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Auschwitz aus dem Weg räumen.

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Wofür Martin Walser mit seiner Rede steht

Diskussionen um die deutsche Vergangenheit laufen immer mal wieder mehr oder weniger intensiv diskutiert in den Medien und der Öffentlichkeit ab. In den letzten Jahren wurde dieses Thema aber auf Grund verschiedener Ereignisse (Wiedervereinigung, Asylgesetzgebung, Goldhagen-Debatte, Schwarzbuch-Diskussion, Nazierfolge bei Wahlen) nahezu nicht mehr losgelassen und auf heftigste Art und Weise über den Holocaust und das Verhältnis deutscher Vergangenheit zur Gegenwart diskutiert. Während sich über historische Fakten tatsächlich an verschiedenen Stellen noch streiten ließ (Die These, daß die meisten der Deutschen vom Holocaust wußten und Antisemiten waren, ist seit Goldhagen zu mindest anerkannter als vorher.), existieren über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit in Deutschland kaum noch unterschiedliche Meinungen. Vielmehr herrscht darüber Einigkeit, alles daran zu setzen, endlich wieder den Weg zu einer normalen nationalen Identität zu finden. Eines wird hierbei immer wieder deutlich: Eine Diskussion um die Vergangenheit hatte und hat in Deutschland nur ein Ziel: Ein freies, unkontrolliertes und souveränes Deutschland, dessen Bewohner wieder ganz normal stolz auf ihr Land sein können! Das war Intention für Bitburg (1985), wo der damalige Kanzler Helmut Kohl mit Ronald Reagan gemeinsam vor den Gräbern von SS-Soldaten, diese als ‘normale’ Opfer des Krieges ehrte, Motivation des Historikerstreits, bei dem die Schuld Deutschlands am 2. Weltkrieg und am Holocaust relativiert werden sollte und das ganze konnte letztlich in der Wiedervereinigung gipfeln, bei der sich ohne große Widerstände die beiden deutsche Nachkriegsstaaten unter dem völkischen Motto „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ vereinigen konnten und ein unkontrollierter deutscher Staat entstand.
Mit der Rede Martin Walsers vom 11.10.98 ist wieder ein neuer Schritt nach vorne gewagt, Deutschland von seiner „historischen Last“ zu „befreien“. Hintergrund für diese Rede und ihre nachfolgende Debatte waren die Stichworte Berliner Republik und Jahrhundertwende. Alles wird neu – alles alte wird ins Geschichtsbuch verfrachtet.
Dementsprechend lief auch die Diskussion um die Rede Walsers ab. Niemand wollte ihn so recht kritisieren und die Diskussion verlief auch nicht unbedingt sehr kontrovers – ein Volk wehrt(e) sich auf der einen gegen Ignatz Bubis auf der anderen Seite, der dem Volkshelden (1.200 Personen applaudierten bei Walser stehend) – angesichts seiner Rede – „geistige Brandstiftung“ vorwarf.
Bubis habe die Rede Walsers nicht richtig gelesen, er hätte sie mißverstanden oder er wäre einfach nur „bösartig“, meinten die Walser-Verteidiger, derer sich zur genüge fanden.
Daß Bubis Meinung unter den 1.200 Personen nicht verstanden werden wollte und wohl auch unter den restlichen Deutschen nicht, kann nicht verwundern, hat Walser doch nur das ausgesprochen, was ‘das Volk’ schon lange denkt. „Die ... wollen uns (den Deutschen) wehtun, weil sie finden, wir haben das verdient“ sagt er und meint dabei alle diejenigen, die gesellschaftlichen Rassismus und Antisemitismus erkennen und sich auch noch erlauben, das offen kund zu tun. Für Walser aber haben diese Erscheinungen schon lange nichts mehr mit seinem so normalen deutschen Volk zu tun.
Weh tun will aber auch jeder, da ist sich Walser sicher, der die Deutschen an Auschwitz erinnert. „Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird.“
Genauso ist auch Walsers Begriff einer ‘Instrumentalisierung’ von Auschwitz zu verstehen, den er überall dort anwendet, wo Gefahren einer Kontinuität des nationalsozialistischen Deutschland im Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung erkannt wurden und werden. Diejenigen, die diese Kontinuitäten erkennen und sie aufzeigen, sind dann laut Walser auch diejenigen, die ‘instrumentalisieren’, um den Deutschen „weh zu tun“. In Walserscher Redensart heißt das ganze dann folgendermaßen: „Jemand findet die Art, wie wir die Folgen der deutschen Teilung überwinden wollen, nicht gut und sagt, so ermöglichten wir ein neues Auschwitz. Schon die Teilung selbst, solange sie dauerte, wurde von maßgeblichen Intellektuellen gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Auschwitz.“
