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Ein Jahr nach der Wurzen-Demo.

Eine ergänzende Einschätzung des Leipziger Bündnis gegen Rechts.

„Kampf den braunen Zonen – Den rechten Konsens durchbrechen! – Keine Räume für Faschisten!“.
Unter diesem Motto fand am 16.11.1996 eine Demonstration in der idyllischen Kleinstadt Wurzen statt. Ca. 6.000 Antifaschistinnen und Antifaschisten konstatierten „Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen“ und versuchten die Faschohochburg Wurzen und den gesamten Muldentalkreis in die Öffentlichkeit zu bringen. Dies ist uns gelungen. Fast alle Medien berichteten von der Demo und Wurzen hatte sein Stigma als rechte Hochburg weg(1). Was jedoch heute, ein Jahr danach, von der Euphorie und von konkreten Ergebnissen der Demonstration und der ihr vorausgegangenen Öffentlichkeitsarbeit übriggeblieben ist und wie sich die Situation in Wurzen, respektive im gesamten Muldentalkreis, verändert hat, wollen wir hiermit einer kritischen Analyse unterziehen.
wurzen-demo, 12.2k Es scheint so, als wäre in Faschotown Ruhe eingekehrt. In den Medien gab es seit einem Jahr keine Schlagzeilen mehr, die im Zusammenhang mit der rechten Szene im Muldentalkreis stehen. Der Pressesprecher des LKA stellt fest, daß sich die Lage „zumindest an der Oberfläche“ beruhigt hätte und der Verfassungsschutz halbiert die Anzahl der Rechtsextremisten im Muldentalkreis seit der Demo.
Von einem grundlegenden Wandel im Muldentalkreis kann jedoch keine Rede sein. Der scheinbar eingetretenen Ruhe widersprechen zum einen der hohe Aufwand der Soko Rex (Sonderkommision Rechtsextremismus), die Aktivitäten der rechten Jugendlichen einzudämmen, und zum anderen die Tatsache das dies nicht gelingt, wie man der angefügten Chronik der uns bekanntgewordenen Faschoaktivitäten entnehmen kann.
Wir versuchen anhand der dem damaligen Demoaufruf zugrundeliegenden Analysen (zu Bevölkerung, Jugendpolitik, faschistischen Strukturen etc.) eine aktuelle Einschätzung zu geben, wie sich die Verhältnisse im Muldentalkreis geändert haben und warum wir mit dem Anliegen der Demonstration recht behalten haben.

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Die gesellschaftliche Situation – Bevölkerung] [Faschistische Strukturen] [Ein Jahr Perspektivendiskussion im BGR.] [Verhalten der Justiz – Repression gegen Faschos] [Stadt- und Jugendpolitik]

