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zwangsjacke fuer nationalstaaten, 2.5k

In der Linken geht die Angst um, die wieder einen Namen hat: M.A.I. – Multilaterales Abkommen über Investitionen
Von Ralf

Noch vor Jahren galt es in der westlichen radikalen Linken als äußerst umstritten, überhaupt nur an den Staat zu appellieren. Inzwischen jedoch hat sich das Blatt zusehends gewendet. Über partielle Forderungen in fast allen gesellschaftsrelevanten Bereichen hat sich als Tugend etabliert, was sich nur aus zunehmender Ohnmacht und Kapitulation vor dem vermeintlichen „Ende der Geschichte“ erklären läßt. So wird auch die weltweite Kapitalzirkulation nur deshalb als so schrecklich empfunden, weil das ehemals vorhandene realsozialistische Pendant nicht mehr als auszumachendes Korrektiv zur Verfügung steht. Seitdem also kaum noch territoriale Beschränkungen für das Kapital auf dem Globus existieren und damit auch der Erzfeind Kommunismus von der Bildfläche verschwunden ist, bricht sich ein ungehemmtes Selbstverständnis aller Nationalökonomien Bahn, in der der Staat durch Verschuldung und nicht zuletzt durch die „dritte industrielle
beamte, 6.8k
„Staatsbeamte im nationalen Interesse“
Revolution“ der Mikroelektronik als keyneseanistische Pump-Station ausgedient hat und seine Rolle als ordnungs- und geopolitischer Sachwalter neu überdenken muß.
Trotzdem bleibt der Staat jener „ideelle Gesamtkapitalist“ (Marx), der den Boden dafür zu bereiten hat, zu welchen Bedingungen die Ausbeutung jeweils passiert. Logischerweise sind dabei diejenigen in der Vorhand, die über die finanzstärksten Nationalökonomien verfügen. Jene haben somit auch die besten Karten im weltweiten Machtpoker. Das Gerangel um die attraktivsten Investitionsstandorte ist demnach keine Folge der angeblichen Globalisierung und des damit mutmaßlich obsolet gewordenen Nationalstaates, sondern einzig und allein der Tatsache geschuldet, daß Kapital per se tatsächlich kein Vaterland kennt und deshalb auch nur aus „höheren“ (Nationalisierung) oder „niederen“ (verschärfte Ausbeutungsbedingungen) Beweggründen gebunden werden kann. Und das in doppelter Hinsicht: In beiden Fällen ist der Staat eben auch immer auf die Willfährigkeit seiner Bürger bedacht wie auch auf günstige Bedingungen für das Kapital. Dabei hängt es entscheidend vom bestehenden Geschichtsbild eines Staates und der jeweiligen Gesellschaftskonstitution ab, für welche der beiden Varianten sich eher entschieden wird, ohne gleichzeitig die jeweils andere explizit auszuschließen, weil selbstredend keine reine Ausschließlichkeit praktizierbar ist. In diesem Sinne ist es grundsätzlich wichtig, die nationale Spezifik mit zu betrachten. Das heißt im Falle Deutschland beispielsweise, daß bei der traditionell ungeheueren Aggressivität des deutschen Nationalismus – was den bekennenden deutschen Staatsbürger unbedingt mit einschließt, wenn nicht gar voranstellt – der „höhere“ Beweggrund – also die Nationalisierung – mit Sicherheit das größere Übel ist.
Aus dem ideell zu betrachtenden Antagonismus von vaterlandslosem Kapital und Staatsprotektionismus, der bei Anwendung automatisch in Konkurrenz zu anderen Gemeinwesen gerät, und aus dem sich grundlegend ergibt, welche sozialen Standards ein Staat für seine(!) Bürger setzt und gewährt, leitet sich die Kapitalismus-immanente Schizophrenie her, daß die eigenen nationalen Interessen multilateral so in Einklang gebracht werden müssen, daß die Kollidierung unterschiedlicher Machtinteressen insoweit auszuschließen ist, wie es der eigene, jeweilige Staat für seine ureigensten wirtschaftlichen Prosperitätsinteressen braucht. Einzig und allein aus diesen Interessensüberschneidungen ist es im Sinne gerade der mächtigsten Staatsregierungen, Vereinheitlichungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen herbeizuführen.
