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Wir dokumentieren hier zwei Presseerklärungen des Leipziger Bündnis gegen Rechts, die die Ereignisse um das „Europa Vorn“-Pressefest am 27. Juni 1998 beleuchten und einordnen.
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Leipzig, den 27. Juni 1998

Pressemitteilung des Bündnis gegen Rechts Leipzig

zu den Ereignissen um das „Europa Vorn“-Pressefest am 27. Juni 1998 in Dresden

Begleitet von einer spontanen antifaschistischen Gegenkundgebung mit 100 Teilnehmenden begann heute um 17.30 Uhr das Pressefest des rechtsradikalen Verlages „Europa Vorn“ im Deutschen Hygienemuseum in Dresden. Die zuerst für den Großraum Leipzig angekündigte Veranstaltung fand zunächst unter massivem Polizeischutz statt. Erst 19.00 Uhr wurde das Treffen nach einem Polizeieinsatz beendet. Nachdem wegen massiv angekündigter Proteste das Pressefest in der Neonazihochburg Wurzen bei Leipzig vom Eigentümer des Veranstaltungsortes untersagt wurde, löst die Vermietung der öffentlichen Räume im Dresdener Hygienemuseum besondere Empörung aus. Eine Sprecherin des Bündnis gegen Rechts sprach von „einem Skandal, der die Glaubwürdigkeit antifaschistischen Engagements öffentlicher Institutionen in Sachsen nachhaltig in Frage stellt.“ Noch am Freitag, dem 26. Juni, erklärte der sächsische Staatsminister des Innern, Klaus Hardraht, vor dem Landtag: „Vorsorglich prüfen die zuständigen Behörden, wo gegebenenfalls vor dem hygeniemuseuem, 10.7k Veranstaltungsorte in Sachsen aus Sicht des Veranstalters in Frage kämen. Und vorsorglich überlegen wir auch, ob wir, wenn es zu einer solchen Veranstaltung in Sachsen käme, diese dann nach §5 des Versammlungsgesetzes eventuell verbieten können.“ Der Landtagsabgeordnete Uwe Adamczyk (PDS) kündigte an: „Die Angelegenheit wird auf jeden Fall ein parlamentarisches Nachspiel haben.“ Bereits am Mittag war es an einer Tankstelle in Großkugel zwischen Leipzig und Halle zu Auseinandersetzungen zwischen 50 Nazikadern und ebenso vielen antifaschistischen Gegendemonstrantlnnen gekommen. Die Tankstelle war im Vorfeld als offizieller Schleusungspunkt für das Neonazitreffen angekündigt worden.

Der seit 1987 aktive Verlag „Europa Vorn“ ist Teil der rechtsradikalen „Neuen Rechten“ und versucht sich zum einen mit Sammlungsbestrebungen unter militanten Neonazis und den verschiedenen rechtsradikalen Parteien, zum anderen mit Bestrebungen zur Intellektualisierung der Szene zu profilieren. Verlagsgründer Manfred Rouhs begann seine rechtsradikale Karriere bei den Jungen Nationaldemokraten (JN) in Nordrhein-Westfalen und hat inzwischen auch intensive Kontakte zu Teilen der Republikaner und der DVU. Die seit 1996 jährlich stattfindenden Pressefeste „Europa Vorn“ dienen zudem dem Brückenschlag mit dem militanten Spektrum rechtsradikaler Skinheads. Für diese Zielgruppe werden eigens antisemitische und rassistische „Liederabende“ an das Vortragsprogramm angeschlossen. Die Verbindungen zu dieser Zielgruppe belegt auch die Teilnahme von Mario Ansorge, der als Veranstalter zahlreicher rechtsradikaler Skinheadkonzerte in Sachsen in Erscheinung trat, am diesjährigen Pressefest. Auch das Mitglied des JN-Bundesvorstandes, Sascha Wagner, der am 24. Januar diesen Jahres an dem Überfall militanter Rechtsradikaler auf den Regionalexpress von Leipzig nach Dresden beteiligt war, ist, wie auch in den letzten Jahren, organisatorisch an der Naziveranstaltung beteiligt. Auch der einschlägig bekannte Naziliedermacher Frank Rennicke nahm an der Veranstaltung teil.
Die Besucherzahl von lediglich 200 Nazis an dem diesjährigen Pressefest in Dresden ist ein Rückschlag für die Veranstalter. Nachdem mit 250 Nazis 1996 in Eschweiler (bei Aachen) und 350 letztes Jahr in Halle ein deutlicher Aufwärtstrend abzusehen war, ist die relativ niedrige Teilnehmerzahl in diesem Jahr hauptsächlich auf die antifaschistische Gegenmobilisierung im Vorfeld zurückzuführen. Wie im Vorjahr konnten durch die starke antifaschistische Präsenz Übergriffe der Pressefest-Teilnehmer verhindert werden. Derartige Befürchtungen stehen im Zusammenhang mit den tätlichen Angriffen auf Ausländerlnnen im Umfeld der Veranstaltung 1996.
Zur Auflösung der Veranstaltung kam es, als der Leiter des Hygienemuseums den Vertrag wegen „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ kündigte. Wegen Ausschreitungen innerhalb des Gebäudes wurde von seiten des Museums außerdem eine Hausfriedensbruchsanzeige gestellt.