Was Walser aber unter ‘Instrumentalisierung’ versteht, ist folglich jeder Hinweis auf Auschwitz, der das derzeitige Geschehen beeinflussen könnte. Und das ist bei ihm fast alles, sei es ein Film im Kino oder das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin. Jede Erinnerung an das deutsche Verbrechen wird bei Walser zu einer „Routine des Beschuldigens“ zusammengefaßt.
Nun könnte man antworten, daß zumindest in den Medien eine tatsächliche ‘Instrumentalisierung’ von Auschwitz stattfindet, wenn z.B. versucht wird, das Thema für kommerzielle Zwecke zu verwerten. Betrachtet man sich allerdings die Walsersche Argumentation, so merkt man schnell, was sein eigentliches Ansinnen ist, wenn er von Instrumentalisierung spricht: von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen. Gerade im Bezug auf eine sogenannte ‘Instrumentalisierung’ in Filmen stellte die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung fest, daß die Frage nach der Legitimität solcher Filme eine typisch deutsche Frage ist: „Da regt sich der leise Verdacht, daß es diesen Kritikern möglicherweise gar nicht so sehr um Rücksichtnahme auf die Opfer geht, sondern daß sie pro domo sprechen. Denn hierzulande mag man immer noch nicht allzu genau hinschauen, was da von der Generation der Väter und Großväter
walser bei seiner rede, 9.0k
Walser bei deiner Rede
angerichtet wurde. In der Abstraktion ist die Schoa für Deutsche gerade noch erträglich. (...) Wenn die Darstellung jedoch allzu konkret wird, funktioniert die Immunisierung nicht mehr. Das tut dann weh.”
Und genauso ist Walser zu sehen, wenn er von Auschwitz, Deutschland und ‘Instrumentalisierung’ spricht.
Walser weiß genau, wie er zu denken und zu reden hat: „Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum“, meint er, und beweist im weiteren Umgang mit dem Thema Auschwitz, daß seine Äußerungen vielmehr den Inhalt eines „Lippengebets“ haben (das er anderen vorwirft), da er nicht bereit ist, Konsequenzen für das Land der Täter anzuerkennen.
Das ist das eigentliche Ziel Walsers, was mit allen seinen relativierenden Vorgängern (sei es Nolte, Stürmer usw.) gemeinsam hat. Er sagt, er habe nie einen Schlußstrich ziehen wollen. Genau dies macht er aber, indem er eine Trennlinie zwischen Vergangenheit und aktuellen politischen Erscheinungen setzt. Ganz so, als hätte das eine mit dem anderen überhaupt nichts mehr zu tun. Und Walser weiß auch wie er vorzugehen hat, um seine Glaubwürdigkeit zu wahren. Die Vergangenheit wird nicht geleugnet und auch an der Schuld Deutschlands wird nicht gezweifelt oder ähnliches, nur wenn er sich auf eine seiner Reden von 1977 bezieht, spricht er aus, worin sich in Deutschland fast alle einig sind: „Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte – so schlimm sie zuletzt verlief – in einem Katastrophenpunkt enden zu lassen.“ Das heißt dann de facto: Auschwitz darf Deutschland nicht mehr im Weg stehen. Das besondere an Walser, daß er von Auschwitz spricht, ohne Konsequenzen daraus ziehen zu wollen, macht bei ihm seine Trennung von Vergangenheit und Gegenwart unweigerlich zum Schlußstrich. Auschwitz bleibt bei ihm untrennbar mit deutscher Geschichte verbunden, aber nur als historisches Faktum wie viele andere.
Daß er im Sinne seiner Glaubhaftigkeit von Auschwitz reden muß, weiß Walser. Allerdings wird das Reden von Auschwitz bei ihm letztlich nur noch als „Entreebillet“ für eine legitime deutsche Politik benutzt. Wenn das mal keine ‘Instrumentalisierung’ ist.
Ansonsten wird für Walser Auschwitz aber zu lästig und jeder Verweis darauf ein Teil der „Dauerpräsentation unserer Schande“.
Folglich spricht Walser „öffentlichen Gewissensakten“ in Bezug auf Auschwitz ihre Berechtigung ab und fordert statt dessen, „das Gewissen als das schlechthin Persönliche“ zu betrachten, um somit einer individuellen Auseinandersetzung Raum zu schaffen. Wie diese dann funktionieren soll, macht Walser an seinem eigenen Beispiel auch noch vor, wenn er nach „zu viel“ Auschwitz eben einfach wegschauen muß. Jeder Deutsche kann nun selbst entscheiden, wieviel er davon ertragen will und wann der persönlichen Verantwortung genügend Rechnung getragen wurde. „Wenn der Verurteilte das Urteil für ungerecht halten kann, ist er frei.“ Mal ehrlich, jeder gute Deutsche – und Martin Walser ganz vorn weg – weiß doch, daß das Urteil, heute immer noch an Auschwitz erinnert zu werden, falsch sein muß. Aber Dank Walsers ist das alles kein Problem mehr: Freispruch für die Deutschen und Auschwitz gehört nur noch ins Geschichtsbuch.

