesses vor dem Leipziger Amtsgericht

Demoplakat, 6.3k Demoplakat, 5.9k Ist die alte lateinische Fragestellung nach dem Nutzen, dem Motiv des Handelns jener, welche die gemeinhin als RECHT formulierten Interessen anderer Menschen verletzt zu haben scheinen. Ohne Herleitung der Motivation schien im alten römischen Imperium kein Richterspruch möglich.
Die Anstrengung dieser Verhandlung soll mir deshalb die Gelegenheit geben, genau auf die Motivation meines hier unter Strafandrohung gestellten Handelns einzugehen.
Während hier darüber verhandelt wird, dass ich möglicherweise verantwortlich sei dafür, dass Menschen sich dagegen aussprechen konnten, dass andere Menschen anderswo mit Krieg überzogen wurden und noch heute an seinen Folgen leiden, demonstrieren hierzulande immer wieder bekennende Antisemiten und Nazis. Oft anonym, durch Schändung jüdischer Friedhöfe und Gedenkstätten/Museen wie in Berlin am 31. August 1999, als die Ausstellung „Für Juden verboten“ in einem Akt manifesten Antisemitismus demonstrativ abgefackelt wurde.
Oder mit behördlicher Genehmigung (!) – Hauptsache irgendeine rechtliche Unterklausel ist gewahrt – durften GegnerInnen des Holocaust-Mahnmals am 2. Oktober 1999 vor der „Neuen Wache“ in Berlin ihre menschenverachtende Gesinnung demonstrieren. Dabei feinst und säuberlichst abgeschirmt von der uniformierten Repräsentanz des Staates. Fast täglich verprügeln und jagen Nazis MigrantInnen (manchmal zu Tode) und andersdenkende Menschen. Alles demonstrative Handlungen, bei denen Exekutive und Judikative hilflos zuschauen, weil ihnen vorgebliche rechtliche Handhabe fehlt, obschon ihr moralisierendes Entsetzen ungebrochen gross zu sein scheint.
Demoplakat, 5.8k Demoplakat, 5.8k In einem Land, wo 1200 angeblich Prominente dem Pseudoliteraten Walser dafür stehend Beifall spenden, dass er die Shoa, das singuläre Verbrechen der Deutschen in der Geschichte, als „Moralkeule“ relativiert und dabei nur zwei Menschen (Ida und Ignatz Bubis) sitzen bleiben, dem letzteren späterhin sogar sein politisches Testament umgedeutscht wird, in solchem Land kann es auch möglich sein, dass Millionen ehemaliger von den Nazi-Deutschen entgeltlos-ausgebeuteten ZwangsarbeiterInnen und deren Anwälten ihr Drängen auf Entschädigung nach über einem halben Jahrhundert, antisemitisch codiert, als blosse Gewinnsucht unterstellt wird.
Eine Regierung, deren Aussenminister und immer noch in Meinungsumfragen (?) beliebteste Politiker Josef Fischer zu blöde und geschichtslos-unfähig ist, seinen Kindern den Unterschied zwischen Milosevic und Hitler zu erklären, demonstriert in Jugoslawien, bereits zum dritten Male in diesem Jahrhundert, neu gewonnenes deutsches Selbstbewusstsein, denn anders ist solche pseudo-demokratische Willkür wie die Auslösung von Bomben- und anderen Angriffen der NATO nicht zu bezeichnen.
Und wenn ein deutscher Verteidigungsminister seine deutschen (Bundeswehr-) Soldaten, demonstrativ in vollem Uniform-Wichs durch das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz führt, an sich schon eine Verhöhnung der Opfer, um anschließend deren Kriegseinsatz in Jugoslawien auch noch mit einem vorgeblich analogen Verbrechen an den BewohnerInnen des Kosovo zu alibieren, stellt dies eine neue, spezifische Form der Auschwitzverleugnung dar, wie sie nur/erst in der „normalen“ Berliner Republik, unter der Regierung einer von den „68ern“ aufgeklärten „Mitte“ möglich sein konnte.
Wer denn nun stellt solches unter Strafe?