Die gesellschaftliche Situation – Bevölkerung

Ein Jahr, nachdem wir anläßlich der Wurzen-Demo 1996 gleichzeitig versuchten, die Wurzener Gegebenheiten in einen Gesamtrahmen gesellschaftlicher Analyse einzubetten, lassen sich weder grundsätzliche Brüche in der Gesamtentwicklung konstatieren noch Veränderungen zum Besseren ausmachen.
So wollen wir weder noch einmal an dieser Stelle auf die neue alte Großmachtpolitk des neuen alten Deutschlands eingehen, die im Ergebnis der Wiedervereinigung durch die Beendigung der Nachkriegssituation möglich geworden ist, noch wollen wir das historische Verständnis der Deutschen nach Auschwitz in den Mittelpunkt stellen und den vorhandenen antisemitischen Gehalt dieser Gesellschaft explizit darstellen. Auch eine Kritik an der deutschen Linken sprengt an dieser Stelle den Rahmen eines kurzen Abrisses unserer Sichtweise auf die deutsche Gesellschaft.
Unsere Einschätzungen von einem aus der Mitte der deutschen Gesellschaft kommenden offenen Rassismus und Nationalismus eben anhand von Wurzen, haben sich im wesentlichen bestätigt. Anhand eines vor einem Jahr jedoch unterbelichteten Aspektes, der für die gesellschaftliche Konstituierung immer wesentlicher wird, sollen hier einige Ausführungen zur Verfaßtheit der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft folgen.
Die Konjunktur, die der Sicherheitswahn sogenannter Innerer Sicherheit derzeit erlebt, hat seinen Zenit bei weitem noch nicht überschritten. Allerorts trifft die verschärfte Hetze gegen diejenigen, die nicht in den traditionell deutschen Wertekram von „ordentlich, fleißig, sauber und diszipliniert“ passen, auf offene Ohren und Zustimmung. Nicht jedoch, weil eine perfekte Manipulationsmaschinerie „von Oben“ störungsfrei funktioniert. Nein, schon deshalb nicht, weil der Bodensatz an Denkmustern der sogenannten Normalbevölkerung als fruchtbarer Adressat höchst erfreut die Hetzkampagnen aufgreift, multipliziert und regelrecht – „von Oben“ – herbeisehnt. Dabei entsteht eine allmächtige Halluzination von angeblich umherschweifender Kriminalität.
Nicht weiter verwunderlich ist, daß dieses vollkommen überzogene, substanzlose Sicherheitsbedürfnis „die Gewalt“ als zusammenhanglosen Popanz alles Schrecklichen begreift. Das Gemisch aus Anti-„Gewalt“- gleich Anti-„Kriminalitäts“-Konsens braucht zum praktischen Verständnis des deutschen Normalbürgers konkret ausgemachte Feindgruppen, die für alles angeblich Schreckliche schuldig gesprochen werden können. So trifft es am härtesten Migranten und nicht-deutsche Arbeiter. Mit einigem Abstand gefolgt von Obdachlosen, regelmäßigen Konsumenten von harten Drogen, Punks, Graffiti-Sprayern und Homosexuellen.
Entscheidend für das karitative – sprich: hilfsbereite Verständnis der Normalbevölkerung ist der oben beschriebene traditionelle deutsche Wertekanon und die Ablehnung bzw. bestenfalls ausgeprägte Skepsis gegenüber dem als „fremd“ empfundenen. Genau deshalb erlebt man allenthalben in Deutschland, wie verständnisvoll Jungnazis umhegt und gepflegt werden. Schließlich haben diese dieselben Feindbilder und Werte.
Nicht zuletzt das macht die immer populärer werdende Nazi-Jugend-Subkultur zu einer völlig konformistischen Rebellion, die nicht gegen die Stärkeren zieht, sondern grundsätzlich gegen die Schwächsten in der Gesellschaft. So ist der Beifall trotz vorgeblicher Anti-„Gewalt“-Haltung garantiert.
Alles Gerede von einem starken Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen Stadt und ländlichem Gebiet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als nuancierte Facette ein und derselben Medaille. In den Landstrichen bzw. Stadtgebieten, die für weniger ausgeprägten Alltagsrassismus in der Öffentlichkeit stehen sollen, kann der mehrheitlich getragene rassistische Konsens jedoch nicht ganz so ungestört zu Tage treten wie in ländlichen Gegenden. Für diesen Störeffekt sind aber ausschließlich als marginal zu bezeichnende Gruppen und Einzelpersonen verantwortlich, die gegen Alltagsrassismus und alltägliche Auswirkungen staatlicher Politik Widerstand leisten. Wie schwer sich darüberhinausgehende überregionale Interventionen von beispielsweise bundesweiter Bedeutung für uns darstellen, widerspiegelte sich eben auch in der intensiven Mobilisierung für unsere Demonstration im November ‘96, die letztlich nur dadurch zu einem Erfolg werden konnte.
Einen liberalen Deckmantel hat diese Gesellschaft endgültig verloren. Die Hinwendung zum Standortpatriotismus als Antwort auf eine angeblich allumfassende ökonomische und kulturelle Globalisierung steht mittlerweile im Zentrum aller Argumentationen – gepaart mit der notorischen Totalitarismusdoktrin, die den „Extremismus“ von „Links“ gleich dem von „Rechts“ setzt. Mit dem Unterschied, daß in aller Regel im Gegensatz zur Verharmlosung nazistischer Bestrebungen zuvor aus gesellschaftskritischen Menschen „Linksextremisten“ erst konstruiert werden.
Die Rolle, die den Nazis zufällt, ist von seiten der deutschen Öffentlichkeit betrachtet, eine instrumentalisierte. Nazis dienen der Normalbevölkerung wie der staatlichen Politik als Abgrenzungs- und damit Legtimationszweck eigener Rassismen und Nationalismen: Wo Nazis als solche ausgemacht sind, können die offiziellen Politiker und deren normale Wähler ja nicht so schlimm sein. Bezeichnenderweise, das zeigt sich tatsächlich überall, werden die jeweilig lokal agierenden Nazis erst gar nicht als solche wahrgenommen und regelrecht weggelogen. Zum Ausdruck kommt dabei, wie fließend die Grenzen wirklich sind. In größeren Städten mag die gegebene Anonymität den immer mehr zum Pseudounterschied zwischen demokratischer Öffentlichkeit und Nazis werdenden Clinch noch eine Weile aufhalten. In Wurzen haben wir uns die Mühe gemacht, diese Zusammenhänge peu a peu anhand der lokalen Gegebenheiten zu durchleuchten und konnten dadurch an der Oberfläche durchaus einiges bewirken. Geglaubt haben wir dabei, einer völlig neuen Dimension von Klüngel und Hofiererei durch Bevölkerung, Behörden und Nazis auf der Spur zu sein. Unsere intensiveren Betrachtungen anderer Landstriche, Städte und Regionen in diesem Deutschland haben uns inzwischen eines anderen belehrt: Wenn sich heute, ein Jahr danach, etwas aus den Wurzener Verhältnissen ableiten läßt, dann das Folgende: Wurzen ist überall. Und der populäre Lokalreim, >>vor Wurzen wurds’m schlecht – nach Wurzen wurds’m besser<< muß sich also – trotz poetischer Schwierigkeiten – auf ganz Deutschland erweitern lassen.

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Die gesellschaftliche Situation – Bevölkerung] [Faschistische Strukturen] [Ein Jahr Perspektivendiskussion im BGR.] [Verhalten der Justiz – Repression gegen Faschos] [Stadt- und Jugendpolitik]