Leipzig, den 28. Juni 1998

Pressemitteilung des Bündnis gegen Rechts Leipzig

zur Fortsetzung des „Europa Vorn“-Pressefestes in Wurzen

Das von der Polizei am 27. Juni 1998 um 19.00 Uhr im Dresdner Hygiene-Museum aufgelöste Treffen von 200 Rechtsradikalen im Rahmen des Pressefestes des Verlages „Europa Vorn“ wurde anschließend in Wurzen bei Leipzig fortgesetzt. Der „Liederabend“ mit dem antisemitischen und rassistischen Liedermacher Frank Rennicke und dem Chef des Verlages „Europa Vorn“, Manfred Rouhs, fand in einem von der NPD gepachteten Gebäude in der Wurzner Käthe-Kollwitz-Straße statt. Die Polizei beobachtete das Treffen, griff aber nicht ein. Mit der Veranstaltung bestätigen sich Befürchtungen, daß der „nationale Jugendclub der NPD“ sich zu einem bundesweiten Koordinationszentrum für Neonazis entwickelt.

Das für den 27. Juni 1998 im Großraum Leipzig angekündigte Pressefest des rechtsradikalen Verlages „Europa Vorn“ war in Zusammenarbeit mit den militanten Neonazis der Muldentaler Szene organisiert worden. Diese hatten auch im Zusammenhang mit dem Pressefest ein Zeltlager für 200 Personen in Pausitz bei Wurzen angemeldet. Anmelder für dieses vom Bürgermeister der Gemeinde Bennewitz verbotene Neonazitreffen war der der NPD nahestehende Martin König. Bereits vom Oktober 1995 bis zum 3. August 1996 hatte der harte Kern der Muldentaler Neonaziszene um Marcus Müller ein Haus auf dem Industriegelände in der Wurzner Käthe-Kollwitz-Straße besetzt, das vom Verfassungsschutz als damals „wohl wichtigstes Zentrum der Neonazis in Deutschland“ bezeichnet wurde. Seit Anfang 1998 pachtet der inzwischen zum Kreisvorsitzenden der NPD Muldental ernannte Marcus Müller das neue Neonazizentrum auf dem gleichen Gelände. Über den Gebäuden wehen mehrere schwarz-weiß-rote und NPD-Fahnen. Besitzer der Immobilie ist das NPD-Mitglied Jens Meyer auf’m Hofe aus Schmölen, der von der NPD unterstützt wird.
Das Zentrum in Wurzen war dem rechtsradikalen Verlag „Europa Vorn“ für sein Pressefest schon im Vorfeld zur Verfügung gestellt worden. Der Pächter, Marcus Müller, zog seine Genehmigung nach Gesprächen mit der Polizei allerdings zurück. Motiv für den Rückzug war die starke Öffentlichkeit um das Pressefest, die den Aufbau des Neonazizentrums gefährden könne.
Die Bedeutung des Wurzner Neonazizentrums ist mit der Schließung der Hetendorfer Tagungsstätten in Niedersachsen noch gestiegen. Das Gebäude soll jetzt nach dem Vorbild Hetendorfs zum „Schulungszentrum“ der bundesdeutschen Neonaziszene ausgebaut werden.
Die enge Verbindung zwischen „Europa Vorn“ und den militanten Neonazis aus dem Muldentalkreis ewies sich bei dem Überfall auf den Regionalexpress von Leipzig nach Dresden am 24. Januar 1998 in Wurzen. Damals hatte ein Gruppe von Neonazis, unter ihnen Marcus Müller und das Mitglied des JN-Bundesvorstandes Sascha Wagner, zu einer antifaschistischen Demonstration für die Wehrmachtsausstellung Reisende mit Steinen angegriffen. Die Angriffe erfolgten nach Angaben des BGS vor Ort auch von dem Gelände der Käthe-Kollwitz-Straße. Sascha Wagner verfügt neben den guten Kontakten in den Muldentalkreis auch über hervorragende Verbindungen zum Verlag „Europa Vorn“. Für diesen organisiert er seit Jahren den Saalschutz bei Veranstaltungen. Gleichzeitig sponsert Verlagschef Manfred Rouhs den Musikversand Sascha Wagners.
Die NPD hatte in Leipzig zuletzt mit einem Aufmarsch am 1. Mai für Schlagzeilen gesorgt. Auch bei dieser Veranstaltung waren Sascha Wagner und Frank Rennicke anwesend. Die CDs des Naziliedermacher Rennicke, der bei jedem größeren Nazitreffen zugegen ist, werden regelmäßig wegen antisemitischen und rassistischen Inhalten indiziert.

Bündnis gegen Rechts Leipzig c/o VL, PF 54, 04251 Leipzig, E-Mail: BGR@LINK-L.cl.sub.de


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last modified: 28.3.2007