„Die von Walser angestoßene Debatte gefährdet die Juden in Deutschland.“ (Julius Schoeps)

Doch der Schlußstrich Walsers hatte natürlich auch noch eine symbolische Wirkung. Nach dem berechtigten Vorwurf der „geistigen Brandstiftung“, den Bubis kurz nach der Rede Walsers anbrachte, reihten sich weitere Größen aus Politik und Kultur in die Diskussion ein. Fast alle, die sich zu Wort meldeten, taten dies, um Bubis – nicht Walser – zu kritisieren, für seinen vermeintlich falschen Umgangston. Ganz vornweg Klaus von Dohnanyi, der anfing, Auschwitz zu relativieren, als er fragte, ob sich die jüdischen Bewohner Deutschlands denn „so sehr viel tapferer als die meisten anderen verhalten hätten, wenn 1933 >nur< die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in die Vernichtungslager geschleppt worden wären.“ Als Bubis dies als „bösartig“ bezeichnete, forderte Dohnanyi von Bubis, die nicht-jüdischen Deutschen etwas „behutsamer“ zu behandeln, „wir sind nämlich alle verletzbar.“
Bei all der Gleichsetzerei und dem Schlußstrichziehen wird nicht einmal gemerkt, welchen Einfluß deutsche Ideolgien der Vergangenheit tatsächlich noch auf die Gegenwart haben. Oder wie in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war: „Vielleicht verdrängen und vergessen die großen Debattatanten vor lauter Vergangenheitsbewältigung, was gegenwärtig möglich und real ist in Deutschland.“ Was am Anfang schon erwähnt wurde, bekommt jetzt besondere Bedeutung. Wenn Walser von Auschwitz redet, dann redet er nicht mehr von heutigen gesellschaftlichen Zuständen, sondern trennt beides fein säuberlich voneinander. Doch so einfach geht das nicht. Wahrscheinlich weiß er nicht mal, was für Reaktionen seine Rede beim Volk ausgelöst hat.
17 Grabsteinschändungen auf jüdischen Friedhöfen in Deutschland pro Woche (eine Schändung pro Woche ist normal), Ignatz Bubis, Michel Friedmann und Julius Schoeps erhalten tagtäglich mehrere Morddrohungen, weil sie sich gegen Walsers Relativierungen von Auschwitz wehren müssen und das Deutsche Volk ihnen das übel nimmt. Als „Krönung“ jagten Antisemiten ein bemaltes Schwein über den Alexanderplatz auf dem ein Davidstern und der Name Bubis gemalt waren. (siehe Artikel in diesem Heft)
Weiß Walser eigentlich was in seinem Land sonst noch so los ist? 1997 gab es in Deutschland 976 antisemitische Straftaten. Ein fünftel aller 14 bis 17jährigen Jugendlichen wissen nicht, was Auschwitz ist. In Berlin wird ein orthodoxer Jude, der aus Israel zu Besuch kam, auf der Straße als „Drecksjude“ beschimpft und in der Polizeistatistik ist davon kein Wort zu finden. In verschiedenen Dörfern der Bundesrepublik gründeten sich Bürgerinitiativen, zum Teil mit Unterstützung der PDS, um sich gegen Juden, die ihr Eigentum, daß von den Nazis „arisiert“ wurde, wiedererlangen wollen, zu wehren.
Oder weiß Walser nichts von Gollwitz, wo sich ein ganzes Dorf gegen eine Unterkunft für russische Juden in ihrem Dorf wehrte? Weiß er etwa nichts von Babenhausen, wo ein jüdischer Bürger von der Bevölkerung vertrieben wurde und einige Zeit später sein Grundstück niedergebrannt wurde?
Das ist die deutsche Normalität, wie sie sich darstellt. Auch Walser ist ein Teil dieser, obwohl er diese Vorfälle sicher nicht so einordnen würde. Aber er will trotz dieser Vorfälle von Auschwitz nichts hören. Warum? Weil er weiß, wer in diesem Land die eigentlichen Opfer sind. Nicht diejenigen, die unter rassistischen und antisemitischen Aktionen zu leiden haben, sondern die Deutschen, auf die tagtäglich mit der „Moralkeule“ geprügelt wird. Naja, hoffentlich nützt’s was. Jochen


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last modified: 28.3.2007