So dachtens sich auch die Regierungsvertreter der 29 OECD-Mitgliedsländer, den führenden Industriestaaten, und stricken deshalb seit 1995 „im diskreten und familiären Rahmen“ (FAZ) an der, wie es der Chef der Welthandelsorganisation WTO, Renato Ruggiero, nennt, „neuen Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft“. (in: SPIEGEL Nr.19, 1998) Sie nennen es Multilateral Agreement on Investment, Multilaterales Abkommen über Investionen, kurz: M.A.I.
Im April diesen Jahres sollte es bereits unterzeichnet werden. Doch insbesondere an EU und USA und deren protektionistisch begründeten Vorbehalten ist dies gescheitert und ersteinmal auf Herbst vertagt worden.
Am 8. März 1995 gab der Europäische Arbeitgeberverband UNICE „Einleitende Kommentare zu Handel und Investitionen“ ab, in denen die Aushandlung ebenjenes M.A.I. bei der OECD vorgeschlagen wurde, das folgende Eckpunkte umfaßt: breite Definition von Investitionen, breites Niederlassungsrecht, Recht auf unbeschränkte Gewinnrückführung, freie Managerwahl, Einführung eines Streitschlichtungsverfahrens zwischen Investor und Land, Verbot von Enteignung oder Entschädigungspflicht, Meistbegünstigungsklausel u.a.m.
„Das neue internationale kapitalistische Manifest“, wie es Le Monde diplomatique nennt, schreibt ein absolutes Niederlassungsrecht für ausländische Investoren in fast allen Bereichen nationaler Wirtschaften vor, wobei die jeweiligen Regierungen verpflichtet sind, ausländische Investitionen ohne größere Auflagen zu ermöglichen. Laut M.A.I. umfaßt der Begriff Investionen auch alle Formen ausländischer Kapitalanlage. Investoren sollen unter Umständen von den jeweiligen Staaten auch für den Verlust künftiger Profite entschädigt werden, wobei Umweltsteuern, Arbeits- oder Konsumentenschutzbestimmungen als profitmindernd gelten können. Die Gleichbehandlung von nationalen und ausländischen Investoren wird nach dem M.A.I. zwingend. Ausschließliche Vorschriften oder Bedingungen für ausländische Investoren dürfen somit nicht aufgestellt werden. Jeweiligen National-Regierungen ist es untersagt, im Nachhinein, also nach Beitritt zum M.A.I., etwaige Bestimmungen zu erlassen, die dem Abkommen widersprechen. Die bindende Geltungsdauer nach Beitritt beträgt zwanzig Jahre und ein Ausstieg ist generell erst nach fünf Jahren mit 15 Jahren Übergangszeit möglich. Ein weiterer Punkt ist die juristische Gleichstellung der Unternehmen gegenüber den jeweiligen Staaten. Dabei können die Investoren die Staaten auf entgangenen Profit verklagen. Die ursprünglich vorgesehene Einseitigkeit, daß eine Klage nur von den Unternehmen statthaft ist, ist inzwischen vom Tisch.