Faschistische Strukturen

Während Burkhard Schröder(2) nur aus der Wurzen-Broschüre abschreibt und deshalb nicht mit neuen Erkenntnissen aufwarten kann, versuchen Lokalpolitiker, Lokalmedien, Polizei und Verfassungsschutz abzuwiegeln: Es gäbe keine Rechten mehr in Wurzen, die Lage habe sich inzwischen beruhigt, ohne daß ihnen auffällt, daß die meisten von ihnen schon vor einem Jahr steif und fest behauptet hatten, da es die Rechten gar nicht gibt.(3)
Der Demonstrationsaufruf zur Wurzendemo konstatierte, daß es sich in Wurzen nicht um ein lokalisierbares, räumlich begrenztes Faschozentrum handelt, sondern der gesamte Landkreis als faschistisches Zentrum anzusehen ist. Eine festgefügte, womöglich noch parteigebundene Faschostruktur mit Führerpersönlichkeiten war nicht auszumachen. Vielmehr hatte eine breite Bewegung rechter Jugendlicher mit diffusen Weltbildern die Hegemonie in den Schulen, Jugendclubs und auf der Straße errungen. Permanent wurden militante Aktionen gegen mißliebige Personen, zuallererst MigrantInnen und vermeintliche Linke, durchgeführt. Die lose Organisationsstruktur ermöglichte aber andererseits das Klischee vom armen, irregeleiteten Jugendlichen, der mit akzeptierender Jugendarbeit wieder zu integrieren sei. Als die Faschos sich durch die ganzen Vereinnahmungsversuche der Stadt zu sehr gehegt und gepflegt fühlten, besetzten sie kurzerhand einen alten Industriekomplex.(4) Das Motto der Demonstration „Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen“, meinte also nicht die kurz bevorstehende Zerschlagung der faschistischen Zentren durch Antifahand, sondern im Gegenteil das Eingeständnis, daß traditionelle antifaschistische Aktivitäten ihre Grenze erreicht haben, wo sie es nicht mit herkömmlichen faschistischen Zentren zu tun haben, sondern mit einer Situation, wie sie sich im Muldentalkreis präsentierte.
Die oben beschriebene Situation im Muldentalkreis hat sich in den letzten zwölf Monaten nicht grundlegend geändert. Die ca. 50 (vom BGR registrierten(5)) rassistischen und faschistischen Aktionen von Muldentaler Neonazis im Jahr nach der Demo sprechen eine deutliche Sprache. Die Palette reicht dabei vom Verteilen von Flugblättern und Hakenkreuzschmierereien über die Teilnahme an Demonstrationen, die Organisierung von Konzerten, Zeltlagern und Wehrsportübungen bis zu Angriffen auf Migranten und politische Gegner sowie Auseinandersetzungen mit der Polizei.(6)
Bei einer Analyse dieser Vorfälle ist jedoch zu beobachten, daß die Zahl der ungeplanten und unorganisierten Übergriffe im Vergleich zum Jahr vor der Demonstration leicht abgenommen hat, gleichzeitig jedoch die Zahl von organisierten Übergriffen, Veranstaltungen und Propagandaaktionen stark zugenommen hat. Dies hat mehrere Gründe:
  1. Der Versuch von Seiten der lokalen Medien und Behörden, Wurzen wieder im rechten Licht erscheinen zu lassen, spiegelt sich auch in der verstärkten Vertuschung von rechtsradikalen Übergriffen wieder. Sie sind keine Randnotiz mehr Wert. Ganz im Gegenteil werden gewisse Vorfälle sogar lauthals dementiert.(7)
  2. Die Faschos sind im Lauf der Zeit ihrem Ziel, die Schaffung einer „befreiten Zone“, immer näher gekommen. Die MigrantInnen, Punks und Antifas wurden (fast ausnahmslos) vertrieben. Die Vorherrschaft an den Schulen und in den Jugendclubs muß nicht mehr mit Gewalt erobert und gesichert werden, denn inzwischen wird sie von niemandem mehr angetastet.
  3. Wenn sich Faschos beweisen wollen, weichen sie in Ermangelung von geeigneten Anschlagszielen in Wurzen auf die umliegenden Kreise aus. Dort werden bevorzugt Jugendclubs überfallen.(8) Die bislang nur innerhalb des Muldentalkreis bestehende enge Vernetzung wurde auf andere Regionen ausgeweitet. Konzerte, Partys, Zeltlager, politische Veranstaltungen und die Beobachtung von Prozessen gegen Kameraden finden in enger Zusammenarbeit mit Faschos vorallem aus Leipzig und den Kreisen Torgau und Oschatz statt.
  4. Als Reaktion auf die Demonstration und die Aktivitäten des BGR sowie im Zuge der Verschärfung des Vorgehens der sächsischen Polizei gegenüber imageschädigender Kriminalität patrouillieren die Soko Rex oder Polizei allabendlich durch Wurzen und den Muldentalkreis. Diese Präsenz dürfte ihre Wirkung auf die jugendlichen Faschos nicht verfehlt haben. Seitdem stehen legale Propagandaaktionen und gut vorbereitete militante Angriffe im Vordergrund.
