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review-corner, 1.6k

Rohloff, Joachim:

»Ich bin das Volk.«

Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik

Hamburg: 1999, 22,80 DM

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Buchtitel, 9.3k
Ein Buch aus der konkret-texte-Reihe beschreibt den politisch-literarischen Werdegang des „geistigen Brandstifters“ (I. Bubis) Martin Walser, analysiert die von ihm provozierte Debatte und erklärt ihre „befreiende“ (Walser) Wirkung in der deutschen Öffentlichkeit.
, 0.0k Als Martin Walser vor einigen Monaten den Friedenspreis des deutschen Buchandels verliehen bekam, hielt er eine Dankesrede, die schon schnell als Manifest der selbstbewußten Nation verstanden wurde. Nicht nur von den wenigen Kritikern, sondern insbesondere von den Befürwortern, den Spitzen der deutschen Gesellschaft, die ihren neuen Liebelingsliteraten schon kurz nach der Verkündigung des neuen deutschen Testaments mit stehenden Ovationen dankten, wurde kapiert, daß sich hier ein nicht ganz unprominenter Intellektueller in aller Offenheit die Mühe machte, die Deutschen von der nationalsozialistischen Vergangenheit, von Auschwitz zu erlösen.
Der hoch dekorierte Nationaldichter wetterte damals gegen die „Dauerpräsentation unserer Schande“ oder die „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ und schimpfte im Zusammenhang mit dem geplanten Holocaust-Mahnmal von der „Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum“. So gab er dem geschichtspolitischen Unterfangen, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, einen prätentiösen Ausdruck. Gleichermaßen Motivation und Ergebnis der Debatte sind ein, sozusagen unbefangener, Nationalismus, der für Walser sicher eher eine „innerliche“, emotionale Bedeutung hat, für die Eliten aus Politik und Wirtschaft vor allem aber mit konsequenter Interessenpolitik übersetzt werden kann. Kein Wunder, daß auch bekennende Nazis applaudieren, wenn es darum geht, sich wieder ungestörter nationalen Dingen zuwenden zu können. Daß manche von ihnen lieber ein neues Auschwitz statt eines vergessenen wünschten, spielte beim Beifall der Braunen wohl eher aus pragmatischen Erwägungen keine Rolle.
Die antinationale Linke hat die Tragweite der Walser-Debatte schnell erkannt. Im publizistischen Flaggschiff „konkret“ analysierte man schnell, oft und scharf und veröffentlichte darüberhinaus unter der Autorenschaft von Joachim Rohloff, in der konkret-texte-Reihe, die sich herausragenden Themen der Linken widmet, einen diesbezüglichen Band. Der Autor, langjähriger Mitarbeiter von „konkret“ und „Jungle World“, lieferte damit das Beste, was es zum Thema derzeit zu lesen gibt. Schon nach den ersten Seiten wird ersichtlich, daß Rohloff weiß, wo er die Debatte hinstecken muß: „Des geschichtspolitischen Projekts der Rechten, nämlich Deutschland vom Nationalsozialismus zu entlasten, hat Walser sich angenommen, und die ganz breite neue und alte Mitte scheint ihm zu folgen.....Wer möchte nach der Walser-Debatte noch dafür garantieren, daß im Falle, der deutsche Angestellte verliert während einer Wirtschaftskrise neben seinem Job auch seine T-Aktie, zum Spekulanten nicht wieder das traditionelle Beiwort paßt.“ Abgesehen davon, daß schon heute ein Drittel der Deutschen nicht nur latent sondern manifest antisemitsich eingestellt sind, also den Spekulanten als jüdisch charakterisieren, ist damit erstmal eine grundlegende Bewertung der Walser-Debatte vollzogen, die den Zusammnehang zwischen Nationalismus und Antisemitismus und das Zusammenspiel der politischen Spektren beachtet.
Schön, daß in diesem Buch der Bemühung, über Walsers rechte Absichten aufzuklären, indem man sie die ganze Zeit mit fast spiegelgleichen Äußerungen irgendwelcher semi-populären Nazigrößen vergleicht, nicht allzu viel Raum gegeben wird. Auch wenn sowas vielleicht ganz gut verdeutlicht, wie weit rechts der politische Mainstream heutzutage steht, verschleiert eine solche Betrachtung doch oft Ursache und Wirkung. Die Walser-Debatte wurde nicht vom Nazimob auf der Straße, nicht von der Nationalzeitung und auch nicht von den möchtegern-modernen Rechten der Jungen Freiheit angezettelt. Reputierliche Persönlichkeiten der „politischen Mitte“ wie „Spiegel“-Herausgeber Augstein, „FAZ“-Chef Schirmacher, Kanzler Schröder etc. führten das Wort und den Nazis blieb dabei nicht viel übrig als beifällig zu staunen. Es braucht in Deutschland gerade keine dumpfen Braunen, um schwerwiegende Rechtsentwicklungen voranzutreiben. Daß doch immer wieder zuerst nach ihnen geschaut wird1, ist sowas wie ein Reflex, der moralisch in Ordnung, historisch nicht unbegründet aber politisch gerade wenig sinnvoll ist.
