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Aktuelles Heft

INHALT #259

Titelbild
Editorial
Roboterkommunismus – nur eine Utopie?
Ceremony
• position: Unteilbare Gutbürger im Dienst fürs Kapital
• position: Über die Islamisierung der Universität und die Verblödung der Studenten
• doku: Was bleibt von der Welt am Ende des Monats?
• doku: System Change Not Climate Change
• doku: Außer Kontrolle
• doku: Vergeblich Erdöl säen
• das letzte: Grün-braune Heimatliebe

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Grün-braune Heimatliebe

Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Schutz der Art

Noch im Nachgang zum ernüchternden Abschneiden seiner Partei bei den EU-Parlamentswahlen(1) hatte der AfD-Parteivorsitzende und -Pressesprecher Alexander Gauland der F.A.Z. erklärt, man wolle »die Klimahysterie der anderen Parteien nicht mitmachen« und stattdessen »abwarten, bis sich der Klima-Hype gelegt hat.« Angesichts der anhaltenden Mobilisierungserfolge der Klimaschutzbewegungen, welche den Grünen Wahlerfolge bescherten und die regierenden Parteien unter Handlungsdruck setzen, erkannte sie jedoch bald eine erneute Repräsentationslücke, schwenkte um und derselbe bestimmte die »Kritik an der sogenannten Klimaschutzpolitik [...] nach dem Euro und der Zuwanderung« gegenüber der Welt nun als »das dritte große Thema für die AfD.«
Auch zuvor haben AfD-Politiker/innen selten einen Hehl aus ihrer Leugnung eines menschlich beeinflussten Klimawandels gemacht. Zuletzt waren sie damit jedoch in Konflikt mit »faschistoiden Bio-Läden«, so ihr parlamentarischer Geschäftsführer und Bundessprecher für Bildung und Forschung Götz Frömming, geraten.
Malte Reupert, diskussionsfreudiger Inhaber der Leipziger Bio-Supermarktkette Biomare und Vorstandssprecher der Grünen im Kreisverband Nordsachsen, hatte nämlich Anfang August die Bio-Hirse der Spreewalder Hirsemühle aus dem Sortiment genommen, da dessen Inhaber Jan Plessow sich politisch als Beisitzer im Vorstand des AfD-Kreisverbands Spree-Neiße betätigt. Weitere bundesweit aktive Bio-Supermarktketten wie Alnatura, Bio Company und Dennree waren ihm mit derselben Begründung gefolgt.
Die allerdings hat es in sich.(2) Reuperts Vorwurf: Der brandenburgische Hirsemüller ist aktives Mitglied einer Partei, die den menschengemachten Klimawandel leugnet, eine aktive Klimapolitik bekämpft und sich »im politischen Alltag immer wieder gegen den Artenschutz« stelle. »Damit«, fährt er »im Konsens mit allen leitenden MitarbeiterInnen« seines Unternehmens fort, »positioniert sich die AfD gegen die mit Abstand wichtigsten Aufgaben zur Gewährleistung einer lebenswerten Zukunft für unsere Kinder und die zukünftigen Generationen.«
Die Unterstellung, dass die eigene Partei nicht nur nicht nach dem Besten für die eigene Nation strebe, sondern auch noch fahrlässig die Zukunft des eigenen Volkes verspiele, konnte Plessow als heimatbesorgter Politiker selbstverständlich nur brüsk zurückweisen. In seiner Antwort versucht er stattdessen, die Biomare-Gründer, dessen »offensichtlich linksradikale persönliche Einstellung« er »mit Erstaunen« »zur Kenntnis« genommen hat, den Nationalstaat unter Verweis auf den von den Grünen geforderten nationalen Klimaschutzplan als »zwanghafte und alleinige Grundlage unserer Demokratie, [...] Garant unserer Freiheit« und internationale »Interessen[vertretung] seines Volkes« schmackhaft zu machen.
Da aber Reupert nie der Antideutsche war, für den der AfD-Lokalpolitker ihn halten wollte, rannte dieser offene Türen bei ihm ein und ließ sich einer Wertschätzung darüber nicht lumpen, was ihr gemeinsamer Staat und seine Nationalökonomie in der internationalen Konkurrenz der produktiven Anwendung des eigenen Volkes so alles zustande gebracht haben: »Wir sind bei Wohlstand, Demokratie, öffentlichen Institutionen, innerer und äußerer Sicherheit und sozialer Absicherung jeweils unter den besten 10 Staaten auf der Welt. Und an diesen Fakten ändert auch die wunderliche Sucht vieler Menschen, vergleichsweise kleine Restprobleme aufzubauschen, nichts.«(3)
Wer von den Leistungen der eigenen Nation so überzeugt ist, der lässt sich ungern Linksradikalismus vorwerfen – besonders, wenn er sich in jüngerer Vergangenheit erst selbst zur Zielscheibe von Linksautonomen gemacht hat.(4) In einem totalitarismustheoretischen Bravour-Ritt erklärte er deshalb kurzerhand den AfD-Politiker zum randständigen Extremisten: »Was für Sie interessant sein muss«, schrieb er Plessow abschließend, »ist allerdings die folgende Tatsache: […] der Duktus Ihres Schreibens unterschiedet sich ganz und gar nicht vom Auftreten der Hetzer und Gewalttäter von links[.] […] [M]an muss lediglich die Zielscheiben der Wut, also die Sündenböcke austauschen, und schon gibt es keine substanziellen Unterschiede mehr. Sie werfen mir ›Linksradikalismus‹ vor, weil ich die Inhalte Ihrer eigenen Rechtsaußen-Positionierung kritisiere. Dabei sind Sie in Ihrem Verhalten und Ihrer Sprache eine Blaupause der gewaltaffinen Linksradikalen - Wer sich am heftigsten bekämpft, ist sich im Wesen am ähnlichsten.«