  5. In der Faschoszene haben sich verschiedene Strömungen herausdifferenziert. Es ist aber bislang zu keiner Spaltung und Trennung gekommen. Bei allen größeren Events, sei es ein Fußballspiel(9) oder eine NPD-Demonstration, erreicht die Mobilisierung alle Faschokreise. Die Herausbildung dieser Strömungen ist einerseits altersbedingt und anderseits politisch motiviert. Während die jüngeren Faschos mit der vorgefundenen Situation ganz zufrieden sind und sich auf das Ausleben in ihren subkulturellen Räumen konzentrieren (was gelegentliche Übergriffe keineswegs ausschließt), sind die älteren verschiedene Wege gegangen. Aus den Überresten der Wurzner Kameradschaft „Aktion Neue Rechte Muldentalkreis“ ist der NPD-Kreisverband entstanden. Damit haben sich für sie neue Aktionsfelder ergeben, vorallem die Teilnahme an bundesweiten Faschoaktionen(10) (siehe unten). Dagegen fahren die Faschos aus Grimma und umliegenden Dörfern auf den Ku Klux Klan ab und organisierten in letzter Zeit mehrere Treffen mit amerikanischen und britischen KKKlern, bei denen gemeinsam den bekannten Ritualen(11) gehuldigt wurde. Andere wiederum organisieren Faschokonzerte, sind in die Kleinkriminalität abgerutscht oder Spießbürger geworden.
  6. Genau drei Monate nach der Antifa-Demo in Wurzen, am 16.2.1997 gründete sich in Wurzen ein Kreisverband der NPD, über den berichtet wird, daß es sich um „zumeist junge Parteifreunde“ handelt.(12) Es ist davon auszugehen, daß die noch aktiven Faschos aus der Kameradschaft „Aktion Neue Rechte Muldentalkreis“ um Marcus Müller geschlossen in den neuen Kreisverband eingetreten sind. Deshalb wurde auch Marcus Müller zum Kreisvorsitzenden gewählt.
Diese Entwicklung stellte einen nicht unbedeutenden Bruch mit der Entwicklungsgeschichte der Wurzner Faschoszene dar, die sich bislang bewußt aus Parteistrukturen herausgehalten hat.(13) Infolgedessen nahmen die Wurzner Faschos vermehrt an bundesweiten Faschoaktionen teil. So fuhren ca. 100 Kameraden aus Wurzen und Umland am 1.3.1997 zum Aufmarsch gegen die Wehrmachtsaustellung in München, die NPD hatte die Busse organisiert. Zwei Monate später, am 1. Mai, fand in Grimma die einzige erfolgreiche Ausweichkundgebung zum verbotenem NPD-Aufmarsch in Leipzig statt.(14) An einem NPD-Aufmarsch in Zittau am 5.7.97 beteiligten sich ca. 15 Faschos aus Wurzen. Mitte Juli fand im Muldentalkreis eine Sonnenwendfeier mit bundesweiter Bedeutung statt. Es beteiligt sich z.B. die Redaktion der JN-nahen bundesweiten Zeitschrift „Noie doitsche Welle“, die dann auch einen Bericht darüber veröffentlicht. Schon vor den diesjährigen Hess-Aktionswochen legte die Kameradschaft Grimma-Trebsen einen Kranz am Grab von Hess in Wunsiedel nieder. Am 17.8.1997 fand dann in Hohburg bei Wurzen ein Faschoaufmarsch zu Gedenken von Hess statt.
Ein weiterer bedeutender Schritt raus aus der Faschosubkultur und rein in den rechten Mainstream ist die für 1998 geplante Kandidatur der in der NPD organisierten Wurzner Faschos bei den Kommunalwahlen.(15)
Offen ist zur Zeit noch, welche Auswirkungen der zur Zeit tobende innerparteiliche Streit im NPD-Landesverband Sachsen Auswirkungen auf den Kreisverband Muldental hat. Bei dem Streit geht es um die Haltung zu Günter Deckert. Während der in Leipzig wohnende stellvertretende Bundesvorsitzende und Landesgeschäftsführer Jürgen Schön mit der Mehrheit der NPD-Sachsen inzwischen Kurswechsel vollzogen hat und sich von Deckert distanziert, hält eine Gruppe um Torsten Keil (ehemaliger NPD-Landesvorsitzender) an Günter Deckert fest. Marcus Müller hat zum einen gute Kontakte zu Torsten Keil, sie kennen sich noch aus den Zeiten, als sie in der Nationalistischen Front waren bzw. an NF-Wehrsportlagern teilgenommen haben, anderseits trifft sich der Kreisverband Muldental regelmäßig mit den Leipziger NPD-Kameraden, z.B. bei den Bündnistreffen „Ein Herz für Deutschland“. Auch dürfte die NPD-Kreisverbandsgründung unter tatkräftiger Hilfe der Leipziger vonstatten gegangen sein. In der Sachsenstimme, dem Organ der NPD, wird Marcus Müller auch als „beliebt und geachtet“ gelobt. Inzwischen publiziert die Kameradschaft Muldental aber im Sachsenspiegel, der Konkurrenzzeitung der Deckert-Anhänger.

