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review-corner, 1.6k

Saul K. Padover:

Lügendetektor

Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45

Frankfurt/Main: 1999, 44,- DM

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Buchtitel, 22.2k
„Welch irritierende Vorstellung, daß sich alle Deutschen schuldig gemacht hatten - die einen durch ihre verbrecherischen Taten, die anderen durch Wegschauen... am Ende fanden weder ich noch andere Leute eine nennenswerte Zahl von Oppositionellen, die offen oder versteckt gegen das Hitlerregime gekämpft hatten, sondern nur erbärmliche Mitläufer.“

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Dreiundfünfzig Jahre hat es gedauert bis Padovers Gesprächsprotokolle, die Ende 1944 bis März 1945 aufgezeichnet wurden, in Deutschland erscheinen konnten. Nachdem Goldhagen sich mit Deutschland ausgesöhnt hat, dürften Padovers Notizen die Deutschen zwar mehr oder weniger interessieren, aber zu größeren Gefühlswallungen wird es wohl nicht mehr kommen. Eine deutsche Geschichtsschreibung, die Täter- und Opfergruppen gleichsetzt, die den Mythos vom „guten Deutschen“, der nichts vom Holocaust wußte, aufrechterhält und die die alleinige Schuld für die deutschen Verbrechen bei den faschistischen Machthabern sucht, wird wohl auch Padover auf die ein oder andere Weise in Ungnade fallen lassen.
Saul K. Padover wurde 1905 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren. 1920 wanderte er mit seiner Familie in die USA aus. 1938 wurde er persönlicher Referent des Innenministers. 1943 wechselte er in die Abteilung für Psychologische Kriegsführung nach London. 1920 und 1931 hatte er in Deutschland gelebt und galt deshalb als Deutschlandspezialist. Seine Kenntnisse über die Hitlerdeutschen bei seiner Landung in der Normandie stammten jedoch nur aus zweiter bzw. dritter Hand. Die Aufgabe der Abteilung für Psychologische Kriegsführung bestand darin, „die ideologische Mauer zu sprengen, die Goebbels rings um Deutschland errichtet hatte“. Dazu bedurfte es aber der Kenntnis darüber, was in den deutschen Köpfen vor sich ging. Padover führte Interviews mit Vertretern aller sozialen Gruppen, vom Arbeiter bis zum Pfarrer, von der Lehrerin bis zum Nazibonzen, und kam bald zu der Erkenntnis, das „es noch lange nicht zu Ende war“. Nach einem seiner ersten Interviews in einer Ortschaft nahe Aachen mit deren Bürgermeister Wagemann, der vorgab ausschließlich Befehlen gehorcht zu haben, lautete Padovers Fazit: „Durch das Gespräch mit Herrn Wagemann wurde mir zum erstenmal der Zusammenhang zwischen ‘guten’ Deutschen und Gaskammern klar. Es bestand eine logische Verbindung zwischen Vernichtungslagern und August Wagemanns Haltung.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten Padover und sein Kollege noch die Hoffnung, daß Wagemänner die Ausnahme seien, und daß es in Nazideutschland auch Widerstand gegeben haben müsse. Im Verlauf der Gespräche mußte er jedoch feststellen, daß sich die Deutschen fast ausnahmslos als Opfer ihres Führers sahen und in Selbstmitleid ertranken. Padover beginnt, sie mehr und mehr zu verachten und entwickelt im Verlaufe seiner Darstellung eine antideutsche Haltung. Seine Sympathie gilt ausschließlich den Zwangsarbeitern aus Osteuropa und den Soldaten der Roten Armee, bei deren Charakterisierung er jedoch allzuoft in Stereotypenbeschreibungen verfällt.
Im Gegensatz zu Goldhagen kommt Padovers Buch nie dahin, Deutschland einen Persilschein für seine gelungene demokratische Entwicklung auszustellen. Schon 1945 schien klar zu sein, daß die Deutschen ihre Schuld am Holocaust auch in Zukunft verdrängen und verharmlosen würden. Ihre Unterwürfigkeit, ihr Selbstmitleid und ihre Gleichgültigkeit waren das Schlimmste.
Bei einer Lesung in Aachen 1999 reagierten die deutschen Zuhörer wie gewohnt: „Alles Lüge“, es sei ja „modern auf die Deutschen einzudreschen“, die Stadt würde besudelt und „da müßte die Stadtverwaltung mal ein klärendes Wort sprechen.“ Die Parallelen von 1944 zu 1999 sind in diesem Beispiel eindeutig.
Neben seinen Interviews mit den Deutschen und dem damit verbundenen Wunsch, Deutschland bald verlassen zu können, berichtet Padover auch über andere Aspekte, die mit dem Kriegsende in Zusammenhang stehen. So hatte die amerikanische Militärverwaltung die schwierige Aufgabe, die deutschen Städte wieder funktionstüchtig zu gestalten. Dafür gab es keine klar formulierte politische Linie und anstehende Fragen wurden je nach dem Standpunkt des jeweiligen Offiziers gelöst. „Militärverwaltungen werden daher fast jede Person einstellen, die ihnen geeignet erscheint, beim Wiederaufbau der Stadt kompetent mitzuwirken. Und so stützt man sich auf Nazis und Nazisympathisanten...“
Ein typisches Beispiel für das deutsche Bewußtsein spiegelt ein Interview mit einer Lehrerin wider. „Ob sie politische Fächer unterrichtet oder ihren Schülern von politischen Begebenheiten erzählt habe? ‘Um Gottes willen, wo denken sie hin!’ rief Frau Pernitz schockiert. ‘Ich habe nur Lesen und Rechnen unterrichtet. Vorgelesen habe ich einfache, unpolitische Kindergeschichten, etwa aus dem Leben unseres Führers....’ Frau Pernitz Augen leuchteten bei der Erinnerung an die Kindheit des Führers. Kein einziges Mal kam ihr das Wort Hitler über die Lippen, stets verwendete sie ‘der Führer’ und sprach die Worte ehrfurchtsvoll und verzückt aus.“ F.M.

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Persilwerbung in Leipzig, 1945, 15.8k Persilwerbung in Leipzig, 1999, 7.6k

Leipzig 1945 und 1999


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last modified: 28.3.2007