Dass es bei der Auslistung der AfD-Hirse durch Bio-Märkte um nicht viel mehr als die richtige bzw. falsche Einstellung zum Klimawandel geht, zeigt das Beispiel eines kleinen Bio-Marktes in der Oberlausitz. Die Inhaberin Carola Zinner hat Plessows Hirse ohne öffentlichen Hinweis aus dem Sortiment genommen. »Wir müssen davon ausgehen, dass jeder dritte Kunde, der bei uns den Laden betritt, die AfD für richtig hält«, erläuterte sie ihren Schritt dem MDR. Wer aber Geld ins Geschäft bringt, den sortieren auch die Unternehmer/innen für den nachhaltigen Nationalerfolg nur ungern aus. »Wir müssen halt ein bisschen vorsichtiger an die Sache gehen«, ergänzt sie, »denn wir wollen ja auch mit den Kunden auskommen.«
Eine ähnliche Abgrenzung lassen auch radikale Teile der bürgerlichen Klimaschutz-Bewegung vermissen. Die Aktivist/innen von Extinction Rebellion (XR) wurden zuletzt richtigerweise von links für ihre Esoterik und Kooperationsbereitschaft mit Repressionsbehörden kritisiert. Ihrer Strategie liegt zudem ein strukturell ähnliches Konzept zugrunde wie dem extrem rechten Kampagnenprojekt Ein Prozent für unser Land: ein akutes apokalyptisches Szenario (Untergang des deutschen Staates / Öko-Kollaps führt zum Aussterben der Menschheit) und ein Politikansatz, der auf der Mobilisierung einer kritischen Minderheit basiert (1% der Deutschen / 3,5% der Bevölkerung). Bei XR wird zum Zweck der Mobilisierung ein integrativer Ansatz verfolgt, der weit über ein von linken Bewegungen toleriertes Maß hinausgeht: »Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus«, betonte XR-Mitbegründer Roger Hallam im Interview mit der Zeit, »auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen.« Und obgleich XR mit der Forderung nach der Auslosung einer nationalen »Bürger:innenversammlung« (Stichwort: »ein Deutschland in Klein«) dem Bundestag ein Beratungsgremium in Klimaschutzfragen als Volkes Stimme zur Seite stellen wollen, hält Hallam es mit der Demokratie selbst nicht so genau. »Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt,« erklärte er Spiegel Online im Interview, »wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen.«
Auch der Leipziger Ableger der Gruppe versuchte zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit den Anschluss an die nationale Selbstbeschwörung nicht zu verpassen und bespielte mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers des ehemaligen Karstadt-Kaufhauses eines der sonst verwaisten, großen Schaufenster mit der Überschrift »Das macht mir Angst:«. Unter dem Titel »Aufstand gegen das Aussterben« gaben fünf Aktivist/innen eine »Performance« vor der Parole »Wir werden das Volk gewesen sein« zur Schau. Entsprechend dem bereits angeführten apokalyptischen Szenario wurde »das Blut aller aussterbenden Arten - inklusive unserer« vergossen, um zu zeigen, »was auf uns zukommt, wenn wir nicht jetzt handeln.«
Gegen die »Vereinnahmung« und den »Missbrauch« der »Wende«-Parole durch Pegida und AfD sollte diese mit der Aktion in den Dienst einer höheren und dringlicheren Aufgabe gestellt werden und zeigen, »wie sinnlos diese Diskussion ist - angesichts des anhaltenden Artensterbens.« Der historischen Schicksalsgemeinschaft der Deutschen setzt XR den Schicksalszusammenhang der Erhaltung der Arten und ihrer gemeinsamen Lebensgrundlage entgegen, um anhand dieser eine »Brücke zwischen Gestern, Heute und Morgen« zu schlagen.
»XR distanziert sich von rechtem Gedankengut«, erklärt die Gruppe zu ihrer Aktion auf Instagram, »und macht darauf aufmerksam, welche Lebensgefahr von den klimaleugnerischen Tendenzen rechter Parteien ausgeht.« Denn »ein ›Volk‹, das diese sich zurückwünschen mögen,« ist nicht etwa zu kritisieren, sondern »in einer Welt, in der Millionen von Menschen vor Klimakatastrophen auf der Flucht sind und sein werden,« nur als »undenkbar« zu verwerfen. Dass die EU-Mitgliedsstaaten auch ganz ohne explizit »rechtes Gedankengut« mit ihren Ausländergesetzgebungen und ihrer vorgelagerten Flüchtlingsabwehr in Nordafrika, Südosteuropa und Vorderasien tatkräftig zum Gegenbeweis ansetzen, passt da nicht ins Bild.
Die XR-Aktivistin und Filmemacherin Kristin Mudra, die nach eigenem Bekunden bereits in Berlin in der Öffentlichkeitsarbeit von NGOs tätig war, begründete den bewusst Verhaftungen in Kauf nehmenden zivilen Ungehorsam gegenüber MDR Exakt folgendermaßen:
»Wir haben alles versucht, NGO's haben alles versucht: Petitionen unterschrieben, Briefe geschrieben, mit Politikern geredet - in diesem System ist es nicht umsetzbar. Und das was uns erwartet,« fährt sie fort, »das sind Hungersnöte, Kriege um Wasser.«
Es ist eben eine andere Welt, ohne Hunger und Kriege, in denen bürgerliche Klimaschutzbewegte leben und für deren Erhalt sie sich engagieren.