Cui bono?
Die Frage, die bei jeglicher Handhabung von Jurisprudenz zur Determinante erhoben werden sollte (!), steht auch im Mittelpunkt dieses Verfahrens. Und zwar ausdrücklich, wenn mensch sich fragt, wem etwa es nütze. Der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, dem Recht oder noch anspruchsvoller der freiheitlich demokratischen Grundordnung?
Mir ist es nicht klar!

Während in der BR Jugoslawien – zumindest in dem Rest, den auch deutsche Aussenpolitik den Post-Titoisten unter Milosevic noch übrig gelassen hat, damit sie es mit einer Mischung aus westlichen Demokratieelementen und zentralistischen Methoden beherrschen konnten (wie im Kosovo praktiziert) – über siebzig Tage NATO-Bomben Menschen in Angst und Schrecken versetzten und heute tausende SöldnerInnen einer oder mehrerer diffuser „Staatengemeinschaften“ martialische Präsenz zeigen, und dabei mehr und grössere Konflikte auslösen, als sie vor dem EINMARSCH in Jugoslawien zum Anlass der Bombardements hatten, soll mir hier ein Prozess gemacht werden, dessen Nutzen nur folgendem dienen kann:

a) Bekennende KriegsgegnerInnen, AntimilitaristInnen, HumanistInnen und PazifistInnen werden kriminalisiert, mindestens aber stigmatisiert. Dabei wird, ohne das der Justiz so heilige Prinzip der Adäquanz überhaupt zu tangieren, einem nahezu faszinatorischen Phänomen, das selbst nach bürgerlichem (Anspruchs-)Recht wie Charta of United Nations und/oder Grundgesetz der BR Deutschland, rechtswidrig sein könnte, was irgendwelche internationale Gerichtshöfe, ob in Den Haag oder sonstwo, überhaupt nicht interessiert, mein hier zur Disposition stehendes Handeln als Mensch, dafür, dass Menschen solche bleiben können und nicht von permanenter Drohung und Praxis der Bombenangriffe getötet, verletzt oder traumatisiert werden, gegenüber gestellt.
b) Es wird möglicherweise ein Präzedenzfall für die Wahrnahme meines und des grundsätzlichen Rechtes anderer Menschen auf freie Meinungsäusserung dahingehend geschaffen, dass Exekutive und Judikative dieses Staates zukünftig bestimmen nicht nur wie und wann, sondern ob überhaupt eine solche erlaubt sei.

Was mit diesem Verfahren vollzogen wird, ist ein Akt des Anti-Totalitarismusmainstreams, eine Handlung alleinig am Verlauf und an ihrem Ergebnis zu messen und nicht in Relation zur Motivation des/der handelnden Menschen zu setzen.
Ich werde mich aus diesem Grunde auch nicht verteidigen, denn dafür müsste ich mich zuallererst einmal schuldig fühlen, und dies tue ich nicht. Im Gegensatz zu ihrer Position, denn sie müssen mir meine Schuld beweisen. Dazu noch folgende Bemerkung. Recht ist das Gegenkonstrukt zum Unrecht, es ist der gesellschaftliche Konsens darüber, was als Interesse (Recht) und was als Interessenverletzung (Unrecht) zu gelten hat. Dieser Konsens ist im ständigen Diskurs und kein Status quo. Und am Phänomen von Krieg muss dieser Diskurs zumindest eine neue Qualität erlangen und nicht weiterhin in historischer Abwarteposition verharren. Statt ein Gericht dieser Welt auch nur einen der für den Balkan- und andere imperiale Kriege juristisch Verantwortlichen belangt, oder zumindest deren Motivation hinterfragt, kühlt mensch lieber sein Mütchen an FarbbeutelwerferInnen (auf kriegslüsterne Minister) und vorgeblichen NichtanmelderInnen von Antikriegsdemonstrationen. Muss nicht auch ein unabhängiges Gericht dieser Instanz dem Grundsatz treu bleiben, dass Recht immer nur ein Nachtrab gesellschaftlicher Entwicklung sein kann, und deshalb geltendes gegenüber jeglicher höherer Instanz permanent zur Disposition stellen, statt es in autoritärer Form restriktiv umzusetzen?
Andreas Z.


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last modified: 28.3.2007