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Die gesellschaftliche Situation – Bevölkerung] [Faschistische Strukturen] [Ein Jahr Perspektivendiskussion im BGR.] [Verhalten der Justiz – Repression gegen Faschos] [Stadt- und Jugendpolitik]

Ein Jahr Perspektivendiskussion im BGR.

Die Demo war ein Erfolg, so der allgemeine Tenor der Nachbetrachtungen in linken Kreisen. Irgendwie waren alle berauscht von den 6000 TeilnehmerInnen, der selbstverständlich anmutenden Mißachtung des Vermummungsverbots, den kaputten Scheiben einer Bank, der durchweg guten Stimmung und all den anderen Sachen, die nunmal eine Demo attraktiv machen. Wieviel davon Ritual war, die Vorspiegelung falscher Tatsachen, die nichts damit zu tun haben, welche Interventionsmöglichkeiten die autonome Antifa wirklich noch beanspruchen kann, sei an dieser Stelle dahingestellt. Jedenfalls wurden mit der Demo und der vorausgehenden Kampagne doch einige Erfolge erzielt. Das von den Nazis besetzte Haus mußte aufgrund des öffentlichen Drucks geschlossen und zugemauert werden. Wurzen wurde zu einem Synonym für eine faschistische Hochburg, selbst Verfassungsschutz, Polizei und Gerichtsbarkeit sahen sich im Laufe der Demovorbereitung und im Nachgang zu verstärkten Aktivitäten (natürlich mit zweifelhaften Erfolgen) im Muldentalkreis gezwungen. Ebenfalls ein positives Ergebnis der Wurzen-Kampagne, ist die verstärkte Beschäftigung der Antifa mit der kulturellen Hegemonie der Rechten vor allem in den neuen Bundesländern. Wurzen galt uns als exemplarisch für eine faktisch „befreite Zone“ der Nazis. Heute wissen wir, daß eine Unmenge weiterer brauner Zonen zu benennen sind. Ein letzter, aber nicht ganz unwesentlicher Erfolg der Demo dürfte darin bestehen, daß sich mit dem BGR eine kontinuierlich arbeitende Antifa-Gruppe gebildet hat.
Das BGR ist nie davon ausgegangen, mit der Demo in Wurzen auf einen Schlag das Problem zu lösen. Mit einer solchen Illusion hätte das BGR die Analyse vom faschistischen Zentrum, wie es vorher keiner kannte (oder nannte) gleich zum Fenster rauswerfen können. Von Anfang an war klar, daß es auch nach der Demo in Wurzen weitergehen muß. Eine antifaschistische Kontinuität war angestrebt, die den rechten Konsens, die rechte Hegemonie in der Muldentaler Jugenkultur aushebeln sollte, um wenigstens erstmal die Nische für alternative Ansätze (kultureller und politischer Prägung) zu schaffen.
Schön hatte man sich das ausgedacht. Zuerst sollte auf „politisch-niedrigschwelliger“ Stufe Kulturveranstaltungen organisiert werden, die erstmal das nichtfaschistische Potential in Wurzen ausloten sollten. Gleichzeitig strebte das BGR eine öffentliche Positionierung der parlamentarischen Institutionen im Muldentalkreis (Stadtrat Wurzen/Kreistag) gegen Rechts an. Im Nachklang der Demo wirkte ein solches Unterfangen nicht aussichtslos, denn in diesem Zeitraum grenzten sich doch so gut wie alle örtlichen VIPs von Rechts (und im selben Atemzug von Links) ab. Das BGR versprach sich damit eine politische Absicherung (weniger eine Unterstützung) der kulturellen Invasion. Außerdem verstanden wir diese Stellungnahme als Voraussetzung für unsere Teilnahme an der AG Jugendpolitik, die der Landkreis aufgrund der antifaschistischen Aktionen im Muldentalkreis eingerichtet hatte. Eine eindeutige Abgrenzung dieses Gremiums, welches die Jugendarbeit im Muldentalkreis koordinieren sollte und eine gewisse Einflußnahme auf die Verteilung der sächsischen Staatsknete hat, die jetzt als Reaktion auf den öffentlichen Druck locker gemacht wurde, hätte indirekt auch die Teilnahme von Faschos ausgeschlossen und akzeptierende Jugendarbeit mit ihnen erschwert. Der Enthusiasmus nach der Demo beflügelte noch weiterreichende und gleichfalls schlitzohrige Pläne. Die freien Träger in Wurzen sollten politisch beeinflußt werden, um zu verhindern, daß unter ihrer Federführung weiterhin akzeptierende Jugendarbeit mit Faschos gemacht wird. Ja wir versprachen uns gar ein heimliches alternatives Zentrum in Wurzen, welches organisatorisch, finanziell und rechtlich unter der Obhut der freien Träger firmieren sollte. Inhaltlich könnte es aber den Keim einer regionalen Antifa in sich bergen. Das Fernziel hieß aber immer noch „Autonomes Jugendzentrum Wurzen“. Nur war klar, daß sich dies von außen nicht einfach so installieren läßt und die 6000 DemoteilnehmerInnen hatten auch keins mitgebracht. Abgerundet wurden diese Perspektiven durch unseren Willen auch weiterhin Pressearbeit zu machen, das Stigma „rechte Hochburg Wurzen“ wollte aufrechterhalten werden, sorgte dies doch dafür, daß die Politiker, Journalisten und Bullen vor Ort die Faschos nicht ganz so direkt hofieren konnten, wie sie es in der Vergangenheit gewohnt gewesen waren.