von shadab

Anmerkungen

(1) Die AfD hatte anteilig zwar um 3,9 Prozentpunkte auf 11% zugelegt, im Vergleich mit der 2017 waren jedoch mit 2,25 Mio. fast 40% ihrer damaligen Wähler/innen den Wahlurnen ferngeblieben. Den Grünen geegen mehr als 3,5-mal so viele ehemalige CDU/CSU-Wähler/innen (1,24 Mio.) auf sich zu vereinen, wie die AfD, welcher insgesamt nur noch das Abwerben von knapp 1 Mio. Wähler/innen von anderen Parteien gelang.

(2) Reupert hat die E-Mail-Konversation mit Plessow auf der Website seines Unternehmens dokumentiert: https://bio-mare.com/wp-content/uploads/2019/08/e-mail-verlauf-sprewaelder-hirsemuehle-1.pdf

(3) Obwohl Reupert diese Diskussion nicht mit einem sozial Abgehängten sondern einem anderen Unternehmer führt, übersieht er den aus Plessows Antwort hervortretenden nationalen Wohlstandschauvinismus und dessen Besorgnis um die nationale Souveränität und missdeutet »Sprache und Politik der AfD« in durchaus verbreiteter Weise als »Wut der Vernachlässigten und Zu-Kurz-Gekommenen. Genauer gesagt, derjenigen, die sich so fühlen. Denn die Realität in Deutschland ist ja eine ganz andere[.]« Dann folgt das hier zuvor angeführte Lob auf die Leistungen dieser Nation.

(4) Vgl. Ein Streit um den richtigen Ansatz, in: CEE IEH #235, online: www.conne-island.de/nf/235/20.html

18.11.2019
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