So hat denn auch die Nachzeichnung einer deutschen Schriftstellerkarriere mehr Erklärungskraft als die Dokumentation dessen, was ein Schönhuber oder Frey in den Diskurs plärren.
Die meisten wissen es, Walser war deutscher Kommunist und Schriftsteller. Als Roter wurde er gedisst und damit auch seine Dichterei nicht gemocht, als er nur noch deutscher Literat sein wollte, klappte es auch mit dem Dichter-Ruhm. Rohloff zeichnet diese Entwicklung anhand des politisch-literarischen Outputs nach, und was das betrifft, kann man sich auf die „konkret“-Autoren verlassen, sie finden mit Sicherheit die Fixpunkte einer politischen Karriere. Oder wie sagt es in weiser Voraussicht der Delinquent Walser selber: „Wie das, was ich hier zu sagen versuche, durch selektives Zitieren wieder zu einem rechtsextremen Horrortext gemacht wird, das ahne ich nicht einmal.“
Bei Rohloff, so kann man Walser antworten, geschieht es durchaus anspruchsvoll und vor allem ist die Beweisführung wenig mißverständlich. Wer 1979 jammerte, „mir kommt es so vor, als hätten sich unsere Intellektuellen nach 1918 vom Volk getrennt und hätten seitdem die Erfahrung, die man im Volk, mit ihm oder durch es hatte, verdrängt“, und im selben Jahr schon prophezeite, „wenn wir Auschwitz bewältigen könnten, könnten wir uns wieder nationalen Aufgaben zuwenden“, der sollte sich eigentlich nicht so gerieren und auch mal ein klares Wort zur eigenen Positionierung wagen. Aber Walser ist deutscher Dichter und nicht-mehr-Kommunist, so schwebt er über den politischen Gräben von links und rechts. Er ist das Volk.
Auch andere wollen das sein, und diejenigen, die das während der Debatte in vernehmlicher Form geäußert haben, bekommen dann auch im besagten Buch ihr Fett weg. Inhaltlich ist das Buch also relativ vollkommen, über die Form kann man sich streiten.Was manchmal an der „konkret“-Szene ein bißchen nervt, ist diese allgegenwärtige Art den Walsers und ihren noch-rechteren Freunden ihre Blödheit anhand orthographischer Schwächen nachzuweisen. Ein falsches Komma da, ein fehlender Artikel dort, hier ein „sic!“, da ein „(Rechtschreibung im Original!)“ und schon ist man dem rechten Dummi auf der Spur. Irgendwie ließt sich dieser Stil aber immer auch als Bewerbungschreiben ans deutsche Bildungsbürgertum mit dem man eigentlich nicht soviel zu tun haben will. Oder? So lange der linke Bildungsdünkel nicht solche Ergebnisse zeitigt, wie bei einer Antifa-Aktion in Dessau, als die linken Löwen den anrückenden Nazi-Schlägern entgegenbrüllten, „wir haben euch was mitgebracht - Abitur“, und sich dann verprügeln ließen, läßt sich darüber hinwegsehen.
Im Anhang des Buches ist ein Gespräch des konkret-Herausgebers Gremliza mit Ignatz Bubis dokumentiert.
Bubis, seinerzeit der erste und eigentlich auch der einzigste, der in der deutschen Öffentlichkeit eine wahrnehmbare Gegenposition zu Walser bezog, ihn vorübergehend als „geistigen Brandstifter“ bezeichnete, zieht hier bereits eine Bilanz seiner Intervention, die er ein paar Monate später im Magazin „stern“ für sein gesamtes Schaffen verallgemeinern sollte und die danach für einige Aufregung sorgte. „Ich habe wenig erreicht. Es ist im Gegenteil so, daß die Mehrheit, von der Walser sagt, daß sie seine Rede als befreiend empfunden habe, sich ermutigt fühlt.“ Wenige Monate danach kann diese Mehrheit erneut aufatmen, der Kontrahent Walsers ist tot und einiges deutet daraufhin, daß die Verbitterung über die deutschen Zustände, über die Walsers und über den allgegenwärtigen Antisemitismus sein Ableben beschleunigten.
Seinen späten Ansichten über die nicht vollzogene Wandlung der Deutschen zum Trotz und auch entgegen der symbolischen Wirkung seines letzten Willens, sich aus Angst vor Anschlägen auf sein Grab in Deutschland, in Israel beerdigen zu lassen, wird man ihm nur als deutschen Patrioten gedenken wollen oder ihn eher früher als später vergessen.
Damit wird auch noch der Tod von Bubis zum tragischen Zeichen für sein Scheitern. Denn die Deutschen machen mit der Vergangenheit und denen, die dafür stehen, was sie wollen. Wenn's sein muß auch einen Angriffskrieg, wie mittlerweile bekannt ist. Von Juden läßt man sich dabei nicht mehr reinreden, und wenn sie tod sind, ist‘s gleich egal.
frank


1So beschäftigt sich zum Beispiel eine der ersten linken, zusammenfassenden Veröffentlichungen zur Walser-Debatte mit den Reaktionen auf die Friedenspreisrede besonders in der „rechtsextremen Presse“. Vgl.: Martin Dietzsch u.a. (Hg.): Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers. Duisburg 1999


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last modified: 28.3.2007