Lange Rede, kurzer Sinn. Ist das Konzept auch noch so schön, es kann in die Binsen gehen. Und das ging es. Die politische Positionierung kam nicht zustande. Zu wenig Druck vom BGR und die unsägliche Totalitarismustheorie, die auch die regionalen Demokraten zur Genüge inhaliert hatten, ließen unser diesbezügliches Ansinnen irgendwann in einer Schublade verschwinden. Demzufolge war auch unser Plan an der AG Jugendpolitik teilzunehmen im Eimer. Zwar gab es noch einen mehr oder weniger regelmäßigen Kontakt zu Leuten aus Wurzen, die in diesem Gremium weiterarbeiteten, der Informationsaustausch mit ihnen läßt sich in der Rückschau aber nur euphemistisch als „konzeptionell“ beschreiben. Aus der kulturellen Invasion wurden letztendlich vier Kinoveranstaltungen. Mit denen konnte man dann auch einige noch-nicht-Faschos aus der Kindergartenszene der Muldentalstadt erfreuen. Der Anspruch, im rechten Hexenkessel Veranstaltungen anzubieten, die garantiert ohne Nazis über die Bühne gehen, realisierte sich jedenfalls eher über den Altersdurchschnitt des Publikums. Das politische Konzept, welches Polithardliner zu Cineasten werden ließ, wollte jedoch auch uns nach dem letzten Abspann nicht mehr so richtig einleuchten. Der Wunsch in Wurzen einen Selbstlauf in Gang zu setzen, blieb ein solcher. Durch die Kinoveranstaltungen ergab sich jedenfalls kaum ein Kontakt mit Wurzner Jugendlichen, die in Faschotown kontinuierlich kulturelle Kleinarbeit verwirklichen könnten, deren einzigster politischer Akzent eine antifaschistische Einlaßkontrolle ist. Wir von BGR hatten uns mal wieder gründlich verrechnet. Denn war es noch richtig eine kontinuierliche Arbeit Vorort zu fordern, waren wir alles andere als in der Lage diese selbst zu übernehmen. Die Konzentration auf Kino, Party, Konzert hätte alle weiter Antifa-Tätigkeit von uns schon wegen des Zeitaufwands verhindert. Hauptgrund, warum wir das mit der Invasion beizeiten sein ließen, war aber, daß die von uns selbst geforderte politische Niedrigschwelligkeit, selbst auf uns zurückfiel. Wers nicht glaubt, daß sich eine relativ unpolitische Sozialarbeit praktisch mit einem linksradikalen Verständnis nicht verbinden läßt, der/die kann ja mal in so einem Pissnest wie Wurzen den Filmvorführer für die Population der unter 14-jährigen spielen. Für uns grenzte das jedenfalls an Schizophrenie. Die anderen Aspekte unserer Perspektivendiskussion nach der Demo, die Beeinflussung der freien Träger, Pressearbeit aber auch die „normalen“ Aspekte von Antifa, wie Recherche etc. wurden nach und nach auf die lange Bank geschoben und hier wurden sie dann von anderen Geschichten fast völlig verdrängt oder sagen wir besser überdeckt. Höchstens die wenigen Antifas aus Wurzen haben mit Plakatierungen, Recherchen, einer Besetzungsaktion, der Mitarbeit in einer Prozeßgruppe(16) u.ä. „traditionelle“ Bereiche der Antifa-Arbeit im Muldentalkreis weiterverfolgt.
Denn das BGR gab es natürlich immer noch, nur verlagerte es teils bewußt, teils aber auch auf schleichendem Wege seine Arbeitsschwerpunkte. Mit den Planungen der Nazis am 1. Mai 1997 in Leipzig einen Aufmarsch noch nie dagewesenen Ausmaßes zu zelebrieren, stand das BGR nur scheinbar vor der Wahl weiterhin nur im Muldentalkreis nach den Rechten zu sehen oder aber die Organisation von antifaschistischen Gegenaktivitäten in Leipzig maßgeblich mit zu unterstützen. Denn nach der Nazi-Demo am 1. März in München war klar, daß auch in Leipzig, die Faschos aus den „befreiten Zonen“ im Osten den Hauptteil der Faschohorden stellen würden (nach München fuhren aus Wurzen zwei Reisebusse mit Nazis). Der strukturelle Zusammenhang zwischen den Muldentaler Nazis und denen aus Leipzig wurde sowieso immer offensichtlicher. Außerdem gab es in Leipzig zu diesem Zeitpunkt keine Antifagruppe, die eine Gegenmobilisierung zustande bekommen hätte. Das ist kein Eigenlob, sondern die traurige Wahrheit. Also haben wir den Job übernommen, obwohl uns einleuchtete, daß damit die kontinuierliche Arbeit im Muldentalkreis vorerst auf Eis gelegt wird.
Die angekündigten 10.000 Faschos marschierten am 1. Mai 97 noch nicht. Wir betrachten dies als Erfolg der antifaschistischen Mobilisierung im autonomen Spektrum und denken, daß unsere Entscheidung, diese aktiv mitzubetreiben sinnvoll war. Natürlich mußten wir uns nach dem verhinderten Aufmarsch erstmal hinsetzen und überlegen, wie es denn eigentlich weitergehen soll. Ein konzeptionsloses Zappen zwischen den Brennpunkten wollten wir ja eigentlich nicht, auch wenn das hier jetzt so aussehen sollte.
Ausgehend von der Einschätzung, daß sich im Muldentalkreis nicht viel geändert hat, sich eine ähnliche Situation aber auch in Leipzig abzuzeichnen beginnt, haben wir neue Arbeitsschwerpunkte festgelegt. Regional hieß dies also nicht nur Arbeit im Muldentalkreis, besonders in Wurzen, sondern eben auch selbiges in Leipzig zu versuchen. Von sozialarbeiterischen Experimenten hatten wir genug, das wollen wir in Zukunft sein lassen. Unser Hauptaugenmerk sollte in den besagten Bereichen der faschistischen Jugendkultur und den JN/NPD-Strukturen gelten und ganz speziell den Verbindungen, die in diesen Bereichen zwischen den oben genannten uns nahestehenden Regionen existieren. Hehre Ziele, die bis jetzt in bezug auf die Praxis nur ungenügend konkretisiert worden sind. Aber was sollen wir auch machen. Irgendwie haben wir den Ruf als funktionsfähige Antifa-Gruppe in der Region weg. Das heißt wir übernehmen mehr oder weniger viele Aufgaben bei Antifa-Events, die uns in der Umgebung und im bundesweitem Maßstab wichtig erscheinen. Dazu kamen in der jüngsten Vergangenheit auch noch Prozeßbeobachtungen, die sich nicht nur auf Verfahren gegen Faschos oder Antifas im Muldentalkreis bezogen, sondern welche die Morde an einem Migranten und einem Schwulen durch Faschos in Leipzig zum Gegenstand hatten. Und die Teilnahme an den Vorbereitungen für Antifa-Aktionen gegen den geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai 1998 steht auch schon wieder ins Haus.