Eines der Hauptgründe für das M.A.I. besteht in der von allen OECD-Mitgliedsländern gewollten Vereinheitlichung der Investitionskriterien, die die vielen bestehenden bilateralen Abkommen überflüssig machen würde. Seitdem der Inhalt des Abkommens öffentlich bekannt wurde – es wurde lange nicht an die große Glocke gehangen und hinter verschlossenen Türen ausgehandelt –, wird es von den linken und rechten Kritikern als „Bankrotterklärung der Politik“ (Freitag) und demzufolge Kapitulation der nationalen Regierungen vor dem Kapital interpretiert. „Dies kann allein schon deshalb nicht sein“, so schreibt Peter Decker erstaunlicherweise in der jungen Welt, deren Leserklientel solcherlei Töne gar nicht recht sein dürften, „weil (beim M.A.I.) nicht Konzernmanager über die Abschaffung der Staaten verhandeln, sondern ausschließlich Staatsbeamte im nationalen Interesse unterwegs sind“. (in: junge Welt vom 29. April 1998)
Tatsächlich bedarf es nicht unbedingt weiterer Ausführungen, um vorzuführen, wie sich fast alle Gegner des M.A.I. in der Apellation auf den Staat verrennen. Es wirkt schon fast beruhigend, wie bedächtig die Gewerkschaften, die im übrigen seit 1996 in die OECD involviert sind, mit dem M.A.I. umgehen. Tatsächlich sind von ihnen noch die angenehmsten kritischen Töne zu vernehmen. So sagt beispielsweise Jürgen Eckl von der Internationalen Abteilung des DGB: „ (...) Mit dem M.A.I. hätten wir nun das erste Mal einen Sanktionsmechanismus mit einer Sozialklausel verknüpfen können. Wir hätten also ein internationales Vertragswerk gehabt, wo wir sanktionsfähig geworden wären (...). Das war die Chance, die wir jetzt schwinden sehen, wenn das Vertragswerk aus protektionistischen Gründen (der EU und USA) nicht zu Ende verhandelt werden kann“. (in: Freitag Nr.18, 1998)
Anstatt jedoch genau an dieser Stelle zu intervenieren und alles daran zu setzen, daß übergreifende Sozialstandards gerade unter Nutzung eines solchen Abkommens erzwungen werden, jammern die Protagonisten der M.A.I.-Gegner herum. So Tony Clarke, Direktor des kanadischen Polaris Instituts in Ottawa: „Wir haben unseren gewählten Regierungen Souveränität übertragen. Doch jetzt wollen die Staaten die ihnen von uns übertragene Souveränität an die transnationalen Konzerne abgeben“, betonte er anläßlich eines internationalen Kongreßes gegen das M.A.I. am 25. April diesen Jahres in Bonn und erntete dafür „langanhaltenden Applaus“. (in: taz vom 27. April 1998) Dort bestand auch unter den 550 Teilnehmern scheinbar trauernde Einigkeit darüber, daß das M.A.I. eine „Zwangsjacke für die Nationalstaaten“ sei. Eine weitere Initiatorin der Anti-M.A.I.-Kampagne, die Soziologie-Professorin Maria Mies, bringt es noch etwas deutlicher auf den Punkt. Gegenüber der Wochenzeitung Jungle World sagt sie: „Statt Globalisierung setzen wir auf Regionalisierung“. Was sie damit etwa hinsichtlich bestimmter Identitäts- und Ethnizitätskonzepte meint, verdeutlich sie weiter unten in demselben Blatt: „In Frankreich regt sich niemand darüber auf, daß für die nationale Kultur gekämpft wird. Wenn wir das in Deutschland zum Thema machen würden, wären wir sofort als Faschisten verschrien. Bei uns wirkt das wie ein Denkverbot – und dagegen wehre ich mich“. (in: Jungle World Nr. 16, 1998)
Nach dem gescheiterten Versuch, ende April das Abkommen zu verabschieden, beschwört die taz „ein Investitionsabkommen light“: „Der Schutz der Investoren wird weiter an erster Stelle stehen, aber am Rande werden auch Sozial- und Umweltstandards erwähnt, ebenso wie der Schutz einheimischer Kultur vor den Ursurpatoren aus Hollywood“.
Wieder einmal zeigt sich deutlich, wie unfähig eine Linke ist, das soziale Verständnis als nationalen Wahn über Bord zu werfen. Anstatt einer – zumindestens – Transnationalisierung genügend positive Seiten abzugewinnen, die gerade die Chance bieten würde, nichtnationale Standards zu wirklich internationalen zu machen, gar noch mit der Aussicht auf globale Verbindlichkeit, betätigt man sich als Steigbügelhalter eines alten neuen Nationalismus und Regionalismus, der im Sinne uralter kapitalistischer Dynamik gar keine anderen polarisierten Optionen kennt als die von „Krieg und Frieden“ (Helmut Kohl). Wahrlich bleibt keine andere Wahl als die Verkehrung dessen, was das Mitglied des Komitees Widerstand gegen das M.A.I., Saral Sarkar, flehend anmahnt: „Mit dogmatischen Anti-Staat-Sprüchen kann man die Anti-M.A.I.-Bewegung und die Sache der Linken nur schwächen“ (in: taz vom 12. Mai 1998).
Und deshalb, ein dreifaches: Kein Gott – Kein Staat – Kein Vaterland!!!

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last modified: 28.3.2007