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Verhalten der Justiz – Repression gegen Faschos

Auch hier hat sich in den vergangenen zwölf Monaten leider nicht viel geändert – wie auch, gehören doch die StaatsdienerInnen aller Couleur zum repräsentativen Querschnitt der Muldentaler Bevölkerung. Und deren Haltung zu Rassismus, Rechtsextremismus und Deutschtümelei ist ja seit langem bekannt. Nach wie vor werden kaum Prozesse gegen straffällige Faschos in Gang gebracht. Dies liegt einmal an der berechtigten Angst der Opfer, die sich damit einer nicht zu unterschätzenden Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Desweiteren müssen wir immer wieder erleben, daß Verfahren gegen Täter trotz ausreichender Beweise eingestellt werden. So wird der Prozeß gegen die Täter des Überfalls auf die Berggasse vom 21./22.01.95 seit der halbherzigen Verurteilung der ersten beiden Täter im April ’96 weiter verschleppt. Hier sind ein Großteil der Täter bekannt und die Hauptakteure des Überfalls, unter ihnen Marcus Müller, stehen, obwohl nach den Aussagen bei den Bullen und auch während des Prozesses zweifelsfrei selbst von Mittätern benannt, bisher nicht auf der Liste der Angeklagten. Die unvertretbar milden Urteile – Bewährungs-, Geldstrafen und ein paar Monate Führerscheinentzug – stehen in keinem Verhältnis zu der Schwere der Taten.
Vor Gericht werden, wie im Falle eines brutalen Überfalls auf die Insassen eines Autos im Januar ‘95, die Opfer in einer Art und Weise befragt, als seien sie die Täter. So mußte sich ein Angegriffener, der damals schwer verletzt wurde und seit dem Überfall schwerbeschädigt ist, von der Richterin mehrmals fragen lassen, warum die Täter ausgerechnet ihn zusammenschlugen, da er ja wohl irgendeinen Anlaß gegeben haben müsse, schließlich seien die anderen Insassen des Autos nicht verletzt worden. Andere ZeugInnen wurden von der Richterin nach Details befragt, an die sie sich nach zweieinhalb Jahren kaum erinnern konnten, um sie in lächerliche Widersprüche zu verwickeln. Es wird nicht die Glaubwürdigkeit der Täter, sondern die der Opfer und ZeugInnen in Frage gestellt.
Viele dieser Verfahren, die vor dem Amtsgericht Grimma stattfinden, werden durch die Richterin Haubold geführt, deren Auftreten und Prozeßführung den Vorwurf der Befangenheit bei weitem rechtfertigt.
Redlich Mühe gibt man sich jedoch bei einen Mammutprozeß gegen Punks (14 Angeklagte), der allerdings wegen der Beweisnot jetzt schon zum Fiasko für die Staatsanwaltschaft wird. Mit diesem Prozeß sollen die Punks, von denen fast alle sichere Alibis haben, unter Druck gesetzt werden. Dies kostete einem Punk mittlerweile sogar das Leben, da er mit diesem enormen Druck nicht mehr fertig wurde und Selbstmord beging.
In einem weiteren Verfahren, daß im Gegensatz zur üblichen Rechtsprechung steht und daher als Besonderheit im Muldentalkreis gewertet werden muß, wurde vor dem Amtsgericht Grimma im Oktober ‘97 das tragen von „Gaudreiecken“ als nicht verboten erklärt. Dies wurde unter anderem damit erklärt, daß der Schriftzug nicht mit dem Original übereinstimme, das Abzeichen auf der falschen Seite der Jacke getragen wurde und eine ausreichende „Verbindung“ zwischen dem „Stoffdreieck“ und dem Uniformzeichen des „Bundes deutscher Mädel“ (eine Teilorganisation der Hitlerjugend) nicht erkennbar sei.
Als im August ‘97 150 Faschos in Schildau feierten und es beim Eingreifen der Bullen zu schweren Auseinandersetzungen kam, bei der es acht Verletzte gab und 81 Faschos festgenommen wurden, wurde die Beteiligung von Wurzner Faschos, die zunächst eingeräumt worden war, später vehement bestritten. Es gab eine ganze Serie von Artikeln und Kommentaren in der lokalen Presse die sich dagegen wandten und Wurzens Bürgermeister Pausch fragte, ob Wurzen denn jetzt schon in Leipzig begänne und erst in Dresden ende. Dabei hatte selbst die NPD die Verletzung ihres Kreisvorsitzenden des Muldentalkreises, Marcus Müller, bei dem „brutalen Polizeieinsatz“ (Pressemitteilung der NPD) beklagt.
Dagegen werden die Aktionen der Soko Rex immer wieder pressewirksam in Szene gesetzt. Mit Berichten über massive Personenkontrollen und Festnahmen soll der Eindruck erweckt werden, die Soko Rex und die Polizei gehen wirksam gegen Faschos vor. Jedoch sieht die Realität anders aus. Bullen und Soko Rex betreiben hauptsächlich sichtbare Prävention, indem sie nachts im Muldentalkreis Streife fahren und auch ab und zu ihre Broschüre „über die Geschichte von Skins, die nach einem Überfall im Knast landen“ verteilen (LVZ, 30.08.97)(17), aber konkrete Vorfälle werden ständig gedeckelt oder gar nicht erst gemeldet. In der lokalen Presse findet man kaum Berichte über Faschoaktionen im Muldentalkreis, obwohl laut selbst LKA-Angaben die Dunkelziffer jährlich in die Hunderte geht (LVZ, 11.09.96). So braucht es auch nicht zu überraschen, daß der Organisator der Busse für den geplanten NPD/JN Aufmarsch am 1.Mai ‘97 nicht nur NPD-Mitglied sondern auch Bulle ist.

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Stadt- und Jugendpolitik

An der Einstellung der politisch Verantwortlichen in Wurzen und dem Muldentalkreis bezüglich der Bewertung und des Umgangs mit neofaschistischen Jugendlichen hat sich prinzipiell nichts geändert. Die besagte oberflächliche Beruhigung der Lage dient dabei der Stadt als Beweis, daß das Problem des Rechtsradikalismus offiziell nicht mehr existent ist. Ebenso trägt dazu bei, daß das Thema in der Presse beschönigend oder gar nicht mehr auftaucht. Für die städtischen Verantwortlichen und den Großteil der Bevölkerung scheint das Problem damit gelöst und die These von der Verschwörung der Presse und linksradikalen Kreisen bestätigt.
Kontakt:
Bündnis gegen Rechts (BgR)
c/o VL
PF 54
04251 Leipzig
Fax: 0341 - 9608303
E-Mail: BGR@LINK-L.cl.sub.de
Auch in dem Bereich Jugendpolitik ist keine positive Veränderung der Situation zu erkennen. Nach dem altbewährten Motto „alle Jugendlichen zusammenzubringen“(18) arbeiten Jugendamt und Jugend- und SozialarbeiterInnen unter Leugnung einer faschistischen Szene dieser in die Hände. So sehen sich die Faschokids in den mittlerweile vier existierenden Wurzner Jugendeinrichtungen – lediglich eine davon ist städtisch – nicht einer Konfrontation sondern einer unqualifizierten und konzeptionslosen Betreuung gegenüber, die noch nicht einmal mit der ohnehin zu kritisierenden „akzeptierenden Jugendarbeit“ zu vergleichen ist. Während diese Angebote vorwiegend durch die jüngere Naziszene genutzt und dominiert werden, zeigen die älteren aktiven Faschos kein Interesse, sie verstehen sie lediglich als Rekrutierungsbasis. Als deren Treffpunkte gelten eher Diskotheken und Kneipen, von denen wiederholt Angriffe und Überfälle ausgingen. Nicht zu vergessen die Bestrebungen, ein eigenes Zentrum nach dem Muster des ehemals besetzten Faschohauses in der Käthe-Kollwitz-Straße aufzubauen. Als größtes Manko aber sehen wir, daß nach wie vor kein explizit linker Jugendtreff existiert, der als Basis für eine antifaschistische Arbeit im Muldentalkreis unablässlich ist und einen konkreten ersten Schritt bedeuten würde.

Anmerkungen:

(1)
Selbst der Verfassungsschutz stellte fest, daß Wurzen das Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten sei (was wir allerdings nicht so eingeschätzt haben - unsere Analyse ging davon aus, daß Wurzen ein Zentrum aber nicht das Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten ist).

(2)
„Im Griff der rechten Szene“, rowohlt, 1997, S. 89-162

(3)
Nur in lichten Momenten ist das LKA in der Lage, diese Einschätzung damit zu entwerten, daß die Beruhigung nur „an der Oberfläche“ stattgefunden habe (LVZ 15.4.97). Und der Verfassungsschutz halbierte in einer Anfrage kurzerhand die Anzahl der Kameraden (150) und der Kameradschaften (6) im Muldentalkreis (Az: 63-0141.50/92, 22.3.97) im Vergleich zu seinen Angaben vor der Demonstration.

(4)
siehe auch: „Wurzen. Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen. Entwicklung im Muldentalkreis 1991-1996“, S. 29-41, Restposten können beim BGR bestellt werden

(5)
Die Dunkelziffer geht selbst nach LKA-Angaben in die Hunderte (LVZ 11.9.96).

(6)
siehe Chronik „Rechtsextreme Aktivitäten und Übergriffe im Muldentalkreis bzw. durch Neonazis aus dem Muldentalkreis für den Zeitraum 16.11.1996-30.11.1997“, BGR

(7)
So z.B. nach einer Party von 150 Faschos in Schildau im August 1997. Als diese wegen Skandieren von faschistischen Parolen von der Polizei aufgelöst werden sollte, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen, bei der u.a. Marcus Müller verletzt wird, wie der Bundessprecher der NPD in einer Presseerklärung mitteilt. In ersten Polizeiverlautbarungen ist davon die Rede, daß an der Party viele Wurzner und Muldentaler Faschos beteiligt waren. Die Woche darauf erscheint fast täglich ein Dementi. Am Ende ist davon die Rede, daß nur ein Wurzner dabei gewesen sein soll. Oberbürgermeister Wurzens, Anton Pausch: „Für viele scheint Wurzen in Leipzig zu beginnen und bis hinter Dresden zu reichen“ (LVZ 27.8.97)

(8)
So z.B. in Eilenburg (4.12.96) und Delitzsch (29.8.97). Am 19.6.97 wurden in Leipzig 11 KirchentagsbesucherInnen von Muldentaler Faschos angegriffen und verletzt.

(9)
Marcus Müller, NPD-Kreisvorsitzender und ehemaliger Kameradschaftsführer, genießt noch so viel Respekt, daß beim Fußballspiel ATSV Frisch Auf Wurzen gegen FC Sachsen Leipzig am 27.8.97 der Faschos-Hool-Block auf seine Ankunft wartete, bis es „richtig los ging“. Diese Anerkennung beruht natürlich auf Gegenseitigkeit.

(10)
Sogar an weltweiten Faschoaktionen, wie z.B. den Franco-Gedenktagen in Spanien, nehmen Wurzner Faschos (1997 waren auf jeden Fall Androsch und Marcus Müller dabei) teil.

(11)
Holzkreuze verbrennen etc.

(12)
Sachsenstimme März/April 1997. Dort weiter „(...) auf denen die große Verantwortung ruht, Ordnung und Sicherheit in dem von der PDS und ihren autonomen Schlägertrupps drangsalierten Muldentalkreis anzustreben.“

(13)
Inzwischen entwickelt die NPD in Wurzen sogar eine gewisse Exklusivität, die Qualität statt Quantität garantieren soll. So waren bei einer NPD-Veranstaltung im November 1997 in Wurzen nur geladene Gäste zugelassen, was nicht als Sicherheitsmaßnahme gedacht war, sondern Faschodummköpfe draußen halten sollte.

(14)
Diesmal hatte die Busse ein Polizist organisiert, der NPD-Mitglied ist. (Bild 15.10.97)

(15)
Im Gegensatz zu Günter Deckert, der ankündigte, Oberbürgermeister von Leipzig werden zu wollen, stehen Chancen der Wurzner Faschos gar nicht mal so schlecht, ein paar Sitze im Stadtrat zu erobern.

(16)
welche vor allem Opfer beraten, schützen und bei der Wahrnehmung ihrer legitimen Rechte als Betroffene unterstützen soll (Anwälte beschaffen, Rechtsberatungen, Hilfe bei Neben- und Zivilklagen, Ermutigungen zu Anzeigen gegen TäterInnen u.ä.m.), zum andern ist es immens wichtig, die wenigen anstehenden Verfahren gegen Faschos zu begleiten - zum Schutz der Betroffenen und zur Absicherung einer optimalen Öffentlichkeitsarbeit. Die Broschüre heißt „Christian und Co“.

(17)
Als Folge der Geschäftigkeit im Umfeld der Demo

(18)
wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche zwar offen für alle Jugendlichen in Wurzen ist, aber bisher kein Ergebnis auf der Habenseite verbuchen konnte.


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last modified: 28.3.2007